Donnerstag, Juni 15, 2023

Er wurde zur Frau, um dem Militärdienst zu entkommen

1. Der Schweizer Tages-Anzeiger berichtet hinter einer Bezahlschranke:

Am vereinbarten Treffpunkt wartet ein gross gewachsener Mann, der sich gemäss eigenen Angaben zu hundert Prozent als Mann fühlt und auch bei der Geburt vor 23 Jahren zweifellos als männlich identifiziert wurde. Doch Max – so nennen wir ihn hier – ist offiziell eine Frau. Seit genau einem Jahr, als er auf dem Standesamt sein Geschlecht wechseln liess, um nicht ins Militär gehen zu müssen.

Seinen Entschluss, erklärt er, habe er halb aus Jux gefasst, halb aus Protest gegen das neue Gesetz, das seit dem 1. Januar 2022 einen unbürokratischen Geschlechtswechsel ohne jeglichen ärztlichen oder psychologischen Nachweis erlaubt. "Ich wollte diese neue Regelung ad absurdum führen", sagt Max. "Aber ich wollte tatsächlich auch nicht ins Militär." Die Frauwerdung sei dafür die mit Abstand billigste Art gewesen.

Eine Änderung des Geschlechtseintrags im Personenregister kostet nur 75 Franken. Ein psychiatrisches Attest, das einen vom Militärdienst entbindet, ist ein Vielfaches teurer. Zudem müssen untaugliche Männer Wehrpflichtersatz entrichten, je nach Einkommen können das einige Hundert oder Tausend Franken pro Jahr sein. Frauen, auch Transfrauen, bezahlen nichts.

Als die neue Regelung eingeführt wurde, habe er mit Kollegen noch gescherzt, er werde nun zur Frau. "Niemand glaubte, dass ich das tatsächlich durchziehe", sagt Max. Er habe es trotzdem gemacht – allerdings ohne den Kollegen davon zu erzählen. Vor einigen Monaten berichtete dann der "Nebelspalter" über seine Geschichte. Dort hiess es, niemand wisse, dass er jetzt amtlich eine Frau sei, weder seine Freunde noch seine Vorgesetzten. "Das ist noch immer so", sagt Max. Mit einer Ausnahme: "Meine Eltern. Mit ihnen habe ich über die möglichen Konsequenzen diskutiert. Aber nur mit ihnen."

Als er den Entschluss fasste, war Max 22 Jahre alt und noch in der Lehre. "Ich hatte vor allem Angst, dass mein Lehrmeister informiert wird und das negative Folgen haben könnte." Er machte sich im Internet kundig, worauf er achten muss. Vor allem die Homepage des Transgender Network Switzerland sei hilfreich gewesen. Zwei Punkte waren für ihn zentral: Man kann seinen (männlichen) Vornamen behalten, auch wenn man künftig amtlich eine Frau ist. Und: Man muss sich nicht erklären. "Es werden keine Fragen zum Transsein oder zur Transition gestellt, das ist nicht erlaubt. Es darf auch keine medizinische oder psychologische Bestätigung des Transseins verlangt werden", heisst es auf der Seite.

Mitte Juni 2022 bat Max bei seiner Gemeinde, einem Vorort einer grösseren Deutschschweizer Stadt, um einen Termin. Einige Tage später war es so weit. Über Mittag fuhr er mit dem Velo zum Standesamt. "Ich musste etwa zehn Minuten warten, eine Beamtin bat mich dann in ein Sitzungszimmer – schon zwei Minuten später war ich eine Frau." Es habe sich um einen reinen Verwaltungsakt gehandelt, es sei keine einzige Frage gestellt worden. "Äusserlich gab es für die Beamtin keine Anzeichen, dass ich mich als Frau fühle, ich war genauso gekleidet wie jetzt, habe sogar extra mit tiefer Stimme gesprochen", sagt er. Er musste nur auf einem Formular vermerken, wie er künftig mit Vornamen heissen möchte – gleich wie bisher – und unterschreiben. "Ich habe dann gefragt, ob man die Geschlechtsanpassung später wieder rückgängig machen könne. Die Beamtin bejahte."

