Dienstag, Juni 13, 2023

Erste Leitmedien merken, wie unwissenschaftlich die "Männerstudie" ist

1. Es sind nicht alle Leitmedien so stockdoof vor Männerhass geworden wie "Zeit" und "Spiegel", wie FAZ und "Welt", wie "heute" (ZDF) und Tagesschau/Tagesthemen (ARD). Nachdem zuerst nur Genderama über den Irrsinn berichtete, der mit der vermeintlichen "Männerstudie" verbunden war, haben jetzt auch weitere Leitmedien genauer hingesehen, bevor sie gedankenlos sexistischen Unfug in ihre Tasten gehämmert haben. ("Die anderen bringen's doch auch!")

Vorbildlich gründlich erklärt einmal mehr die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) den Sachverhalt:

Nachdem die Zeitungen der Funke-Mediengruppe am Morgen exklusiv über die Umfrage "Spannungsfeld Männlichkeit" berichtet hatten, zogen die meisten Medien schnell nach. Die Zahlen waren zu spektakulär, als dass sie hätten ignoriert werden können. Hinterfragt wurden sie allerdings auch nicht.

Der Vorgang zeigt, wie problematisch der Umgang vieler Medien und der Politik mit sogenannten repräsentativen Studien aus einem nichtwissenschaftlichen Kontext ist. Denn: Bis zum Sonntagmittag war die Studie noch nicht auf der Website von Plan veröffentlicht, trotzdem hatten Nachrichtenagenturen und Zeitungen darüber berichtet. Im Indikativ. Nun, nach der Veröffentlichung der gesamten Umfrage, bleibt zweifelhaft, wie "repräsentativ" die Ergebnisse sind.

In einer Fussnote der Plan-Befragung über die Methodik ist zu lesen, dass tausend Männer und Frauen aus einem sogenannten Online-Access-Panel befragt worden seien. Bereits hier sind Zweifel angebracht, wie Ulrich Kohler, Professor für empirische Sozialforschung an der Universität Potsdam, im Gespräch mit der NZZ sagt.

Marktforschungsunternehmen stellen diese Panels meist aus Personen zusammen, die sich freiwillig online dazu bereit erklären, an vielen Umfragen des Instituts teilzunehmen. "Das Hauptproblem ist dieser erste Schritt", sagt Kohler. Denn Teilnehmer von Online-Access-Panels seien Menschen, die zunächst Medien läsen, in denen Umfrageaufrufe publiziert würden. Danach entschieden sie sich dazu, an der Umfrage teilzunehmen, und sie seien letztlich dazu bereit, sich für weitere Umfragen zu registrieren. "Auf jeder dieser Stufen werden die Menschen, die teilnehmen, spezieller und unterscheiden sich in bestimmten Merkmalen von der deutschen Durchschnittsbevölkerung."

Es sei unter diesen Bedingungen vollkommen irrelevant, wie viele Menschen für die Studie ausgewählt worden seien. Wichtig sei vielmehr, wie sie ausgewählt worden seien, meint Kohler. "Aus meiner Sicht ist es problematisch, dass die Personen für diese Umfrage von Anfang an nicht zufällig, sondern nach einem Selbstselektionsprozess ausgewählt wurden."

Kohler kritisiert auch die Verwendung des Attributs "repräsentativ" im Zusammenhang mit der Befragung. Im Forschungskontext würde es nur noch selten verwendet werden, da die Bedeutung längst verwässert sei. "Das Problem ist, dass die Leser bei ‹repräsentativ› eigentlich etwas im Kopf haben, was aber diese Umfrage sicherlich nicht einhält." Tatsächlich sei das Risiko einer maximalen Verzerrung bei Umfragen mit einer solchen Selektion "sehr, sehr erheblich".

(…) Noch am Sonntagabend sagte die grüne Familienministerin Lisa Paus im Fernsehen, dass diese Einstellungen erschreckend seien. "Weil wir wissen, dass aus entsprechenden Einstellungen auch Taten werden."

(…) Zweifelhafte Umfrageergebnisse erhalten durch die Medien eine hohe Reichweite, woraufhin die Politik handelt. NGO bemerken den politischen Erfolg und geben die nächste Umfrage in Auftrag. Auch Plan International wurde für diesen Artikel von der NZZ für eine Stellungnahme angefragt. Die Organisation hat bisher nicht geantwortet.

Der Sozialforscher Ulrich Kohler kritisiert den Umgang der Medien mit solchen Umfragedaten: "Ich bin der Ansicht, dass für Umfrageergebnisse im Mittelpunkt der Öffentlichkeit die höchsten Massstäbe gelten sollten. Das ist hier sicher nicht der Fall gewesen."


