Donnerstag, April 22, 2021

Insider-Report: Wie das Genderlager Recht und Rechtswissenschaft ideologisiert

Einer meiner Leser schrieb mir vergangene Woche:



Derzeit nehme ich an einer Webkonferenz "Law and Gender" meiner Universität teil — mehr als Gegenspieler, weil die Liste der Dozenten die gewohnte Einseitigkeit bietet. Unter anderem nimmt auch Frau Professorin Laskowski teil, die in juristischer Hinischt federführend für die verfassungswidrigen Paritätsgesetze war. Ich würde an für sich gerne darüber eine längere Zusammenfassung und Bewertung schreiben, habe allerdings weder Plattform noch Accounts in social media. Hätten Sie Interesse daran, etwas derartiges — natürlich mit Ablehnungsrecht und Prüfungsrecht Ihrerseits — auf Genderama zu veröffentlichen?




Ich habe ihn dazu eingeladen, mir den von meinem Leser daraufhin eingereichten Text angesehen und entschieden, ihn hier als Gastbeitrag zu veröffentlichen, weil er meines Erachtens gut zeigt, wie im Geschlechterbereich Recht und Rechtswissenschaft zunehmend ideologisiert und politisiert werden. Genderama ist zwar vorrangig als News-Blog gedacht, das jeder problemlos mal eben in seiner Mittagspause lesen kann, aber gelegentlich möchte ich hier auch einer ausführlichen Darstellung und Analyse auf höherem Niveau zu Spezialthemen innerhalb der Geschlechterdebatte Raum geben.



I. Veranstaltung

Bei der Veranstaltung handelte es sich um ein Multiplier-Event für den geplanten Masterstudiengang "Law and Gender" der Universität des Saarlandes (mehr hier, hier und hier. Es waren verschiedene Vorträge, aufgeteilt auf den 13 und 15. April 2021. Bei Masterstudiengängen dieser Art erhält der Absolvent nachher das Recht, den Titel "LL.M" (Master of Laws) zu führen. Wie sinnvoll die Zusatzqualifikation solcher Studiengänge ist, hängt im Wesentlichen davon ab, wer gefragt wird. Nicht unbeachtlich ist dabei das Interesse der ausrichtenden Universitäten. Diese Studiengänge sind typischerweise "drittmittelfinanziert". Dabei fällt für die Universitätszentrale der "Overhead" ab, das sind je nach Standort soweit ich weiß aber jedenfalls mehr als 10% der Einnahmen. Frage ist natürlich: wer stellt die Drittmittel bereit? In diesem Fall: Erasmus+.

II. Wie ich zur Veranstaltung kam

Ich bin zurzeit Rechtsreferendar, aber noch Mitarbeiter an der Universität des Saarlandes und habe — über welchen E-Mail-Verteiler auch immer — eine Einladung zur Veranstaltung erhalten. Nun bin ich zugegebenermaßen kein Freund von Quoten und grundsätzlich kritisch bis äußerst kritisch gegenüber Ideen und daraus abgeleiteten Maßnahmen des "Genderlagers" eingestellt. Nichtsdestotrotz bin ich der Überzeugung, dass man sich auch mit seinem vermeintlichen Feind — so schwer das auch sein mag — möglichst höflich unterhalten sollte (das bedeutet ja gerade zivilisiert, oder nicht?). Also entschloss ich mich, teilzunehmen. Zwei gute Kollegen an der Universität sind ähnlich skeptisch eingestellt. Der Versuch, sie zur Teilnahme zu überzeugen, schlug leider fehl.

