Mittwoch, Mai 29, 2019

NZZ: "Der MeToo-Bewegung sind Grundrechte manchmal egal" – News vom 29. Mai 2019

1. An der Harvard Law School wurde der renommierte Jura-Professor Ronald Sullivan als Dekan abgesetzt, weil er Harvey Weinstein verteidigt. Neun Jahre zuvor war Sullivan als erster afroamerikanischer Dekan an Harvard eingesetzt worden. Die Neue Zürcher Zeitung kommentiert den Skandal, der mit seinem Rauswurf verbunden ist, in einer Deutlichkeit, die man sich auch von deutschen Journalisten wünschen würde:

Rechtsgleichheit und Unschuldsvermutung müssten für alle gelten, betont Sullivan – für junge Schwarze, die mit rassistischen Vorurteilen behaftet sind, genauso wie für Weinstein, der von der Öffentlichkeit verurteilt wurde, lange bevor das Verfahren begonnen hatte. Gerade weil der reiche, pockennarbige Widerling Weinstein für die Öffentlichkeit längst als schuldig gelte und gerade weil die Dynamik der #MeToo-Bewegung die Justiz überholt habe, engagiere er sich für den Fall, sagt er.

(...) Der Fall spricht Bände über die studentischen Aktivisten, die dahinterstecken. Und sagt viel über eine Eliteuniversität, die einknickt, sobald sich Proteste erheben. Grund- und Bürgerrechte, soziale Gerechtigkeit und die Reform der Strafjustiz sind #MeToo-Verfechtern anscheinend genau so lange genehm, wie sie nicht mit ihren eigenen fragilen Emotionen kollidieren. Dann endet die Solidarität mit anderen Minderheiten.




2. Die Europäische Zentralbank sucht händeringend nach Frauen, die man in Führungspositionen befördern könnte. Wenn die Bank keine Frauen findet, wird sie als Institution patriarchaler Unterdrückung gebrandmarkt werden.



3. In Australien weisen neue Untersuchungen darauf hin, dass die Selbstmord-Epidemie unter Männern noch gravierender ist als bisher vermutet: Was man bisher wahrgenommen habe, sei nur "die Spitze des Eisbergs" gewesen.



4. In linksliberalen Politik-Magazin "The Atlantic" erklärt Biologie-Professor Luana Maroja, warum die Selbstzensur an Universitäten ein immer größeres Problem für die Wissenschaft wird:

Das Verleugnen der Biologie gibt es bei fast jedem beobachteten Unterschied zwischen menschlichen Gruppen, einschließlich dem Unterschied zwischen Männern und Frauen. Leider kämpfen die Studenten gegen diese Phänomene nicht mit wissenschaftlichen Argumenten, sondern mit einem a priori moralischen Engagement für Gleichheit, Antirassismus und Antisexismus. Sie greifen auf das Verleugnen zurück, um sich davor zu schützen, mit einer von ihnen abgelehnten Weltanschauung konfrontiert zu werden - dass bestimmte Unterschiede zwischen den Gruppen teilweise auf der Biologie beruhen können. Diese Haltung manifestiert sich manchmal in Diskussionen im Klassenzimmer und in E-Mails, in denen die Schüler ausführlich erklären, warum ich das Thema nicht unterrichten sollte.

(...) Die Aufgabe der Wissenschaftler besteht darin, die Welt zu erforschen - einschließlich des menschlichen Körpers und des Geistes - so wie sie ist. Einige unserer Studenten sehen jedoch nur das, was sie sehen wollen, und leugnen reale Phänomene, die im Widerspruch zu ihrer Ideologie stehen. Nehmen wir zum Beispiel die offensichtlichen biologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern, nicht nur hinsichtlich der körperlichen Merkmale (Männer sind im Durchschnitt deutlich stärker und schneller als Frauen), sondern auch, was Begabungen und Vorlieben angeht. (Jungen bevorzugen im Allgemeinen Spielzeug mit Rädern, und Mädchen bevorzugen Plüschspielzeug: eine Vorliebe, die auch bei Babyaffen beobachtet wird!)

Die Menschen erwarten ein gleiches Geschlechterverhältnis in allen akademischen Berufen und führen manchmal das Fehlen einer solchen Gleichstellung auf Diskriminierung zurück. In den so genannten MINT-Bereichen - Naturwissenschaften, Technik, Ingenieurwesen und Mathematik - wird der relative Mangel an Frauen häufig als Ausdruck von dort herrschendem Sexismus angesehen. Während dies zweifellos ein Faktor ist, müsste man genauer untersuchen, welche Rolle dies im Vergleich dazu spielt, was männliche und weibliche Schüler bevorzugen.

Ein Datensatz stellt die Vorstellung in Frage, dass Diskriminierung die einzige Ursache für Unterschiede im Geschlechterverhältnis in den MINT-Bereichen ist: Das so genannte Gender-Equality-Paradox enthält die die Beobachtung, dass Frauen und Männer auf der ganzen Welt bei standardisierten wissenschaftlichen Tests gleich gut abschneiden, während Länder mit dem höchsten Frauenanteil in MINT nicht die Länder mit der geringsten Diskriminierung oder sexuellen Belästigung sind, sondern diejenigen mit der größten Ungleichheit der Geschlechter. Wo Frauen frei sind, ihren eigenen Weg zu gehen und sich keine Sorgen um das Gehalt machen müssen, ziehen sie die Geisteswissenschaften an. Länder wie Norwegen und Finnland haben relativ wenig Frauen in MINT-Bereichen, während Länder wie Algerien und Indonesien ein ausreichendes Angebot haben.

