Dienstag, Dezember 06, 2022

Sprachwissenschaftler: Die Gendersprache ist ein Soziolekt

1. Vor einigen Monaten haben rund 350 Sprach- und Literaturwissenschaftler (darunter ich selbst) einen Aufruf unterzeichnet, der die Gendersprache im öffentlich-rechtlichen Rundfunk kritisiert. Einer von ihnen erörtert in der Frankfurter Allgemeinen, was daraus geworden ist:

Wir beißen bei den Sendern auf Granit. Von 50 persönlich angeschriebenen Mitgliedern des ZDF-Fernsehrats meldet sich nur eines zurück. Die Intendanten der ARD hüllen sich in Schweigen oder lassen ebenfalls Standardbriefe verschicken. Ob nun ein einzelner Zuschauer den Sender anschreibt oder mehr als 300 Sprachexperten einen Aufruf lancieren, macht für die Anstalten offensichtlich keinen Unterschied. Eine Kommunikation mit verantwortlichen Instanzen kommt nicht in Gang.


Die Öffentlich-Rechtlichen sind auf eine ernsthafte Kommunikation mit dem Publikum auch nicht ausgerichtet. Eine studentische Bekannte von mir hat mal für den Zuschauerkontakt eines öffentlich-rechtlichen Senders gearbeitet. Sie und ihre Kollegen haben etliche Beschwerden angenommen, aber es gehörte nicht zu ihren Aufgabe, sie auch an die verantwortlichen Redakteure der jeweiligen Beiträge weiterzuleiten, sondern sie gegen diesen Ansturm abzuschotten. Das macht in gewisser Weise ja auch Sinn: Die Redakteure kämen sonst zu nichts anderem mehr, als solche Anrufe zu beantworten. Aber inzwischen lebt die "Elite" der Öffentlich-Rechtlichen in einem Elfenbeinturm, in den selbst noch so berechtigte Kritik der einfachen Zuschauer nicht vordringen.

Ein weiterer Absatz des Artikels arbeitet heraus, warum die Verwendung der Gendersprache bei den Öffentlich-Rechtlichen problematisch ist:

Wenn die Sender das Vertrauen des Publikums zurückgewinnen wollen, müssen sie sich – und das ist nur eine von vielen Baustellen – ernsthaft um politische Unparteilichkeit bemühen, wie im Medienstaatsvertrag gefordert. Das wird ihnen aber nicht gelingen, wenn sie mit dem Gendern auf einen Jargon setzen, den das Publikum mehrheitlich klar ablehnt. Eine sperrige und bürokratische Kunstsprache, die vorrangig von identitätspolitisch orientierten universitären Gruppierungen rund um die Social-Justice-Studies vorangetrieben wird. Gendersprache ist ein akademischer Soziolekt, der Diskursvorherrschaft anstrebt. Will der ÖRR seine Glaubwürdigkeit nicht verlieren, muss er zu dieser ideologisch begründeten Sprachform kritische Distanz wahren. Und will er die Entfremdung vom Publikum durchbrechen, muss er, wie es einst Luther schon empfohlen hat, seinem Publikum „aufs Maul schauen“ und dessen Sprache sprechen. Sonst wird er dieses Publikum früher oder später nicht mehr erreichen.


"Soziolekt" ist die passendste Bezeichnung für die Gendersprache überhaupt. Wer sie verwendet, präsentiert sich damit selbst als Mitglied einer akademisch geprägten Gruppe mit einem vermeintlich sehr viel höheren moralischen Bewusstsein als der dumme "Pöbel". Nur deshalb sind viele bereit, sich in dieser gekünstelten Form zu verständigen. Die Verwendung der Gendersprache wird als Symbol von Status und Prestige benutzt – und zur Ausgrenzung und Stigmatisierung all jener, die diesen hohen Status nicht innehaben. Diese Menschen werden als "defizitär" angeprangert. Warum etwa wird dieser Jargon wohl von kaum jemandem aus der Arbeiterschicht benutzt? Wenn die Öffentlich-Rechtlichen diesen Soziolekt verwenden, schauen sie damit auf einen Großteil ihres Publikums herab.



2. Getrennt lebende Väter oder Mütter müssen ihren Kindern im neuen Jahr mehr Unterhalt zahlen. Das ergibt sich aus der neuen Düsseldorfer Tabelle.



3. MANNdat stellt das Buch "Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit" vor. Ein Auszug beleuchtet eines der Kapitel darin:

Der Psychologe und Bildungswissenschaftler Josef Christian Aigner behandelt die an Hochschulen stattfindenden "genderpolitischen Konflikte". Als Professor an der Fakultät für Bildungswissenschaft der Universität Innsbruck wurde er in den letzten Jahren seiner Lehrtätigkeit mit einer dogmatisch-feministischen Fakultätsleitung konfrontiert. Aigner beschreibt einige "Praktiken" dieser Fakultätsleitung, unter anderem die finanziell geförderte und von Qualifikationskriterien gelöste Bevorzugung von Frauen bei Berufungen auf Professuren.

Aigner wurde darüber hinaus aufgrund eines von ihm mitgetragenen Projekts zur Gewinnung von männlichen Kindergartenpädagogen persönlich angegriffen, wobei ihm Vorurteile entgegengebracht wurden. Für viele Feministinnen sollte Jungen- und Männerforschung profeministisch sein, ansonsten erntet sie von feministischer Seite Misstrauen und Zuordnung zur politischen Rechten.

Abschließend fragt Aigner nach der psychosozialen Dynamik, die die Durchsetzung der feministischen Politik an den Hochschulen begünstigt. Die zentrale Rolle spielt dabei der Begriff des "Co-Feminismus": Männer tragen radikal-feministische Ansprüche mit oder sie fördern sie, weil sie sich davon Vorteile versprechen.




4. Gestern berichtete Genderama, dass die Londoner "Times" die vierte Welle des Feminismus als gescheitert betrachtet. Auch das HR-Inforadio zeigt sich verstört über den weiterhin ausbleibenden Erfolg dieser Ideologie bei den Massen: "Nur 15 Prozent der Deutschen bezeichnen sich als Feministin oder Feminist. Und das in Zeiten von Beyoncé und #iranrevolution! Wie kann das sein?"

Die Macher des Podcasts "Ist der Feminismus kaputt?" erklären sich die niedrige Zustimmung mit den vielen Grabenkämpfen des Feminismus etwa mit der LGBTQ-Bewegung: "Zerstrittene Fraktionen, die sich maximal verachten und mit größtmöglicher Wucht verbal aufeinander eindreschen." Leider zeigt diese Deutung genau jene Abgehobenheit der Öffentlich-Rechtlichen, von der eben schon die Rede war. Wer glaubt denn wirklich, dass sich volle 85 Prozent der Bevölkerung deshalb nicht als Feministen bezeichnen, weil sie von den Twitter-Scharmützeln über Trans-Identitäten abgeschreckt sind? Der allergrößte Teil der Bevölkerung dürfte sich für dieses Hickhack nicht gerade brennend interessieren, ja vermutlich nicht einmal etwas davon mitbekommen. Warum aber bleibt dann der Beifall für eine Weltanschauung so spärlich, die von sämtlichen Leitmedien gepusht und kaum einmal kritisch hinterfragt wird? Wie sähe es für den Feminismus erst ohne diese mediale Unterstützung aus? Und was sagt es über eine Demokratie aus, wenn dort 15 Prozent der Bevölkerung geschlechterpolitisch das Sagen haben und Gegenpositionen oft nicht einmal Gehör erhalten?



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