Donnerstag, Mai 14, 2020

Identitätspolitik gegen Corona immun – News vom 14. Mai 2020

1. Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock, von der "taz" vergangenes Jahr als mögliche nächste Bundeskanzlerin ins Spiel gebracht, sieht nur Mütter, die sich während der Pandemie um die Betreuung ihrer Kinder kümmern. Das führt sie zu der Behauptung: "Coronakrise wirft Frauen in die 1950er Jahre zurück". Baerbock fordert nun die Kopplung von Coronahilfen an Klimaziele und mehr Frauenquoten in der Wirtschaft.

Die fünfziger Jahre also: Damit liegt Berbock im Vergleich mit Jutta Allmendinger und Anne Will, die Frauen nur bis zum Jahr 1990 zurückgeworfen sehen, um stolze vier Jahrzehnte in Führung. Erhalte ich ein noch höheres Gebot? Sibel Schick, Simone Schmollack … höre ich 1910 irgendwo? Das neunzehnte Jahrhundert? Noch kann überboten werden.



2. Covid-19 hat die Identitätspolitik nur verschlimmert, befindet das linke Magazin "Areo":

Dies ist die "frohe Botschaft", von der uns Dan Hannan vom Washingtoner Examiner versichert, dass wir alle sie in einer Welt nach dem 19. November erwarten können: das Aufgeben der Identitätspolitik. Hannan ist mit seiner Hoffnungshaltung nicht allein (Bari Weiss hegt eine ähnliche Auffassung in der New York Times), und vielen Menschen muss seine Vorhersage zutreffend erscheinen. Krisenzeiten haben eine Art, die Menschen ernüchtert zu stimmen und sie dazu zu zwingen, Bilanz zu ziehen über das, was wirklich zählt. In ein neues Licht gerückt, wirken alte Zankereien kleinlich und, wie Hannan sagt, egozentrisch.

Aber die Identitätspolitiker sind diese "seltene Person", die Hannan beschreibt, und ihre Ansichten werden immer populärer. Die treffendere Sichtweise ähnelt daher wahrscheinlich eher Michel Houellebecqs jüngster Vorhersage: "Wir werden nach dem Lockdown nicht in einer neuen Welt aufwachen. Es wird die gleiche sein, nur ein bisschen schlimmer."

Während der Rest des Landes unter der Last der Seuche wirtschaftlich klug wird, ist der Beruf des Kämpfers für soziale Gerechtigkeit unempfindlich gegenüber den Marktkräften. Das macht nur Sinn, wenn man die identitätspolitische Bewegung nicht als ein Phänomen versteht, das in einem Vakuum existiert, sondern im Hinblick auf ihre kohärente Grundideologie.

(...) Covid-19 ist ein günstiger Zeitpunkt für zeitgenössische Kritische Theoretiker, deren Vorgehensweise darin besteht, bestehende Normen, Narrative und Institutionen, die von der dominanten Kultur - d.h. der Kultur des weißen, heteronormativen, cis-geschlechtlichen Patriarchats - formuliert wurden, zu problematisieren und ihre Hegemonie in Frage zu stellen. Eine Störung des Status quo bietet die Chance, diese Institutionen zu kritisieren, ihre Unzulänglichkeiten aufzudecken und die daraus resultierenden Disparitäten hervorzuheben. Es ist die feste Überzeugung der Theoretiker, dass die Ungleichheiten, die jetzt aufgrund der Pandemie auftauchen, die ganze Zeit schon da waren und den grundsätzlich unterdrückerischen Charakter der westlichen Gesellschaft demonstrieren - und dass diese Offenbarung die utopischen Vorstellungen, das kritische Bewusstsein der Unterdrückten wecken und zu ihrer Befreiung führen wird. Seit sich der Corona-Ausbruch Anfang März in den westlichen Ländern ausbreitete, verfolgen die Krieger der Kritischen Sozialen Gerechtigkeit diese Strategie in drei Bereichen: Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit und Familie.


Auf Genderama interessiert uns natürlich vor allem das Geschlechterthema:

Am 4. März enthielt der britische "Independent" eine Stellungnahme von Ian Hamilton, Dozent für psychische Gesundheit an der Universität York. Die Schlagzeile klagte: "Ein Impfstoff wird Schutz vor dem Coronavirus bieten - aber wir können nicht gegen Sexismus impfen".