Wenn man jedoch davon ausgeht, dass jeder ein unbeschriebenes Blatt ist, können Unterschiede zwischen dem, was Männer und Frauen tun, nur durch Vorurteile und Belästigungen erklärt werden. Die Schlussfolgerung ist offensichtlich: Alle MINT-Fächer sind Senkgruben der Geschlechterdiskriminierung. Das ist es, was passiert, wenn Ideologie die Biologie ersetzt. Es ist tabu geworden, sogar die Möglichkeit zu erwähnen, dass Männer und Frauen unterschiedliche Vorlieben haben könnten.

(...) Wenn Studenten versuchen, ihre Weltanschauung zu schützen, indem sie wissenschaftliche Beweise verweigern, wird das zwangsläufig Auswirkungen darauf haben, was Professoren lehren und wie sie es lehren. Campus-Normen verbieten jeden Diskurs, der Frauen, Minderheiten oder Personen, die als Opfer patriarchalischer weißer Gesellschaften wahrgenommen werden, verletzen könnte. Diese Regel schadet jedoch, egal wie gut sie gemeint ist, genau den Menschen, die sie schützen will. Das Argument, das eine gewisse Selbstzensur befürwortet, ist, dass es notwendig ist, Studenten, die Minderheiten angehören, vor Unsicherheit zu schützen, wenn sie das hören, was sie als "Hassrede" betrachten. Indem wir jedoch nicht über die Wissenschaft sprechen, die einige als beunruhigend empfinden, verweigern wir diesen Studenten die Möglichkeiten zum Lernen und zur intellektuellen Befähigung. Wie gut können sie für ihre Positionen sinnvoll argumentieren, wenn sie die Welt nicht so sehen, wie sie wirklich ist?




5. Die Post. Kevin Fuchs schreibt mir zu der Vatertags-Reklame von EDEKA:

Manche Leute meinen, dass das ein Versöhnungsspot sein soll. Das ist unwahrscheinlich. So etwas zu produzieren braucht Zeit. Ich glaube, dass Edeka beide Filme gleichzeitig unter demselben Motto produziert hat: Danke dass Du nicht Mama/Papa bist.

Die wurden dann nur termingerecht aus der Reserve geholt. Edeka hat in beiden Fällen klassische Vorurteile reproduziert. Bewusst oder unbewusst?

Ich glaube nicht, dass Edeka irgend etwas bedauert. Sonst hätten die diese Aktion beendet. Sie machen aber weiter.

Das kann auch ein gezieltes Marketing-Experiment sein: Wie weit kann man gehen? Wie muss man sich im Ernstfall verhalten? Welchen Marketing-Wert hat es, wenn ein Unternehmen mit Werbung "Debatten anstößt" ...


Dafür, dass EDEKA beide Spots so geplant hatte, spricht auch ein Artikel in der Branchenzeitschrift "Werben & Verkaufen":

Während der Muttertagsspot in epischer Breite (1:19 Minuten) finstere und unfähige Männer mit Kindern zeigte, ist der Vatertagsfilm lediglich 32 Sekunden lang. Beide dargestellten Episoden haben mit Essverhalten zu tun. Wir sehen nur eine Mutter wirklich (die ihrem Sohn das Gesicht abwischt), die andere serviert nur kurz das - allzu gesunde - Essen. (...) Der Vatertagsspot sei von vornherein Teil der geplanten Kampagne gewesen, sagt Edeka.


In der Kalkulation von EDEKA sollten beide Spots miteinander funktionieren. Was der Konzern offenbar nicht erfasst hatte, war, dass die Abwertung von Männern in diesen Spots sehr viel drastischer ausfiel als die Kritik an einer tendenziell überbehütenden Form von Mutterschaft. Für die EDEKA-Marketing-Abteilung war es anscheinend so sehr zur Selbstverständlichkeit geworden, dass man in unserer Kultur viel ungehemmter auf Männer einprügeln darf, dass sie die Berechtigung dafür gar nicht mehr hinterfragte. Und noch vor ein paar Jahren hätte das auch sonst kaum jemand hinterfragt, sondern einfach "lustig" gefunden, so wie vor ein paar Jahrzehnten Türken- und Schwulenwitze für viele als "lustig" galten.

Ein anderer Leser schreibt mir zum selben Thema:

Nach den Unverschämtheiten, die uns EDEKA via Jung von Matt zu Mutter- und Vatertag bescherten, habe ich meine Konsequenzen gezogen: Ich werde die EDEKA-Filiale, die ich seit 13 Jahren aufsuche, boykottieren. Ich weiß, selbst im Marketing arbeitend, dass Protestbriefe, Rügen durch den Werberat oder aufgeregte Diskussionen im Internet nichts bringen; einzig an der Kasse zeigen sich solche Unternehmen empfindlich. Wer einwendet, auch das bringe nichts, rechne einfach mal nach: Ich lebe seit 2006 in der Gegend von Hannover und kaufe bei der immer gleichen EDEKA-Filiale für ca. 250 - 300 Euro im Monat, also 3.300 Euro im Jahr ein. In dreizehn Jahren kommen so 42.900 Euro zusammen. Diese Beträge fließen ab jetzt Richtung Rewe: Ich lasse mich als Vater doch nicht als Volldepp diffamieren und gehe schafsblöd weiter bei diesem misandrischen Volk einkaufen.


Auch das Bundesforum Männer wendet sich gegen die neue EDEKA-Reklame. Solange Männerfeindlichkeit nicht von Feministinnen ausgeht, unterliegt Kritik daran also auch im Bundesforum keinem Tabu. Diskussionsthema ist die Reklame darüber hinaus in Christian Schmidts Blog Alles Evolution.

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