Punktabzug fürs Nicht-Gendern ist rechtswidrig, aber Studenten wehren sich kaum dagegen – News vom 12. Juli 2022
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Viele Universitäten werten Arbeiten ab, wenn sie nicht "geschlechtersensibel" formuliert sind. Erlaubt ist das nicht, aber schwierig anzugreifen – zumal meist nicht mit offenen Karten gespielt wird.
Darüber berichtet die Neue Zürcher Zeitung. In dem Artikel heißt es weiter:
Die Prüfung im Fach Sport hatte das Thema "Naturwissenschaftliche Grundlagen der Sportwissenschaften". Eine Lehramtsstudentin berichtet: "Ich habe nicht gegendert, und der Prüfer hat mir dafür 0,3 Notenpunkte abgezogen." Auf welcher Grundlage? Unbekannt. In der Göttinger Prüfungsordnung für das Fach Sport steht nichts dazu.
"Die Bewertung einer Arbeit als schlechter, als sie eigentlich vom Inhalt wäre, allein deswegen, weil nicht gegendert wurde, ist rechtswidrig", sagt der Augsburger Verfassungsrechtler Josef Franz Lindner. "Das entspricht nicht den allgemeinen Bewertungsgrundsätzen. Ob Sprache korrekt verwendet wurde, spielt schon eine Rolle, das heisst, ob Grammatik und Satzbau stimmen, aber das Gendern gehört nicht zum allgemeinen Sprachgebrauch."
Das ist auch im Duden ausführlich erklärt. Die gegenderten Formen mit Sternchen, Unterstrich, Doppelpunkt, Binnen-I oder Schrägstrich gehören nicht zum amtlichen Sprachgebrauch – es gibt ja nicht einmal eine einheitliche Form.
Die Studentin aus Göttingen ist allerdings nicht die Einzige, der das widerfährt. Berichte über solches Benotungsverhalten von Hochschullehrern sind von Studierenden bundesweit zu hören. Ein Student der Uni Kassel hat sogar deswegen geklagt. Lukas Honemann ist ebenfalls Lehramtsstudent und Vorsitzender des Rings Christlich-Demokratischer Studenten in Kassel. Er habe im ersten Semester eine schlechtere Bewertung bekommen, weil er nicht gegendert habe, so beschwerte sich Honemann öffentlich.
Die Universität Kassel gab daraufhin ein Rechtsgutachten in Auftrag, das zu dem Ergebnis kam, geschlechtergerechte Sprache dürfe in bestimmten Prüfungen verlangt werden. Die Uni fühlte sich bestätigt, unterschlug aber Passagen, die ihrer Lesart entgegenstanden. In dem Gutachten steht nämlich sinngemäss, dass dies die Ausnahme sei und im Grunde nur zu rechtfertigen, wenn es zum Lehrstoff gehöre.
(…) Die Rechtslage ist also klar: Abwertung wegen Nicht-Gendern ist rechtswidrig. Lindner geht noch einen Schritt weiter: Schon das Verhalten der Lehrkräfte, zu sagen: "Wenn ihr nicht gendert, bewerten wir eure Arbeiten schlechter", sei als solches rechtswidriges Verhalten. "Das führt ja faktisch dazu, dass die Studierenden sich genötigt fühlen zu gendern, obwohl es keine Rechtsgrundlage gibt", sagt Lindner. Einzig in den Prüfungsordnungen der Universitäten, die aufgrund der Hochschulgesetze erlassen werden, sei eine solche Regelung denkbar, aber dann stelle sich die Frage, ob die Prüfungsordnung selbst verfassungsgemäss sei.
Das sieht der Regensburger Staatsrechtler Alexander Tischbirek genauso. Obwohl er sich sehr für Antidiskriminierung einsetzt und selbst auch gendert, hält er es für klar rechtswidrig, den Studierenden bestimmte Sprachformen abzuverlangen – ausser in den eng umgrenzten Fällen, wo das Studienfach und der Prüfungsstoff damit zu tun haben, es also unmittelbarer Lehrinhalt ist. "Es ist von der Wissenschaftsfreiheit gedeckt, wie ich schreibe, und das zu beiden Seiten. Ich kann eine Arbeit nicht schlechter bewerten, weil sie gendert, und ich kann sie nicht schlechter bewerten, weil sie nicht gendert", sagt Tischbirek. Er kenne es aus seinem unmittelbaren Umfeld häufiger, dass gegenderte Arbeiten nicht angenommen würden. Das sei auch rechtswidrig.
