Donnerstag, Juli 07, 2022

"Warum ich mich nicht mehr über Gender und Diversity äußere" – News vom 7. Juli 2022

1. Mit seiner aktuellen Kolumne "Warum ich mich nicht mehr über Gender und Diversity äußere" dürfte Markus Väth, einer der führenden Köpfe der New-Work-Bewegung in Deutschland, etlichen Menschen aus dem Herzen sprechen. Was schade ist, denn das bedeutet, das die ideologischen Eiferer viele kluge Leute weggebissen haben:

Meinen ersten Internet-Shitstorm fing ich mir ein, als viele noch gar nicht wussten, was das ist. Dazu muss man wissen: Meine Diplomarbeit schrieb ich Anfang der 2000er über die Behandelbarkeit von Sexualstraftätern.Zum Zeitpunkt des Artikels hatte ich einige Erfahrung in der Behandlung von Sexualstraftätern und -opfern. In meinem fachlichen unaufgeregt formulierten Artikel ging es um ein spezifisches sexualtherapeutisches Männerthema. (Sie merken bereits, ich formuliere bewusst undeutlich.) Nach der Veröffentlichung des Artikels passierte zunächst das Erwartbare: nichts. Doch auf einmal brach die Hölle los. Vor allem weibliche Hater griffen mich im Netz frontal an, ich wurde beleidigt und aufs Übelste beschimpft – ohne dass sich auch nur einer der Hater beziehungsweise eine der Haterinnen fachlich mit dem Inhalt des Artikels auseinandersetzte. Schließlich beriet ich mich mit meiner Frau: Sollte ich zur Polizei gehen? Sollte ich versuchen, dem Hass standzuhalten? Ich muss zugeben: Ich ging den bequemen Weg – und nahm den Artikel aus dem Netz.

Mein zweites prägendes Erlebnis hatte ich vor einigen Jahren. Ich folge einem wissenschaftlichen Blog, der Dinge des täglichen Lebens statistisch aufbereitet und kritisch kommentiert. Dort war einst ein lustiger mathematischer Artikel über eine Sportart (!) zu lesen, den ich wagte, auf Facebook zu verlinken. Sofort wurde ich von einer Kollegin angegangen: Was mir einfiele, Artikel dieses faschistischen, frauenfeindlichen Blogs zu verlinken? Mit keinem Wort ging sie auf den Artikel selbst ein. Das Blog war "sexistisch", also fiel alles dort der Sippenhaft zum Opfer. Ich fiel aus allen Wolken. Es ging um Sport. Ich ließ den Rant unbeantwortet.

Blicke ich auf meine momentanen Arbeitsfelder Wirtschaft, Organisation und Führung, muss ich festhalten, dass ich mich zu bestimmten Themen nicht mehr äußere: Dazu gehören beispielsweise Gender, Diversity oder Nachhaltigkeit. Das sind für mich alles „toxische“ Themen, bei denen ich nur verlieren kann. Wobei ich diese Themen für sehr wichtig halte. Nur dass man sie aus meiner Sicht nicht mehr kontrovers diskutieren kann, wenn man nicht der Mainstream-Meinung folgt. Man wird sofort in eine Ecke gestellt und mit quasi-religiöser Inbrunst verfolgt – egal von welcher Seite. Ein rationaler Diskurs ist vielerorts nicht mehr möglich.


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2. Nachdem gestern der Sexualwissenschaftler Heinz-Jürgen Voß in der Berliner Zeitung behauptete, in der Biologie gebe es einen klaren Trend weg von der These der Zweigeschlechtlichkeit widerspricht im selben Blatt Rüdiger Krahe, der an der Berliner Humboldt-Universität die Doktorarbeit von Marie-Luise Vollbrecht betreut: Die Zweigeschlechtlichkeit sei unter Evolutionsbiologen vollkommen unstrittig: "Darüber gibt es (…) auch keine Diskussionen. Die Biologie definiert Geschlecht auf der Basis der Keimzellen, auf deren Produktion ein Organismus ausgerichtet ist, also ob er Eizellen oder Spermien produziert. Dazwischen gibt es nichts."