Auch der Deutschlandfunk lässt sich nach anfänglich naiver Berichterstattung nicht länger für dumm verkaufen:

Welche Persönlichkeitsmerkmale und Einstellungen die befragten Personen auszeichneten und ob sie damit repräsentativ für die deutsche Bevölkerung stehen, wurde (…) nicht berücksichtigt. Die Daten lieferte ein Marktforschungsinstitut aus Düsseldorf, das sich auf Online-Befragungen spezialisiert hat. Es unterhält ein eigenes Panel, also eine Datenbank mit möglichen Umfrageteilnehmenden, die laut eigener Webseite per Online-Werbung, Mail-Listen, Zeitungsannoncen und Telefon angeworben werden. Für ihre Teilnahme hätten die Befragten eine kleine Geldsumme bekommen, sagt Marktforscher Preis.

Die Statistikerin Sabine Zinn zweifelt deswegen an der Aussagekraft der Erhebung. Sie verantwortet am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung die Methodik hinter dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) – eine wissenschaftliche Panelstudie, für die jährlich etwa 30.000 Menschen befragt werden. Entscheidend sei, wie Teilnehmende einer Befragung rekrutiert würden, erklärt Zinn dem Deutschlandfunk gegenüber.

Beim SOEP werden die Teilnehmenden von dem Forschungsteam gezielt kontaktiert, basierend auf einer Zufallsstichprobe, die die Bevölkerung repräsentativ abbildet. Befragungsteilnehmer über Online-Banner, Newsletter oder Zeitungsanzeigen zu rekrutieren, führe hingegen dazu, dass sich vor allem Menschen mit hohem Mitteilungsbedürfnis melden – und das sei ein Persönlichkeitsmerkmal, so Zinn: "Dann melden sich nämlich sehr wahrscheinlich die, die etwas zu sagen haben." Das könne zu großen Verzerrungen führen.

"Fakten wie zum Beispiel die Farbe des eigenen Autos kann man mit so einem Umfragedesign vermutlich relativ gut erfassen", erklärt die Statistikerin. Das gelte aber nicht für Einstellungen, wie sie die Untersuchung zu Männlichkeitsbildern abgefragt habe. Und noch etwas betont die Expertin: Wenn bei einer Umfrage der Migrationshintergrund nicht berücksichtigt werde – wie bei der vorliegenden Befragung – fehle bei einem Thema wie Männlichkeitsbildern ein relevanter Aspekt.

(…) Die größte deutsche Nachrichtenagentur, die dpa, verzichtete allerdings auf Berichterstattung. dpa-Nachrichtenchef Froben Homburger sagte dem Dlf auf Anfrage: "Es ließen sich zentrale offene Fragen unter anderem zur Methodik der Erhebung und zur Validität der Daten nicht klären. Daher haben wir uns am Wochenende gegen eine Berichterstattung entschieden."


In einem weiteren Beitrag des Deutschlandfunks heißt es:

Bei Online-Befragungen sieht [Professor Menno Baumann] Grund zur Skepsis – etwa weil diese "gekapert" worden sein könnten, also der Link zur Umfrage innerhalb einer "Blase" gleichgesinnter Menschen mehrfach geteilt worden sein könnte. In dem Bericht zur Studie seien die Aussagen zur Methodik dünn, die Darstellung des Zugangs zur Umfrage fehle, bemängelte der Professor an der Fliedner-Fachhochschule Düsseldorf.


Die Berliner Zeitung hat zuletzt ebenfalls gemerkt, wie der Hase läuft:

Eine Umfrage macht seit gestern in den deutschen Medien die Runde. ZDF, "Tagesschau", Frankfurter Allgemeine Zeitung, Focus Online, Die Zeit und auch die Berliner Zeitung. Wo man auch hinguckt, findet sich die erschreckende Schlagzeile: "Ein Drittel der jungen Männer findet Gewalt an Frauen akzeptabel." Die "Tagesschau" nennt die Ergebnisse sogar ein "traditionelles Rollenbild" der jungen deutschen Männer. (…) Das Ergebnis ist furchteinflößend: 34 Prozent der Befragten haben angegeben, dass sie gegenüber Frauen schon mal handgreiflich werden. 52 Prozent seien der Meinung, dass ihre Partnerin für die Hausarbeit zuständig wäre. 48 Prozent der Befragten störten sich zudem daran, wenn Männer ihr Schwulsein in der Öffentlichkeit zeigen.