(…) Doch wie kann sich ein Student gegen die abwertende, auf das Nicht-Gendern gestützte Benotungsentscheidung wehren? "Wer sich wehrt, macht sich unbeliebt, deswegen wehrt sich kaum einer", sagt ein Berliner Verwaltungsrichter. "Wenn es gesetzlich nicht geregelt ist, wäre es mit Sicherheit beurteilungsfehlerhaft, wenn man eine Arbeit aufgrund des Nicht-Genderns negativ bewertet." Doch sei es auch noch problematisch zu beweisen, dass tatsächlich das Nicht-Gendern der Grund für die Abwertung sei. Da komme es darauf an, wie der Prüfer seine Benotung begründe – wenn er nicht ausdrücklich hineinschreibt, dass es Punktabzug gab, weil nicht "geschlechtersensibel" formuliert wurde, wird es schwierig.
Die eingangs erwähnte Studentin hat neuerdings eine Veränderung festgestellt. "Inzwischen sagen sie jedes Mal: ‹Du hast nicht gegendert, ich darf dir dafür keine Punkte abziehen, aber ich finde das nicht gut.› Jedes Mal!"
2. "Die Welt" hat Bayerns Digitalministerin Judith Gerlach (CSU) befragt, wo für sie der Tatbestand der "Hassrede" anfängt:
WELT: Ich habe Ihnen drei Sätze mitgebracht. Und Sie sagen mir, ob das für Sie Hassrede ist oder nicht. Erstens: "Tötet Helmut Kohl!"
Gerlach: Auf jeden Fall. Das ist Anstiftung zum Mord. Das ist ganz klar etwas, was verboten ist.
WELT: "Ich hasse Männer."
Gerlach: Nee, würde ich jetzt nicht sagen. Aber das ist aus dem Bauch heraus. Es ist ja nicht unbedingt auf eine bestimmte Person gerichtet. Würde ich jetzt nicht als Beleidigung qualifizieren.
WELT: "Ich will lieber ein kalter Krieger sein als ein warmer Bruder."
Gerlach: Das ist eine Diskriminierung, die mit Sicherheit auch relevant ist.
Bezeichnend.
3. Deutschlandfunk Kultur berichtet über psychische Probleme von Männern nach der Geburt ihres Kindes:
Fachleute gehen davon aus, dass zwischen zehn und 16 Prozent der Frauen, die ein Kind geboren haben, nach der Geburt an Wochenbett-Depressionen erkranken. Für Männer ist die Studienlage dünn, aber Untersuchungen deuten inzwischen darauf hin, dass auch sie betroffen sein können, sagt Anna-Lena Zietlow, Professorin für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie und Psychotherapie an der Universität Greifswald. "Wir wissen aus der Forschung, dass tatsächlich ungefähr acht bis zehn Prozent der Väter auch nach der Geburt eine depressive Symptomatik entwickeln." Also ähnliche Zahlen wie bei den Müttern. "Es ist bis jetzt aber auch ein völlig untererforschter Bereich, der viel mehr Aufmerksamkeit eigentlich benötigt."
Für eine der jüngsten Studien hatten kanadische Forscher Ende 2021 die Angaben von 2500 Vätern zu ihrer psychischen Gesundheit bis zwei Jahre nach der Geburt ihrer Kinder ausgewertet. Ergebnis: Bei 22 Prozent von ihnen waren im ersten Lebensjahr ihres Kindes zugleich Depressionen und Angstsymptome aufgetreten.
