New Yorker Magazin gelingt, woran alle deutsche Medien scheitern: eine faire Vorstellung der Männerrechtsbewegung
Das New Yorker Politikmagazin "National Review" hat gestern das fertiggebracht, woran deutsche Journalisten offenbar nicht einmal Interesse haben: ein sachliches und differenziertes Porträt der Männerrechtsbewegung zu veröffentlichen. Der Beitrag ist keine Reklame für diese Bewegung, er übernimmt nicht ihre Positionen, sondern er lässt die Akteure einfach nur ohne ständige Verzerrungen und Abwertungen zu Wort kommen. (Vor allem beim Berliner "Tagespiegel" müsste man sich jetzt verdattert fragen: "Wie, ohne Denunziationen und ohne Schaum vorm Mund kann man dieses Thema auch behandeln?") Ich habe den Beitrag für Genderama ins Deutsche übersetzt.
Peter ist ein schwuler britischer Schriftsteller, der die Labour Party unterstützt und in einem stabilen Mittelklasse-Haushalt aufgewachsen ist - und er ist ein aktives Mitglied der Männerrechtsbewegung.
Der heute Endzwanziger sympathisierte schon als Jugendlicher mit der Bewegung, nachdem er die seiner Meinung nach ungleiche Behandlung von Jungen und Mädchen im Bildungssystem erlebt hatte.
"In der Schule sah ich eine Menge Doppelmoral in der Art und Weise, wie Männer und Jungen gesellschaftlich behandelt wurden", so Peter gegenüber National Review. Er stellte fest, dass Jungen oft unfair diszipliniert wurden, während Verwaltungsangestellte und Lehrer bei Fehlverhalten von Mädchen ein Auge zudrückten.
Wie viele seiner Mitstreiterinnen und Mitstreiter in der Bewegung sah Peter seine eigenen Erfahrungen in der Schule als Auswuchs eines größeren gesellschaftlichen Übels: Akademiker, feministische Organisationen und Politiker diagnostizieren Männlichkeit selbst oft als ein Problem, das einer Lösung bedarf. Im Jahr 2019 gab die American Psychological Association Richtlinien heraus, in denen es heißt, dass "traditionelle Männlichkeit ... im Großen und Ganzen schädlich ist." Im darauffolgenden Jahr machten Forscher den Begriff "Manosphere" populär und bezeichneten alle, die mit der Männerrechtsbewegung in Verbindung stehen, als Verbreiter von Frauenfeindlichkeit.
Diese Erfahrung inspirierte Peter dazu, sich an "Gleichstellungsgruppen zu wenden und zu versuchen, diese Themen anzusprechen".
"Ich wurde natürlich angeschrien, beschimpft, belogen und verbannt", sagte er.
Auf der Suche nach einem Ort für Gespräche über Männlichkeit gründete Peter ein Online-Forum, "Men's Human Rights", in dem er begann, Themen zu diskutieren, die von den Mainstream-Medien oft ignoriert, grob stereotypisiert oder schlichtweg verteufelt werden. Peter lud National Review ein, den Kanal zu beobachten und mit fast einem Dutzend Teilnehmern zu sprechen, von denen sich die meisten bereit erklärten, unter der Bedingung der Anonymität zu sprechen und mit fiktiven Vornamen genannt zu werden.
"Ich habe den Discord ins Leben gerufen, weil es einen massiven Bedarf an Unterstützung für Männer gab, der nicht befriedigt wurde, und weil die Leute im Subreddit für Männerrechtsaktivisten in Echtzeit reden und sich organisieren wollten. Wir hatten mehrere Männer, die am Rande des Selbstmordes zu uns kamen - die meisten von ihnen waren von den regulären Kanälen desillusioniert", erklärt Peter.
Peter und die Mitglieder seines Kanals haben nicht den Eindruck, dass Frauen und Mädchen keine besonderen Herausforderungen zu bewältigen haben – sie glauben nur, dass Männer und Jungen besondere Probleme haben, die moderne Feministinnen nicht anerkennen wollen.
"Ich glaube, jeder Männerrechtler hat einen solchen Moment, und das ist der Grund, warum so viele von uns Feministinnen nicht mögen", sagte Peter. "Uns wurde gesagt, dass sie für Gleichberechtigung eintreten, und dann werden wir angeschrien und uns wird gesagt, dass wir die Leute in die Irre führen, weil wir sagen, dass der Hass gegen Männer real ist. Währenddessen erkennen Männerrechtler frohgemut die Existenz von männlichen und weiblichen Opfern an und behandeln sie als gleichwertig."
Nicht alle Männerrechtler - eine weit gefasste Bezeichnung für die Mitglieder einer amorphen Bewegung - sind so nachdenklich wie Peter. Es gibt bedenkliche Online-Chatrooms, die wirklich destruktiv sind. Im August 2021 wurde auf Reddit das Forum "Men Going Their Own Way" (MGTOW) verboten, in dem sich weiße, nationalistische Nutzer tummelten. Incels (unfreiwillige Zölibatäre), ein weiterer Ableger der so genannten Manosphere, sind für terroristische Anschläge in Amerika und Kanada verantwortlich.
