Freitag, Januar 12, 2018

MeToo-Kritik, Google-Irrsinn, feministischer Frauenhass – News vom 12. Januar 2018

1. Ein aktuelles Gerichtsurteil in Schleswig-Hollstein zementiert zum vierten Mal: Nur Frauen dürfen Gleichstellungsbeauftragte, Männer von der Bewerbung ausgeschlossen werden.



2. Inzwischen gibt es doch noch andere als vernichtende Reaktionen auf die MeToo-Kritik aus Frankreich. So findet sich in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung folgende Passage:

Die Autorinnen erkennen in der "Me Too"-Debatte eine Tendenz, die gefährlich wäre, würde sie sich auswachsen: einen moralischen Totalitarismus, den Verlust der Fähigkeit, zwischen Flirt und sexueller Nötigung zu differenzieren. Dagegen schreiben sie an. Es ist gut und wichtig, dass dieses Argument von Frauen kommt. Denn von Männern wäre es erstens weniger überraschend und zweitens sähe sich derjenige, der es äußert, zu Recht oder zu Unrecht sofort dem Verdacht ausgesetzt, sich seine eigenen Vergehen nicht eingestehen zu wollen. Man kann den Gastbeitrag als Verharmlosung von ekelhaftem Verhalten von Männern gegenüber Frauen interpretieren. Man kann ihn aber auch so lesen, dass er die Frauen ermächtigen will, selbst die Grenzen zu ziehen. Darum geht es den französischen Frauen.


Und einer meiner Leser macht mich auf zwei Beispiele vom Deutschlandfunk aufmerksam:

Gestern wurde kurz darüber berichtet. Dabei hat der Frankreich-Korrespondent die Panikberichterstattung deutlich relativiert. Beispielsweise hat er erklärt. dass das franzözische "belästigen" weniger negativ besetzt ist und mehr mit "nerven" vergleichbar ist. Ausserdem gebe es in der französischen Kultur historisch weit mehr "Oh lala". Das Ganze kam am Ende zwar nicht ohne ein "Es gibt auch junge Französinnen, die das Oh lala nicht mehr wollen." aus, aber im großen und ganzen hat der Korrespondent den Kontext erklärt und hat auf lokale und sprachliche Eigenheiten hingewiesen. Dadurch wird man in die Lage versetzt, sich eine Meinung zu bilden. Das ist eigentlich, was ich unter Qualitätsjournalismus verstehen würde.

Das zweite Beispiel war heute morgen in der Andacht zur Woche, kurz nach halb sieben. Ein evangelischer Pfarrer hat Bezug auf MeToo und den Brief genommen. Und offenkundig kann er sowohl lesen, als auch französisch. Die Zusammenfassung war sehr gut. Schon die Überschrift hat er mit "Die Freiheit zur Anmache" und nicht "Die Freiheit zur Belästigung" übersetzt. Am Ende hat er einfach das Offensichtliche ausgesprochen: "Man muss das Gegenüber respektieren. Ohne Respekt sollte man seine Finger bei sich behalten. Mit Respekt werden die Finger nichts Falsches machen." (Grob aus dem Gedächtnis zitiert.) Das trifft es ganz gut, und ich denke, der Großteil der Bevölkerung handelt auch danach.

Schön, dass es auch mal was positives zum Journalismus zu sagen gibt.




3. "Es gibt einen simplen Weg, um Jungs zu erfolgreichen Männern zu erziehen — doch die Schulen unterdrücken ihn." So ist ein Artikel von Valentina Resetarits überschreiben, der im "Business Insider" veröffentlicht wurde. Ein Auszug:

61 Prozent der Schüler, die vorzeitig die Schule abbrechen, waren 2016 Männer. (...) Mittlerweile gibt es in Deutschland beinahe 270.000 mehr arbeitslose Männer als arbeitslose Frauen. (...) Aus einer US-amerikanischen Studie aus dem Jahr 2014 geht hervor, dass Männer nach einem Jobverlust deutlich mehr Probleme beim Wechsel in eine neue Position haben. "Obwohl Frauen viel stärker davon betroffen sind, wenn Jobs in mittleren Positionen verschwinden, gelang es einem Großteil der betroffenen Frauen, neue Fähigkeiten zu erlernen und sogar besser bezahlte Jobs zu finden", schreibt Studienautor und Ökonom Anton Cheremukhin. "Im Vergleich dazu musste mehr als die Hälfte der Männer in mittleren Positionen auf einen schlechter bezahlten Job ausweichen."

