Julia Steinberg: "Warum meine Generation Juden hasst"
Normalerweise versuche ich Genderama von Off-Topic-Beiträgen frei zu halten. Wenn man einmal damit angefangen hat, gibt es keine klaren Linien mehr, und man gerät in die Gefahr, bald über alle erdenklichen Themen zu bloggen, die gerade wichtig sind. Aufgrund der aktuellen Bedrohung durch den wachsenden Antisemitismus in unserer Gesellschaft mache ich aber diesmal eine Ausnahme, zumal auch heute der tägliche geschlechterpolitische Blogartikel nicht durch diesen Beitrag ersetzt wird, sondern es sich hier um einen zusätzlichen Bonus-Beitrag handelt.
Nicht zuletzt glaube und hoffe ich, dass der Beitrag, für dessen Übersetzung ich mich entschieden habe, von Thema und Aussage so gehalten ist, dass die meisten Leser dieses Blogs damit etwas anfangen können, auch wenn er die Geschlechterdebatte lediglich kurz streift und in erster Linie versucht, die Gründe für den Antisemitismus in meinem eigenen linken Lager zu ergründen, wo Hass auf Juden besonders befremdlich erscheinen, weil sich dieses Lager sonst gern gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit engagiert.
Der von mir ausgewählte Artikel wurde bei "The Free Press" veröffentlicht, wo man zur aktuellen Debatte viele weitere lesenswerte Texte von brillanten Autoren findet, etwa "The Hatred on Our Doorsteps" von Bari Weiss und Oliver Weismann sowie "The Ultimate Condescension Toward Palestinians" von John McWorther. Die Redakteure von "The Free Press" sagen von sich selbst, dass sie "Ideale vertreten, die früher der Grundstein des amerikanischen Journalismus waren" – "a free press for free people". Hier wird ein wenig gegen den Mainstream geschrieben, ob von rechts oder von links.
Verlinkungen zu Belegstellen findet ihr im englischen Original. Zwei Links habe ich in meine Übersetzung eingefügt, damit jeder verstehen kann, was mit den zitierten Slogans überhaupt gemeint ist.
Ich gebe ab an Julia Steinberg:
Ich bin 21 Jahre alt und Jüdin. Anscheinend wollen 48 Prozent meiner Altersgenossen Leute wie mich tot sehen.
Am 23. Oktober waren 64 Prozent der 18- bis 24-Jährigen der Meinung, dass es sich bei den Ereignissen vom 7. Oktober um einen Terroranschlag handelte. Siebenundsiebzig Prozent von uns denken, "dass es wahr ist, dass Hamas-Terroristen 1.200 israelische Zivilisten getötet haben, indem sie sie erschossen, vergewaltigt und enthauptet haben, darunter ganze Familien, Kinder und Babys". Aber auf die Frage: "Sind Sie in diesem Konflikt eher auf der Seite Israels oder der Hamas?" …
… sagten achtundvierzig Prozent: Hamas.
Ich bin nicht überrascht.
In der High School hatten wir in meiner Klasse eine Übung, bei der wir ein T-Diagramm erstellten, in dem wir verschiedene Ethnien, Religionen und andere Identitäten in die Kategorien "Unterdrücker" und "Unterdrückte" einteilten. Frauen: unterdrückt. Heterosexuelle Menschen: Unterdrücker. Schwarze Menschen: unterdrückt. Dann kamen wir zur Kategorie "Jude". Und wir hielten inne. Da dies eine High School in Los Angeles war, waren viele meiner Klassenkameraden Juden. Ich erinnere mich, dass wir es ganz übersprungen haben. Aber das T-Diagramm blieb an der Tafel.
Wären weniger Juden in diesem Raum gewesen, wäre "Juden" sicher in die Spalte "Unterdrücker" gerutscht.
Die "Social-Justice"-Theorie wurde Teil von allem. In meinem Englischkurs in der Oberstufe ging es nicht um große Literatur, sondern um die Lektüre kritischer Theorien, hauptsächlich über "Race" und "Gender". Ich hatte eine nicht-akademische wöchentliche Hausaufgabenstunde, in der wir lernten, dass jeder Weiße ein Rassist ist und alle Männer böse sind. Es hat lange gedauert, bis ich meinen Hass auf Männer abgelegt hatte. Es war gesellschaftlich nicht akzeptabel, anderer Meinung zu sein, und niemand hat es wirklich versucht.