Die angebliche Verbindung zwischen lösungsorientierten Männerrechtlern und gewalttätigen Verrückten, die Massenerschießungen begehen, ist "nicht existent", so Peter.
"Incels haben keine wirklichen Berührungspunkte mit Männerrechtlern, und wir haben eine Politik des augenblicklichen Kontaktverbots, was die extreme Rechte angeht. Akademische Abhandlungen über die 'Manosphere' zeigen, wie sehr sich die Aktivisten in der Soziologie und den Geschlechterstudien verankert haben", sagte er.
Um in das Forum aufgenommen zu werden, müssen sich die Mitglieder mit grundlegenden Regeln einverstanden erklären, darunter Richtlinien zum Thema Hassreden und Maßnahmen gegen Mobbing. Der Chatroom beherbergt Hilfskanäle für LGBT-Mitglieder und solche, die mit Scheidungen und psychischen Problemen zu kämpfen haben.
Der Einfluss äußerer Kräfte, insbesondere der akademischen Welt und feministischer Organisationen, auf die vorherrschende Meinung über die Männerrechtsbewegung ist ein häufiger Punkt der Frustration unter den Mitgliedern des Chats. Da die Bewegung diffus und führerlos ist, ist sie sehr anfällig dafür, von toxischen Kräften vereinnahmt oder von Außenstehenden falsch dargestellt zu werden, argumentieren diese Mitglieder.
Sie verbieten nicht nur frauenhassende Incels, auch im Chat selbst sind mehrere Frauen vertreten.
Kay, eine 21-jährige amerikanische Studentin, beschäftigt sich mit Fragen der Vielfalt und Integration und wurde von einigen, die sie kennen, sogar als "woke" bezeichnet. Sie ist ähnlich wie Peter aufgewachsen und hat sich wie er für die Männerrechtsbewegung interessiert, nachdem sie gesehen hatte, wie unterschiedlich Jungen von Lehrern behandelt wurden.
"Ich begann, viele Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten gegenüber beiden Geschlechtern zu bemerken", sagte sie.
"Ich denke, das schädlichste Missverständnis ist, dass Männerrechtsaktivisten Incels sind oder Frauen hassen", sagte Mason, ein 17-jähriger britischer College-Schüler. "Ich meine, bis jetzt sind alle, die ich in der Gemeinschaft getroffen habe, positiv und sehr einladend".
Mason hatte in der High School eine missbräuchliche Beziehung hinter sich. Als er seine Freunde um Unterstützung bat, wurde ihm gesagt, er solle "seinen Mann stehen" und darüber hinwegkommen. Die Selbsthilfegemeinschaft wurde zu seinem Tor zur Bewegung. Jordan Peterson wurde zu einer Quelle neuer Zuversicht, und er gab schließlich seinen festen Atheismus zugunsten des Christentums auf. Der Discord-Kanal wurde für Mason zu einem Portal zu einer Welt von Gleichgesinnten. "Ich fühle mich viel wohler mit Leuten, die mich verstehen, als mit Leuten, mit denen ich vorher gesprochen habe, die mich und meine Ideen hassten", sagte er.
Mason und seine Mitstreiter sagten, sie hätten sich aneinander gewandt, weil sie ihre Anliegen nicht in der Mainstream-Politik und -Kultur wiederfinden. Als Präsident Biden im März 2021 eine Durchführungsverordnung zur Einrichtung eines "Gender Policy Council" erließ, gab es keinen einzigen Verweis auf Jungen oder Männer.
Angesichts des Gegenwinds, mit dem Jungen und Männer konfrontiert sind, erscheint den Mitgliedern der Bewegung das eklatante Fehlen jeglicher Gespräche über positive Männlichkeit als Nachlässigkeit.
Männer und Jungen sind mit stagnierenden Bildungsergebnissen, sinkenden Erwerbsquoten und einer wesentlich höheren Selbstmord- und Drogenmissbrauchsrate konfrontiert als Frauen. Mitglieder der Männerrechtsbewegung argumentieren auch, dass das Gerichtssystem von einem endemischen Sexismus geplagt wird, bei dem Männer für gleiche Verbrechen härtere Strafen erhalten.
Sonja Starr, Professorin für Recht und Kriminologie an der Universität von Chicago, hat ausführlich über die Unterschiede bei der Verurteilung von Männern und Frauen in Amerika geschrieben. Starr hat herausgefunden, dass Männer in Bundesgerichtsverfahren im Durchschnitt 63 Prozent höhere Strafen erhalten als Frauen, wobei die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen bei identischen Straftaten eine Haftstrafe vermeiden, doppelt so hoch ist.