(…) "Ich kenne dieses Phänomen, dass auch in der Medizin die Person des Vaters häufig nicht so gewichtet wird wie die Person der Mutter", sagt die Psychologin Silke Pawils. "Also maximal lässt man sich darauf noch ein, dass der Vater eine stützende, unterstützende, versorgende Funktion hat. Aber für das Gesamtgefüge dieses frischen Systems wird der Vater nicht als wirklich wertvoll erachtet." Schwangerschaft, Geburt und Nachsorge galten jahrzehntelang als reine Frauensache, die Rolle von Vätern in diesem Kontext gerät nur langsam in den Fokus der Forschung – kritisiert Pawils, Forschungsgruppenleiterin am Institut für Medizinische Psychologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
Bei Interesse am Thema ist der vollständige Beitrag lesenswert.
4. Anlässlich des Gender Empathy Gap Days hat MANNdat einen vierten Brief an die Vereinten Nationen geschrieben.
5. Die Niederlande haben 27 Jahre nach dem Androzid von Srebrenica erstmals bei den Angehörigen der Opfer um Entschuldigung gebeten.
6. Die Post. Mein Leser David Wonschewski schreibt mir heute zu dem gestern veröffentlichten Interview:
Lieber Arne,
da komme ich nach fast drei Wochen im Urlaub zurück, schaue mal, was bei dir so geht, und sehe dieses frische Interview mit Rick Bradford. So lang, so ergiebig. Ich habe dir schon einige Male gedankt, in Gedanken eben nur, hier mal offiziell: Herr Bradfords Meinung, seine Ansichten, sein Werden und seine Erklärungen sind das selten so fulminant verfasste "wie geschnitten Brot" des Maskulismus. Ich kann alles, echt alles unterschreiben, teilweise dachte ich gar ,ich rede da. Nicht weil ich es so gut erläutern könnte - könnte ich eben nicht! - aber weil es sitzt, wackelt, Luft hat. Allein schon der Anfang: Er stand in einer Machtkette hinter der Katze, ha - willkommen in meinem Leben. Und es wurde bei mir eben auch nie besser. Ich bin Jahrgang 1977, so etwas wie ein Bewusstsein habe ich seit 1982, ich wuchs sofort mit "ausbaden den Mist" auf. Ich war die erste Generation, die in einen alternativen-grünen Kindergarten ging, danach dann die Frauen-Armada in der Grundschule. Am Gymnasim erwarteten mich dann DIE 68er, im Stechschritt. Kaum in Berufsleben angekommen ging es weiter: Jetzt mal die Frauen! Als dann im Zuge von aufschrei und metoo die Forderung kam, jetzt mal die Frauen zu bevorzugen, dachte ich: Geht's noch? Machen wir doch seit ... seit ... IMMER!
Herr Bradford beschreibt das wunderbar, es spräche ja nix dagegen, alles ergab einen Sinn bis, tja, 2015 oder so. Jedes Genus hat sein Bröcklein zu tragen und meines ist das, die Natur hat das schon gut in die Spur gesetzt, der Mensch vergöttlicht sich halt mal wieder und will umwerfen (oha, bin ich jetzt CDU?). Aber die Achtung ist weg, wobei dieses Wort schon zu hoch gegriffen ist. Ich will (wir wollen) ja nicht mal Dank. Wie er sagt, unsere Schmerzgrenze ist legendär. Und hält den ganzen Menschheitsladen eben auch am Laufen. Seit einigen Jahren gibt es aber nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera, ob ich helfe oder nicht helfe, ob ich ein Gentleman bin oder nicht, alles egal. Man wird es mir schon zur Widerwärtigkeit drehen.
Ich verkehre ja durchaus mit vielen Feministinnen diverser "Härtegrade". Selbst die sanften sehen "Maskulist" als was faschistisch-adolfiges. ich rede mir einen Wolf zu erläutern, dass "wir" eigentlich nur eine Reaktion sind, in gewisser Weise progressiver als viele Feministinnen. Wir sind der Eiter, der entsteht, weil ihr eine Runde zuviel an einer Wunde gekratzt habt, die ohne Kratzen schneller geheilt wäre.
Oder so. Ich Literat kriege es nicht so hin wie Herr Bradford. Aber es wird.
Habe das Interview soeben an diverse Feministinnen weitergeleitet. Solltest du nie wieder von mir hören, suche am Ortausgangsschild von mir. Laut Dieter Nuhr werden Typen wie ich da aufgehängt, angenagelt mit einem Körperteil ihrer Wahl.
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