Schweiz: Frauenstreik wird stattfinden – News vom 22. September 2018
1. "Wir haben schon entschieden: Der Streik wird stattfinden" schlagzeilt die "Woz" über den von Schweizer Feministinnen geplanten großen Frauenstreik, an dem bereits hunderte von Frauen teilnehmen wollen, auch wenn sie sich "nicht in allem einig" seien. Die Zeitung unterstützt die Auffassung der Feministinnen selbstverständlich:
Grassierender Sexismus im Internet, #MeToo, die brutalen Attacken auf Frauen im Ausgang, die sich in letzter Zeit häufen: Die Zeit scheint reif für einen neuen Frauenstreik. (...) Allerdings sei es heute schwieriger, geeint für etwas zu kämpfen. "Wir müssen auch heute noch einfordern, dass Frauen Machtpositionen besetzen, und sie unterstützen, wenn sie es tun. Sonst verlieren wir wichtige Positionen wieder – es stehen immer genug Männer bereit." Wey vermisst auch den bürgerlichen Feminismus, der 1991 noch viel stärker war. "Frauen wie die CVP-Politikerin Judith Stamm fehlen schmerzlich. Es gibt fast keine bürgerlichen Frauen mehr, die mit feministischen Argumenten etwa die AHV unterstützen. Und wo ist die feministische Friedensbewegung, die gegen Waffenexporte protestiert?"
Auch die "Neue Zürcher Zeitung" berichtet.
2. Der WDR berichtet über den dieses Wochenende stattfindenden Kongress verunsicherter Männer in Düsseldorf.
3. "Trump verharmlost Anschuldigungen gegen Kavanaugh" titelt aktuell Spiegel-Online. Gemeint ist, dass Trump die Anschuldigungen sexueller Übergriffe gegen Kavanaugh in Frage stellt, die erfolgten, nachdem Trump ihn für einen Posten des Obersten Gerichtshofes vorgeschlagen hatte – 36 Jahre nach der angeblichen Tat. "Verharmlosen" bedeutet, etwas als nicht so gefährlich hinzustellen, wie es in Wirklichkeit ist – aber wie die Wirklichkeit aussieht, ist ja gerade umstritten. (Ähnlich neutral formuliert ist die Schlagzeile: Trump wütet auf Twitter.)
Während in den deutschen Leitmedien die Schuld Kavanaughs festzustehen scheint, ist das in der US-amerikanischen Presse keineswegs der Fall. So fragt etwa die Washington Post: Wie viele Beweise braucht man, um das Leben eines Menschen zu zerstören? In dem Artkel heißt es:
Christine Blasey Ford hat Brett M. Kavanaugh der versuchten Vergewaltigung beschuldigt, während sie beide in der High School waren - eine Anklage, die er eindeutig bestreitet. Sie kann sich nicht mehr an das Datum des angeblichen Angriffs erinnern. Sie ist sich nicht einmal über das Jahr im Klaren (obwohl sie angeblich denkt, dass es der Sommer gegen Ende ihres zweiten Studienjahres gewesen sein könnte, als sie 15 Jahre alt war). Sie kann sich nicht erinnern, in wessen Haus sie war. Sie kann sich nicht mehr erinnern, wie sie dorthin gekommen ist. Sie sagt, dass sie damals niemandem davon erzählt hat, nicht einmal ihren engsten Freunden - also gibt es keine Zeitzeugen, die ihre Behauptungen unterstützen. Keine andere Frau hat sich gemeldet, um zu sagen, dass der junge Kavanaugh sie angegriffen hat. Es gibt kein Muster von schlechtem Verhalten. Im Gegenteil, nach allen anderen Berichten als Fords behandelt er Frauen mit Respekt in seinem persönlichen und beruflichen Leben.
(...) Die #MeToo-Bewegung ist eine Kraft zum Guten in der Gesellschaft. Sie hat sexuelle Raubtiere aus dem Arbeitsleben entfernt, in Politik, Medien, Unterhaltung, Religion und anderswo. Sie hat Frauen und Männer, die missbraucht wurden, ermutigt, sich zu äußern - und andere, ihre Behauptungen zu unterstützen. Aber Behauptungen allein reichen nicht aus. Es muss Beweise geben. Mit den im Moment verfügbaren Beweisen gibt es keine Chance, dass Kavanaugh vor Gericht verurteilt wird. Tatsächlich würde kein vernünftiger Staatsanwalt zustimmen, eine entsprechende Klage einzubringen. Aber vor dem Gericht der öffentlichen Meinung scheinen die Standards für Beweise viel niedriger zu sein. So viel ist sicher: Der Standard der Beweise, um den Ruf eines Mannes zu ruinieren, darf nicht Null sein.