Hamiltons Argument ist einfach: Da Frauen angeblich anders auf Impfstoffe reagieren als Männer, müssen zwei Coronavirus-Impfstoffe entwickelt werden, damit Frauen nicht suboptimal behandelt werden. Im besten Fall sind wir immer noch etwa 14-18 Monate von einem brauchbaren Impfstoff jeglicher Art entfernt, aber Hamilton fordert, dass zwei geschlechtsspezifische Behandlungen gleichzeitig entwickelt werden, damit unsere Antwort auf Covid-19 nicht durch eine "männliche Linse" beeinflusst wird.

Aufgrund der männlichen Voreingenommenheit in der medizinischen Forschung, argumentiert Hamilton - "Die Wissenschaft, so scheint es, ist institutionell sexistisch" - wissen wir mehr über die Gesundheit von Männern, und deshalb wäre die Behandlung auf den männlichen Körper ausgerichtet, zum Nachteil der Frauen. Zweitens, und das ist noch wichtiger, hänge die Integrität der westlichen Strategie gegen diese Seuche davon ab, ob sie den Sexismus (d.h. "das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern") in den Wissenschaften aufrechterhält. Die Lösung? Das Vertrauen in das männliche Monopol in Forschung und Wissenschaft zu brechen, um das Patriarchat und den systemischen Sexismus - den wahren "sozialen Virus" - zu zerschlagen.

Man könnte annehmen, dass die wissenschaftlichen Disziplinen gegenüber einem geschlechtsspezifischen Perspektivismus unempfindlich sind. Das wäre ein Irrtum. Die Vorliebe der Kritischen Sozialen Gerechtigkeit zu einer von "gelebter Erfahrung" geprägten Standpunkt-Epistemologie bedeutet, dass "es keine Rolle spielt, wie intelligent oder bewusst ein hochrangiger Mann in einer solchen Position ist, er kann niemals die Gesundheit einer Frau oder die Erfahrung einer gesundheitlichen Intervention vollständig verstehen". Hamilton und andere seiner Überzeugung glauben aufrichtig, dass Sexismus die Wissenschaft erstickt hat. Sie würden um des systemischen Sexismus und der geschlechtsspezifischen Normen willen bereitwillig die Entwicklung von Impfstoffen verzögern.

Hamiltons Artikel zeigt, dass für die Ideologen der Kritischen Sozialen Gerechtigkeit, für die die Welt ein Nullsummenkampf zwischen Unterdrückern und Unterdrückten ist, Covid-19 nichts anderes als eine Gelegenheit ist, über die eigentlich notwendige Arbeit zu sprechen: die Dekonstruktion der weißen, männlichen Hegemonie.


Und wie sieht es beim Thema Familie aus?

Auch die traditionelle Kernfamilie ist von Kriegern der Kritischen sozialen Gerechtigkeit angegriffen worden. (…) Schutz vor Ort, Quarantänebestimmungen und soziale Distanzierung basieren alle auf einer weißen, kapitalistischen, patriarchalischen Vision von Familienstruktur und -besitz, heißt es. Da nicht jeder über angemessene Unterkünfte, Ressourcen oder familiäre Stabilität verfügt, um dieser Politik bequem nachkommen zu können, so die Argumentation, dienen die Erlasse der Gouverneure der Bundesstaaten und die Richtlinien des Center for Disease Control dazu, die Unterdrückung durch solche Normen und Strukturen überhaupt erst aufzudecken.

Laut Sophie Lewis lehrt uns das Coronavirus, dass es an der Zeit ist, sowohl die Familie als auch die Privathaushalte abzuschaffen, die "grundsätzlich unsichere Räume" sind. Vor allem von Queer und "feminisierten Menschen" kann nicht erwartet werden, dass sie sich auf das "kapitalistische Heim" beschränken. Lewis zitiert die "feministische Theoretikerin und Mutter" Madeline Lane-McKinley wie folgt:

"Die Haushalte sind die Schnellkochtöpfe des Kapitalismus. In dieser Krise wird es einen Anstieg beim Putzen, Kochen und Kümmern um den Haushalt geben, aber auch bei Kindesmissbrauch, Belästigung, Vergewaltigung des Intimpartners, psychologischer Folter und vielem mehr. Weit entfernt von einer Zeit, in der man sich mit der Ideologie der 'Familienwerte' abfinden sollte, ist die Pandemie eine akut wichtige Zeit für die Versorgung, Evakuierung und allgemeine Befähigung von Überlebenden und Flüchtlingen aus dem nuklearen Haushalt ... die private Familie qua Modus der sozialen Reproduktion ist, offen gesagt, immer noch scheiße."

