Beeindruckender Foto- und Interviewband zeigt: "Männer sind Menschen"
"Männer sind Menschen": Eigentlich müsste dieser Satz eine offenkundige Wahrheit sein, die ebenso selbstverständlich ist wie "Wasser ist nass". Und doch scheint sie in unserem Zeitalter des kontinuierlichen Männer-Bashings so sehr als eine kühne These, dass sie es zum Titel eines eigenen Buches brachte.
Dessen Autor, der Paar- und Sexualtherapeut Eilert Bartels, hat einen neuen Ansatz gewählt, um die Menschlichkeit von Männern zu veranschaulichen: Er hat professionelle Fotografen Aktfotografien von 16 Männern, einschließlich sich selbst, aufnehmen lassen und präsentiert diese gemeinsam mit ebenso offenen Gesprächen der Gezeigten über ihre Einstellungen und Erfahrungen. Dass das nötig war zeigen einige der Reaktionen, die Bartels zuvor auf die Behauptung "Männer sind Menschen" erhalten hatte und zu denen sarkastisches Lachen und Erwiderungen wie "Schön wär's!" gehörten.
Auf der Website zum Buch stellt der Männercoach John Aigner den Foto- und Interviewband mit folgenden Worten vor:
"In einer Zeit, die uns medial glauben machen könnte, dass Männer ein Problemfall sind, lädt uns Eilert Bartels zu einer ganz anderen Perspektive auf Männer, einer wohltuenden Reise zur Maskulinität ein: Er begibt sich auf Augenhöhe mit Kerlen verschiedenster Biografien und Lebensentwürfe, zeigt uns mit intimen Fotografien und Interviews Menschenmänner in ihrer Vielfältigkeit."
Als Anstoß zu seinem Buch nennt Bartels die von zahlreichen sexuellen Übergriffen begleitete Kölner Silvesternacht von 2015 zu 2016:
Ich wusste intuitiv: Für meine Arbeit wird 2016 kein leichtes Jahr! (...) Der Hamburger Grünen-Politiker Michael Gwosdz postulierte wieder die Phrase, die ich bereits aus den 1970er und 80er Jahren kannte: "Jeder Mann ist ein potenzieller Vergewaltiger." Die Journalistin Mely Kiyak kam in ihrer "Theater-Kolumne" vom Anfang des Jahres zur generellen Diagnose: Wenn es um sexuelle Gewalt geht: "Es handelt sich immer um Männer." Das Rauschen im Medienwald hielt bis weit über die Jahresmitte an, brachte Begriffe wie 'mansplaining' hervor, sah im 'heterosexuellen weißen Mann' die Wurzel allen Übels, diskutierte die (durchaus überfällige) Aktualisierung des Sexualstrafrechts allein und praktisch ausschließlich im Hinblick auf den Schutz von Frauen und Mädchen vor sexualisierter Gewalt und Übergriffigkeit. Ich merkte, wie nach und nach das Blut, welcher der fiese, dünne Stich vom Anfang des Jahres in meinen Bauch hatte fließen lassen, gerann und fest wurde. "Es darf nicht wahr sein, dass sich hier wieder Fronten verhärten", dachte ich mir. Nicht jeder Mann ist ein potentieller Vergewaltiger, sondern jeder Mensch – Männer wie Frauen betrifft das!
Einiges an dieser Passage mag überraschen: etwa, dass Bartels vor allem die Kölner Silvesternacht als Anstoß zum grassierenden Männer-Bashing sieht, das hier auf Genderama auch in den Jahren davor täglich analysiert wurde und das insbesondere von der Aufschrei-Debatte im Jahr 2013 noch einmal massiv befeuert wurde. Weder der Begriff des "mansplaining" noch die Hetze gegen den "heterosexuellen weißen Mann" als Sündenbock für alles Übel der Welt sind der Kölner Silvesternacht zu verschulden, bei der ja gerade nicht-weiße Männer übergriffig wurden, sondern einer bestimmten politischen Ideologie. Und dazu, ob es wirklich "überfällig" ist, das Sexualstrafrecht alle paar Jahre noch einmal zu verschärfen, hat Genderama immer wieder Experten zitiert, die komplett anderer Meinung waren und von der Berliner Politik selbstverständlich ignoriert wurden. Aber man muss sich nicht allem in der zitierten Passage Gesagten anschließen, um ihr im Grundsatz zuzustimmen: Die Verteufelung speziell der männlichen Sexualität ist ein immenses Problem unserer Gesellschaft geworden. Eilert Bartels führt dazu aus:
Es war nicht allein die generalisierte Beschuldigung männlicher Sexualität. Es war zugleich die Missachtung verletzlicher Aspekte der männlichen Sexualität. Wenn männliche Sexualität generalisiert mit Misstrauen und Bezichtigung bedacht wird, ist für das Benennen eigener männlicher Verletzungen kein Raum mehr. Dann wird jeder Sprache über eigene Verletzung der Raum entzogen. (...) Es gibt so viele Männer, die schweigen. Es gibt so viele Männer, die Mut bräuchten, ihr Schweigen zu brechen, um innerlich heilen zu können.
