US-Demokraten gehen auf Distanz zu den woken Linken – News vom 13. Juli 2021
Ich erweitere im Sommerloch dieses Blog thematisch mal ein bisschen und weise stärker als sonst auch auf Meldungen hin, die über die reine Geschlechterdebatte hinausgehen.
1. In einem Artikel der Zeitschrift "Stern" berichtet Niels Kruse über wachsende Distanzierungen zur "woken" Bewegung:
Mittlerweile kommt auch in Deutschland kaum noch jemand an den Aufgeregtheiten der Identitätspolitik vorbei. Der "Spiegel" titelt in seiner neuen Ausgabe: "Aufstand gegen den alten weißen Mann. Gendersprache, Quoten, Tabus – Fortschritt oder neue Ungerechtigkeit?" In der Geschichte selbst wird eine Studie der Uni Münster erwähnt, die "erstmals den Nachweis erbracht hat", dass Identitätspolitik spaltet. Und zwar europaweit. "Der Politik empfehlen wir daher, sich nicht auf eine Seite der polarisierten Positionen zu schlagen", heißt es darin, die einer Aufforderung zu aalglattem Opportunismus gleicht.
Doch ausgerechnet in den USA, wo es an identitätspolitischen Haltungen – egal ob rechte oder linke – schon lange kein Vorbeikommen mehr gibt, beginnen manche Wahlkämpfer, den Rat zu beherzigen. Es sind auch noch die Demokraten, die beginnen, sich von "woken" Ideen und Vertretern zu distanzieren. "Woke" heißt soviel wie wachsam, erwacht, aufmerksam und ist eine Weiterentwicklung von "politisch korrekt". Menschen, die "woke" sind, gendern und prangern Rassismus an, sie fordern Quoten für Minderheiten und sensible Sprache. Im Grunde führen sie nur eine Art Kampf für mehr Gerechtigkeit und weniger Diskriminierung. Doch ihr Selbstverständnis und die Wahl der Waffen stoßen zunehmend auf Kritik, selbst bei Linken und Linksliberalen.
Hier geht es weiter.
2. Die Neue Zürcher Zeitung beschäftigt sich mit dem Sinn von Triggerwarnungen, um Menschen vor den Emotionen zu schützen, die Kunstwerke oft erzeugen können und sollen.
Zum selben Thema schreibt auch Anna Schneider in der "Welt" – leider hinter einer Bezahlschranke. Eine Passage daraus:
Die nigerianische Autorin Chimamanda Ngozi Adichie formulierte es vor Kurzem auf ihrer Website unter dem Titel "It Is Obscene: A True Reflection in Three Parts" so: Es gäbe nun eine Generation junger Menschen in den sozialen Medien, die sich so sehr davor fürchteten, die falschen Ansichten zu haben, dass sie sich der Möglichkeit, selbst zu denken, zu lernen und zu wachsen, beraubten. "Ich habe mit jungen Menschen gesprochen, die mir erzählten, dass sie sich davor fürchteten, überhaupt zu twittern, dass sie ihre Tweets wieder und wieder lesen, weil sie Angst haben, attackiert zu werden", schreibt Adichie.
3. Bei Heise erörtert Jennifer Neda John, warum die Generation Z, von der Adichie spricht, gleichzeitig besonders gerne auf Fake News im Netz hereinfällt.
Eine Teenagerin richtet ihr Handy auf ihr Gesicht und blickt ernst in die Kamera. Eine Schrift blendet sich auf ihrem Kapuzenpulli ein mit einer bedrohlichen Warnung: Wenn Joe Biden zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wird, werden fanatische Trump-Anhänger ("Trumpies") Massenmorde an LGBT-Personen und an Farbigen begehen. Eine zweite Bildunterschrift verkündet: "Das ist der 3. Weltkrieg in echt." Das Video wurde am 2. November 2020 auf dem Videoportal TikTok gepostet und mehr als 20.000 Mal geliked. In dieser Zeit verteilten Dutzende anderer junger Menschen ähnliche Warnungen in den sozialen Medien, und ihre Beiträge erhielten Hunderttausende Likes und Kommentare.
Natürlich waren die Behauptungen eindeutig falsch. Warum sind dann so viele Mitglieder der Generation Z – eine Bezeichnung für Menschen im Alter von etwa 9 bis 24 Jahren, die vermutlich digital versierter sind als ihre Vorgänger – auf solch eklatante Fehlinformationen hereingefallen?
(…) Soziale Medien begünstigen (…), dass man eher einzelnen Persönlichkeiten vertraut. Dadurch gewinnen Influencer an Autorität. Allein, weil sie wie ihre Follower aussehen und sprechen, wird ihren Aussagen vertraut – auch bei Themen, für die sie keine Expertise haben. Laut einer Umfrage von Common Sense Media wenden sich 60 Prozent der Teenager auf YouTube eher Influencern zu als Nachrichtenorganisationen, um aktuelle Ereignisse zu verfolgen. So werden Behauptungen von Meinungsmachern oft als Fakten gewertet – während Fachexperten darum kämpfen müssen, gehört zu werden.
Dieses Problem ist leider weder auf die Generation Z noch auf die "sozialen Medien" begrenzt, wie ich aus eigener Erfahrung weiß.
Das war einer der Hauptgründe, warum das Gerücht über drohende, massive Gewalt nach der Wahl viral ging. Die Personen, die solche Warnungen teilten, wirkten auf ihr Publikum sehr glaubwürdig. Viele von ihnen waren divers oder offen Teil der LGBT-Gemeinschaft, und ihre früheren Beiträge behandelten vertraute Themen wie Familienkonflikte oder Probleme beim Matheunterricht. So vermittelten sie ein Gefühl, ähnliche Erfahrungen wie ihre Follower gemacht zu haben, wodurch es leicht fiel, ihnen zu glauben – auch, wenn sie keine Beweise für ihre Behauptungen hatten.
4. Nach einem Beschluss des schleswig-holsteinischen Landesarbeitsgerichts in Husum stelltt das Gendersternchen keine sexistische und rassistische Diskriminierung dar.
Die klagende Person hatte unter Berufung auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) aufgeführt, "wegen ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Identität oder ihrer Rasse oder wegen ihrer Schwerbehinderung" diskriminiert worden zu sein. Begründung: Der Begriff "Bewerber*innen" ziele auf den Aspekt Geschlecht ab. Der Vorwurf des Rassismus war laut dem Beschluss des Arbeitsgerichts aufgekommen, weil die klagende Person argumentierte, dass "zweigeschlechtlich geborene Menschen in der Vergangenheit in verschiedenen Gesellschaften unter diesem Gesichtspunkt verfolgt" worden seien.
Ich stelle fest, der Umgang mit dem Sexismus- und Rassismus-Vorwurf wird immer kreativer.
5. Ernst zu nehmen hingegen ist ein Beitrag, in dem sich der Buchautor und Blogger Gunnar Kunz mit unserer sexistischen Justiz beschäftigt. Der lesenswerte Beitrag wurde anlässlich des Gender Empathy Gap Days veröffentlicht.
<< Home