4. Natürlich gibt es auch in den USA einflussreiche Menschen, die das komplett anders sehen: etwa Joe Biden, Vizeptäsident der Vereinigten Staaten unter Obama mit einer bei mehreren Fragen erzfeministischer Haltung. Biden vertritt die Auffassung, dass man bei beschuldigten Männern automatisch von deren Schuld ausgehen solle:
"Damit eine Frau auf nationaler Ebene ins grelle Scheinwerferlicht tritt, muss man mit der Annahme beginnen, dass zumindest der Kern dessen, wovon sie spricht, real ist, ob sie Fakten vergisst oder nicht, ob es mit der Zeit schlechter oder besser gemacht wurde oder nicht."
Der Artikel, der über dieses Statement berichtet, informiert uns aber auch darüber, wie sich die öffentliche Wahrnehmung von MeToo und seinen Anliegen im Verlauf des letzten Jahres entwickelt hat:
26 Prozent der Amerikaner stimmen jetzt zu, dass "Frauen, die sich über Belästigung beschweren, oft mehr Probleme verursachen, als sie lösen", gegenüber 19 Prozent, die im letzten Herbst dasselbe sagten.
MeToo hat damit das Gegenteil von dem erreicht, was man erreichen wollte. Herzlichen Glückwunsch.
Der Daily Wire etwa nennt fünf Gründe, weshalb MeToo mehr Schaden als Nutzen herbeiführt.
5. Ein Redakteur einer britischen Studentenzeitung wurde gefeuert, nachdem er einen Artiel retweetete, dem zufolge Frauen keinen Penis haben. Diese Auffassung wurde als "transphob" verurteilt.
6. Die Post. Einer meiner Leser weist mich auf das bundesweite Besuchsprogramm für getrennt lebende Eltern Mein Papa kommt hin.
Mehr Post. Gestern frotzelte ich über Vorwürfe sexueller Übergriffe bei der Stasi-Gedenkstätte Höhenschönhausen, die sich in einem Artikel der Berliner Zeitung wie weitgehend normaler Büroalltag lesen. Nun ist einer der langjährigen Leser und Unterstützer von Genderama, wie sich herausstellte, ein Mitarbeiter dieser Gedenkstätte und schrieb mir zu Vorgängen dort gestern folgenden Brief:
Offen gesagt haben mich die jetzt bekannt gewordenen Vorwürfe nicht überrascht. Auch, dass sie anonym veröffentlicht wurden, kann ich nachvollziehen. Aber eins nach dem anderen.
Zuerst einmal ist festzuhalten, dass es bei den Vorwürfen nicht um Vergewaltigung oder ähnliches geht. Aber es geht um unangemessenes und unprofessionelles Verhalten von Vorgesetzten - der Gedenkstättenleitung und insbesondere des stellvertretenden Direktors -, das ich auch selbst erlebt habe. Beispielsweise, dass diese älteren Herren Kommentare gegenüber jungen Frauen (in einem Fall war eine Praktikantin wohl sogar noch minderjährig) gemacht haben, die im Arbeitsumfeld einfach nicht angemessen sind. Auch Berührungen gehören dazu, die so in einem Arbeitsumfeld einfach nichts zu suchen haben. Dazu kommen viele Vorwürfe, die ich nicht beurteilen kann, weil ich als Mann so etwas natürlich nicht mitbekomme. Etwa die Einladung, nach Abendveranstaltungen bei ihm zu übernachten. So etwas ist höchst unprofessionell. Es ist offensichtlich, dass sie ihren weiblichen Mitarbeitern mehr Aufmerksamkeit schenken als den männlichen. Das ist für die Frauen nicht schön, für uns junge Männer hier aber auch nicht. Schon vor dieser Sache hatte ich lange das Gefühl, dass wir und unsere Arbeit hier von der Leitung nicht gleichermaßen wahrgenommen werden.
Viele der Vorwürfe, die erhoben wurden, haben keine direkte sexuelle Konnotierung, sondern deuten eher auf ein umfassenderes Problem hin: schlechte Führungsqualitäten und daraus resultierend auch ein unangenehmes Arbeitsklima, und zwar für alle Mitarbeiter unterhalb der unmittelbaren Leitung.
