Mittwoch, März 02, 2022

Wie Putin Russlands Söhne missbraucht, Schwulenhass als Kriegsgrund, Wehrpflicht-Debatte in Deutschland – News vom 2. März 2022

1. In dem auf T-Online veröffentlichten Beitrag "So hinterhältig geht Putin mit den eigenen Soldaten um" heißt es:

Die Soldaten der russischen Invasionsarmee in der Ukraine sind offenbar unter Druck und unter falschen Vorwänden zu dem Einsatz bewegt worden. Das berichtet die unabhängige russische Zeitung "Nowaja Gaseta" und beruft sich auf Gespräche und Dokumente von Soldatenmüttern.

So erzählt etwa die Mutter des 23-jährigen Pavel, der seinen Wehrdienst in der Amur-Region im Osten Russlands leistete, ihre Geschichte. Schon im September seien die Soldaten gedrängt worden, einen Zweijahresvertrag mit der Armee zu unterschreiben. Wer sich weigerte, habe den ganzen Tag schwere Munitionskisten schleppen müssen. Der versprochene Sold sei nie bezahlt worden, nur eine Zulage habe es gegeben. Anfang Februar kam Pavel dann nach einer zweiwöchigen Zugfahrt in Belarus an.

Die angekündigte Übung dort sei früher beendet worden als angekündigt, stattdessen seien sie näher an die Grenze zur Ukraine verlegt worden. Am Telefon sei ihr Sohn in großer Sorge gewesen, weil westliche Geheimdienste berichteten, dass in 48 Stunden der Krieg losgehen solle. Das seien alles Lügen, habe sie ihren Sohn noch beruhigt.

Am Abend des 23. Februar 2022 habe Pavel sie erneut angerufen, erzählt seine Mutter. Da hätten sie schon die Grenze zur Ukraine überschritten. Die Kommandeure hätten den Soldaten gesagt, sie hätten illegal die Grenze überschritten und ab sofort nichts mehr mit der russischen Armee zu tun, sie seien jetzt Deserteure. Der Vertrag, den sie unterschrieben hatten, sei ungültig und sie hätten keinen Anspruch auf Zahlungen, hatten die russischen Befehlshaber erklärt.

Die "Nowaja Gaseta" schreibt, dass sie die Schilderungen von Pavels Mutter überprüft habe. Der Zeitung lägen Fotos von Pavels Reisepass und die Bittschreiben der Mutter an die Staatsanwaltschaft und Pavels Kommandeure vor. Wo ihr Sohn jetzt sei und wie es ihm gehe, wisse Pavels Mutter nicht. Der Kontakt sei abgebrochen.


Bestürzend sind die letzten Textnachrichten eines russischen Soldaten an seine Mutter

Die Neue Zürcher Zeitung berichtet über Putins Rekrutierungsmethoden:

"Pawel", sagt er, spricht leise, wiederholt es noch einmal. "Pawel, geboren 2002, Fahrer, aus der Region Irkutsk." Die Augen hat ihm jemand mit Klebeband verbunden. Die Kapuze seiner Armeejacke bewegt sich hin und her. Die harsche Befragung geht weiter, gefilmt auf Video.

In den sozialen Netzwerken finden sich Dutzende solcher Aufnahmen, Dutzende solcher "Pawels" – russische Soldaten, die in ukrainische Gefangenschaft geraten sind. Sie berichten Ähnliches: Sie seien zu "Übungen" da, hätten nicht gewusst, wohin sie gebracht würden, die Vorgesetzten hätten ihnen die Telefone abgenommen. Sie knien, sitzen in Unterwäsche, ohne Uniform auf Treppenstufen oder liegen verletzt im Krankenbett.

Manche russische Familien erfahren erst durch solche verstörenden Videos, wo sich ihre Söhne und Brüder aufhalten. Dass sie im Krieg gegen die Ukraine sind, den Russland offiziell mit dem beschönigenden Begriff "militärische Spezialoperation" bezeichnet. Viele Eltern von russischen Soldaten rufen derzeit bei Hilfsorganisationen an, um den Aufenthaltsort ihrer Kinder herauszufinden. Das russische Verteidigungsministerium äussert sich nicht. Erst am Sonntag gab ein Sprecher zu, dass es auch verletzte und getötete russische Militärangehörige in der Ukraine gibt. Zahlen nannte er nicht.