Laut den Forschern liegt es vor allem daran, dass Frauen in diesen Positionen die besseren Bildungsabschlüsse haben. Es ist also ein Teufelskreis: Die Jobs von schlechter qualifizierten Männern verschwinden, sie können aber nicht auf einen anderen Job umsatteln, weil ihnen die Bildung dazu fehlt. Die einzige Möglichkeit, diese Entwicklung zu stoppen: Wir müssen dafür sorgen, dass Männer wieder mehr Spaß an Bildung haben. Und zwar von klein auf.


Die Lösung, die Valentina Resetarits anbietet – mehr Bewegung für Jungen im Lauf eines Schultags zulassen – ist zwar grundsätzlich nicht verkehrt, greift als einzige Strategie und damit als Allheilmittel etwas zu kurz. Sinnvoll wäre ein ganzes Bündel von Maßnahmen, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Immerhin ist es aber erfreulich, dass die "Jungenkrise" überhaupt wieder angesprochen wird, nachdem ein Großteil der Leitmedien sie in den letzten Jahren vergessen zu haben scheint.



4. Das Blog Scheidende Geister kommentiert die Forderung der SPD-Politikerin Gabriele Andretta nach einer Frauenquote im Parlament.



5. Das US-amerikanische Politikmagazin "Federalist" hat James Damores Klageschrift 19 irrsinnige Aspekte über die Firmenkultur bei Google entnommen, die von Damore nicht nur behauptet, sondern durch Screenshots etc. auch belegt werden. Ich stieß auf diesen Artikel durch ein Facebook-Posting eines Bekannten (kein Männerrechtler), der den Inhalt des Beitrags treffend so zusammenfasst:

Es scheint, als ob Google eine extrem bedrückende Arbeitsumgebung bietet, in der jede Abweichung vom Gruppendenken mit Ächtung, Fertigmachen und Androhung körperlicher Gewalt bestraft wird. Ich schätze, dass "Don't be evil" kein Ersatz für eine tatsächliche ethische Philosophie ist.




6. In den neunziger Jahren hat die US-amerikanische Journalistin Katie Roiphe einige exzellente Beiträge über die damals schon überbordende Hysterie wegen angeblich allgegenwärtiger sexueller Gewalt an Universitäten veröffentlicht. Inhalte ihres ausgezeichneten Werkes The Morning After: Sex, Fear, and Feminism gingen auch in mein eigenes 2001 erschienenes Buch "Sind Frauen bessere Menschen?" ein. Natürlich gab es damals einigen feministischen Furor gegen Roiphe, die sich danach erst mal zwei Jahrzehnte lang anderen Themen widmete. Die aktuelle Sexualhysterie scheint sie indes zu einer erneuten Beschäftigug damit inspiriert zu haben – und die feministischen Attacken auf Roiphe beginnen, noch bevor diese ihre Meinung dazu veröffentlicht hat.

Näheres berichtet Brendan O'Neill, der Herausgeber des liberalen Magazins Sp!ked:

Schauen Sie sich an, was mit Katie Roiphe in den letzten 48 Stunden passiert ist. (...) Sie ist derzeit das Ziel eines höchst außergewöhnlichen Twittersturms - eine tobende Wut nicht über etwas, das sie gesagt hat, sondern über etwas, von dem die Leute denken, dass sie es in einer zukünftigen Ausgabe es Magazins "Harper's" sagen wird. Wir haben Precrime gehabt; das hier ist die Vorzensur, die gewaltsame Bestrafung eines Autors für das, was er irgendwann aussprechen könnte.