An meiner High School gab es eine Dekanin für Gender Studies und Feminismus. Damals bestand eine ihrer Aufgaben darin, Abschlussschülern beim Schreiben ihrer College-Bewerbungen zu helfen. Als Antwort auf die Frage "Was ist die größte Herausforderung, der sich die Gesellschaft heute gegenübersieht?" schrieb ich, es sei die Identitätspolitik. Sie gab mir einen Zettel, auf dem stand, dass ich damit die Errungenschaften der Bürgerrechtsbewegung ablehnte. Ich änderte es.
Ich sehe den größten Teil des Erwachsenwerdens in der Akzeptanz von Grauzonen. Aber die Generation Z verehrt diese Identitätskategorien und die Unterscheidung zwischen Unterdrückern und Unterdrückten. Ich weiß, dass das wahr ist - ich bin jeden Tag damit konfrontiert. Der Unterdrücker hat immer Unrecht, und die Unterdrückten haben immer Recht. Seit der Highschool werden wir darauf trainiert, Menschen allein aufgrund ihrer Identität zu identifizieren und einzuordnen.
Hier haben Sie Intersektionalität.
Die Bejubelung der Hamas durch Menschen meines Alters auf dem amerikanischen College-Campus mag für ältere Menschen schockierend sein. Aber mich schockiert es nicht. Die meisten meiner Altersgenossen beantworten soziale Fragen einstimmig. An meinem College-Campus wurde die winzige Gruppe von Leuten, die öffentlich die Aufhebung des Abtreibungsurteils "Roe v. Wade" feierte, gnadenlos verspottet.
Und so kann auch der Massenmord einer Terrorgruppe an unschuldigen Juden - Babys, Großmüttern, ganzen Familien - das manichäische Glaubenssystem meiner Generation nicht überwinden. Juden sind die Schlimmsten, und am 7. Oktober ging es um gerechtfertigte Rache.
Ich bin Studentin in Stanford. In meinem ersten und zweiten Studienjahr wohnte ich in einem Wohnheim mit der einzigen Mensa, die koscheres Essen serviert. Letzten Winter stellte ein jüdischer Student in meinem Wohnheim fest, dass ein Porträt von Hitler an seine Tür gemalt worden war. Mein Freund war der Wohnheims-Betreuer, der das melden musste. Der Verursacher wurde nie gefunden.
Kurz darauf wurden Hakenkreuze in die Toiletten auf dem Hauptplatz geritzt.
In meinem ersten Studienjahr nahm ich an einem Programm von Great Books teil: Structured Liberal Education (SLE). Die Wochen erhielten von den Studenten Titel wie Plato-Woche, Marx-Woche, Holocaust-Woche. (Kein Scherz.) Im dritten SLE-Quartal hatten meine Klassenkameraden und ich das Glück, tief in die Ideologien einzutauchen, die unsere heutige Situation geprägt haben, eine Tour durch die großen Bücher der letzten 200 Jahre. Ich erinnere mich an ein Gespräch, in dem ich während der "Fanon-Woche" (in der der "antikoloniale" Held Frantz Fanon gefeiert wird) niedergemacht wurde, weil ich meinte, dass die Billigung von Gewalt unter dem Deckmantel der "Dekolonisierung" böse Folgen haben könnte. Ich war die einzige Person, die Marx in meiner Diskussionsgruppe vehement widersprach. In einem Moment der Schwäche gab ich mich während meiner mündlichen Prüfung als Kommunistin aus, um meine Note zu retten.
In einer anderen Sektion während der "Holocaust-Woche" im Frühjahrsquartal, in der wir Arendts "Eichmann in Jerusalem" und Primo Levis "Überleben in Auschwitz" lasen, hielt ein Student einen Vortrag darüber, dass der Zionismus der neue Nationalsozialismus ist und die Israelis die neuen Nazis sind. Er wählte diese spezielle Woche für seinen Vortrag aus. Ein chinesischer Schüler diskutierte mit dem Vortragenden, aber das war's auch schon. Der Unterricht ging weiter wie gehabt.
Dies ist nur mein kleiner Teil der Generation Z. Die Generation Z, die aus den Jahrgängen 1997 bis 2013 besteht, macht ein Fünftel der amerikanischen Bevölkerung aus. Nicht alle von uns gehen - Gott sei Dank - auf Eliteuniversitäten, wo die Besessenheit von den so genannten "Unterdrückten" unser intellektueller Nordstern ist. Aber die große Mehrheit von uns ist mit Instagram und Twitter aufgewachsen - unsere Ideen haben die Länge von Tweets und die Größe von Infografiken. Und das Schema Unterdrücker/Unterdrückte ist wie für uns gemacht.
