Dienstag, März 10, 2020

Coronavirus halb so schlimm: "Davon sterben nur alte weiße Männer" – News vom 10. März 2020

1. Durch Twitter zieht gerade der Mitschnitt eines Konzerts, das der Berliner Hip-Hop-Gruppe K.I.Z. zugeordnet wird. (Ich weiß nicht sicher, ob diese Zuordnung zutrifft, aber sie erscheint mir schlüssig.) Ein Mitglied der Gruppe wendet sich an das Publikum mit den Worten:

"Wir sind hier unter uns, Ladys. Leute haben Schiss vor einem bescheuerten Virus. Die Wahrheit ist: Davon sterben nur ALTE WEISSE MÄNNER!!"


Daraufhin brechen die Zuschauerinnen in begeisterten Jubel aus.

Eine FDP-Angehörige, die auf Twitter unter dem Pseudonym "Pornographic Preistess" unterwegs ist, kommentiert:

Und alte weiße Frauen. Vielleicht bald Eure Oma, Euer Opa, mit Pech Eure Eltern. Offenbar verzichtbare Menschen ohne besonderen Wert.

Das Wichtigste scheint hier, dass die ekelhafte Selbstgerechtigkeit nie stirbt. Hart im Herzen gegen das Feindbild. Ekelhaft.




2. Lucas Schoppe untersucht in einem aktuellen Blogbeitrag, welchen politischen Nutzen die ständige Rede von der männlichen Macht überhaupt hat. Es bietet sich an, etwas ausführlicher aus Schoppes Analyse zu zitieren:

Diese Form des journalistischen Umgangs mit Geschlechterthemen ist, leider, durchaus typisch. Gerade erst haben es beispielsweise die Zeit und viele andere deutsche Zeitungen als Skandal präsentiert, dass laut einer Studie Frauen mit Kindern verhältnismäßig seltener zu Vorstellungsgespärchen eingeladen würden als Frauen ohne Kinder.

Dass aber beide Gruppen laut derselben Studie deutlich häufiger als Männer – ob mit oder ohne Kindern – eingeladen werden, spielt keine Rolle. Hochselektiv und im Empörungsgestus wird jeweils lediglich die Teilinformation präsentiert, dass der Vorsprung kinderloser Frauen gegenüber Müttern deutlich größer wäre als der kinderloser Väter gegenüber Vätern.

Fazit: Dass Männer als Männer privilegiert wären ist tatsächlich keine empirische Aussage, und so ist diese Vorstellung auch durch empirische Daten nicht widerlegbar.

Sie ist ein Credo, ein Glaubenssatz – sie wird längst nicht mehr durch empirische Daten überprüft, sondern sie dient ihrerseits dafür, empirische Daten über soziale Realitäten zu ordnen, die einen Informationen vergrößert wahrzunehmen und die anderen ganz zu ignorieren.

Welchen Sinn aber dieser Glaubenssatz hat, lässt sich gut am Beispiel der Ökonomie von Trennungsfamilien zeigen. Die sogenannte Alleinerziehung ist europaweit die wesentliche Ursache für Kinderarmut: Offensichtlich, und aus leicht erklärlichen Gründen, ist diese Form des Aufwachsens von Kindern nicht nur entwicklungspsychologisch, sondern auch finanziell sehr ungünstig.

Anstatt aber zu realisieren, dass hier die deutsche Familienpolitik ein äußerst ungünstiges Modell fördert und stattdessen eher die Kooperation von Eltern auch nach Trennungen unterstützen müsste, erwecken die verantwortlichen Politiker und –innen den Eindruck, amoralische und egoistische Väter wären das wesentliche Problem von Müttern und Kindern.

Wenn die SPD-Bundestagsfraktion nun Väter als faul und verantwortungsunwillig darstellt, während Frauen ganz allein alle Last zu tragen hätten, dann macht das betroffenen Frauen ein unmoralisches Angebot: Sie müssen dann nämlich Verantwortung weder bei sich selbst noch bei der Politik staatlicher Institutionen suchen, sondern haben einfache, leicht erkennbare und jederzeit greifbare Schuldige zur Verfügung.