(...) Angesichts dessen, was wir bisher gesehen haben, scheinen die Ereignisse wahrscheinlich Houellebecqs Vorhersage zu rechtfertigen, nicht die von Hannan. Kritische Kämpfer für soziale Gerechtigkeit sind sowohl unermüdlich als auch opportunistisch - und das verheißt nichts Gutes für den Rest von uns.




3.
Müssen die Parteien in Thüringen auf ihren Wahllisten gleich viele Männer und Frauen aufstellen oder hat ein Antrag der AfD gegen das neue Paritätsgesetz Erfolg? Der VerfGH des Landes hat verhandelt und will ein Grundsatzurteil verkünden.


Die Legal Tribune berichtet.



4. Eine neue deutsche Studie weist daraufhin, dass entgegengesetzt bisheriger Annahmen, über die Genderama berichtet hatte, vor allem Männer mit einem niedrigen Testosterongehalt an Covid-19 sterben.



5. Feedback. Mein Leser Joachim Bell schreibt mir zu dem Artikel "Das tödliche Coronavirus hat bewiesen, dass Frauen das stärkere Geschlecht sind" auf Facebook:

Der zitierte, keineswegs untypische "Mirror"-Artikel lässt in der Folge für Frauen nur noch zwei mögliche Rollenbilder zu: Entweder sind sie die notorischen Opfer (von Männern natürlich) oder sie sind - zur allgemeinen Überraschung - das wirkliche starke Geschlecht. Dazwischen: nichts! Wären solche Diskurse nicht so folgenreich, müsste man es als alberne feministische Folklore abtun. Da es aber eine argumentative Spielart ist, die uns andauernd begegnet, trägt es am Ende zur Diskreditierung jeglichen Feminismus bei. Leider ohne dass sich die seriöseren Feministinnen endlich mal dagegen zur Wehr setzten; und sei es, weil es ihre eigenen Ziele so massiv schädigt.


Ein anderer Leser hat mir das größtenteils hinter einer Bezahlschranke versteckte Spiegel-Online-Interview mit Verena Kolbe im Volltext zugänglich gemacht. Vielen Dank dafür! Kolbe betreut die Gewaltopferambulanz der Universität Rostock und fordert, auch Männer als Opfer ernst zu nehmen – zumal sie "in der Gewaltopferambulanz in Rostock einen erheblichen Anstieg von Gewaltfällen gegen Männer erlebt" habe: "Was Sie dort an Verletzungen sehen, ist schon erschreckend. Das steht dem in nichts nach, was den Frauen widerfährt." Wenn man "Polizeistatistiken und entsprechende internationale Studien" betrachte, steige "in der ganzen westlichen Welt offenbar die Bereitschaft von Frauen, gegen ihre Männer gewalttätig zu werden."

Ich persönlich halte das weniger für eine wachsende Gewaltbereitschaft von Frauen gegenüber ihrem Partner, für die ich keinen überzeugenden Grund sehe, sondern vielmehr für ein Aufweichen der Dunkelziffer, nachdem es dem Maskulismus in den letzten Jahrzehnten gelungen ist, immer mehr Bewusstsein dafür zu schaffen, wie verbreitet dieses Schicksal ist. Deswegen fühlen sich Männer weniger als Freaks, wenn sie Opfer durch Gewalt ihrer Partnerin werden, und sie wagen es eher, sich Dritten gegenüber damit zu outen.