Die Strategien, die Eilert Bartels wählt, um dieses Schweigen zu brechen, sind Sich-nackt-machen und Sich-Verletztlich-zeigen. Dazu tritt der Ansatz, einen Menschen "ganzheitlich" zu präsentieren statt beispielsweise reduziert auf die Rolle des Gewalttäters, Machthabers oder Opfers. Die gezeigten Männer werden nicht nur ihrer Garderobe, sondern auch den gängigen Rollenbildern und Klischees entkleidet. Eilerts Arrangement und die Sicherheit, die er den gezeigten Männern gibt, nicht verurteilt zu werden, führt zu einer Offenheit, die die vorgestellten Männer in anderen Situationen vielleicht eher nicht gezeigt hätten.
So kommt es in den Interviews immer wieder zu Statements, die gängigen Geschlechterklischees zuwiderlaufen und einen Blick in die tatsächliche Psyche von Männern erlauben, gerade wenn es um Sexualität geht:
Volkmar:
Ich komme ja vom Slow Sex her, und da läuft der Sex anders ab. Meine Erfahrung in den letzten Jahren ist allerdings, wider jede Erwartung, dass es relativ viele Frauen gibt, die einfach nur hart gefickt werden wollen. Meine persönliche Erfahrung ist also eine ganz andere, als die von der Gesellschaft suggerierte: dass nämlich die Männer so drauf sind. (...) Und dann gibt es mildere Sachen, sag ich mal, wo ich z.B. Sex hatte, den ich nicht wirklich wollte, aber trotzdem mitgemacht habe.
Lars:
Ich hatte auch Beziehungen oder sexuelle Begegnungen, wo es tatsächlich so war, dass ich nie gekommen bin. Und da habe ich mir Gedanken gemacht, ob das vielleicht für SIE ein Problem ist, dass ICH nicht komme. Davor hatte ich Angst, das weiß ich noch.
Norbert berichtet über das Männerbild, das er von seiner Mutter vermittelt bekam:
Also: Männer sind Schlappschwänze, die kriegen nichts auf die Reihe, sind unfähig und haben nur Sex im Kopf. Und Sex ist auch schlecht. In katholischen Kreisen sowieso ...
Clemens:
Das Berühren von Körpern ist jetzt so sehr ins Abstrakte gerutscht worden, dass du dich als Mann ja gar nicht mehr traust, IRGENDJEMAND anzufassen. Es könnte ja sein, dass du in dem Moment übergriffig bist und dann eine Anzeige bekommst.
Gerhard:
Mit 13, 14 Jahren hatte ich das immer als Wachfantasie gehabt. Ich konnte mir immer nur vorstellen, dass ich eine Frau retten muss und dass nur dann, unter dieser Bedingung, überhaupt Sexualität zulässig ist. (...) Und dass so eine Scheiße weg ist, das hat ewig gedauert. Das ist ja auch immer diese Vorstellung: Du musst anders sein als die anderen. Also, alle Männer sind Schweine, und du wirst nur dann akzeptiert von Frauen und Mädchen, wenn du anders bist. Das heißt, du musst praktisch immer erst mal beweisen, dass du anders bist. Schon Wahnsinn.
Stefan als Antwort auf die Frage, warum er bei diesem Buch mitmacht:
Ich habe schon so oft Posts auf Facebook gelesen, in denen es eine sehr starke Betonung der Identität der Frau gibt: Warum Frauen sich lieben müssen oder warum jede Frau besonders ist. Warum jede Frau sich unabhängig von was auch immer lieben sollte. (...) Wo ich mir manches Mal gedacht habe: "Wo verdammt noch mal sind wir Männer denn?" Es ist selten, dass mal jemand etwas zum Thema "Männer" schreibt. Aber wenn überhaupt, dann hat es eine so starke Überbetonung von Teilbereichen des Mannes, aber es wird nicht der Mann als solcher abgebildet, wie er in seiner Komplexität da ist. Darin erkenne ich mich nicht wieder.