III. Inhalt der Veranstaltung

Verschiedene Dozenten hielten Kurzeinheiten zum Thema Gender und Recht. Im Wesentlichen waren das Werbeveranstaltungen, wieso man den Studiengang braucht und was dann darin vermittelt wird. Drei der Vorträge haben nur mittelbar etwas mit dem Masterstudiengang zu tun gehabt und genau die möchte ich hervorheben:

1. Diskriminierung und Antidiskriminierung in der juristischen Ausbildung

Dozentin war Frau Dr. Dana-Sophia Valentiner. Was mich zu Beginn des Vortrages nicht hätte mehr faszinieren können: Es war das erste Mal, dass ich beobachten konnte, wie es jemand wirklich präzise und diszipliniert schaffte, die -Innen-Form im Sprachgebrauch zu verwenden. Bisweilen dachte ich, das wäre unmöglich. Aber sie zog das wirklich durch und ich dachte mir: Respekt. All die Bewunderung konnte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, wie merkwürdig sich das anhört. Es war — jedenfalls für mich — stets ein Bruch im organischen Sprachfluss. Ich musste auch bei jeder Verwendung feststellen, dass mein Gehirn den Kontext nicht automatisch zerlegen konnte — "meint sie jetzt wirklich nur die Juristinnen oder alle Juristen?". Sie bemühte sich zwar sehr, vor dem -Innen eine kurze Sprachpause zu machen, aber es ist für den Hörer schon eine Zumutung, auf solch feine Nuancen zu achten. Für mich war das leider erneut ein Beleg dafür, dass es sich bei den vermeintlich geschlechter"gerechten" Ideen — all die sonstigen systemimmanenten Widersprüche mal dahingestellt — schlicht um keine anwendbare Lösung handelt.

Der Vortrag selbst hatte für mich einen Titel, von dem ich mir viel erhoffte, aber die Enttäuschung ließ nicht lange auf sich warten. Sie präsentierte lediglich die Ergebnisse einer von ihr einst vorgenommenen Auswertung, in der sie eine gewisse Menge von juristischen Fällen auf Geschlechterverteilung hin untersuchte. Ich empfehle das Lesen der Studie, denn sie ist äußerst anschaulich. Man erkennt in jedem zweiten Satz politische Leidenschaft. Dem kundigen Leser, der die Forderungen dieses politischen Lagers kennt, wird nicht entgehen, dass viele — meist höchst umstrittene — politische Pseudorealitäten dort als Wahrheit behandelt werden. Als Beispiel sei gender"gerechte" Sprache genannt. Allerdings sollte das bei einer Beteiligung von mehreren Gleichstellungsbeauftragten und der Förderung aus Gleichstellungsmitteln nicht Überraschung provozieren, sondern Trauer um die Allokation von Steuergeldern.

Die Idee, ein statistisches Missverhältnis der Geschlechter in juristischen Ausbildungssachverhalten, als Problem zu betrachten, war mir neu. Bemerkenswert war jedoch, dass bei diesem Vortrag — und wie sich zeigen wollte: auch in Folgenden — mehrere Grundannahmen stillschweigend den Raum beherrschten. Sobald ein Dozent auf ein statistisches Ungleichgewicht hinwies: bei allen Beteiligten zustimmendes Nicken mit teils zusammengepressten Lippen. Diese Verhaltensweise konnte ich bisweilen immer dann beobachten, wenn politische Mentalität wieder einmal glücklicherweise ihre Rechtfertigung fand — "ah, mal wieder ein krimineller Ausländer, so wie wir es doch immer wussten!". Offenbar galt unbenannt, aber doch im gemeinschaftlichen Konsens, das Gesetz: statistische Ungleichheit = Diskriminierung. Interessanterweise konnte ich diese Reaktion nicht beobachten, wenn ein statistisches Übergewicht von Frauen in "guten" Dimensionen dargestellt wurde — dafür kennzeichnend: bei Frauen < 50% hieß es "nur", bei Frauen > 50% hieß es "schon".

Der Leiter und Organisator der Veranstaltung — Herr Professor Giegerich — las zu Beginn beider Tage aus einer Zuschrift, die er offenbar von jemandem erhalten habe. Der Verfasser kritisierte wohl, dass es sich bei der Veranstaltung nicht um Wissenschaft handle. Er las diesen Text wie ich fand — leider — nicht mit der notwendigen Reflexion, die eine solche Zuschrift bei Wissenschaftlern auslösen sollte, sondern mit einem Ausdruck wohlwollender Ignoranz, die ihre Veredelung in dem typisch politischen "wie Sie sehen, meine Damen und Herren: es gibt noch viel zu tun!" fand. Inwiefern vorher Versuche unternommen wurden, den Verfasser in die Runde zu bekommen, kann ich nicht beurteilen, allerdings ist es für mich nicht sonderlich überraschend, dass er nicht teilnahm. Wer in aller Welt nimmt freiwillig an Veranstaltungen teil, in denen er a la "es gibt noch viel zu tun" missioniert werden soll?