Die Twitterati hörten raunen, dass Roiphe in einem März-Feature für "Harper's" die Frau nennen wird, die für die "Shitty Media Men"-Liste verantwortlich ist, eine Art informelle schwarze Liste von Journalisten und Redakteuren, die sich angeblich schlecht gegenüber Frauen benehmen. Und sie wurden wütend. Sie sagten, dass dieser Artikel den Verfasser der Shitty Media Men-Liste gefährden würde.

Lassen wir mal beiseite, dass es völlig legitim und im öffentlichen Interesse ist, zu enthüllen, wer diese gruselige Liste erschaffen hat, zu der jeder anonym den Namen eines Medienmannes hinzufügen kann, von dem er behauptet oder denkt, dass er sich an sexuellem Fehlverhalten beteiligt hat. Wenn die Unterstützer einer solchen Hexenjäger-Liste, die von Gerüchten und Beschimpfungen geprägt ist, jetzt gegen jemanden wüten, der es wagen soll, den Schöpfer dieser Liste zu benennen, ist das natürlich urkomisch und zeigt glasklar die Doppelmoral, die Attitüde besonderer Vorrechte und die hässliche Missachtung ordnungsgemäßer Verfahrens bei den Chef-Anprangerern von #MeToo.

Sachdienlicher ist, dass Roiphe öffentlich beschämt wird und zum Schweigen gebracht werden soll von Frauen, die behaupten, sie wollen, dass die Stimmen der Frauen gehört werden. Aber nicht Roiphes Stimme, wie es scheint; nicht diese Schlampe; macht sie nieder. Die Ausgießung des Hasses auf Roiphe war erstaunlich, selbst bei den niedrigen Standards der Twitter-Debatte und der virtuellen Intoleranz im 21. Jahrhundert. Die "Guardian"-Feministin Jessica Valenti hat Roiphe flott das angetan, was sie Männern vorwirft, weiblichen Journalisten anzutun: Sie versuchte, sie zum Schweigen zu bringen. Valenti beschrieb den Artikel, den Roiphe Gerüchten zufolge schreiben würde, als "zutiefst beschissen" und "unglaublich gefährlich" und twitterte die Telefonnummer des "Harper's"-Magazines, so dass die Leute die Redaktion dahingehend behelligen konnten, die Arbeit dieser Hexe nicht zu veröffentlichen. Sady Doyle, eine Autorin der "Elle", hat Roiphe als"Pro-Vergewaltigung" gebrandmarkt, was wirklich nur Böses bedeutet, Hexenhaftes. Ein Autor des feministischen Magazins "Bustle" fragte sich, ob "Katie Roiphe" ein Pseudonym ist, das von einer Gruppe 65-jähriger Männer geteilt wird, denn jede Frau, die mit uns nicht einverstanden ist, muss ein Mann sein, nicht wahr? Genauso wie jede schwarze Person, die republikanisch oder konservativ wählt, eine "Kokosnuss" ist.

Andernorts wurde Roiphe als "Onkel Tom" des Geschlechterkampfes gebrandmarkt, als "Müll", als "Miststück", natürlich, als "Dämon" und als "Gefahr" für gute Feministinnen, die Männer einfach weiter kriminalisieren wollen, ohne den Nutzen von archaischen Dingen wie einem ordentlichen Verfahren oder einer gerichtlichen Untersuchung. Und all das kam von Frauen: von Frauen, die sich als frauenfreundlich ausgeben. Die Schriftstellerin Nicole Cliff ermutigte sogar Autoren, ihre Beiträge bei "Harper's" zurückzuziehen, und bot ihnen an, sie dafür zu bezahlen - ein expliziter Versuch, den redaktionellen Druck auf "Harper's" zu erhöhen, Roiphes Artikel zu verhindern, die böse Hexe zum Schweigen zu bringen. Fünf Autoren zogen tatsächlich Beiträge bei "Harper's" zurück. Selbstzensur um eine Frau zu zensieren, die mit den Mainstream-Feministinnen nicht einverstanden ist - was für ein jämmerliches Spektakel.

