Cigdem Toprak: "Danke, alter weißer Mann!" – News vom 24. April 2019
1. Auf den Seiten der "Welt" bricht die Journalistin Cigdem Toprak eine Lanze für eine der am meisten verunglimpften Gruppen unserer Zeit:
Die Stimmen in sozialen Medien über "alte weiße Männer" werden immer lauter. Es ist "in", Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft und ihres Alters kategorisch als eine Gefahr für Diversität und Feminismus zu sehen. Verkannt wird die größte Gefahr für unsere Gesellschaft: die Verletzung der Menschenwürde durch derartige Kategorisierungen und Annahmen.
Zwar sei es sinnvoll, Personen zu kritisieren, die ihre Macht missbrauchen, und Strukturen, die Minderheiten schaden.
Gleichwohl dürfen wir nicht zulassen, dass wir Menschenrechte abwerten, weil wir marginale Personenkreise aufwerten möchten: In jedem einzelnen alten weißen Mann eine Gefahr für die Gleichberechtigung der Frauen und der Gleichbehandlung von Menschen anderer Herkunft zu sehen gleicht dem Verhalten jener, die meinen, alle Muslime seien Terroristen.
Diese Identitätspolitik schafft eine neue Hierarchie: Die Meinung einer jungen Frau wird über die eines alten Mannes gestellt, dem Idealbild der neuen Mächtigen aber entspricht eine junge Frau mit nicht deutschen Wurzeln. Die Anhänger einer solchen Identitätspolitik verstoßen gegen aufklärerische Prinzipien, gegen den Universalismus. Stattdessen sollen partikulare Interessen unser Gemeinwesen dominieren. Damit wird das Ziel aufgegeben, dass unser Grundgesetz auch umgesetzt wird: Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht und ihrer Religion müssen gleichbehandelt werden, ihre Würde ist zu schützen.
(...) Gender Studies und Rassismusforschung können uns alle sensibilisieren und uns Werkzeuge mitgeben, mit denen wir Diskriminierung erkennen, aber sie dürfen nicht unser rationales Denken, unser universalistisches Fühlen, unser Empathievermögen ersetzen.
Während meiner Arbeit an einem wissenschaftlichen Institut, das sich mit Gender- und Rassismusfragen beschäftigt, wurde ich von jenen, die ständig von antimuslimischem Rassismus schrien, die alles und jeden gendern wollten, die white supremacy kritisierten, genauso schlecht behandelt wie früher von unseren rassistischen Nachbarn, die meine Eltern dafür hassten, dass sie zu ihren Nachbarn geworden waren. Die Menschen an diesem Institut begannen, mich schlecht zu behandeln, als sie merkten, dass ich selbstständig denke, mich nicht an Ideologien hänge. Dass ich selbst bestimmen möchte, wann ich von Diskriminierung betroffen bin und wann nicht. Als ich nicht mehr Opfer sein wollte, wurde ich zum Opfer gemacht – woraufhin ich kündigte.
Auch wenn sie sich dagegen wehre, wenn sie und und ihre Familie aufgrund ihrer migrantischen Herkunft benachteiligt würden, so Topcu, wolle sie dadurch nicht blind für die Diskriminierungen werden, die andere Menschen treffen: "seien es Schwarze, seien es Deutsche deutscher Herkunft."
Nicht Herkunft, Alter oder gesellschaftliche Stellung bestimmen die Weltsicht, sondern Weltzugang, Offenheit, Neugier, Selbstreflexion. Kriterien, die nicht nur weißen alten Männern, sondern auch jungen Frauen mit Migrationshintergrund fehlen können.
An der unter manchen linken Ideologen derzeit so beliebten "critical whiteness" stört Topcu, dass sie, statt zu sozialer Gerechtigkeit zu führen, die Annahme verstärke, dass es manche Menschen aufgrund ihrer Herkunft weiter bringen würden als andere:
Als ein Journalistenkollege, der sich politisch links positioniert, mir sagte, er wisse, dass er privilegiert sei, weil er männlich, weiß und heterosexuell sei, habe ich mich durch diese Aussage degradiert gefühlt. Sie schwächen mein Selbstbewusstsein und Selbstverständnis. Denn das Leben ist etwas komplizierter als die einfachen Kriterien Alter, Herkunft und Geschlecht. (...) Natürlich musste ich viel kämpfen, das wäre aber auch im Heimatland meiner Familie nicht anders gewesen. Es ist nicht mein Zorn, der mich so weit gebracht hat, sondern mein Verstand, meine Geduld und die Solidarität all jener, unabhängig von ihrer Herkunft, die an mich geglaubt haben. Darunter waren auch viele Lehrer, Professoren, Kollegen, Ressortleiter und Chefs. Alte weiße Männer.