Damit war die Sache erledigt. Max staunt noch immer, wie einfach alles ging. "Die Beamtin fragte nicht einmal so etwas wie ‹Sind Sie sich sicher?› oder: ‹Seit wann fühlen Sie sich als Frau?›", sagt er. "Wahrscheinlich darf sie das nicht, sonst wird ihr noch vorgeworfen, sie sei transphob."

Seither ist Max im Personenstandsregister offiziell als Frau eingetragen. Die Sache mit der Armee erwies sich dennoch als komplizierter. Denn wenige Monate nach dem Geschlechtswechsel flatterte trotzdem ein Marschbefehl ins Haus, adressiert an "Frau Rekrut Max xx".

Max hatte einen Fehler begangen: Seine Geschlechtsanpassung erfolgte erst nach der Rekrutierung (früher: Aushebung) – er war also bereits eingeteilt. "Man hat mich in der Folge automatisch den Frauen gleichgestellt, die freiwillig Militärdienst leisten." Dies habe er nicht mehr rückgängig machen können.


Max ließ sich dann für viel Geld von einem Psychologen ein Attest schreiben, dass ihn für untauglich erklärte.

Sein Fazit: "Ich kann allen nur raten, die Geschlechtsanpassung vor der Aushebung durchzuführen, das ist bedeutend einfacher und billiger."


Als Frau musste Max auch keinen Wehrpflichtersatz leisten.

Max betont, dass es ihm nicht darum gehe, etwas zu erschleichen. Die Autoversicherung ist zum Beispiel für Frauen oft billiger als für Männer. "Dort bin ich immer noch als Mann registriert und werde das auch bleiben."


Bemerkenswert: In früheren Jahrhunderten verkleideten sich Frauen mitunter als Männer, um Benachteiligungen zu entgehen – heute läuft das umgekehrt.



2. Das Medienmagazin "Zapp" hat einen zehnminütigen Beitrag über den Skandal um die Pseudostudie von Plan International veröffentlicht. Darin schildert Daniel Bröckerhoff zunächst, wie flächendeckend deutsche Medien über die irreführende Umfrage berichtet haben ("Das Ding war praktisch überall!"), noch bevor die Umfrage überhaupt online gestellt und damit ihr Wahrheisgehalt überprüfbar war.

Soweit ist das für Genderama-Leser nichts Neues. Mehrere Passagen des Beitrags sind aber durchaus aufschlussreich. So etwa ab Minute 5.!7:

Bröckerhoff z: Der NDR hat dann die Sprecherin der Geschäftsführung von Plan International, Kathrin Hartkopf, gefragt, warum sie so [unwissenschaftlich] gerechnet haben, und ihre Antwort ist verblüffend.

Kathrin Hartkopf, Sprecherin von Plan International (schüttelt den Kopf, macht abwehrende Gesten und wendet sich vom Interviewer ab): Ich sag dazu nichts, weil das möchte ich nicht beantworten.


Ab Minute 6:55:

Bröckerhoff (zitiert die Richtlinien für Onlinebefragungen vom Rat der deutschen Markt- und Sozialforschung): "Die Selbstrekrutierung der Befragten ist in der Regel nicht geeignet, für die Gesamtbevölkerung verallgemeinerungsfähige Untersuchungsergebnisse zu gewährleisten" – sprich: ist untauglich. Und trotzdem bleibt Plan International dabei:

Kathrin Hartkopf, Sprecherin von Plan International: Es sind etablierte Institute, mit denen wir zusammengearbeitet haben. Wir machen solche Umfragen jährlich zum Thema Gleichberechtigung. Insofern sind wir sehr sicher, dass diese Ergebnisse so stimmen und dass es eine repräsentative Umfrage ist und wir stehen dazu.