Als Begründung wurde unter dem Stichpunkt "Wer bildet eigentlich aus?" dann der Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Professoren deutscher rechtswissenschaftlicher Fakultäten dargestellt. Hier wurde dann für mich evident, wieso der oben erwähnte Verfasser seine Kritik äußerte. Was zum Teufel soll das heißen? Heißt das etwa, dass männliche Professoren schon per Definition so fies sind und nur das eigene Geschlecht wählen? Wieso sollte das so sein? Bisweilen konnte ich persönlich bei der Erstellung juristischer Sachverhalte lediglich beobachten: Das Geschlecht ist ziemlich egal. Das interessiert wirklich niemanden. Eigentlich ist es Kennzeichen juristischer Fertigkeit, dass zwischen wesentlichen und unwesentlichen Informationen unterschieden wird. Wenn ein Mandant in einem Satz sowohl den Erwerb neuer Schuhe als auch ein Schreiben vom Vermieter erwähnt, sollten Sie nicht nach der Schuhgröße fragen. Naheliegend und fast schon trivial eigentlich die Erklärung, dass Personen in juristischen Sachverhalten lediglich generische Funktion zukommt (es kommt ja gerade nicht auf sie an) und dass sie deshalb überwiegend männlich gewählt werden, denn so macht das unsere Sprache eben. Die Vorstellung, der juristische Ausbildungssachverhalt "Der A schießt auf den B." verstärke vorhandene Stereotype, während "Die A schießt auf die B" sie aufbreche, erschließt sich mir nicht mal mit Phantasie.

2. Frauen in der juristischen Praxis

Den Vortrag hielt Frau Rechtsanwältin Katharina Miller. Im Vergleich zum ersten Vortrag empfand ich ihn deutlich angenehmer, denn hier wurden — zumindest teilweise — Probleme so dargestellt, dass man tatsächlich darüber reden konnte.

Der erste Teil des Vortrages konzentrierte sich auf die Geschlechterverteilung in juristischen Berufen. Während der Anteil von Frauen im Staatsdienst rasant gewachsen ist, liegt der Anteil von Rechtsanwältinnen nur bei 35,6%. Das für mich tatsächlich Interessante lag allerdings zwischen den Zeilen. Sie selbst stellte fest, dass dieser Umstand offenbar der beruflichen Sicherheit geschuldet ist, die von der Privatwirtschaft typischerweise nicht gegeben wird — als Richter steht ihre berufliche Sicherheit in unserer Verfassung, welcher Beruf kann das sonst von sich behaupten? Und ich dachte mir: So close. Tatsächlich lassen sich viele statistische Unterschiede mit biologischen Durchschnittsunterschieden (insbesondere Neurotizitismus und Agreeableness) erklären, und ganz offenbar wurde von der Autorin stillschweigend die These geduldet, dass Frauen (durchschnittlich!) Berufe mit größerer Sicherheit suchen. Man könnte durchaus sehr provokativ fragen: Was ist daran verkehrt? Wieso sollte das Wirtschaftsleben ein einheitliches Sicherheitsniveau bieten? Ist es nicht gerade eine tolle Sache, dass es verschiedene Sicherheiten gibt und sie wählen können, je nachdem, was sie wollen? (Security diversity?) Wieso sollten Männer und Frauen durchschnittlich dasselbe wollen? Kann man das überhaupt durch kulturelle oder soziale [Eingriffe] verändern?

