Frankfurter Allgemeine: Wie gefährlich ist toxische Weiblichkeit?
1. In der Frankfurter Allgemeinen beschäftigt sich Silke Weber mit "toxischer Weiblichkeit". Ein Auszug:
Das Internet ist voll davon, und von dort schwappt er auch in den deutschen Sprachgebrauch. (…) Amber Heard, die zuletzt wegen des Verleumdungsprozesses mit dem Schauspieler Johnny Depp wochenlang in den Schlagzeilen war, musste sich auf Twitter und sonst wo anhören, toxisch zu sein, und gilt manchen als die Verkörperung einer Frau, die lügt, heult und betrügt, die sich zum Opfer stilisiert und dabei alle an der Nase herumführt.
(…) Hannah McCann, Dozentin für Kulturwissenschaften an der University of Melbourne, hat darüber einen Artikel in der Fachzeitschrift "Psychology & Sexuality“ veröffentlicht. Sie stellt darin fest, dass Onlinediskussionen über toxische Weiblichkeit oft antifeministisch sind und neuerdings gerne besonders von Männerrechtlern angeführt werden. Der Begriff werde von ihnen benutzt, um zu zeigen, dass Männer genauso Frauen zum Opfer fallen würden wie umgekehrt. So suggerieren sie, dass Frauen genauso "schlecht" seien wie Männer. Sie täuschen einen egalitären Ansatz vor und verschieben so den Diskurs.
Ja, wir bösen Männerrechtler verschieben tatsächlich den Diskurs, wenn wir immer wieder klarstellen, dass Frauen keine besseren Menschen sind. Nicht ohne Grund habe ich meinem ersten geschlechterpolitischen Buch diesen Titel gegeben. Wer fest an eine Höherwertigkeit der Frau glaubt, muss dann schon mal kräftig durchatmen.
Hannah McCann sieht in dem Begriff daher vor allem einen Backlash, der als Reaktion auf die Diskussion um toxische Männlichkeit zu verstehen ist. Die Männerrechtsbewegung entstand aus Männern, die sich von Feministinnen dämonisiert fühlten. Und diese alte Idee scheint hier wieder hervor, wenn manche Männer glauben, sich gegen den Begriff "toxische Männlichkeit" verteidigen zu müssen. Männerrechtler stellen daher die Sprache des Feminismus auf den Kopf und werfen ihm "toxische Weiblichkeit" vor. Manchmal schreiben sie auch einfach gleich "toxischer Feminismus".
Es ist wesentlich sinnvoller, radikale Ausprägungen einer politischen Weltanschauung als "toxisch" zu brandmarken, als sie an eine Geschlechtszugehörigkeit zu koppeln. Hier auf Genderama habe ich immer wieder betont, dass ich die Begriffe "toxische Weiblichkeit" und "toxische Männlichkeit" für gleichermaßen idiotisch halte. Menschen als "giftig" zu bezeichnen hat eine unselige Tradition. Aus Silke Webers Artikel in der FAZ geht deutlich hervor, wie wenig es einer Frau gefällt, wenn der Spieß umgedreht wird.
Auf Blogs der neuen Männerrechtler wird die Existenz des Patriarchats geleugnet und als Verschwörungstheorie betrachtet. Frauen wie Meghan Markle, Amber Heard oder auch Jada Smith, Ehefrau von Hollywoodstar Will Smith, gelten ihnen als Archetypen der toxischen Frauen, die lügen, weinen, manipulieren. (…) Der Verleumdungsprozess, den Johnny Depp gegen Amber Heard geführt hat, wurde zu einer Plattform für jene Männer, deren Aggression und sexuelle Übergriffigkeit jetzt mehrheitlich als problematisch angesehen werden, die aber nun unter dieser Wahrnehmung "leiden".
Der letzte Satz ist so infam wie es der folgende wäre: "Antirassistische Schwarze sind Schwarze, deren Aggression und sexuelle Übergriffigkeit jetzt mehrheitlich als problematisch angesehen werden, die aber nun unter dieser Wahrnehmung 'leiden'." Anders formuliert: Silke Weber unterschiebt jenen Männern, die gegen sexistische Formulierungen prostestieren, "Aggression" und "sexuelle Übergriffigkeit". Das ist perfide – allerdings so unverblümt perfide, dass Silke Weber diesen Sexismus damit für jeden Leser erkennbar macht.
Für sie war die schluchzende Amber Heard im Zeugenstand eine manipulative "Hexe", die ihr Frausein und die MeToo-Debatte zu instrumentalisieren versuchte. Die französische Feministin und Autorin Mona Chollet zeigt in ihrem Buch "Hexen", wie die Hexenverfolgungen – quasi ein Krieg gegen Frauen – und deren Auswirkungen bis heute spürbar sind.