Bröckerhoff: Was sie aber nicht sagt: Das Institut, das für das Umfragedesign zuständig war, ist ein Ein-Mann-Marktforschungsinstitut in Köln, und der Inhaber hat sich von Plan International unterstützen lassen, nämlich von drei Mitarbeiterinnen aus der Presseabteilung. Die haben aber keine wissenschaftliche Funktion innerhalb dieser Organisation. Die machen eigentlich Kommunikation.


Ab Minute 8:06:

Bröckerhoff: Ich habe deswegen Plan International noch mal 14 Fragen geschickt, weil ich wissen und verstehen wollte, warum sie so vorgegangen sind. Aber statt dass sie die Fragen alle einzeln beantwortet haben, habe ich so eine Sammelantwort bekommen, in der nicht wirklich was drin steht außer alles, was sie schon im NDR-Interview gesagt haben, und dann dieser eine Satz: "Es ist nachvollziehbar, dass die Ergebnisse der repräsentativen Umfrage emotionalisieren. Dennoch liefern die Inhalte keinen Anlass dafür, die Methodik der Befragung in Zweifel zu ziehen." Entsprechend sagt dann auch die Chefin im NDR-Interview das hier:

Kathrin Hartkopf, Sprecherin von Plan International: Ja man kann über die Art und Weise diskutieren, oder man diskutiert über die Ergebnisse. Und ich finde, persönlich ist es wichtig, dass wir über die Ergebnisse sprechen. Die Befragung hat ja nicht nur über Gewalt Ergebnisse gebracht, sondern ganz andere Aspekte auch noch, und das, finde ich, steht im Vordergrund.


So viel Chuzpe ist schon bemerkenswert.

Inzwischen ist die Behauptung, dass jeder dritte deutsche Mann gerne Frauen schlage, bis in die indischen Nachrichten vorgedrungen.



3. Eine Neuerscheinung auf dem britischen Buchmarkt ist Matt Plinketts Buch Boys Do Cry. Eine Website für Nachrichten aus dem medizinischen Bereich bespricht es so:

Bei Jungen im Teenageralter ist die Wahrscheinlichkeit, durch Selbstmord zu sterben, doppelt so hoch wie bei Mädchen, und wenn aus Jungen Männer werden, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie durch Selbstmord sterben, dreimal so hoch wie bei Frauen. 

Nachdem er jahrelang an vorderster Front unterrichtet und aus erster Hand den Rückgang der psychischen Gesundheit von Teenagern beobachtet hat, hat ein Lehrer gewarnt, dass wir besser mit männlichem Ärger, Freundschaften und der Einstellung zu Sex umgehen müssen, um die männliche Selbstmordkrise zu bekämpfen.

(…) Pinkett hat Erkenntnisse von Lehrern und Schulmitarbeitern, Gesundheitsexperten und Therapeuten zusammengetragen, um in "Boys Do Cry" (…) einen wirkungsvollen Leitfaden zur Unterstützung von Jungen zu erstellen. 

Der praktische und ansprechende Leitfaden, der sich auf die neuesten Forschungsergebnisse aus den Bereichen Psychologie und Pädagogik stützt, schlägt vor, dass Lehrer aufhören sollten, Wut zu stigmatisieren, und stattdessen wütenden Jungen helfen sollten, die neurologischen und physiologischen Gründe für ihre Gefühle zu verstehen. 

Er schlägt außerdem vor, dass Lehrer liebevolle, männliche Beziehungen zur Norm machen und davon ausgehen sollten, dass jede soziale Interaktion, die in einem Klassenzimmer stattfindet, beobachtet und verinnerlicht wird.

Er rät männlichen Lehrern, männlichen Kollegen offen Komplimente zu machen, liebevoll über andere Menschen zu sprechen und die emotionale Verletzlichkeit von Männern zu loben und zu würdigen, wo und wann immer es möglich ist. 

"Ich will damit nicht sagen, dass wir jemals versuchen sollten, Therapeuten zu sein - das würde nie funktionieren", erklärt Pinkett, "aber Tatsache ist, dass wir einen großen Teil ihres Lebens vor diesen Kindern stehen. Wenn wir positiv über männliche Emotionen sprechen und Wege aufzeigen können, wie man mit problematischen Gefühlen umgeht, wäre das eine starke Sache".