Man könnte meinen, dass Sicherheit und Entgelt jeweils zwei positive Dimensionen sind. Dementsprechend ist es eigentlich eine triviale Erkenntnis, dass diese beiden Dimensionen nicht beide maximiert werden können. Wer maximale Sicherheit will, muss mit weniger Entgelt leben. Wer maximales Entgelt will, muss auf maximale Sicherheit verzichten. Für mich relevant wäre auch, was ich persönlich, also als Individuum dagegen tun soll. Das statistische Ungleichgewicht von verschiedenen Fachanwälten wurde dargestellt (Frauenüberhang im Familien- und Sozialrecht, Männerüberhang im Baurecht). Muss ich jetzt Familienrecht machen, damit die Statistik besser aussieht? Wieso — das wurde ausdrücklich gefordert — sollte dann eine Frau einen Fachbereich wählen, für den in ihr keine Leidenschaft brennt? Damit irgendeine Statistik besser aussieht? Aber vermutlich sind das Fragen, die nur dann relevant sind, wenn man auf das Individuum abstellt und nicht auf die Gruppenidentität. "Wir Frauen …" fiel nicht nur einmal.

Sie schilderte dann aber ein Problem bei Stillzeiten im Hinblick auf Strukturen in größeren Unternehmen, in denen typischerweise keine "Stillpausen" abgehalten werden, um Milch abzupumpen. Das war für mich erfrischend, denn das war das erste Problem über einer gewissen Erheblichkeitsschwelle — wenn nicht sogar generell das erste echte Problem. Sie skizzierte allerdings dann fast schon reflexartig einen fast schon unüberwindbaren Graben zwischen "dem System" und "den Frauen". Ebenso enttäuschend war die vermeintliche Lösung: Nicht Frauen sollten sich anpassen, sondern das System. Äußerst militant gefordert. Ich fragte sie dann später, wieso denn "das System" Änderungsbereitschaft zeigen solle, wenn die andere Partei, also "die Frauen", sich fast schon renitent auf den Standpunkt stellt, dass von ihr keine Änderungsbereitschaft auszugehen hat. Ihre Antwort war von der Art und Weise her wirklich herzlich, das will ich ausdrücklich festhalten. Sie stellte auch klar, dass solche Transformationen nur miteinander funktionieren — der Widerspruch zum voran Gesagten sei dahingestellt. Inhaltlich überzeugen konnte sie mich leider trotzdem nicht. Ihre Nachfrage, ob meine Frage beantwortet sei, musste ich leider negativ bescheiden. Die Organisatorin sprang ihr dann zur Seite und erwähnte die Lösung in den Niederlanden, durch die offenbar betriebliche Stillpausen vom Gesetzgeber durchgesetzt werden. Ob das tatsächlich eine Lösung ist, die durch gegenseitiges Aufeinanderzugehen gekennzeichnet ist: fraglich. Es ist mir ohnehin unerklärlich, woher die Erwartung an die Wirklichkeit kommt, man könne alles haben. Dass verschiedene Dinge im Leben miteinander konkurrieren und diese Konflikt letztlich durch eine interne Wertehirarchie gelöst wird, die dazu zwingt, das eine für das andere zu opfern, ist doch eigentlich eine Geschichte so alt wie die Zeit selbst. Nicht umsonst steht die Geschichte von Kain und Abel am Anfang der Bibel. Letztlich muss da jeder für sich entscheiden, was er will. Für mich ist — jetzt schon, obwohl ich noch keinen Nachwuchs habe — offensichtlich, dass letzteres 10 mal erfüllender ist, weswegen ich mir nicht die Frage stelle, durch was die Menge der Frauen an beruflichem Auftrieb gehindert wird, sondern was die Menge an Männern bewegt, Familien- für Karrierezeit zu opfern.