Natürlich trifft diese Dunkelziffer grundsätzlich erst einmal beide Geschlechter, aber sie ist bei Männern stärker, weil für sie eine solche Opfererfahrung noch schambesetzter ist. Kriminologen wie Professor Bock von der Universität Mainz haben darauf auch bereits vor zwanzig Jahren hingewiesen – leider vergeblich. Also muss Verena Kolbe diesen Sachverhalt im Interview noch einmal ausführen, als ob er eine neue Erkenntnis wäre:

Die Bereitschaft von Opfern häuslicher Gewalt, eine Anzeige zu erstatten, ist generell gering. Wir haben viele Frauen, die kommen fünfmal zu uns, lassen ihre Verletzungen dokumentieren und unternehmen weiter erst einmal nichts. Und erst beim sechsten Mal ringen sie sich dann durch und sagen: Jetzt erstatte ich eine Anzeige. Die Zahl von Männern, die ihre Partnerin nach einer Gewalttat anzeigen, liegt zumindest bei uns in Rostock bei nahezu null. Ich kann das sogar nachvollziehen. (…) Bei Männern ist das immer gleich assoziiert mit: Na ja, das Weichei kann sich nicht durchsetzen, der ist kein richtiger Mann. Die Männer haben mitunter einen immensen Leidensdruck, vielleicht sogar schlimmer als betroffene Frauen.


Spiegel-Online muss jetzt natürlich nachfragen, ob die Medizinerin nicht Gewalt gegen Frauen verharmlose, wenn sie das Leiden männlicher Opfer schildere – die alte Leier, wegen der auch wir Maskulisten als "frauenfeindlich" karikiert werden. Und so wie auch wir Männerrechtler vor einer "Opferolympiade" warnen, erklärt auch Verena Kolbe:

Es gibt keinen Grund, beide Themen gegeneinander auszuspielen. Sie verdienen gleichermaßen, ernst genommen zu werden. Genau das wird den betroffenen Männern aber häufig verwehrt. Bei Mitarbeitern von Jugendämtern und selbst bei Anwälten ernten die Betroffenen oft nur großes Schulterzucken, weil keiner weiß, wie er mit diesem Thema umgehen soll, oder weil den Männern schlicht nicht geglaubt wird. In den Köpfen ist der Gedanke stark verwurzelt: Es kann doch nicht sein, dass auch Männer Opfer werden. Umso wichtiger ist uns, jeden Fall von Gewalt gerichtsfest zu dokumentieren, unabhängig vom Geschlecht.


Verena Dobler schildert nun die üblichen Verletzungen der männlichen Opfer: "am häufigsten die Folgen von stumpfer Gewalteinwirkung: Hämatome, Schürfungen und Hauteinblutungen". Das gehe bis zur Verbrühungen mittels eines Wasserkochers. Manchmal stoße man bei der Untersuche an der Körperrückfläche auf Verletzungen, die die betroffenen Männer selbst noch gar nicht bemerkt haben, weshalb sie oft überrascht reagierten. Spiegel-Online fragt skeptisch nach, ob man ausschließen könne, dass sich die Männer ihre Verletzungen selbst zugefügt hätten (bei den Kerlen weiß man ja nie), worauf Verena Kolbe erklärt, wie man die Unterschiede erkennen kann. Darüber hinaus berichtet sie:

Unser bizarrster Fall war eine junge Frau mit "Hämatomen", die sie sich mit Lidschatten aufgeschminkt hatte. Bei der Polizei ist sie zunächst sogar damit durchgekommen, ehe jemand von den zuständigen Beamten auf die Idee kam, das von einem Rechtsmediziner angucken zu lassen. Dann hat es ein Feuchttuch lang gedauert, um diesen Fall aufzuklären.


Schließlich versucht es Spiegel-Online mit der sattsam bekannten letzten Ausflucht, dass sich die Täterin vielleicht nur gegen den Mann "gewehrt" habe. Auch hier entgegnet Verna Kolbe das, was ich seit Jahrzehnten erkläre:

Das wird wohl mitunter der Fall sein. Und gelegentlich gibt es sicher auch Gewalttaten gegen Frauen, bei denen sich der Mann vor allem wehrt. Denn auch das ist aus der internationalen Literatur bekannt: Viele Opfer waren auch schon mal Täter - und umgekehrt.


Eigentlich wird inzwischen nur noch das bestätigt, was wir seit Jahrzehnten schon über häusliche Gewalt wissen. Wer Männern helfen würde, würde damit letztlich auch Frauen helfen und umgekehrt. (Zu diesem Thema habe ich hier ein ganzes Kapitel veröffentlicht.) Almählich wäre es schon an der Zeit, die vorliegende Forschung ebenso wie die Männerechtsaktivisten ernst zu nehmen, statt mit immer absurderen Verrenkungen der Wirklichkeit aus dem Weg gehen zu wollen.

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