Freitag, Juli 28, 2023

Nach dem Freispruch für Kevin Spacey: Welche Medien müssen sich jetzt entschuldigen?

1. Auf Telepolis beschäftigt sich Thomas Pany in einem starken Artikel mit der Frage, welche Medien jetzt für ihre Berichterstattung um Kevin Spacey um Verzeihung bitten müssen. Ein Auszug:

Das ist der große Unterschied zum Fall Rammstein: Die Band ist weiterhin kommerziell erfolgreich. Für Spacey war es das Aus. Beide Fälle werden in Diskussionen, ersichtlich etwa auf Twitter, verglichen.

Als Gemeinsamkeit wird ein kampagnenartiges Anprangern herausgestellt, das die Unschuldsvermutung auf eklatante Weise aushöhlt. Rechtsstaatliche Prinzipien fehlen im Selbstverständnis derer, die solche Anklagen, die auf Verdacht beruhen, untermauern, lautet der Kernvorwurf.

Der Zeitgeist spielt jedenfalls im Ton mit. Das kann man etwa einem Spiegel-Artikel vom November 2017 entnehmen. Dort werden zwar an keiner Stelle die Vorwürfe gegen Spacey als Tatsachenbehauptung wiedergegeben, was juristisch relevant ist. Aber sein Fall wird in eine Reihe gestellt:

"Weinstein, Spacey und die zahlreichen anderen Entertainment-Männer, die das US-Magazin Consequence of Sound auf einer ständig aktualisierten Liste verzeichnet, sollen 'Abuser' sein, Missbraucher."

Dem wird, ohne die Seite der Beschuldigten zu Wort kommen zu lassen, angefügt, dass täglich neue Anschuldigungen an die Öffentlichkeit dringen.

"Die Betroffenen berichten, wie sie sexuell bedrängt, genötigt, herabgewürdigt, in einigen Fällen wohl sogar vergewaltigt wurden."

Das sind keine geringfügigen Vorwürfe, auch wenn relativiert wird:

"Zum Teil, wie bei Spacey oder dem Bericht einer Praktikantin über Dustin Hoffmans sexuelle Anzüglichkeiten, sind die Vorfälle mehrere Jahrzehnte alt."

Es hätte schon einen kleinen, aber wichtigen Unterschied gemacht, wenn betont worden wäre, dass die Vorfälle erhoben wurden und nicht nachgewiesen. So stehen sie ganz unbedrängt da, als ob es daran keinen Zweifel gäbe.

Gute 14 Tage, nachdem Spaceys Sturz begonnen hatte (siehe dazu: das seltene Interview mit ihm in der Zeit), sendet der Spiegel mit diesem Artikel unter der Überschrift "Traumfabrik, aufgewacht" ein starkes Signal:

"Die Konsequenz, mit der die Unterhaltungsindustrie ihre Weinsteins und Spaceys abräumt, ist gut."

Spiegel, 12.11.2017

Auch das Publikum müsse sich auf unbequeme Wege einstellen.

"Wer möchte nicht am liebsten weiter Francis Underwood bei seinen Niederträchtigkeiten in House of Cards zusehen und sich an seiner fiktiven, grandios gespielten Schlechtigkeit ergötzen? Die Erkenntnis, dass sein Darsteller Kevin Spacey auch in der Realität ein Ekel sein könnte, ist ernüchternd: Was für ein Spielverderber!"

Spiegel, 12.11.2017

Sollte Kevin Spacey tatsächlich ein Spielverderber sein und Abmahnanwälten Jobs verschaffen, dann müssten Medien jetzt ein paar Leute in die Archiv-Recherche schicken, ob nicht doch der eine oder andere Beitrag über das "Ekel" den Kriterien der Verdachtsberichterstattung eben nicht vollumfänglich gerecht wird.




2. Bezeichnenderweise heißt es NACH Kevin Spaceys Freispruch auf Spiegel-Online:

Der Regisseur Scott sagte 2017 in einem Interview über Spacey: "Ich durfte nicht zulassen, dass die Einstellung einer einzelnen Person, die Arbeit von so vielen Menschen ruiniert." Ich empfand die Entfernung eines Mitspielers aus einem eigentlich fertigen Film damals als einen barbarischen Akt.


Und sechs Jahre später schreibst du das sogar auf Spiegel-Online. Dürfen wir dann, wenn in ein paar Jahren Till Lindemann freigesprochen werden sollte, von dir lesen, dass du den Umgang mit ihm und seiner Band eigentlich ganz furchtbar fandest? Ohne das Versagen des eigenen Hauses auch nur kurz zur Sprache zu bringen?