(…) Was einigen Lesern sofort aufgefallen ist: Als die Umfrage veröffentlicht wurde, konnte man sie online gar nicht aufrufen, um die Statistiken zu vergleichen. Die Redakteure der "Tagesschau" bezeichneten zudem die Umfrage als "Studie". Der Begriff wurde dann rasch verändert, ohne dass dieser Vorfall in einer angemessenen Anmerkung der Redaktion erwähnt wurde. "Der Online-Artikel wurde präzisiert und auf der Korrekturenseite vermerkt", antwortete der Norddeutsche Rundfunk auf Anfrage der Berliner Zeitung.

(…) Die Zeit zumindest fügte am Ende eines Artikels einen Hinweis hinzu und erklärte, dass die erste Version sich auf "Nachrichtenagenturen und andere Medien" bezog. Deswegen änderte die Hamburger Zeitung einige Formulierungen. In der Anmerkung steht jedoch: "Nun liegt uns die komplette Studie selbst vor." Das es sich dabei um eine Umfrage handelt, haben die Redakteure der Zeit offensichtlich immer noch nicht verstanden.

(…) Genau in dem Moment, als die Vorwürfe gegen Till Lindemann große Wellen schlugen, erschien eine Umfrage, die das gewalttätige Wesen junger Männer in Deutschland zu belegen scheint. Das passte. Vielleicht hinterfragten Medien auch deshalb die wissenschaftlichen Grundlagen der Erhebung nicht. Mit Journalismus hat das aber wenig zu tun und mit Wissenschaft sowieso nichts.


Einer meiner Leser schreibt mir zu der Medienpleite folgendes

"Merkwürdigerweise" ist beim Spiegel der Kommentarbereich zum Artikel mit mit den zahlreichen Zweifeln an der "Studie" über Nacht verschwunden. Zufälle gibt es…


Inzwischen berichtet Spiegel-Online über die Kritik an der "Studie": jetzt allerdings hinter einer Bezahlschranke!

Die Berliner "taz" befindet:

Doch selbst wenn die Plan-Studie nicht seriös wäre, das Männerproblem bleibt.


Der taz-Autor zieht das Fazit, man müsse den Feminismus "den anderen auch mal auf der Straße ins Gesicht schreien, uns unbeliebt machen." Ja, das ist wohl das, woran unsere Gesellschaft und die politische Debatte am meisten leiden: Der Gesprächspartner wird viel zu wenig angeschrien … (Immerhin sind mehrere Kommentare unter dem Artikel vernichtend: "Wo ist das denn Journalismus?")

Auch "Die Zeit" schafft es, sich einerseits zu korrigieren, andererseits aber am wohlfeilen Männerbashing festzuhalten:

Rainer Schnell, Inhaber des Lehrstuhls für Empirische Sozialforschung an der Universität Duisburg-Essen, beschreibt das so: "Wenn Sie aus Angaben zu Bildungsgrad, Wohnort und ähnlichen Merkmalen nachträglich eine Zufallsstichprobe erstellen wollen, aber die Befragung dann nur an eine Mailingliste von Männern schicken, die sich vorher für Muskelaufbaupräparate interessiert haben, dann ist das keine Zufallsstichprobe mehr." Schnell sagt: "Das ist, als würde man aus einem Rührei ein Huhn brüten wollen."

Martin Rettenberger von der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden unterstützt die Kritik an der Methodik: "Schon eine in Nuancen anders gestellte Frage kann zu massiven Abweichungen in den Antworten führen", sagt er. Er weist auch auf die Wichtigkeit der Unterscheidung zwischen Einstellung und Verhalten hin: Dass jemand einer Aussage zustimme, bedeutet noch nicht, dass er auch entsprechend handeln werde. Einige Ergebnisse aus der Umfrage hätten ihn erschrocken, er sehe darin allerdings noch weiteren Forschungsbedarf. Die Umfrage hat also eher die Qualität von Familien-Duell als die einer seriösen Studie.


Daraufhin schlägt der "Zeit"-Artikel jedoch eine Volte und lässt Katja Grieger vom Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe in Deutschland zu Wort kommen. Die befindet, "häusliche Gewalt von Männern gegen Frauen habe fast immer etwas mit Ausübung von Macht zu tun. Frauen treffen in fast allen Lebensbereichen auf patriarchale Strukturen und dort, wo diese angekratzt werden, wird es besonders riskant." Acht von zehn Opfern von Beziehungsgewalt seien Frauen. (Hunderte internationaler Studien und mehrere Fachbücher weisen nach, dass das ähnlicher Unfug ist wie die Pseudo-Studie von Plan und Männer ähnlich häufig Opfer häuslicher Gewalt werden wie Frauen. Von der "Zeit" werden Sie das nie erfahren.)