Etliche Opfer häuslicher Gewalt beiderlei Geschlechts haben sich gegen Amber Heards Manipulationen ausgesprochen, die in diversen Aufnahmen offenkundig geworden sind. Es war Amber Heard, die glaubte, auf der Grundlage sexistischer Klischees als Täterin davonkommen und Johnny Depp als Täter hinstellen zu können. Dass sie damit gescheitert ist, macht sie nicht zum Opfer einer "Hexenverfolgung". Allerdings ist es bezeichnend, wie schwer sich manche Frauen bis heute mit der Erkenntnis tun, dass manche Frauen sich genauso widerwärtig verhalten können wie manche Männer.
2. Wie sehr ein abwertendes Männerbild in unserer Gesellschaft verbreitet ist, ohne dass Leitmedien von einer "Hexenjagd" schreiben, machte dieser Tage James Cameron deutlich:
Der Regisseur kontrastierte dies mit (…) früheren Filmen, von denen er heute behauptet, dass er sie in seinem Alter nicht mehr machen würde: "Viele Dinge, die ich früher gemacht habe, würde ich heute nicht mehr machen - karrieremäßig und einfach wegen der Risiken, die man als wilder, testosterongeschwängerter junger Mann eingeht."
Dann fügte er hinzu: "Ich betrachte [Testosteron] immer als ein Gift, das man langsam aus seinem Körper herausarbeiten muss."
Testosteron ist kein Gift, das man aus seinem Körper herausarbeiten muss, sondern spielt, wie die Mayo Clinic feststellt, "eine wichtige Rolle bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung typisch männlicher körperlicher Merkmale, wie Muskelmasse und -kraft und Wachstum von Gesichts- und Körperbehaarung."
Camerons Vorstellung von Testosteron könnte auch in den Film Avatar: Der Weg des Wassers einfließen. Im Gespräch mit The Hollywood Reporter verriet Cameron, dass es in dem Film offenbar einen "Arschloch-Vater" geben wird.
Er sagte dem Magazin: "Ich dachte: 'Ich werde vieles von dem künstlerisch verarbeiten, was ich als Vater von fünf Kindern durchgemacht habe. Die übergreifende Idee ist, dass die Familie die Festung ist. Sie ist unsere größte Schwäche und unsere größte Stärke. Ich dachte: 'Ich kann das verdammt gut schreiben. Ich weiß, wie es ist, der Arschloch-Vater zu sein", fügte er hinzu.
Angenommen, Cameron wäre als Vater wirklich grauenvoll, ist es interessant, wie er damit umgeht: Er erkennt es nicht als persönliches Versagen an, sondern gibt einem Hormon die Schuld, das bei allen Männern ausgeprägt ist. Mit dieser Rhetorik nimmt Cameron sämtliche Männer in Sippenhaft und sagt zugleich: "Hey, ich bin nicht schlechter als die anderen. Wir alle sind demselben Einfluss von Testosteron ausgeliefert." Persönliche Reife sieht anders aus.
3. Was es für Männer bedeuten kann, in unseren Medien ständig als minderwertig dargestellt zu werden, zeigt aktuell die Entwicklung in Australien:
Zwei von fünf jungen australischen Männern haben keine Hilfe oder Unterstützung in Anspruch genommen, wenn sie mit ihrer psychischen Gesundheit zu kämpfen haben, und geben zu, dass sie das Gefühl haben, niemanden zu haben, auf den sie zählen können.
Die Umfrage der Männergesundheitsorganisation Movember zeigt den erschreckenden Zustand der psychischen Gesundheitskrise in Australien auf. Mehr als die Hälfte der 1008 Befragten im Alter von 18 bis 30 Jahren gaben an, dass sie sich als Mann unter Druck gesetzt fühlen und Angst vor der Zukunft haben.
Zwei Drittel gaben an, dass sie das Gefühl haben, die Gesellschaft würde junge Männer nicht verstehen.
Selbstmord ist die häufigste Todesursache bei Männern im Alter von 15 bis 54 Jahren in Australien, jeden Tag sterben durchschnittlich sechs Männer.
(…) Der Psychologe und Movember-Direktor für psychische Gesundheit, Zac Seidler, fügte hinzu, dass in diesem Bereich in den letzten Jahren zwar erhebliche Fortschritte erzielt worden seien, die Ergebnisse jedoch zeigten, dass "eindeutig noch mehr Arbeit zu tun ist".
Er rief die politischen Entscheidungsträger, die Medien und insbesondere die Angehörigen der Gesundheitsberufe dazu auf, "die nächste Generation von Männern zu fragen, was sie brauchen und wie sie sich fühlen", um dies zu erreichen.
Es wäre in der Tat zu wünschen, dass diese Aufgabe nicht allein uns Männerrechtlern überlassen bliebe, während Leitmedien unverdrossen gegen uns anschreiben.
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