Nachdem ich einen Thread auf X/Twitter gesehen hatte, in dem es darum ging, dass TikTok - die bevorzugte Suchmaschine von etwas mehr als der Hälfte der Generation Z - eine Echokammer für extrem israelfeindliche Beiträge ist und wie der Algorithmus pro-palästinensische Inhalte fördert, habe ich die App zum ersten Mal seit Covid wieder heruntergeladen, um zu sehen, wie schlimm es wirklich ist.
Bei meinem erneuten Streifzug durch TikTok wurde ich daran erinnert, wie meine Freunde und ich in der App den Untergang heraufbeschworen. Durch Osmose plapperten wir gedankenlos die gleichen Argumente nach, die uns in dreißigsekündigen Videos serviert wurden. Dieselben Bücher zur kritischen Theorie, die wir gelesen hatten und in denen es um "Dekolonisierung" und "Widerstand" ging, waren in das perfekte Format destilliert worden: das Erklärvideo.
Als ich wieder eintauchte, wurde ich wachgerüttelt, wie unheilvoll dieser Informationsfluss geworden ist. (Es ist erwähnenswert, dass TikTok dem chinesischen Unternehmen ByteDance gehört).
Innerhalb der ersten Minute, in der ich auf TikTok nach "Zionismus" suchte, sah ich ein Video mit dem Titel "Zionism Explained" (Zionismus erklärt), das über 125.000 Mal aufgerufen wurde. Darin wird behauptet, dass es den Juden von Gott verboten ist, einen eigenen Staat zu haben, wobei die Tatsache, dass der Staat Israel säkular ist, völlig ignoriert wird. "Wie hat das angefangen? Gehen wir zurück ins Jahr 1897", heißt es in dem Video. Aber die jüdische Geschichte in Israel begann vor Tausenden von Jahren, nicht 1897.
Als ich auf TikTok nach "Geschichte" suchte, erklärte mir und über 80.000 Zuschauern eine Frau mit dem Filter "süße Sommersprossen und Wimpern", dass die Juden in "der größten Verschwörung des Jahrhunderts" die "Tragödie ihrer Vorfahren benutzen, um einen weiteren Holocaust zu rechtfertigen und zu verursachen".
Als ich am Mittwoch zu einer Pro-Palästina-Kundgebung in Stanford ging und eine Kommilitonin fragte, was sie meinte, als sie "from the river to the sea" skandierte, sagte sie, nachdem sie zugegeben hatte, dass sie sich mit dem Thema nicht auskenne, dass Palästina vom Tigris (im Irak) bis zum Schwarzen Meer (nördlich der Türkei) frei sein müsse. Obwohl diese Studentin keinen Sinn für Geografie hat, fordert sie, dass das Land vom Jordan bis zum Mittelmeer nicht mehr den Staat Israel beherbergen soll. Es ist eine eliminatorische Parole.
Eine ähnliche Botschaft sah ich kürzlich in einem Café außerhalb des Campus, als ich an einem Mädchen vorbeiging, auf dessen Laptop ein frisch aufgeklebter Aufkleber mit den Worten "By Any Means Necessary" über einem Umriss Israels prangte. Es sind noch keine drei Wochen seit dem 7. Oktober vergangen, und schon häufen sich diese oberflächlichen Aufkleber, die für Völkermord werben und sich an meine Generation richten.
Eine neue Achse des Bösen - Big Tech, Social-Media-Unternehmen und China - hat sich die einstige Randposition zu eigen gemacht, dass Juden kein Heimatland verdienen, und propagiert nun die Idee ihrer Massenabschlachtung mittels schlampiger Animation und schöner Frauen, die "Erklärvideos" moderieren. Und es sickert auch auf T-Shirts und "niedliche" Laptop-Aufkleber.
Es ist cool, Hass zu verbreiten.
Meine jüdischen Eltern, denen das Herz bricht, wenn sie hören, was ich an der Uni durchmache, haben alles getan, damit mein Bruder und ich diese vereinfachte, schreckliche Denkweise ablehnen. Aber sie können nichts daran ändern, dass an der High School meines kleinen Bruders auch Ideologie mit T-Charts gelehrt wird. Ich bezweifle, dass seine Lehrer oder Mitschüler verstehen wollen, dass kein T-Diagramm erklären kann, warum ihm und seinen jüdischen Freunden schlecht wird, wenn sie Slogans sehen, die ihren Tod fordern.
Siehe dazu auch: "USA: Antisemitismus an Elite-Unis" (zweiminütiges ZDF-Video).
Als Buch zum Weiterlesen: Judenhass Underground: Antisemitismus in emanzipatorischen Subkulturen und Bewegungen.
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