Spiegel Online: "Wären jetzt nicht mal die Männer dran?" – News vom 20. Mai 2020
1. Ein aktueller Artikel auf Spiegel-Onlne zu der Inszenierung "Männerwelten" des Komiker-Duos Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf beginnt so:
In der Sendezeit von Joko und Klaas wurde Gewalt gegen Frauen thematisiert. Dafür gab es viel Applaus. Aber wieder sprachen nur Frauen über ihre Erfahrungen. Wären jetzt nicht mal die Männer dran?
Ui, mögen jetzt vielleicht einige denken: Spiegel Online bricht mit dem bisherigen Redaktionstabu und beschäftigt sich mit männlichen Opfern sexueller Übergriffe? Kann das denn wahr schein?
Solche Hoffnungen werden schnell zerstört, wenn ich erwähne, dass der Artikel von Margarete Stokowski stammt?
Stokowskis Veröffentlichungen sind für ein nach Geschlecht geordnetes Schwarz-Weiß-Denken bekannt, das von unseren Leitmedien ja auch üppig honoriert wird. Dementsprechend möchte sie mit ihrem aktuellen Artikel natürlich nicht erzielen, dass zur Hauptsendezeit ein viertelstündiger Beitrag männlichen Opfern gewidmet wird. Stokowski möchte stattdessen eine Selbstbezichtigung männlicher Täter. Die sollten sich endlich "bekennen, auch schon mal übergriffig gewesen zu sein, und Besserung geloben".
Wie man sich als Frau mit der "Männerwelten"-Inszenierung weniger klischeebehaftet auseinandersetzen kann, zeigt die Bloggerin "Anne Nühm".
2. Wie der Bayrische Rundfunk berichtet, braucht die Nürnberger Caritas mehr Wohnungen für Männer, die Opfer von häuslicher Gewalt werden. Der Wohlfahrtsverband bietet in Nürnberg neben der regulären Beratung seit drei Monaten auch eine Schutzwohnung für bis zu drei Männer und deren Kinder an. Caritas-Direktor Michael Schwarz zufolge habe man schon Männer abweisen müssen. Das ist umso bemerkenswerter, als häusliche Gewalt gegen Männer Caritas-Projektleiterin Petra Zöttlein sowohl in der Gesellschaft als auch für die Betroffenen immer noch ein Tabu darstellt. Deshalb sei die Hemmschwelle, sich Hilfe zu holen, für die Betroffenen größer.
3. Im britischen Derbyshire wurden vier verschiedene Frauen hintereinander wegen häuslicher Gewalt verurteilt. Die dortige Tageszeitung berichtet darüber und zeigt die Täterinnen. Wenn das hierzulande auch passieren würde, hätten es Frauen wie Margarete Stokowski schwerer.
4. Eine Britin, die von einem 13jährigen Jungen schwanger wurde und ihn daraufhin der Vergewaltigung beschuldigte, wurde jetzt auch zu einer Haftstrafe verurteilt. Mit einer Ausstellung "Frauenwelten" ist weiterhin nicht zu rechnen.
5. Die Universität Lancashire hat eine Befragung online gestellt, die sich an männliche Opfer häuslicher Gewalt richtet. Obwohl es immer mehr Belege dafür gäbe, dass Frauen ähnlich häufig Partnergewalt verüben wie Männer, existierten bislang nur wenige Studien, die die Erfahrungen männlicher Opfer untersuchen. Ziel dieser Umfrage sei es, die Erfahrungen von männlichen Opfern mit Partnergewalt auszuwerten.
6. Die Grünen fordern, das Kurzarbeitergeld für Frauen zu erhöhen, weil Frauen durch diese Leistungen besonders "schlechtergestellt" werden bzw. ihnen eine "Katastrophe" droht. Das Blog Die Demokratie in Zeiten des Feminismus hat sich genauer angeschaut, wie berechtigt die Forderungen der Grünen sind.
7. Der "Sexismusbeauftragte" erklärt, warum die Kampagne #stattblumen der SPD-Frauen billigen Populismus darstellt.
8. Die Post. Gestern hatte ich einen Leserbrief veröffentlicht, der sich kritisch mit der These auseinandersetzte, dass von Frauen regierte Länder besser durch die Corona-Krise kämen. Heute antwortet ein anderer Leser:
Ohne den Feministinnen nach dem Mund reden zu wollen, aber entgegen dem zuletzt von Dir veröffentlichten Leserbrief scheint mir die Rede von den weiblichen Regierungschefinnen, die die Krise gut meistern, nicht vollständig ungerechtfertigt. Zunächst einmal wurde im Leserbrief die Regierungschefin des weltweit am meisten für seine Corona-Bekämpfung gelobten Landes - Tsai Ing-wen in Taiwan - schlicht vergessen.
Richtig ist hingegen, dass die meisten der gelobten Regierungschefinnen in Wahrheit eher durchschnittlich sind - inklusive Angela Merkel und der nordischen Regierungschefinnen - und manche sogar unterdurchschnittlich - auch die vom Guardian zu Unrecht gelobte Silveria Jacobs in Sint Marteen.
Teilweise nachvollziehbar ist allerdings das Argument des Guardian, dass es zwar auch viele gute männliche Regierungschefs gegeben habe, aber zumindest keine absolut schlechten weiblichen. Hier muss man gewisse Frauen von der Analyse ausnehmen - San Marino und die Schweiz haben gemischte Doppel-/Mehrfachspitzen. Und die belgische Ministerpräsidentin Sophie Wilmès war bis im März mangels Regierungsbildungsfähigkeit nur Leiterin einer Notfallregierung und somit teilweise handlungsunfähig.
Darüber hinaus sind aber eine Handvoll der von männlichen Regierungschefs geleiteten Länder besonders schlecht durch die Krise gekommen - Spanien, Italien, Grossbritannien, Irland, Frankreich, Schweden, die Niederlande und die USA. Diese Länder ziehen gewissermassen die männliche Erfolgsbilanz massiv nach unten.
Nun ist es natürlich so, dass bei der Suche nach den Gründen viel mit Geschlechterstereotypen gespielt wird - z.B. wird es Merkel positiv als Ehrlichkeit ausgelegt, wenn sie von einer Corona-Infizierung von 70% der Bevölkerung redet; wenn hingegen Johnson davon redet, dass viele sterben werden, wird es von den gleichen Journalisten als macho-hafte Abwertung menschlichen Lebens gedeutet. Und es spielen sicher auch individuelle Stereotypien mit, da einige dieser Regierungschefs (z.B. Trump, Johnson, Macron) schon vor der Krise international als selbstherrlich wahrgenommen worden sind.
Trotzdem sind letztendlich keiner der Frauen die gravierenden Fehler unterlaufen, zuerst eine Herdenimmunitätsstrategie zu propagieren (UK, Niederlande), keine tiefgreifenden Massnahmen zu veranlassen (Schweden) oder unkoordinierten Unsinn zu verbreiten (USA). Daher ist die Statistik, dass weiblich geführte Länder durchschnittlich bisher besser durch die Krise gekommen sind, nicht inkorrekt. Ob es so bleibt, wird man sehen.
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