Nach all dem, nach all diesen Scheinprozessen gegen Roiphe, stellte sich heraus, dass ihr Artikel den Namen des Verfassers der Shitty Media Men-Liste gar nicht enthalten wird! Die Wut gegen sie, die ganze Hexenjagd, basierte auf einem Gerücht, auf Furcht, und enthüllte die fieberhafte, geradezu vormoderne Natur so vieler heutiger Wutausbrüche gegen Menschen mit abweichenden Meinungen. Gott sei Dank leben wir nicht mehr im sechzehnten Jahrhundert - Roiphe wäre schon tot, bevor wir entdeckten, dass sie die sündigen Worte gar nicht ausgesprochen hatte, die der Mob ihr unterstellte.

Aber noch hässlicher als die faktenarme Natur des Anti-Roiphe-Fanatismus war seine Frauenfeindlichkeit, seine bizarr feministisch-frauenfeindliche Haltung. Sehen Sie: Roiphe leidet – wie jede andere Frau, die den neuen Opferfeminismus kritisiert – unter "internalisierter Frauenfeindlichkeit". Diese zutiefst bevormundende Idee besagt, dass Frauen ihren eigenen Verstand nicht wirklich kennen und leichte Beute für die angeblich frauenfeindliche Kultur sind, die sie umgibt. Es wird befürchtet, dass ihre zierlichen Gehirne sich selbst hassen, wenn sie zu sehr dieser Kultur ausgesetzt werden, so wie viktorianische Männer sich Sorgen machen, dass viktorianische Frauen ohnmächtig werden oder sterben, wenn sie einen unverschämten Brief lesen oder einen Arbeiter "fuck" sagen hören". Das Gleiche gilt für Frauen, die für Trump gestimmt haben, die ein feministischer Kolumnist mit Sklaven verglich, die die Kissen des Schaukelstuhls ihres Meisters aufschütteln. Das ist eines der frauenfeindlichsten Dinge, die ich in der Mainstream-Presse seit Jahren gelesen habe.


In den folgenden Absätzen erwähnt Brendan O'Neill, dass auch die hundert Französinnen, die MeToo kritisierten, dafür prompt von Feministinnen aufs Übelste angegriffen wurden. Das stellt einen allgemeinen Trend dar. Diese Woche etwa sei auch die Schauspielerin Blanca Blanco unter Beschuss genommen worden, weil sie es wagte, zur Verleihung der Golden Globes ein rotes Kleid zu tragen, während das feministische Lager ganz in Schwarz aufkreuzte, um auf eine angebliche Unterdrückung von Frauen aufmerksam zu machen.

Wie können Frauen es wagen, das zu tragen, was sie wollen? Oder ihre Meinung äußern? Im Ernst, können sich diese Feministinnen, die gegen "schlechte Frauen", freimütige Frauen, schwierige Frauen, wüten, selbst hören?

Wir beginnen jetzt zu sehen, dass #MeToo keine Pro-Frau-Bewegung ist. Es handelt sich um eine stark politisierte Kampagne, die von gut vernetzten Frauen in Kultur und Medien getragen wird – Frauen, die davon profitieren und ihren vermeintlichen Opferstatus um jeden Preis aufrechterhalten müssen, weil er für sie sowohl in Bezug auf ihre Karriere als auch in Bezug auf ihre moralische Autorität in der öffentlichen Diskussion eine Hebelwirkung hat. Deshalb antworten sie mit solch unversöhnlicher, frauenfeindlicher Wut auf jede Frau, die sie in Frage stellt - denn diese Frauen, diese Emporkömmlinge, diese schwierigen Geschöpfe drohen, die Opferpolitik zu entwirren, die für eine kleine, aber einflussreiche Gesellschaftsschicht von heute so vorteilhaft ist. Und so müssen diese Frauen zum Schweigen gebracht werden, ausgestoßen, als "beschädigt" abgeschrieben und nicht wert sein, dass man ihnen zuhört. Seien wir einfach dankbar, dass es die Irrenanstalten, in denen solche freidenkerischen Frauen einst entsorgt worden wären, nicht mehr gibt.


(Nachtrag um 9:54 Uhr: Ich sehe gerade, Don Alphonso hat auch schon über diese Hexenjagd geschrieben.)

kostenloser Counter