Immer noch Stefan, ein paar Seiten später:
Wenn einem mit 16, 17, 18 Jahren das Gefühl gegeben wird: "Das, was du an Sexualität lebst, das ist unerwünscht." Es ist "bäh" oder es darf gar nicht sein! Dann ist auch DAS eine Form der Gewalttätgkeit.
Niels:
Plötzlich soll ich meinen Körper oder den Körper anderer Männer schön finden? Da muss man erst mal dran knabbern, nicht?
Von seinem Ansatz, verschiedene Menschen zu befragen, weckt Bartels Buch Erinnerungen an Alice Schwarzers Mega-Bestseller "Der kleine Unterschied", mit dem allerdings hierzulande die Verteufelung männlicher Sexualität stark forciert worden war. Schwarzer hatte aufgrund der erhaltenen Antworten, so steht es heute noch in der Wikipedia, die Sexualität als "Angelpunkt der Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern und der Unterdrückung der Frauen" benannt. Bartels Buch stellt klar, dass die Wirklichkeit komplexer ist und man dem Geschlechterthema nicht gerecht wird, wenn man es so schlicht präsentiert, wie es viele Meinungsführer tun.
Unter das Interview mit ihm selbst stellte Eilert Bartels als "Nachwort" einen Text, den er 2017 bereits im Verlauf der #MeToo-Debatte auf Facebook veröffentlicht hatte und der einige weitere Hintergründe sichtbar macht, die zu diesem Buch führten:
Ich selbst habe Missbrauch durch meine Mutter erlebt.
Ich habe massive seelische Gewalt in meiner Schulzeit erlebt, ich habe massive seelische Gewalt durch Frauen von klein auf in einer Gesellschaft erlebt, in der klar ist: Männer sind Täter, Frauen sind Opfer.
Von klein auf habe ich gelernt: Aufgrund deines Geschlechts stehst du moralisch auf niederer Stufe.
Mein jugendlicher und jungmannhafter Lösungsversuch: Ich habe mich in den 1980ern völlig auf die Seite der Frauen gestellt, vollkommen verdrängt, was ich an Gewalt erlebt habe, und postuliert, dass jeder Mann ein potentieller Vergewaltiger sei. (Und nicht kapiert, dass jeder Mensch, jeder Mann und jede Frau das Potential dazu hat)
Ich empfand nichts Falsches mehr daran, wenn über Männer gehöhnt wurde, dass es unmöglich wäre, einen Mann zu vergewaltigen, weil er ja selbst das dann noch geil fände und eine Erektion bekäme. (Haha. Ich habe mitgelacht.)
Mit der Verdrängung nahm ich aber auch nicht mehr bewusst wahr, wie und wohin ich die selbst erlebte Gewalt ableitete. Erst mit einer Krise Ende 30 wurde mir Schritt für Schritt klar, warum ich mir in neurodermitischen Attacken von Kopf bis Fuß die Haut vom Leibe riss und damit in höchstem Maße autoaggressiv war.
Und noch erst danach realisierte ich, dass ich mit gelegentlichem cholerischen Lautwerden aus dem Nichts heraus überaus gewaltvoll war. Dass ich in Wutanfällen Gegenstände zerstörte. Ja, ich war ein gewaltvoller Mensch. Verbal und zuweilen manipulativ gegen andere Menschen, gewaltvoll gegen Sachen und gewaltvoll gegen mich selbst.
In Therapien arbeitete ich Schicht um Schicht die Ursprünge dieser Gewalt auf. Es hat lange gedauert, zu begreifen, wie viel Gewalt mir in meinem Leben widerfahren ist. Nach und nach kam ich so auch aus der von mir ausgehenden Gewalt heraus.
Bin ich völlig frei davon? Ich bezweifle es, denn ich bin immer noch ein Mensch. Und ich kenne nicht einen einzigen Menschen, der frei von Gewalt ist. Deshalb fühle ich mich in Gegenwart von Menschen, die kein Bewusstsein für ihr eigenes gewaltvolles Potential haben, nicht sicher.