Weiter geht es in dem Artikel mit der gewohnten Propaganda: Selbstverständlich sei MeToo immer noch eine Bewegung, die "Großartiges bewirkt" habe: "Durch das Benennen und Bloßstellen von mutmaßlichen Tätern haben Opfer Gesicht und Stimme bekommen, ihr Leid wurde anerkannt, die Wachsamkeit vieler Menschen gegenüber übergriffigem Verhalten hat sich verändert.

Tatsächlich war MeToo außerhalb der feministischen Legendenbildung ein einziger Rohrkrepierer:

Der Anteil der amerikanischen Erwachsenen, die antworteten, dass Männer, die vor 20 Jahren Frauen bei der Arbeit sexuell belästigt haben, ihren Arbeitsplatz behalten sollten, ist von 28% auf 36% gestiegen. Der Anteil derjenigen, die glauben, dass Frauen, die sich über sexuelle Belästigung beschweren, mehr Probleme verursachen, als sie lösen, ist von 29% auf 31% gestiegen. Und 18% der Amerikaner denken jetzt, dass falsche Anschuldigungen wegen sexueller Übergriffe ein größeres Problem darstellen als Angriffe, die nicht gemeldet oder ungestraft bleiben, verglichen mit 13% im November letzten Jahres. (…) Überraschenderweise waren diese Meinungsänderungen (…) bei Frauen etwas stärker als bei Männern.

Aber auch anderweitig hat MeToo Frauen geschadet: Laut einer Studie, die im Mai 2019 veröffentlicht wurde, berichten 60 Prozent der männlichen Manager, dass sie zu viel Angst davor hätten, der Belästigung beschuldigt zu werden, um mit Frauen in "gemeinsamen Arbeitsabläufen" wie Mentoring, Sozialisierung und Einzelgesprächen zu interagieren.

Dies stellt gegenüber dem Jahr 2018 eine Steigerung von 32 Prozent dar. 36 Prozent dieser Männer sagen, dass sie jetzt aktiv Frauen in Junior-Positionen meiden – und damit deren Chance, die Karriereleiter zu erklimmen, effektiv reduzieren. "Die überwiegende Mehrheit der Manager und Senior Leader sind Männer", erklärte hierzu Sheryl Sandberg, deren Institut diese Untersuchung erstellte. "Wenn sie sich nur widerwillig mit Frauen treffen, gibt es keine Möglichkeit, dass Frauen eine gleichwertige Chance haben, sich zu beweisen." Leider aber zögern Männer in höheren Positionen nach MeToo neunmal mehr, mit einer Frau zu reisen und sechsmal mehr, ein Arbeitsessen mit ihr zu haben. Sie zögerten gegenüber einer jungen Mitarbeiterin auch zwölf mal mehr, sich zu einem Gespräch unter vier Augen zu treffen. Diese Gespräche finden statt mit Frauen jetzt verstärkt mit jungen Männern statt.


Zuletzt heißt es in dem Spiegel-Online-Artikel, Spaceys Fall tauge "vielleicht ganz gut dafür, darüber nachzudenken, wie zweifelhaft unsere eigenen moralischen Urteile sind, zu denen wir uns mitunter berufen fühlen."

Dann dürfen wir ja alle gespannt sein, ob sich die Berichterstattung der Spiegel-Redaktion über Till Lindemann jetzt ändert. Ich rechne nicht damit.



3. In der Frankfurter Allgemeinen geht es nicht um die Heuchler der deutschen Medien, sondern die "Heuchler von Hollywood":

Mit Spaceys vollständiger Rehabilitation ist [trotz des Freispruchs] nicht zu rechnen. Weder wird die Firma Netflix, die damals vor sechs Jahren, als Rapp mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit ging, den Hauptdarsteller der Serie "House of Cards" prompt und kühl entfernte ("ich bin fertig mit dir", sagt ungerührt die Witwe) und die sechste Staffel ohne ihn beendete, jetzt eine siebte Staffel produzieren, in welcher Spacey, wie einst Bobby Ewing in "Dallas", dann doch nicht gestorben sein wird.

Noch werden der Regisseur Ridley Scott und das Studio Sony Pictures, die aus dem schon abgedrehten Film "Alles Geld der Welt" alle Szenen mit Spacey herausschnitten, jetzt die ursprüngliche Fassung restaurieren. Und dass die Firma Netflix, die von Spacey als Entschädigung für den Serientod, zu dem sie sich gezwungen sah, dreißig Millionen Dollar forderte, diese Summe jetzt zurückerstatten wird, ist auch nicht wahrscheinlich.

(…) Kevin Spacey wird (…) schon deshalb nicht rehabilitiert werden, weil damit ja all die Filmfirmen, Produzenten, Regisseure, die damals an seiner völligen Auslöschung arbeiteten, die ihn sterben ließen, herausschnitten aus einem fertigen Film und allen Ernstes darüber diskutierten, ob man ihm seine zwei Oscars und den Golden Globe aberkennen solle – weil sie alle damit zugäben, wie hysterisch, heuchlerisch und opportunistisch sie gehandelt haben, damals, als MeToo völlig zu Recht ganz Hollywood erschütterte und verunsicherte, was trotzdem kein Grund war, jeden, der bezichtigt wurde, sofort auch als schuldig zu betrachten.