In einer anderen Rezension heißt es:

Es lässt sich nicht leugnen, dass die Schulen mit einer Krise der psychischen Gesundheit konfrontiert sind und dass das Bild, das sich für Jungen ergibt, besonders besorgniserregend ist. Die goldenen Fäden dieses Buches - dass wir einige unserer eingefahrensten Gewohnheiten und Überzeugungen verlernen müssen, dass klarer Unterricht der Schlüssel ist und dass Rollenvorbilder heute wichtiger sind als je zuvor - fügen sich zu einem ordentlichen Rahmen für das Vorankommen zusammen.

Die Einleitung des Buches ist ein starkes Plädoyer für die Notwendigkeit, sich auf das Wohlergehen von Jungen zu konzentrieren, und die folgenden Seiten sind eine schreiende Bestätigung für diese Tatsache. Die Erfahrungen, die geteilt werden, sind enorm, und Pinketts Anerkennung seiner eigenen Position während des gesamten Buches erinnert an die ungewöhnliche Natur der Arbeit in den Bereichen Vielfalt, Gleichberechtigung und Integration (DEI). Sie ist eher eine Reise als ein Ziel und eine Arbeit, von der wir unser persönliches Leben nicht abkoppeln können.

Pinkett bietet eine Reihe von Belegen dafür, dass die Verbesserung der psychischen Gesundheit und des Wohlbefindens von Jungen in Schulen nicht als Aufgabe eines einzelnen Mannes in einer Abteilung oder eines einzelnen DEI-Leiters angesehen werden kann. Stattdessen muss sie Teil der gesamten Schulkultur sein, von pädagogischer Erziehung und Tutorenstunden bis hin zum Engagement der Eltern und täglichen Interaktionen. Die Verantwortung muss geteilt werden, um eine Kultur zu schaffen, in der das Wohlergehen aller im Vordergrund steht.

(…) Das Buch ist gespickt mit Unterrichtsplänen und Empfehlungen für Organisationen, die dies unterstützen können. Darüber hinaus sind die Bedeutung der Diversifizierung des Lehrplans, um positive Beispiele für männliche Erfahrungen und Identitäten einzubeziehen, und die Bedeutung von Lehrern als tägliche Vorbilder allesamt greifbare, kostengünstige Möglichkeiten für Schulen, bessere Ergebnisse für das Wohlbefinden von Jungen zu erzielen.

(…) Es war erfrischend zu sehen, dass spezifischen Gruppen - wie schwarzafrikanischen/karibischen Jungen und LGBTQ+-Personen - Raum gegeben wurde. Die Erkenntnis, dass echte Inklusion und Fortschritte für Jungen nicht erreicht werden können, wenn wir die individuellen Erfahrungen der von uns betreuten Jungen nicht berücksichtigen, wurde klar dargestellt, und Pinketts nach außen gerichteter Ansatz verlieh den Kapiteln, in denen diese Erfahrungen thematisiert wurden, Authentizität.

(…) Boys Do Cry" bietet vielfältige Einblicke in die Erfahrungen von Jungen und jungen Männern. Es ist ein überzeugendes Argument, dass alle davon profitieren, wenn wir der psychischen Gesundheit und dem Wohlbefinden von Männern Priorität einräumen. Es lässt einige wichtige Fragen zur Intersektionalität und einige nuancierte Erfahrungen offen, aber DEI-Arbeit ist eine Reise und kein Ziel. Dieses Buch ist ein wichtiger Meilenstein auf dieser Reise.




4. In den USA hat die "Männerkrise" inzwischen derart Themenhoheit in den Medien gewonnen, dass die New York Times darauf hinweisen muss, vielen Mädchen und Frauen ginge es auch nicht gut (Bezahlschranke). Aber ist das nicht übelster Whataboutism?



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