Dienstag, Juni 06, 2023

Die Wahrheit über weibliche Stalker

Bei der Passage über Stalkerinnen in meinem Buch "Sexuelle Gewalt gegen Männer" konnte ich auf eine frühere Veröffentlichung zurückgreifen, weil ich bei diesem Thema seitdem keine erwähnenswerten neuen Kenntnisse dazugewonnen hatte:



"In der Öffentlichkeit wird vornehmlich das Bild des weiblichen Stalkingopfers gezeigt, das einem beinahe übermächtigen und gewalttätigen Mann ausgeliefert ist", berichten Elisabeth Rainer und Alfons Tescher in einem wissenschaftlichen Fachbuch zum Thema Stalking. Diesem Klischee widerspricht jedoch das Ergebnis einer von Rainer und Tescher durchgeführten Studie, aus der hervorgeht, "dass 53 % Frauen und 47 % Männer (...) erklärt haben, Stalker/Stalkerinnen zu sein. Über die von ihnen gestalkten Personen geben sie an, dass 60 % weiblich und 40 % männlich" seien. Die britische Online-Sicherheitsfirma Garlik ermittelte, dass ein Prozent aller britischen Frauen, aber volle drei Prozent aller britischen Männer Opfer von Online-Stalking geworden waren. Dabei befürchtete jedes vierte männliche Opfer, im Fall einer Anzeige von der Polizei nicht ernst genommen zu werden.




Jetzt informiert das populärwissenschaftliche Magazin Psychology Today näher über weibliche Täter. Ich habe den Beitrag für Genderama ins Deutsche übersetzt:



Wie sieht ein Stalker aus? Wenn das schattenhafte Bild, das Sie sich in einer dunklen Gasse vorstellen, ein Mann und keine Frau ist, befinden Sie sich in guter Gesellschaft. Aber als Staatsanwältin, die seit Jahrzehnten mit Stalking-Fällen zu tun hat, habe ich auch schon sanftmütige, attraktive Frauen gesehen, unerwünschte Nachstellungen begangen haben. Da jedoch, wie ich in einem früheren Beitrag erklärt habe, Männer oft eher zögern, zu melden, dass sie Opfer geworden sind, sollten wir die Realität hinter dem Stalking-Stereotyp noch einmal überprüfen.

In Filmen wie "Swimfan" und "Obsessed" werden schöne, gerissene, charismatische Frauen gezeigt, die auf der Suche nach unerwiderter Liebe ihr Leben ruinieren. In Wirklichkeit können weibliche Stalker genauso gefährlich sein wie Männer. Nathan Brooks et al. (2021) erklären, dass weibliche Stalker ein ähnliches Gewaltrisiko wie männliche Stalker darstellen können, obwohl dieses Risiko oft als nicht bedrohlich wahrgenommen wird. Welcher Typ Frau stalkt also? Die Forschung zeigt einige gemeinsame Merkmale.

Wie ich in einem anderen Beitrag erkläre, weisen Frauen, die unerwünschte Nachstellungen begehen, eine breite Palette von Persönlichkeitstypen auf. J. Reid Meloy et al. (2011) untersuchten in ihrem Buch "The Female Stalker" 143 Fälle aus Akten von Strafverfolgungsbehörden, Staatsanwaltschaften und Sicherheitsdiensten von Unterhaltungsunternehmen und beschreiben die typische Stalkerin als alleinstehende Frau Mitte 30, geschieden oder getrennt lebend, mit einer psychiatrischen Diagnose, bei der es sich meist um eine Gemütsstörung handelt. Meloy et al. stellen fest, dass dieses weibliche Stalker-Profil eher einen Fremden, eine Berühmtheit oder einen männlichen Bekannten verfolgt, im Gegensatz zum Stereotyp der Verfolgung eines früheren Liebespartners. Sie stellen jedoch fest, dass die Häufigkeit von Drohungen und Gewalttaten deutlich zunahm, wenn das Opfer bereits eine intime oder platonische Beziehung hatte.

In jüngerer Zeit erklärten Acquadro Maran et al. (2020), dass bei weiblichen Stalkern das häufigste Motiv der Wunsch nach einer neuen oder nostalgischen Beziehung ist (Wiederaufleben einer Beziehung zu einer früheren Flamme). In Anerkennung des Zusammenhangs zwischen toxischen Beziehungen und Stalking-Verhalten stellten Maran et al. fest, dass frühere Beziehungen, die Stalking-Verhalten auslösten, mit größerer Wahrscheinlichkeit einen Stalker betrafen, der ein Ex-Partner mit einer Vorgeschichte von Missbrauch war.

Ein Problem, das die Stalking-Forschung erschwert, ist die zu niedrige Meldequote. Die Überwindung des Stereotyps, dass angesehene, scheinbar angenehme Frauen nicht stalken, ist eine der ersten Herausforderungen, wenn es darum geht, die Opfer davon zu überzeugen, das Verhalten zu melden.

Im Gegensatz zu Opfern häuslicher Gewalt, die oft sichtbare Verletzungen haben, fehlt es Stalking-Opfern an physischen "Beweisen" zur Untermauerung ihrer Behauptungen, was die Zurückhaltung bei der Anzeige noch verstärkt. In einem beruflichen Umfeld fürchten die Opfer auch, ein "Drama" am Arbeitsplatz zu verursachen, wenn sie eine beliebte, attraktive Frau beschuldigen (man denke an Demi Moore in "Disclosure"), weil sie befürchten, dass ihre Anschuldigungen zu Entfremdung, Ächtung oder Vergeltung führen könnten. Die Überzeugung, dass nette Mädchen nicht stalken, gepaart mit der Vorstellung, dass Männer in der Lage sein sollten, "damit umzugehen", spielt die Bedeutung des Problems herunter und entmutigt bei einer Anzeige.

Lisa Tompson et al. (2021) untersuchten den Nutzen eines opferzentrierten Stalking-Präventionsprogramms, das darauf abzielt, das Stalking-Verhalten in einem früheren Stadium einzudämmen, um eine Eskalation zu verhindern. Wenn Mitarbeiter, Freunde und Fachleute für Bedrohungsanalysen wissen, worauf sie achten müssen, können sie problematisches Verhalten frühzeitig erkennen, um obsessive Gedanken oder Verhaltensweisen anzusprechen oder umzulenken, bevor der Fokus zur Fixierung wird. Ein frühzeitiges Eingreifen erspart sowohl dem Opfer als auch dem potenziellen Täter Zeit und Trauma, vermeidet Strafverfahren und gibt einem "netten Mädchen" die Möglichkeit, ihr Verhalten zu ändern und ihrem Ruf gerecht zu werden.




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