4. Der Nachrichtensender Fox News öffnet den Fokus weiter und fragt, inwiefern Hollywood aufgrund von haltlosen Anschuldigungen nicht nur einem einzelnen Mann, sondern Männern insgesamt den Krieg erklärt habe:

Laut einer aktuellen Politico/Ipsos-Umfrage glauben 36 % der Amerikaner, dass "Unterhaltung und Kultur es schwer machen, stolz darauf zu sein, ein traditioneller Mann zu sein." (...) Der republikanische Senator Josh Hawley hat sich zu diesem Thema geäußert und erklärte gegenüber Fox News Digital, dass amerikanische Männer aufgrund einer Kombination von Faktoren vom Weg abgekommen sind: das schnelle Aufkommen von Technologie, die Bequemlichkeit und Selbstgefälligkeit mit sich bringt, die Auslagerung amerikanischer Arbeitsplätze dank der politischen Entscheidungsträger in Washington D.C. und die schrille progressive Erzählung, dass Männer "Unterdrücker" sind.

"Ich denke einfach, dass die Botschaft, die die Linke den Männern in diesem Land seit Jahrzehnten vermittelt, lautet, dass sie Abschaum sind. Ich meine, das ist ein wörtliches Zitat von einem linken Professor. Männer sind Abschaum", sagte Hawley. "Ich glaube, zu viele Männer haben diese Botschaft zu lange gehört und sie in der einen oder anderen Form geglaubt", fügte er hinzu.

Die Darstellung von Männern in dem Barbie"-Film ist nur ein Beispiel dafür.

"Es ist ziemlich klar, dass die Medien Männlichkeit nur auf zwei Arten sehen: dumm oder giftig", sagte der Komiker Tim Young gegenüber Fox News Digital. "Wie bei Barbieland ist das Konzept der Gleichheit zwischen Männern und Frauen laut den Medien fiktiv - und wo es eine Chance geben könnte, dass alle miteinander auskommen, ist ihre Sicht der Dinge, spaltend zu sein und Männer herabzusetzen."

"Das Lustige ist, dass sie auch die ersten sind, die schreien, dass man frauenfeindlich oder toxisch männlich ist, wenn man darauf hinweist, dass in dem 'Barbie'-Film Männer gehasst werden. Für sie gibt es so etwas wie Misandrie nicht", so Young weiter.

Aber "Barbie" ist nicht das einzige Beispiel dafür, dass Männer in den Medien schlecht dargestellt werden. Hawley verwies auf Sitcoms der letzten drei Jahrzehnte, in denen Männer und Väter als "komplette Idioten" oder "aktiv bösartige Einflüsse" dargestellt werden.

Riley Gaines, eine ehemalige NCAA-Schwimmerin und OutKick-Moderatorin, hat diesen Trend im Sport aus erster Hand miterlebt. Sie sagt, dass Maskulinität für viele moderne Männer eine "unerwünschte Eigenschaft" ist, da sie in der Angst leben, abgelehnt zu werden. "Als Gesellschaft haben wir verloren, was es bedeutet, männlich zu sein. Eigentlich haben wir Männlichkeit als etwas Schlechtes angesehen, als etwas Giftiges", sagte Gaines gegenüber Fox News Digital.

(...) Dieser kulturelle Wandel sei auch in der Arbeitswelt und in der Wirtschaft zu beobachten, sagte Brenda Hafera, Wissenschaftlerin bei der Heritage Foundation, gegenüber Fox News Digital. (...) "Jungen haben ein höheres Selbstmordrisiko, sie haben ein höheres Risiko, inhaftiert zu werden, die Zahl der Verzweiflungstode unter Jungen und Männern, d. h. der Todesfälle infolge von Selbstmord oder Alkoholismus, nimmt zu, und die Lebenserwartung von Männern sinkt sogar", sagte sie. "Die Hauptursache ist natürlich das Fehlen von Vätern zu Hause und das Fehlen von männlichen Vorbildern, was verheerende Auswirkungen auf Jungen und Männer hat."

Der Wertewandel und die Probleme der Männer wirken sich auch auf die Frauen aus, befindet Hafera.

"Ich denke, die Geschlechter sind völlig miteinander verwoben ... wenn es Männern schlecht geht, wirkt sich das auch auf Frauen aus", sagte sie. "Frauen haben es schwer, Väter, Ehemänner und gute Lebenspartner zu finden, und das gilt auch umgekehrt. Ich denke, wir müssen das Narrativ und die Vorstellung, dass Männer und Frauen einander nicht brauchen, zurückdrehen."




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