Mit der Absage von Vollbrechts Vortrag erklärt sich Krahe "vollkommen einverstanden. Es sah wirklich so aus, als könnte die Lage eskalieren. Frau Vollbrecht sollte von den Protestierenden mit aller Gewalt das Wort verboten werden. Die Lange Nacht der Wissenschaften ist dafür da, Wissenschaft nach außen zu tragen, da nehmen auch Familien teil, und jetzt bestand die Gefahr, dass die Auseinandersetzung um den Vortrag im Hauptgebäude der HU alles überschattet hätte und keine der Veranstaltungen hätte stattfinden können."

Derweil hat Bundesverfassungsrichter Peter M. Huber die Universitäten aufgefordert, die Wissenschaftsfreiheit zu sichern. Ohne den Austausch unterschiedlicher Positionen sei kein Fortschritt möglich. Die Universitäten müssten sich so aufstellen, dass Veranstaltungen künftig nicht mehr wegen Sicherheitsbedenken ausfallen.



3. Der Väteraufbruch für Kinder nimmt Stellung zu einem Papier, das vor einigen Wochen durch die Medien geisterte:

Anhand einer sogenannten "Studie" wollten Alleinerziehenden-Verbände mit Hilfe von Dr. Wolfgang Hammer rechtsfreie Räume für Missbrauch, frei von staatlicher Kontrolle schaffen und vor allem Väter ausgrenzen. Die heute veröffentlichte Aufarbeitung des Väteraufbruch für Kinder e.V. legt dies nicht nur offen, sondern zeigt anhand von Fakten deutlich, dass sich die aufgestellten Behauptungen, nur Mütter würden im Familienrecht diskriminiert, vollständig widerlegen lassen. Der Väteraufbruch für Kinder spricht sich für eine faktenbasierte Aufarbeitung der Vorgänge sowie einen geschlechtsunabhängigen Schutz von Kindern vor jeder Form von Gewalt aus.

"Hammer wählte selektiv Fälle ausschließlich von Müttern, welche das Ergebnis bereits vorwegnehmen mussten. Er legt in seiner Ausarbeitung "Familienrecht in Deutschland" mehrfach dar, dass ihm selbst grundlegendes Wissen des Familienrechts fehlt. Er stellt Erkenntnisse, z.B. zur Doppelresidenz (Wechselmodell) oder Eltern-Kind-Entfremdung, teils in einer verschwörungstheoretischen Art dar, was er selbst einräumt", erklärt Markus Witt, Vorstandsmitglied des Väteraufbruch für Kinder e.V. Mit großem medialem Aufwand wurde Hammers Werk publiziert, von dessen Aussagen wenig übrigbleibt, wenn man einmal hinter die reißerischen Überschriften blickt und diese einem Faktencheck unterzieht. Witt hat dies in einer 80-seitigen Analyse getan und Hammer anhand wissenschaftlicher Quellen widerlegen können.




4.
Der Vorgang ist ein medienpolitischer Skandal, der seinesgleichen sucht und an die Wurzel unseres bisherigen Verständnisses von Demokratie und Pressefreiheit geht. Das Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) und die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) finanzieren mit sechsstelligen Beträgen ein Projekt der Grünen-nahen Stiftung "Zentrum liberale Moderne" (LibMod) mit dem bezeichnenden Titel "Gegner-Analyse". Ziel des Projektes ist es laut Darstellung der Stiftung, "systemoppositionelle" Medien zu überwachen und zu analysieren. Einen Schwerpunkt ihrer Arbeit legen die Macher dabei auf die NachDenkSeiten.


Dort erfährt man mehr.