Zwischenfazit: Gestern kam ich mir – vor allem als halb Twitter wegen dieser Berichterstattung durchknallte – mal wieder so vor, als müsste ich mit bloßen Händen eine Sturmflut wegschöpfen. Dass jetzt immerhin drei aufklärende Beiträge erschienen sind, lässt wenigstens hoffen, dass die Gegen-Aufklärung und die Naivität, mit der Menschen auf Feindbilder hereinfallen, nicht völlig chancenlos sind. Leider werden bei den meisten Menschen die männerfeindlichen Klischees hängenbleiben und alle, die sie richtigstellen, als "dumme Männerrechtler" wahrgenommen werden. Auch die "Tagesthemen" dürften keine Richtigstellung senden. Aaber durch das Netz verbreitet sich die Wahrheit zumindest zum Teil.

Nicht zuletzt ist aus der "Männerstudie" eine verdeckte Politikerstudie geworden. Mit ihrer Hilfe konnte man nämlich erkennen, welche Abgeordneten dumm oder opportunistisch genug waren, auf diese vermeintliche Gelegenheit als Trittbrettfahrer draufzuspringen und die "Erkenntnisse" der Studie offenbar gedankenlos für bare Münze zu nehmen, statt sie zu hinterfragen. Folgende Leute haben sich entsprechend blamiert und damit gezeigt, wie entrückt sie ihren männlichen Mitbürgern inzwischen sind:

Friedrich Merz (CDU)

Nancy Faeser (SPD)

Marco Buschmann (FDP)

Bettina Stark-Watzinger (FDP)

und selbstverständlich auch das Bundesforum Männer.



Ich gebe hier keine Garantie auf Vollständigkeit und bin gerne bereit, diese Liste nach entsprechenden Hinweisen zu ergänzen. Man hat selten die Chance, Leute in Machtpositionen als das kenntlich zu machen, was sie sind, ohne eine Anzeige wegen Beleidigung oder Hausdurchsuchung befürchten zu müssen.

Die Pseudo-Studie ist heute auch Thema bei Christian Schmidt.



2. Toxische Weiblichkeit: In Niederösterreich sperrte eine Frau ihren Sohn in eine Hundebox und quälte ihn fast zu Tode. Der damals Zwölfjährige überlebte die Tortur nur knapp und fiel ins Koma. Dass die meisten Kindesmisshandlungen von Müttern begangen werden, wird trotzdem nicht zum Thema. Und es schreibt erst recht keine Zeitung: "Das Frauenproblem aber bleibt."



3. Inzwischen hat sich auch die Moderatorin Verona Kerth zu den Vorwürfen gegen den Rammstein-Sänger Lindemann geäußert:

"Ich kenne Till seit vielen Jahren. Er würde Frauen nie schlecht behandeln. Er ist ein super höflicher und zuvorkommender Mann. Ich kann mir nicht vorstellen, dass an den Vorwürfen etwas dran ist. Das ist doch absurd."




4. Am bekanntesten ist wohl Chat GTP, aber es gibt Dutzende weitere Chatbots, die auf Künstlicher Intelligenz beruhen. (Das hier ist nur eine Auswahl.) Einer dieser Bots ist spezialisiert auf das Entwickeln von bizarren und absonderlichen Verschwörungstheorien.

Ich habe ihn mal spaßeshalber um eine Verschörungstheorie im Sinne von "Männerrechtler wollen Unheil stiften" gebeten. Er fragte mich, ob ich wüsste, dass es eine solche Verschwörungstheorie schon gebe, und hat sie mir dann zum Lesen gegeben:

Es gibt die Theorie, dass Männerrechtsaktivisten in Wirklichkeit eine Fassade für rechtsextreme Gruppen sind, die versuchen, feministische Bewegungen zu untergraben und traditionelle Geschlechterrollen zu bewahren. Nach dieser Theorie versuchen diese Gruppen, die Vorstellung aufrechtzuerhalten, dass Männer von Natur aus besser für Macht- und Einflusspositionen geeignet sind als Frauen, und dass die Bemühungen um die Gleichstellung der Geschlechter Teil einer umfassenderen Agenda zur Untergrabung traditioneller Werte und Institutionen sind. Einige vermuten sogar, dass diese Gruppen mit anderen extremistischen Organisationen wie weißen Nationalisten oder regierungsfeindlichen Gruppen verbunden sind, die die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter als Bedrohung ihrer eigenen Interessen ansehen. Es gibt jedoch keine Beweise, die diese Theorie stützen, und viele Männerrechtsaktivisten bestreiten vehement jede derartige Verbindung.


Künstliche Intelligenz ist hier also tatsächlich schon weiter als viele Menschen, die auf diese Verschwörungstheorie immer noch hereinfallen.



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