Mein Schicksal ist kein besonderes. Ich gehe davon aus, dass jedem Menschen, jedem Mann und jeder Frau in seinem/ihrem Leben Gewalt widerfährt, und es eine Weile braucht, um aus der Verdrängung herauszukommen und Eigenverantwortung für die eigene Heilung, aber auch für die eigenen Gewaltaspekte zu übernehmen.
In einem seiner Artikel führt Bartels diesen Text weiter:
Wie bereits in den 1970ern, 1980ern, erlebe ich heute erneut wieder das bekannte Bild: In Gesellschaft und Medien heißt es: Männer sind Täter, Frauen sind Opfer. Männer müssen bestraft werden, Frauen müssen geschützt werden. (...) Äußert sich ein Mann zu selbsterlebter sexueller Gewalt, wird ihm oft nicht geglaubt, er wird verlacht, oder sein Erleben für statistisch unbedeutend erklärt. So, als sei sein Erleben geschlechtsbedingt weniger wert als das anderer Menschen. Viele Männer, die ich kenne, sind deswegen schlicht verstummt. Auch, weil sie meist nicht einmal auf Rückhalt von anderen Männern hoffen dürfen. Dieses Schweigen halte ich für gefährlich.
Ich kenne natürlich aus eigener jahrzehntelanger Erfahrung die Strategien, mit denen dieses gefährliche Schweigen aufrecht erhalten wird.
Die führende Strategie ist das Totschweigen. Leitmedien berichten über diesen Aufschrei der Männer zumeist gar nicht. Wird dieses Schweigen ausnahmsweise einmal von Männerrechtlern gebrochen, dann werden diese Menschen in einem Atemzug mit Rechtsradikalen erwähnt, um dadurch das Schweigetabu zu bestärken.
Der zweiten Strategie bin ich begegnet, als ich dem FAZ-Journalisten Sebastian Eder in einem Interview berichtete, dass sich die verbale Aggressivität und Frauenfeindlichkeit mancher Männer auch dadurch erklären lässt, dass sie Opfer Jahrzehnte langen sexuellen Missbrauchs durch Frauen waren. So wie vieles, was ich in diesem Interview sagte, präsentierte Eder dies so, dass er mich einmal mehr als menschenfeindlichen Sonderling angreifen konnte – etwa mit dieser Rhetorik (ich raffe und paraphrasiere): "Schlimm, dieser Hoffmann! An allem gibt er Frauen die Schuld, sogar an dem ungezügelten Hass von Männern! Wie gut, dass ihm kaum jemand zuhört!"
Dieselbe Demagogie könnte man natürlich auch gegen Eilert Bartels anwenden, wenn er den Hintergrund seiner Aggression erklärt. Ja, selbst aus dieser Buchvorstellung hier könnte man einen neuen Skandal stricken: "Hoffmann gibt gewaltvollem Mann ein Podium". Alles scheint Recht, nur damit Männer, auch und insbesondere männliche Opfer sexueller Gewalt, weiter brav ihren Mund halten.
Die dritte Strategie findet man nicht in den Leit- sondern den sogenannten "sozialen Medien", wo auf Berichte männlichen Leidens mit den immer gleichen höhnischen Versatzstücken wie "Mimimi", "Male Tears" und "Masculinity so fragile" reagiert wird.
Die Vorstellung, dass auch Männer Opfer sein können, ist offenbar Journalisten wie Social-Media-Akteuren derart unangenehm, dass sie alle Register ziehen, um diese Wahrheit zurück ins Dunkel zu schieben, damit man sie nicht betrachten und sich nicht damit beschäftigen muss. Zu der Parole "Du sollst nicht merken" (Alice Miller) tritt hier seit langem der zweite wichtige Befehl, den die Meinungsführer unserer Gesellschaft erteilen: "Du sollst nicht sprechen."
Es ist Eilert Bartels hoch anzurechnen, dass er mit seinem Buch dazu beiträgt, das Schweigen, das wie eine erstickende Decke über vielen Männern liegt, ein Stück weit beiseite zu schieben. Aber angesichts der enormen gesellschaftlichen Kräfte, die dieses Schweigen aufrecht erhalten, bedarf es einer eigenen politischen Bewegung, die dafür sorgt, dass auch diese Stimmen endlich das Gehör erhalten, das sie verdient haben.
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