"Ich weiss einfach nicht, wo mein Sohn derzeit steckt. Wohl in der Ukraine. Verrichtet dort seinen Job." Darja Nikolajewa klingt unruhig am Telefon. Der letzte Anruf von ihrem Jegor sei aus Weissrussland gekommen, seitdem: drei Wochen Stille. Die 43-Jährige aus einer Industriestadt am Ural glaubt ihren Sohn im "Kampf". Auch sie nimmt das Wort "Krieg" nicht in den Mund, wie die meisten Menschen in Russland. Erst nach der Zusicherung von Anonymität hat sie sich auf das Gespräch eingelassen, ihr Name lautet in Wirklichkeit anders.

Sie wolle keinen Ärger, für sich nicht, für ihren Jegor ebenfalls nicht. Der 24-Jährige brauche "diese Anstellung", er müsse seine Familie versorgen, sein kleiner Sohn sei erst zwei. "Wir leben in der Provinz, arbeiten beim Staat. Viel anderes gibt es hier nicht. Der Staat ist ein zuverlässiger Arbeitgeber." Sie und ihr Mann hätten Jegor zum Dienst in der Spezialeinheit Omon gedrängt. Sportlich sei er, die Bezahlung sei gut. Dass er jemals ein "Quasi-Militärangehöriger" werde, daran hätten sie nicht gedacht. "Ich mache mir Sorgen um Jegor."

(…) Andere Soldatenmütter weinen ebenfalls. Viele von ihnen haben seit Tagen nichts von ihren Söhnen gehört. "Bei uns melden sich seit Wochen vermehrt Mütter von Wehrpflichtigen und wollen erfahren, wo ihre Kinder sind", sagt Olga Larkina vom Moskauer "Komitee der Soldatenmütter". Die Menschenrechtsorganisation hat es sich zur Aufgabe gemacht, Missständen in der russischen Armee auf den Grund zu gehen. "Viele der Jungs werden offenbar gezwungen, als Zeitsoldaten Verträge zu unterschreiben – und werden in die Ukraine geschickt." Die russischen Behörden bestreiten eine solche Praxis.

In Russland gibt es eine zwölf Monate dauernde Wehrpflicht. Bereits vorher können die Rekruten ihren Dienst verlängern und werden zu sogenannten "kontraktniki", Vertragsmilitärs. Nur als solche dürfen sie bei "Militäroperationen" eingesetzt werden, so steht es in einem Ukas des Präsidenten. Larkina berichtet von Wehrpflichtigen, denen die Verträge offenbar ausgefüllt vorgelegt werden, damit man sie schnell einsetzen kann. "Sie werden nicht gefragt, manche stellt man einfach in einer Reihe auf und lässt sie unterzeichnen. Da muckt doch keiner auf." Manche Verwandte fragen bei Fotografen im Kriegsgebiet nach Bildern, in der Hoffnung, ihre Brüder und Söhne darauf zu erkennen.

Nach Berichten von Russlands unabhängigen Medien sollen russische Einberufungsämter derzeit vermehrt Vorladungen an die aus Ausbildungs- oder Gesundheitsgründen Zurückgestellten verschicken. Auch Eltern von bald 18-Jährigen wenden sich an die "Soldatenmütter", wollen herausfinden, wie sie ihren Sohn vor der Einberufung schützen können.

Ohnehin tun viele russische Mütter und Väter einiges dafür, ihre Söhne vor der gnadenlosen russischen Armee zu bewahren, auch in friedlichen Zeiten. Nun, in Zeiten des Krieges? "Ich werde meinen Sohn wegschicken aus unserer Stadt, werde den Behörden sagen, dass er nicht hier lebt. Wenn es sein muss, werde ich ihn im Keller verstecken", zitiert das russischsprachige Nachrichtenportal "Meduza" eine russische Mutter.

Darja Nikolajewa hat ihren Jegor nie versteckt. "Er macht einen wichtigen Job. Dachte ich immer. Und wenn er nun im Zinksarg zurückkommt?"