Mit Frau Miller hätte ich mich tatsächlich gerne noch länger unterhalten. Ohnehin war ihre offene, sympathische Art, die sich auch in der Antwort auf meine Frage niederschlug, für mich der Mehrwert der Veranstaltung. Dadurch gewann ich die Überzeugung, dass man sich mit dem einen oder anderen Vertreter dieser Ideologie möglicherweise doch gut unterhalten kann. Allerdings war der Zeitrahmen für Rückfragen wirklich eng. Insgesamt muss ich an der Stelle anmerken, dass die Veranstaltung keinen gut organisierten Eindruck erweckte. Bei mehreren Dozenten gab es technische Probleme, die nur mit schlechter Vorbereitung zu erklären sind. Ein Grinsen konnte ich mir kaum verkneifen, als eine Rednerin aus Schweden (eine Professorin für Gender-Studies) Probleme mit der Aufnahmelautstärke ihres Mikrofons hatte und zur Kompensation ihr Notebook dann vor ihr Gesicht hielt, um näher dran zu sein.

3. Gender quota for political participation

Der dritte Vortrag wurde von Frau Professorin Laskowski gehalten, zum Thema "Gender quota for political participation". Hier muss ich sagen: Das fand ich wirklich schlecht. Wenn man den Vorwurf der Wissenschaftsferne belegen will, dann mit diesem Vortrag. Kennzeichnend für wissenschaftlichen Dialog ist ja eigentlich, dass man Argumente tauscht. Die müssen nicht überzeugend sein, aber es ist ein Akt der Fairness, die vom Gegner vorgetragenen Tatsachen und Ansichten zu kommentieren und sich damit auseinanderzusetzen. Die juristische Kurzchronologie: Vorschlag der Paritätslisten (unter anderem von Laskowski in djbZ 14, 93—142) » Gegenansicht (unter anderem Martin Morlok, Ade Parité, DÖV 19, 14—20) » Gesetz Brandenburg & Thüringen » Urteile der beiden Verfassungsgerichte 2020 » jetzt.

Die beiden Verfassungsgerichte schlossen sich nicht der Ansicht von Laskowski an. Bemerkenswert dabei ist aber, dass Morlok ein paar Argumente anführte, die mich beispielsweise überzeugten, zu denen Laskowski aber kein Wort verlor. Und das ist das Geschlechterverhältnis in der Partei selbst. Ihre Darstellung: In Fraktionen (also den Leuten, die tatsächlich im Parlament sitzen) sind nur so und so viel Prozent an Frauen vertreten — in (gerundeten) Prozenten für den Bundestag:

21 CDU | 17 CSU | 42 SPD | 11 AFD | 24 FDP | 54 Linke | 58 Grüne.

Argumentation von Morlok: Wesentlich ist nicht der Vergleich Bevölkerung—Fraktionsanteil, sondern Parteizusammensetzung—Fraktionsanteil. Und siehe da, auf einmal sieht die Sache anders aus (Fraktionsverhältnis—Parteiverhältnis):

20—26 CDU | 42—33 SPD | 11—17 AFD | 24—22 FDP | 54—37 Linke | 58—40 Grüne.

Ich hatte mich deswegen eigentlich wirklich auf den Vortrag gefreut, denn ich wollte wissen, was sie dazu sagt. Bemerkenswert ist ja vor allem, dass die Differenz bei SPD, Linken und Grünen wesentlich größer ist als bei CDU, AFD und FDP. Leider: nichts.

Im Vortrag befindet sich auch die These, dass es keine empirischen Belege dafür gäbe, dass Frauen im Durchschnitt geringeres politisches Interesse aufweisen. Ich saß am Tag vor dem Vortag im Wartezimmer beim Arzt und fand mit Smartphone-Browser auf Anhieb drei. Ich hatte diese These noch woanders gelesen. (unterer anderem hier, insbesondere direkt am Anfang im abstract: "That women generally have lower levels of interest in politics than men is a well rehearsed political fact (Andersen, 1975; Baxter & Lansing, 1983; Burns, 2001; Burns et al., 2001; Campbell et al., 1954; Hayes & Bean, 1993; Tolleson Rinehart, 1992) ..."). Von mir aus kann man die anführen und alle widerlegen, von mir auch aus pauschal behaupten, dass das alles Idioten sind, aber die Behauptung, es gebe überhaupt kein Material, ist schlicht und ergreifend falsch. Meiner Meinung nach ist das der Modus operandi eines politischen Soldaten, der wissenschaftliches Fundament für politische Forderungen anlegen will.