5. In der Neuen Zürcher Zeitung kommentiert Katharina Fontana die Debatte über die Schweizer Rentenversicherung AHV (Alters- und Hinterlassenenversicherung):

Die Botschaft von linken Parteien und Gewerkschaften gegen die AHV-Reform ist so simpel wie eingängig: Solange die Lohndiskriminierung und die "Rentenlücke" nicht beseitigt seien, sei an eine Anhebung des Frauenrentenalters nicht einmal ansatzweise zu denken. Die Befürworter argumentieren derweil etwas brav mit den düsteren Aussichten für die AHV, die Reformen unabdingbar machten. Ein Punkt, und nicht der unwichtigste, geht in der Debatte meist unter: Das Frauenprivileg bei der AHV ist klar verfassungswidrig.

Das Bundesgericht hat diese Offensichtlichkeit schon vor Jahrzehnten benannt und festgehalten, dass das Recht geschlechtsneutral sein muss. Frau und Mann hätten "für die ganze Rechtsordnung im Wesentlichen als gleich zu gelten". Unterschiedliche Regelungen seien nur ausnahmsweise zulässig, wenn «auf dem Geschlecht beruhende biologische oder funktionale Unterschiede eine Gleichbehandlung absolut ausschliessen». Dass Frauen das schwächere Geschlecht seien und biologisch oder funktional weniger geeignet, wie die Männer bis 65 Jahre zu arbeiten, wird heute wohl niemand mehr ernsthaft behaupten. Wenn schon, dann müsste man sich diese Frage bei den Männern stellen, die im Schnitt ein paar Jahre vor den Frauen das Zeitliche segnen.

Nüchtern betrachtet gibt es keinen Grund, der das unterschiedliche Rentenalter rechtfertigen könnte. Die Lohndiskriminierung, mit der die Linke so routiniert wie unermüdlich argumentiert, ist schon lange untersagt. Verfassung und Gesetz halten fest, dass Frauen und Männer für gleichwertige Arbeit den gleichen Lohn erhalten. Firmen müssen interne Lohnanalysen durchführen. Jede Arbeitnehmerin kann juristisch vorgehen, in einem erleichterten Verfahren, wenn sie den Eindruck hat, sie erhalte allein wegen ihres Geschlechts weniger Lohn. Gewerkschaften oder Frauenorganisationen können ihr dabei helfen.

Kurz: Der Staat garantiert den Frauen den Anspruch auf gleichen Lohn und stellt die Instrumente zur Verfügung, damit dieses Recht in der Praxis durchgesetzt werden kann. Sicher, es mag Fälle von Lohndiskriminierung geben, doch das ist sicher kein Grund, beim Frauenrentenalter a priori auf stur zu schalten. Sonst könnte man sich ebenso gut auf den Standpunkt stellen, man zahle keine Steuern, solange noch irgendwo ein Einbruch verübt werde.

Auch das Argument der "Rentenlücke" überzeugt in keiner Weise. Eine solche "Lücke", wenn man den Begriff denn überhaupt verwenden will, existiert einzig bei der beruflichen Vorsorge, nicht bei der AHV. Und auch dort betrifft sie praktisch ausschliesslich verheiratete Frauen, die es sich dank dem Einkommen ihres Ehemannes leisten konnten, wenig oder gar nicht erwerbstätig zu sein. Ledige Frauen, die zeitlebens für sich selbst sorgen mussten, haben bei der Pensionierung denn auch eine gleich hohe Rente wie ledige Männer. Wer mehr arbeitet, zahlt mehr ein und erhält am Ende mehr Leistung – das ist keine rechtliche Diskriminierung, sondern Versicherungslogik, und die gilt für beide Geschlechter gleich.

Man muss schon reichlich unverfroren sein, die Dinge so durcheinanderzuwirbeln und gegeneinander auszuspielen, wie es SP, Grüne und Gewerkschaften bei der AHV-Abstimmung tun. Und es ist in höchstem Masse paradox: Ausgerechnet die Linke, die sich so gerne als Kämpferin für Gleichberechtigung inszeniert, macht sich für die gesetzliche Geschlechterdiskriminierung stark. Geht es nach ihr, soll der Staat das Recht brechen. Er soll sich nicht an den Gleichstellungsartikel in der Verfassung halten, sondern die Menschen nach ihrem Geschlecht bevorzugen oder benachteiligen. Müssten wir nicht endlich weiter sein?




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