2. In der "Welt" befasst sich Deniz Yücel mit dem Kriegsgrund Schwulenhass als kaum beachteten Aspekt aus Putins Kriegserklärung.

Über die Fernsehansprache des russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin, in der er am Donnerstag voriger Woche seinem Volk und dem Rest der Welt seine Gründe für den Überfall auf die Ukraine darlegt hat, wurde viel gesprochen. Aber ein Aspekt hat dabei recht wenig Beachtung gefunden. Ein paar Sätze nur, die es aber in sich haben und es wert sind, in Gänze zitiert zu werden:

"In der Tat haben die Versuche, uns für ihre Interessen zu missbrauchen, unsere traditionellen Werte zu zerstören und uns ihre Pseudowerte aufzuzwingen, die uns, unser Volk, von innen heraus zersetzen würden, nicht aufgehört, jene Haltungen, die sie bereits aggressiv in ihren Ländern durchsetzen und die direkt zu Degradierung und Entartung führen, da sie gegen die menschliche Natur selbst gerichtet sind."

Wen er damit meinte, hatte er unmittelbar zuvor gesagt: „den sogenannte kollektive Westen“. Er verzichtete nur darauf auszuführen, welche "Pseudowerte" er meinte – offensichtlich im Vertrauen darauf, dass das russische Publikum ihn auch so verstehen würde.

"Zersetzung", "Entartung", "gegen die menschliche Natur" – so klingt nämlich das Vokabular, mit dem der russische Autokrat seit Jahren gegen schwul-lesbische und queere Lebensstile und gegen die LGBT-Bewegung hetzt. Doch dass er, seine homophoben Ressentiments noch in seiner Kriegsrede aufgriff und diese, natürlich neben weiteren Gründen, zur Begründung des Angriffs auf die Ukraine heranzog, ist bemerkenswert. Kriegsgrund Schwulenhass, ein weltgeschichtliches Novum.

Ansonsten aber gehört die Pathologisierung und Diskriminierung von Homosexuellen, mitunter auch ihre mordlüsterne Verfolgung zum festen Herrschaftsrepertoire in fast allen Staaten, nun ja, die in den einschlägigen Berichten von Menschrechtsorganisationen eher weniger gut wegkommen. (…) Schließlich wurden, auch daran sei erinnert, im nationalsozialistischen Deutschland Schätzungen zufolge 10.000 bis 15.000 Schwule allein aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ermordet. "Für die Homosexuellen ist das Dritte Reich noch nicht zu Ende", bemerkte der Historiker Hans-Joachim Schoeps, ein bisexueller Jude mit konservativen Ansichten noch 1963; es dauerte Jahrzehnte, ehe die homosexuellen Opfer der Nazis rechtlich rehabilitiert und ihre Leiden gesellschaftlich anerkannt wurden.


Als einen von mehreren Ursachen für diesen Hass nennt Yücel das in diesen Regimen vorherrschenden Verständnis von Männlichkeit:

Weil ein ausgeprägter Männlichkeitskult zu den traditionellen Werten gehört – Putin mit nacktem Oberkörper beim Angeln und zu Pferde, Erdogans Gerede von "Soldatentum" und "Märtyrern" – und sich autoritäre Herrscher ausnahmslos als Machotypen inszenieren, als hart, stark, dominant, gilt es als Angriff auf die Männlichkeit, wenn Männer Männer lieben.

Darum wendet sich die Homophobie auch viel aggressiver gegen die schwule Liebe; in vielen Staaten richten strafrechtliche Verbote gleichgeschlechtlicher sexueller Beziehungen nur gegen schwulen Sex, während lesbische Liebe in dieser phallusfixierten Welt nicht als "richtiger" Sex gilt (und heimliches Objekt pornographischer Phantasien herhält).

Doch wo Männer so unter sich sind wie in den Apparaten eines Putin oder Erdogan, schwingt auch eine verdrängte homoerotische Note mit. Hart, stark, dominant, männlich – all diese Attribute ließen sich auch homoerotisch lesen. Weil man ahnt, muss man schwulen Sex umso aggressiver abwehren. Projektion im klassischen Freudschen Sinne, als "Verfolgen eigener Wünsche in anderen".

