Wenn Linke rechtsextremes Denken übernehmen – News vom 29. April 2021
1. Auf Telepolis bespricht Rüdiger Suchsland "Generation Beleidigt", das aktuelle Buch der französischen Autorin Caroline Fourests. Ein Auszug:
Fourest ist wütend auf kanadische Studenten, die die Streichung eines Yogakurses fordern, um sich nicht "dem Risiko der indischen Kultur" aussetzen zu müssen. Sie ist wütend auf Schulen, die die großen Romane von Flaubert, Dostojewski und Nabokov als "anstößig" aus dem Unterrichtsplan streichen. Auf Filmuniversitäten (!), an denen Filmstudenten sich weigern, Filme von Roman Polanski und Woody Allen oder Produktionen von Harvey "#MeToo" Weinstein oder Bertoluccis "Last Tango of Paris" überhaupt jemals anzusehen, und die sich für ein Seminar über Horrorfilm einschreiben, aber trotzdem bei jedem Film eine Triggerwarnung fordern, weil "Traumata berührt werden".
(…) Vor knapp zehn Jahren machte die - in Frankreich verbotene, in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtete - "Identitäre Bewegung" (IB) von sich reden. Unter diesem Schlagwort versuchten Rechtsextremisten aus Deutschland, Österreich und Italien, Rassismus und antidemokratisches Denken mit popkulturellem Auftreten, modernen Medien und aktivistischen Techniken zu verbinden, um so für eine junge Generation attraktiv zu werden.
Genau hier greift nun der Hauptvorwurf von Caroline Fourest. Mit vielen Beispielen unterfüttert, argumentiert sie, dass inzwischen die Linken die Denk- und Argumentationsstruktur der IB kopiert haben und mit eigenen Ideen füllen. Diese "identitäre Linke" ersetze Protest durch Zensur und trete als "Inquisitoren" und "Kulturtaliban" auf.
(…) Die säkulare, nicht-identitäre Linke und die liberale Mitte wissen sich vorerst nicht adäquat dagegen zu wehren. "Wir leben in einer Zeit", so Fourest, "in der ein Antisemit, ein Nazi oder ein Islamist ohne größere Probleme seine Weltanschauungen auf den sozialen Medien verbreiten kann, während es für radikal säkulare Linke immer schwieriger wird, ihre Ansichten zu vertreten. Und zwar auch, weil sie von diesem Teil der Linken, den identitären Linken, daran gehindert wird".
Wir säkularen Linken müssen offenbar noch viel deutlicher zeigen, dass wir uns das nicht bieten lassen.
2. Die Badische Zeitung hat die forensische Psychiaterin Sigrun Roßmanith zu ihrem aktuellen Buch über "Täterinnen" interviewt. Ein Auszug:
BZ: Frau Roßmanith, warum braucht es ein Buch über Frauen als Täterinnen?
Roßmanith: Weil es zwar stimmt, dass Frauen in sehr geringer Anzahl Gewalttaten und in noch geringerer Zahl Sexualstraftaten begehen, diese aber dennoch in der Betrachtung des Ganzen meist fehlen. Die Rolle der Frau als Opfer ist im gesellschaftlichen Blickwinkel nahezu einzementiert. Man traut Frauen Gewalttaten kaum zu und hört selten etwas von häuslicher Gewalt, die von Frauen verübt wird. Männer hingegen haben keinen Opferstatus, und wenn ein Mann wirklich mal anzeigt, dass eine Frau ihm gegenüber gewalttätig geworden ist, dann wird er als Loser wahrgenommen. Es stimmt, die Mehrheit der Frauen ist Opfer. Aber die Gesellschaft macht daraus ein immer. Das entspricht nicht der Realität.
Die Mehrheit der Frauen sind natürlich keine Opfer. Was Roßmanith offenbar meint, ist "Die Mehrheit der Opfer sind weiblich" – und auch das ist zweifelhaft.
BZ: Wie sieht die [Realität] denn aus?
Roßmanith: Etwa zwölf bis 15 Prozent der Gewalttaten werden von Frauen verübt, weltweit sind weniger als fünf Prozent der Amoktäter weiblich. Häufig wird davon ausgegangen, dass Gewalt von Frauen nur reaktiv ist. Das ist allerdings nicht meine Erfahrung. Frauen sind nicht bessere Menschen als Männer, bei ihnen greifen nur andere Mechanismen. Wir sind Meisterinnen der destruktiven verbalen und emotionalen Gewalt. Doch dass Frauen Täterinnen sein können, können sich nur wenige vorstellen, da überwiegt das Gute-Mutter-Stereotyp. Diese Schattenecke wollte ich ausleuchten. Sachlich, wertfrei, ohne zu verurteilen. Ich sage einfach: Das gibt es auch. Das kann ich nur als Frau machen, und nur als eine, die schon Jahrzehnte an Erfahrung hat und nichts mehr werden möchte.