Der erste Vorwurf bezieht sich auf eine "gering strukturierte Arbeitsorganisation bei eingeforderter maximaler Verfügbarkeit und Arbeitsbelastung mit starkem psychischen Druck durch Zeitverträge". Das ist geschlechtsunabhängig und kann ich so bestätigen. Das ist nun aber auch nichts ungewöhnliches in der heutigen Arbeitswelt. Lediglich die "gering strukturierte Arbeitsorganisation" ist tatsächlich ein Problem. Ich dachte bislang, das ginge nur unserer Abteilung so. Interessant, dass es anscheinend ein gedenkstättenweites Problem ist.
Der zweite Vorwurf lautet auf "Eindringen in die Privatsphäre durch persönliche SMS, Whats-App-Gruppen und nächtliche Arbeitsaufträge; wiederholte Angebote, die Mitarbeiterin nach Hause zu fahren; Einladungen zu Bier oder Wein nach Feierabend - auch in die private Wohnung; Verwendung privater Informationen aus 'persönlichen Gesprächen' im Dienst als diskreditierende Argumentation in dienstlichen Belangen". All das habe ich auch selbst erlebt. Abgesehen vom letzten Punkt ist das für mich alles kein schwerwiegendes Fehlverhalten, sondern eher ein mangelndes Gespür für professionelle Distanz. Als einfacher Angestellter in diesem Betrieb entsteht - in der Verbindung mit dem erwähnten unangenehmen Arbeitsklima - leicht der Eindruck, zu solchen Angeboten nicht nein sagen zu können.
Darauf bezieht sich dann der dritte Vorwurf: Lehnt man dies ab, können einem Nachteile dadurch entstehen. Man wird etwa ignoriert, erhält Informationen nicht mehr, Fehler und Versäumnisse werden auf einen abgewälzt, Gerüchte werden gestreut werden - ja, das gibt es hier alles. Ein Problem, mit dem ich als Mann hier auch zu tun habe, aber immerhin, ohne gleichzeitig die sexuelle Komponente abzubekommen.
Darauf beziehen sich dann der vierte und fünfte Vorwurf, die ich nur aus der dritten Perspektive kenne. Einiges habe ich selbst gesehen und als unangemessen empfunden, anderes kann ich mir gut vorstellen.
Womit ich allerdings ein Problem habe, ist natürlich der Begriff der "männlichen Macht", der auch fällt. Denn ich habe diese Macht nicht, sondern leide im Gegenteil selbst auch darunter. Heißt das also, dass ich keine Mann bin? Das knüpft dann an uralte Rollenvorstellungen an, wonach nur Männer, die in der Hierarchie ganz oben stehen, "echte Männer" seien. Frau ist man von Natur aus, zum Mann wird man erst dadurch, dass man auf der Hierarchieleiter aufsteigt. Durch diese Gleichsetzung von Männlichkeit und hierarchischer Dominanz wird dann aber - wieder einmal - genau das reproduziert, wogegen Feministinnen zu kämpfen vorgeben. Wenn nur derjenige als Mann anerkannt wird, der oben steht, wird dieses "oben" mit Männlichkeit assoziiert. Und dadurch erzeugt man dann den viel beklagten Befund erst, wonach Frauen es viel schwerer hätten, aufzusteigen und als Führungsperson wahrgenommen zu werden. Wie denn, wenn man ihnen eintrichtert, dass das, was eigentlich die Macht von Vorgesetzten ist, "männliche Macht" sei? Gleichzeitig heizt man dadurch den Wettbewerb unter den Männern auf diese Positionen an. Ich möchte da eigentlich nicht mitmachen, aber wenn Frauen mich als Mann gar nicht wahrnehmen, solange ich unterhalb der Führungsebene tätig bin, bleibt mir anscheinend nichts anderes übrig.
Alternativ - und das erscheint mir viel zielführender - könnte man das Problem natürlich auch als das benennen, was es ist: Es ist ein Problem der Führungsqualität. Das wirkt sich nicht nur auf die Frauen aus, sondern auf alle. Dazu gehören auch, aber nicht ausschließlich, sexuelle Belästigungen. Und dadurch entsteht erst dieses Klima der Angst, das offene Kommunikation verhindert. Und so ist es dann auch möglich, dass solche Sachen über viele Jahre immer wieder vorkommen, ohne dass sich etwas ändert.
Das war jetzt ein sehr langer Text, aber ich könnte mir vorstellen, dass diese Perspektive auch für dich und deine Leser interessant sein könnte. Von Männern, die damit zu tun haben, hört man ja nur sehr selten.
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