Was für ein katastrophales Bild von Frauen aber hat eigentlich die SPD-Bundestagsfraktion, wenn sie davon ausgeht, dass die solche schamlosen Spekulation auf Ressentiments begrüßen und belohnen werden?

(…) Aber mehr noch, die beliebte Aggression gegen alte weiße Männer transportiert ebenso wie vergleichbare Ressentiments eine tröstende Illusion: die Illusion nämlich, dass in unseren unüberschaubaren, abstrakten, global vernetzten Strukturen überhaupt noch jemand übrig geblieben ist, der Überblick und Kontrolle behalten hat. Als würden alte weiße Männer – oder Männer generell – Klimawandel, soziale Ungerechtigkeiten und Gewalt jederzeit ins Gute wenden können, wenn sie es denn nur wollten, ihre eigenen Privilegien wahrnehmen und auf diese dann endlich verzichten würden.

(…) Das Klischee aber ist schon allein deshalb schädlich, weil es den Blick auf reale soziale Ungerechtigkeiten verstellt und ihre Analyse erschwert: Es ist ja niemals eine Analyse nötig, weil die Antwort immer schon gegeben werden kann, bevor auch nur eine Frage gestellt wurde.

Es ist schädlich, weil es Ressentiments gegen große Gruppen von Menschen reproduziert und ihnen daher die soziale Empathie entzieht, die eine wesentliche Voraussetzung für eine Politik der sozialen Gerechtigkeit ist.

Es ist auch deshalb schädlich, weil es uns daran hindert, mit Macht rational umzugehen, wenn diese Macht von Frauen ausgeübt wird. Denn es gibt in modernen Gesellschaften weder eine spezifisch männliche noch eine spezifisch weibliche politische Macht, sehr wohl aber Herrschaftsstrukturen, die institutionell garantiert werden und die demokratisch und rechtsstaatlich kontrolliert werden müssen. Das muss natürlich auch dann gelten, wenn Frauen mit dieser Macht ausgestattet werden.

Als aber, um nur eines von vielen möglichen Beispielen zu nennen, die ehemalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen trotz vieler deutlicher Hinweise auf korruptes Verhalten und trotz ihres – für die betroffenen Soldaten – katastrophalen Missmanagements der Bundeswehr zur Präsidentin der Europäischen Kommission wurde, blieb die mediale Kritik an dieser demokratieschädlichen Fehlbesetzung weitflächig aus. Stattdessen bestätigten sich deutsche Medien gegenseitig im Jubel darüber, dass endlich eine Frau diese wichtige Position besetzte.

(…) Dass die Klischees männlicher Macht auch auf einer ganz persönlichen Ebene Schaden anrichten, kann ich an einem ganz alltäglichen Beispiel illustrieren, das ich in meinem persönlichen Bekanntenkreis erlebt habe.

Ein zehnjähriger Junge war von einer Ärztin nach den Gründen von Schwierigkeiten gefragt worden, die er mit seiner Mutter hat, bei der er lebt. Er beklagte sich bei der Ärztin darüber, dass die Mutter ihn regelmäßig schlage. Die Mutter, die bei dem Gespräch anwesend war, warf ein, dass doch tatsächlich der Junge sie geschlagen hätte – und so endete das Gespräch ohne weitere Nachfragen mit der Ermahnung der Ärztin an den Jungen, in Zukunft lieb zu seiner Mutter zu sein.

Das Klischee der männlichen Macht macht hier nicht nur blind für die mütterliche Gewalt und für die Herrschaftsdifferenzen zwischen Erwachsenen und Kindern – es unterstützt auch einen enorm autoritären Umgang mit einem Kind.




3. Rowohlt hat die Veröffentlichung von Woody Allens Biographie "auf unbestimmte Zeit verschoeben". Hier kommentiere ich diese Besorgnis erregende Entwicklung ausführlich.



4. In Australien steht die Internationale Konferenz für Männeranliegen 2020 an. Sie wird vom 31. Juli bis zum 2. August in Sydney stattfinden. Angekündigt sind Redner von vier Kontinenten.

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