Ich bin gespannt, ob es irgendwelche Reaktionen es auf diesen Artikel geben wird. Cigdem Toprak ist erst die zweite Stimme in den Leitmedien, die sich dezidiert gegen den aktuell wütenden rassistischen Sexismus ausspricht. Die erste war im vergangenen Sommer Filipp Piatov gewesen, worauf etwa Boris Rosenkranz sich im Blog "Übermedien" mit einer übergeschnappten Polemik ("irrwitzig", "unglaublich") ereifert hatte. Es würde mich nicht wundern, wenn es diesmal ruhig bleibt, nachdem die Kritik diesmal von einer anatolischstämmigen jungen Frau vorgebracht wird. Verfechtern der Identitätspolitik ist es nun einmal immens wichtig, von wem ein bestimmter Einwand vorgebracht wird.
2. Mit einem Beitrag, der einen Artikel Margarete Stokowskis als Aufhänger nimmt, gibt der Gymnasallehrer und Blogger Lucas Schoppe sieben vernünftige Lebensratschläge für männliche Feministen. Der Artikel ist in Gänze lesenswert.
3. "Die Zeit" präsentiert wie selbstverständlich Fotos vergewaltigter Frauen aus Ruanda und deren Töchter – so als ob durch eine Vergewaltigung niemals ein Sohn entstehen könne. Der Artikel veranschaulicht ungewollt, wie unsere Leitmedien männliche Opfer von Kriegsverbrechen unsichtbar machen.
Die Anzahl der von der "Zeit" mit dem Hinweis "Bitte beim Thema bleiben" gelöschten Kommentare weist darauf hin, dass dieses Missverhältnis auch einigen Lesern aufgestoßen ist.
4. Heiko Maas und Angelina Jolie machen es besser bei einem gemeinsamen Statement gegen sexuelle Gewalt:
Ein Ansatz müsse dabei sein, auch Überlebende zu berücksichtigen, die sonst oft aus dem Fokus geraten: Jungen oder Männer und Kinder, die aus einer Vergewaltigung entstanden sind. Sie schreiben: "Alle Opfer verdienen einen vollen Zugang zu Gerechtigkeit, Kompensation und finanzieller Unterstützung, um ein würdevolles Leben zu leben und dazu fähig zu sein, eine Rolle dabei zu spielen, die Gesellschaft zu ändern."
In einem Artikel der "Zeit" über das gemeinsame Statement von Heiko Maas und Angelina Jolie fehlt übrigens die Erwähnung männlicher Opfer.
5. Der Mythos vom Durchschnittsmann als jemand, der Frauen sein sexuelles Begehren aufdrückt, bröckelt weiter: Einer aktuellen Studie zufolge lassen Männer, anders als Frauen, deutlich weniger sexuelles Interesse erkennen, als sie tatsächlich empfinden, halten entsprechende Signale also eher zurück.
6. In den USA hat die Regierung Trump gegen ein von der Männerrechtsbewegung erstrittenes Gerichtsurteil, das es als nicht verfassungsmäßig befand, allein Männer ins Militär zu zwingen, Berufung eingelegt.
7. Das feministische Veganer-Café in Australien, in dem Männer 18 Prozent mehr bezahlen müssen als Frauen, geht pleite. In einem auf Facebook veröffentlichten Abschieds-Posting heißt es:
"Diese Männersteuer hat das Internet förmlich in die Luft gejagt: eine Idee, die wir nicht für allzu radikal hielten, aber die Art und Weise, wie die Welt reagierte, zeigte uns, wie zerbrechlich Männlichkeit ist, und verfestigte die Notwendigkeit, dass wir uns dem Patriarchat stellen und es abbauen müssen."
8. Die CDU will für Frauen attraktiver werden und dazu dem Mitgliederbeauftragten Henning Otte zufolge stärker auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf achten. Darüber berichtet die Frankfurter Allgemeine. Otte zufolge werde "ein ansprechendes Umfeld mit einem vielfältigen Themenkatalog bei Frauen positiver aufgenommen als eine Frontal-Veranstaltung mit politischen Berichten, ohne die Möglichkeit, kommunikativ zu arbeiten."