Im ganzen Land gibt es praktisch keinen ernstzunehmenden amerikanischen Politiker, der sich offen zu diesem Thema geäußert hat. Warren Farrell, den viele der Befragten für den "Gründungsvater" der Bewegung halten, stellte fest, dass Andrew Yang der einzige demokratische Präsidentschaftskandidat in Iowa im Jahr 2019 war, der bereit war, das Thema zu diskutieren.
Nach Ansicht der Mitglieder der Bewegung gibt es zwei zentrale Gründe für ihren Mangel an Sichtbarkeit: Der unter jungen Feministinnen zunehmend verbreitete Glaube, dass die Gesellschaft ein Nullsummenspiel zwischen den Geschlechtern ist, und die Darstellung von Männerrechtsaktivisten in den Medien als "wütende weiße Männer", ein Ausdruck, der von einem der führenden Männlichkeitsexperten der Wissenschaft, Michael Kimmel, populär gemacht wurde.
"Wenn man sich darauf konzentriert, dass nur ein Geschlecht gewinnt, verlieren beide Geschlechter", so Farrell gegenüber National Review. "Wir müssen die Geschlechterfrage neu positionieren, um zu erkennen, dass wir alle gemeinsam in einem Boot sitzen, und dann müssen wir uns immer wieder daran erinnern."
Viele der Aktivisten, mit denen National Review sprach, wollen eine andere Vision der Geschlechtergleichstellung verfolgen, eine, die von Chat-Mitglied Tim Goldich vertreten wird, einem selbsternannten "Gender Equalist", der Bücher schreibt und Vorträge hält, in denen er dafür plädiert, dass die Gesellschaft die einzigartigen Kämpfe von Männern und Frauen anerkennen muss, anstatt zu versuchen, die Probleme des einen Geschlechts über die des anderen zu stellen. Goldich ist der Ansicht, dass die Diskussion über die Geschlechterpolitik festgefahren ist und eine Alternative benötigt wird, die den Menschen dabei hilft, die Geschlechterbeziehungen neu zu konzeptualisieren, indem sie den Wettbewerb um den Opferstatus einstellt und die Bemühungen um echte Gleichberechtigung neu ausrichtet.
Aber wenn Mitglieder der Bewegung versuchen, diese Ideen in der Öffentlichkeit zu präsentieren, stoßen sie oft auf Spott und Hohn. Thomas Carney, ein ehemaliger kleiner Hollywood-Schauspieler, der in Männerrechtskreisen besser unter seinem Künstlernamen "blueorange22" bekannt ist, musste das am eigenen Leib erfahren, als er letztes Jahr bei "The Majority Report" mit Sam Seder zu Gast war. Während der Sendung verdrehte ein feministischer Gast die Augen und spottete über Carney, als der beschrieb, wie oft er von "verängstigten" Teenagern auf der Suche nach Ratschlägen hört.
Einer von Goldichs intellektuellen Partnern, die für "Gender Equalism" eintreten, ist David Shackleton, der sich nach der gemeinsamen Erfahrung einer Scheidung, die ihn ratlos zurückließ, in der Männerrechtsbewegung engagierte. "Ich sah zum ersten Mal, dass die ganze Geschichte in der Gesellschaft über Männer und Frauen von männlicher Gewalt und weiblicher Opferrolle handelte. Das hat für mich nicht gepasst", sagte Shackleton in einem Telefoninterview.
Shackleton gibt der Männerrechtsbewegung selbst die Schuld dafür, dass sie sich oft so verhält, dass sie in die Wahrnehmung des "wütenden weißen Mannes" hineinspielt.
"Ich denke, es ist nicht leicht, sich in Männer hineinzuversetzen - nur wenige tun das", sagte Shackleton. "Es geht gegen den kulturellen Strich. Aber ich glaube, dass wir den Männern etwas mehr Empathie entgegenbringen müssen. Wenn Männer dazu neigen, sich auf ungesunde Weise auszudrücken, dann liegt das zumindest teilweise daran, dass sie keine gesunden Möglichkeiten haben, sich zu äußern und gehört zu werden."
Farrell, der Aktivist, der sich um Treffen mit den demokratischen Präsidentschaftskandidaten für 2020 bemüht hat, hat das Weiße Haus öffentlich aufgefordert, einen eigenen Rat für Jungen und Männer einzurichten, hatte aber bisher wenig Erfolg. Er bleibt jedoch hoffnungsvoll, dass echte Lösungen für die Probleme von Männern gefunden werden, sobald sich die Kultur von ihrem Nullsummen-Ansatz in Bezug auf die Geschlechterbeziehungen entfernt und die Politik aufzuholen beginnt.
Die Frage bleibt: Warum gelingt deutschen Journalisten nicht, über Männerrechtler in dieser Weise zu berichten? Was läuft falsch in deutschen Medien?
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