(…) Darum ist es richtig, die Rolle des Militärs zu überdenken. Falsch ist es hingegen, als Reaktion auf den russischen Überfall auf die Ukraine das Lied von einer "Verweichlichung" und "Verweiblichung" der westlichen Welt anzustimmen. Denn das ist kein Freiheitslied, das ist die Marschmusik der Putins dieser Erde.

Wo Putin auch aus Schwulenhass ein Krieg führt, muss die Verteidigung der Homorechte – als Bestandteil von Grundrechten und -freiheiten –, Grund sein, die Waffen nicht zu strecken, sondern zur Abschreckung bereitzuhalten. Und jenen zu liefern, die dazu gezwungen sind, sie anzuwenden.




3. In Deutschland gewinnt die Wehrpflicht-Debatte an Fahrt:

Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Carsten Linnemann sagte der "Bild": "Ich persönlich setze mich seit Jahren für die Einführung eines Gesellschaftsjahres ein, das sich verpflichtend an junge Männer und Frauen nach Beendigung ihrer Schulzeit richtet."

"Ein solcher Dienst würde sich nicht auf die Bundeswehr beschränken, sondern auch den Pflege- und Sozialbereich sowie THW, Feuerwehr oder Vereine berücksichtigen", sagte Linnemann weiter. "Das würde die Krisenresilienz unserer Gesellschaft stärken. Soziale Kompetenzen werden vermittelt, die es in diesen anhaltend schwierigen Zeiten braucht."

Unterstützung kam vom stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion im Bundestag, Johann Wadephul (CDU). "Wenn dieser Dienst finanziell attraktiv gemacht wird und konkrete Vorteile wie das Ansammeln von Rentenpunkten oder ein erleichterter Zugang zu Studien- oder Ausbildungsplätzen geschaffen werden, haben wir die Chance, sehr viel mehr Personal anzuwerben", sagte Wadephul der "Welt".

"Die Bundeswehr muss mehr in die Gesellschaft hereingeholt werden", sagte er weiter. "Spätestens seit den jüngsten Ereignissen muss allen klar sein, dass die Bundeswehr Grundvoraussetzung für unser Leben ist, da sie Sicherheit und Freiheit garantiert."

Die sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Sara Nanni, sagte der "Welt": "Wer in die Bundeswehr investiert, muss selbstverständlich zuallererst in das Personal investieren. Es ist das Rückgrat der deutschen Verteidigungspolitik." Die beste Werbung für die Bundeswehr seien sinnvolle Mandate und eine gute Arbeitsumgebung. "Kein PR-Video kann übertünchen, was von Mund-zu-Mund über die Probleme in der Bundeswehr berichtet wird." Daher müsse deutlicher gegen rechtsextreme Netzwerke und Soldaten vorgegangen werden, "die durch ihre Einstellungen eine gute Kameradschaft untergraben".

Der Sicherheitsexperte der SPD-Bundestagsfraktion, Wolfgang Hellmich, sagte der "Rheinischen Post": "Die Debatte über eine allgemeine Dienstpflicht müssen wir dringend führen. Denn dafür brauchen wir einen gesellschaftlichen Konsens." Eine Dienstpflicht würde seiner Ansicht nach "den Gemeinsinn fördern".

(…) Die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl (SPD), erteilte einer bloßen Reaktivierung der Wehrpflicht eine Absage. Sie sprach in dem Zusammenhang der "Welt" zufolge von einer "theoretischen Diskussion, die in der aktuellen Situation nicht weiterhilft".

Zuspruch bekam sie vom verteidigungspolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Marcus Faber, der der "Welt" sagte, er hielte eine Wiedereinführung für "das falsche Signal".

Auch CSU-Verteidigungsexperte Florian Hahn ist gegen eine Reaktivierung der 2011 vom damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ausgesetzten Wehrpflicht. "Wir brauchen Technologie und Waffensystem und keine Köpfe. Die Wehrpflicht ist zum aktuellen Zeitpunkt kein Thema", sagte er der "Bild".




4. Die Vereinten Nationen sind wegen dem Ukraine-Krieg um "Frauen und Kinder" besorgt.



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