An einer anderen Stelle wurde auf einen Beschluss vom Bundesverfassungsgericht Bezug genommen. Auf der Folie stand

"BVerfG 2015 (2 BvR 3058/14): „Structural disadvantages of female politican“ (recital 24, 8 — with reference to KG Berlin 2014, 4 W 55/14)."

Es ging in der Sache um versagte Prozesskostenhilfe und inzident um das Frauenstatut der Grünen. Das Interssante: Durch die Darstellung auf der Folie und die begleitenden Worte wurde der Eindruck erweckt, dass das Bundesverfassungsgericht die strukturelle Benachteiligung weiblicher Politiker in irgendeiner Form bestätigte. Den Beschluss kann jeder hier nachlesen. Zunächst mal sei festgestellt, dass die fragliche Passage unter "I." steht. Das ist im Beschluss lediglich die Darstellung des Sachverhalts. Es wird dort geschildert, was im Vorverfahren passiert ist. Und selbst wenn das eine Feststellung gewesen wäre: Das ist keine Feststellung von struktureller Benachteiligung weiblicher Politiker, sondern lediglich der Vorwurf an den Beschwerdeführer, er habe sich nicht hinreichend zum Vorwurf der Gegenpartei, dass es so sei, geäußert. Das ist aber was ganz anderes. Das ist eine feine, aber durchaus wesentliche Unterscheidung, denn wie man unten im Beschluss (Rn. 17) liest, ist das die Grundlage für die für den damaligen Beschwerdeführer ungünstige Entscheidung des Gerichts. Jetzt befinden wir uns auch im Block, in dem die Begründung der Entscheidung erfolgt.

Für mich nahezu erschreckend war im Übrigen der Umstand, dass bei jeder Entscheidung gegen das eigene Lager mit einer apodiktischen Selbstverständlichkeit die Ursache bei "Männern" gesehen wurde. Dieses anonyme — und wie ich finde auch (wirklich) sexistische — Feindbild kam für mich in diesem Vortrag besonders stark zur Geltung.

IV. Fazit

Die Frage, ob es sich bei der Veranstaltung um Wissenschaft handelt, ist meiner Ansicht nach zu kurz. Vermutlich wäre die Frage besser: "Ist das noch Wissenschaft?". Irgendwo gibt es vermutlich eine sich stetig bewegende Grenze, bei deren Übertritt man nicht mehr nach Erkenntnis strebt, sondern in die Forschung hereinragender politischer Arm einer politischen Ideologie ist.

Hinsichtlich des Organisators kann das mit Sicherheit nicht behauptet werden. Er zeigte sich sogar sichtlich begeistert, als ich am ersten Tag eine kritische Anmerkung hatte. Vermutlich ist hier eher Problem, dass die Veranstaltung von Art und Umfang nur Dozenten zulässt, die in wesentlichen, aber umstrittenen Grundannahmen alle eine gewisse Ansicht vertreten. Was soll man auch groß zum Thema "2+2+2+2=22" sagen, wenn man mit "2+2=11" Probleme hat?

Hinsichtlich des Vortrages von Laskowski ist insbesondere angesichts der oben erwähnten irreführenden Zitation von "structural disadvantages ..." — jedenfalls für mich persönlich — die Grenze zur Politik überschritten. Wo das hinführt, zeigt ja Brandenburg. Im Verfahren in Brandenburg hat Rot/Rot/Grün es geschafft, dass ausgerechnet die NPD die Verfassung verteidigt. Ein bemerkenswerter Bärendienst an der Gesellschaft.

Für mich ist nicht ersichtlich, was jemand in diesem Studiengang soll, der nicht bereits religiöse Überzeugung in sich trägt. Nahezu jede Einheit im Curriculum (ich meine sogar jede) trägt das Präfix "feminist". Vermutlich bräuchte es Veranstaltungen, die mehr die angesprochenen Grundsatzfragen thematisieren, aber ich halte es für unwahrscheinlich, dass es so was geben wird — schade eigentlich.




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