Stimmt. Wenn wir Männer dasselbe tun, bricht ein Tsunami an Diffamierungen über uns hinweg.
BZ: Es wird ja oft angenommen, die Hemmschwelle zur Gewalt liege bei Frauen höher als bei Männern. Ist dem so?
Roßmanith: Die Schwelle, die überschritten werden muss, um jemanden zu töten, ist üblicherweise enorm hoch – bei Männern und Frauen. Bei beiden entfaltet das Gefühl, gekränkt worden zu sein, eine enorme Sprengkraft, die zu Gewalttaten führen kann. In der gesellschaftlichen Wahrnehmung hingegen fällt das Töten Männern leichter, Frauen töten immer nur aus gravierenden Gründen. Und es gibt noch etwas Eigentümliches: Der Begriff der traumatisierten Frau ist gang und gäbe. Es kommt vor, dass ein Täter oder eine Täterin etwas Traumatisches erlebt hat, was vielleicht dazu beigetragen hat, dass er oder sie die Tat begangen hat. Männer haben kein Opfergefühl, sie führen so etwas nie an, während Frauen oft von sich aus sagen: Ich bin traumatisiert, sonst wäre das nicht passiert.
(…) BZ: Inwieweit spiegelt sich diese Wahrnehmung von Frauen als Täterinnen in Gerichtsurteilen wider?
Roßmanith: Gerichten wurde früher gern vorgeworfen, dass sie gegen Frauen niedrigere Freiheitsstrafen verhängen. Das stimmt zumindest bei Gewalttaten von Frauen in Österreich – und nur hier kann ich das bestimmt sagen – nicht mehr. Jüngst hat eine Mutter, die ihre drei Kinder getötet hat, lebenslänglich bekommen. Das wäre vermutlich vor 25 Jahren nicht so gewesen. Da wurden Frauen oft einfach als Mittäterin oder ihre Tat als einmalige Entgleisung in einer Lebenskrise gesehen. Bei Sexualstraftäterinnen ist das bis heute oft noch so. Nehmen Sie Ghislaine Maxwell, die Mittäterin des verurteilten Sexualstraftäters Jeffrey Epstein. Sie deklariert sich nur als Mittelsfrau, die selbst abhängig war von Epstein, während die Opfer sie als Täterin bezeichnen. Es fällt uns schwer, uns vorzustellen, dass eine Frau sich sexuell an Minderjährigen vergeht, weil sie das Zuschauen und Mitmachen genießt. Aber das gibt es.
Ich habe das Buch "Teufelinnen" vor ein paar Wochen über die Fernleihe der Hessischen Landesbibliothek bestellt, werde es heute erhalten und bin gespannt auf die Lektüre.
3. Die "Ruhrbarone" haben einen Nachruf auf das generische Maskulinum veröffentlicht:
Das generische Maskulinum (GM) hat verloren. Da gibt es nichts zu beschönigen. Der Kampf war schmutzig und lang und die Niederlage ist eindeutig. Wenn jetzt im Duden steht, das Wort "Schüler" bezeichne einen männlichen Schüler, wenn im Öffentlichen Rundfunk jetzt grundsätzlich "Politiker(-Pause-)Innen" gesagt wird, dann wird sich das nicht zurückdrehen lassen. Die neue Sprechweise wird zur Normalität werden und zukünftige Generationen werden glauben, es seien damals wirklich nur Männer gemeint gewesen.
Natürlich wird ein aufgeklärter Leser ältere Texte noch verstehen können, wird wissen, dass das in diesem Zusammenhang irgendwie auch Frauen betreffen konnte. Aber für einen Menschen, der mit Gendersprache aufgewachsen ist, wird sich ein alter Text, in dem es 2die Schüler" heißt, völlig falsch anfühlen. Es wird der Eindruck entstehen, wir hätten in einer Zeit gelebt, in der Frauen gesellschaftlich nahezu ausgeschlossen waren. Das ist eine rückwirkende Verzerrung. Es ist auch entwürdigend gegenüber all den Frauen in der bisherigen Geschichte, die sehr wohl gemeint waren; die bald rückwirkend in Texten nicht mehr in Erscheinung treten, weil man die Sätze dann anders interpretiert.
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