In dem Artikel heißt es weiter:
Auf die Frage, was er von einer verpflichtenden Frauenquote halte, zeigte sich der CDU-Mitgliederbeauftragte Otte zurückhaltend. Die CDU sei "geprägt vom freiwilligen Engagement. Wir überprüfen uns jedoch, ob diese Methoden auch wirksam sind". Nach einem Parteitagsbeschluss gilt ein Frauenquorum. Demnach sollen Frauen an Parteiämtern und an öffentlichen Mandaten mindestens zu einem Drittel beteiligt sein.
(...) Die FDP lehnt eine Quote ebenfalls ab. Um für Frauen attraktiver zu werden, müsse die Parteiarbeit modernisiert werden, fordert die Vorsitzende der Jungen Liberalen, Ria Schröder. Es sollte mehr Möglichkeiten geben, sich an der Parteiarbeit online zu beteiligen. Und es müsse auch nicht immer der "typische Stammtisch jeden Mittwochabend um 20 Uhr in der Kneipe um die Ecke" sein. Für einen Brunch am Wochenende hätten vielleicht auch Mütter Zeit.
9. Die FDP lehnt eine Frauenquote nach einjährigen Beratungen endgültig ab:
Der entsprechende Leitantrag des Vorstands für den Bundesparteitag am nächsten Wochenende enthält verschiedene Forderungen zu mehr Chancengerechtigkeit und gleiche Bezahlung von Frauen und Männern, definitiv aber keine Quote für die Besetzung von Führungspositionen. "Eine Quote würde den Frauen in der FDP nicht gerecht", sagt Noch-Generalsekretärin Nicola Beer. Und sie ahnt, was bei der Einführung verbindlicher Besetzungsvorgaben nach Geschlecht passieren würde: "Das könnte eine Austrittswelle liberaler Frauen zur Folge haben." Nach ihren Erfahrungen ist die Quotenfrage auch ein Blickwinkel des Alters: "Je jünger die FDP-Frauen sind, desto energischer lehnen sie eine Quote ab."
(...) Für den Donnerstag wird in den Führungsgremien der Partei ein Beschluss erwartet, wonach der Frauenanteil in der FDP durch Zielvereinbarungen zwischen Bundes-, Landes-, Bezirks-, Kreis- und Ortsverbandsebene massiv gesteigert werden soll. Bei ersten Landesverbänden wie Bayern und NRW ist das Konzept von Steuerung des Frauenanteils per Zielvereinbarung bereits auf dem Weg.
Die liberale Feministin und Gegnerin der Frauenquote Maike Wolf kommentiert die aktuellen Vorgänge in der FDP auf Twitter.
10. Die Post. Mehrere meiner Leser teilen die Auffassung von Maike Wolf. Einer schreibt mir zu der designierten FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg, die sich in ihrem künftigen Amt um Frauenförderung kümmern will, eine feste Quote aber ablehnt:
Wo ist jetzt nochmal der Unterschied zwischen "Künftig möchte die Bundes-FDP mit den Landesverbänden Zielvereinbarungen treffen, damit mehr Frauen in Ämter aufrücken." und Quote? Das es hübscher klingt und etwas versteckter ist? Da finde ich den Begriff Quote ehrlicher.
Ein anderer Leser schreibt mir zum Standpunkt von Linda Teuteberg:
Ich sehe das skeptisch und meines Erachtens auch realistisch, denn:
1. Warum ist ein geringer Frauenanteil immer und überall automatisch ein "Problem", das behoben werden muss (mit arithmetisch mehr anatomischen Frauen auf angenehmen und gegebenenfalls einflussreichen Positionen)?
2. Warum wurde die bisherige Amtsinhaberin nach Europa (?) geschickt mitten in der Karriere nach wenigen Jahren - unfähig?
3. Auch die neue Generalsekretärin will letztlich die systematische Bevorzugung von Frauen qua Geschlecht institutionalisieren, auf alle Tage, und hat ihren Job selbst als wesentlichstem Argument wegen ihres Frauseins bekommen - für einen Mann war der Posten faktisch nicht zu erhalten.
Ist das (materiell, nicht formell) wirklich gegen Frauenquoten?
Und wie kann das "liberal" sein?
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