Montag, April 26, 2021

Gastbeitrag: "Gleichberechtigung – eine Utopie?"

Bei "Kassel liest", einer Aktion des Literaturhaus Nordhessen, ist dieser Tage eine Rezension des von mir herausgegebenen Buches "Gleichberechtigung beginnt zu zweit" erschienen.

Es handelt sich meines Wisens tatsächlich um die erste Besprechung dieses vor zwei Jahren erschienenen Wissenschaftsbandes, obwohl ich damals um die 40 Presseexemplare an unsere Leitmedien verschickt hatte (drei allein an verschiedene Redakteure der "Zeit"). Ich war bislang der Auffassung, diese mangelnde Resonanz läge vor allem daran, dass mit dem Engagement für eine Geschlechterpolitik für beide Geschlechter automatisch eine Kritik des einseitigen feministischen Zugangs verbunden ist und "Antifeminismus" nun mal in unseren Leitmedien als tabu gilt.

Je mehr ich aber in den letzten Jahren zur Polarisierung unserer Gesellschaft gelesen habe, desto mehr gewinne ich den Eindruck, dass ein zweiter, ebenso wichtiger Grund dahinter steckt: Die Männerrechtsbewegung wird von vielen Journalisten als "Internetphänomen" betrachtet, und das oft anarchistische Internet gilt vielen Vertreter der klassischen Medien häufig als "böse", zumal Blogs wie Genderama das Geschäftsmodell dieser Medien bedrohen. Diese Sicht etablierter Journalisten auf das Netz wird in zahlreichen Artikeln wieder und wieder deutlich.

Gestern brachte dies die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot in einem insgesamt hörenswerten Interview über die flächendeckende, vernichtende Medienempörung über die #allesdichtmachen-Kampagne prominenter Schauspieler (bei gleichzeitiger weit überwiegender Zustimmung der Betrachter direkt unter den auf Youtube einsehbaren Videos) folgendermaßen auf den Punkt:

"Wir haben eine Leitmediendebatte und eine Gegenkultur. Die geteilten Öffentlichkeiten erreichen sich fast nicht mehr."


Ähnlich formulierte es der Journalist Rüdiger Suchsland vorgestern auf Telepolis:

Allein diese Art der Auseinandersetzung mit den Querdenkern zeigt, was falsch läuft in Deutschland. Es gibt hier keine Streitkultur. Es herrscht keine Lust am Diskurs, an Auseinandersetzung, an anderer Meinung. Es wird allerorten von "Diversität" geschwafelt, aber die Meinung soll uniform und orthodox sein. (…) Streit irgendeiner Art ist nicht gewollt. Selbst Film- und Literaturkritiker bekommen noch im privaten Umfeld immer zu hören: "Warum musst du denn eigentlich immer so kritisch sein? Schreib doch mal was Schönes, was Nettes?"


Von einem feministischen Leser dieses Blogs habe ich vor Kurzem ähnliches gehört: Ihn nerve an Genderama das ständige "gnäg, gnäg" meiner Kritik. Ob ich das nicht mal bleiben lassen könnte? Obwohl es natürlich absurd ist, ausgerechnet von einem Schriftsteller zu erwarten, dass er auf Zeitkritik verzichtet, haben so etwas linke Autoren bekanntlich seit der 68er-Bewegung zu hören bekommen. Franz Josef Strauß und Helmut Kohl reagierten sehr barsch auf kritische Stimmen. Inzwischen haben viele Linke dieselbe gruselige Haltung angenommen.

In dem Telepolis-Artikel heißt es weiter.

Man könnte darauf aufmerksam machen, dass sich nicht ein Kritiker rechtfertigen muss, sondern das Bestehende; dass sich die Mächtigen rechtfertigen müssen, nicht die Ohnmächtigen.


So wird das aber in der Linken vielfach nicht mehr gesehen, seit sie die Diskurshoheit übernommen hat. Sie fordert zum Beispiel von uns Männerrechtlern Rechtfertigungen dafür ein, dass wir die Regierungspolitik nicht brav abnicken.

Der Psychologe und Publizist Ahmad Mansour schließlich berichtet, dass seine Kollegen mittlerweile Schwierigkeiten haben, in bestimmten Zeitungen ihre Artikel und Meinungen zu platzieren.

Auch aufgrund dieses immer stärkeren Verfalls demokratischer Prinzipien werden die Bücher von in den klassischen Medien bestens verankerten Feministinnen dort zuhauf besprochen, während nicht gleichermaßen institutionalisierte Männer-Aktivisten herabgesetzt und tabuisiert werden. Dieses Verhalten resultiert nicht allein daher, dass wir für die männliche Hälfte der Bevölkerung eintreten eintreten, während der "alte weiße Mann" heute als Feindbild Nummer Eins dient. Sie rührt auch daher, dass Medien wie "Die Zeit" mit Kritik aus dem "bösen" Internet immer schwerer zurecht kommen.

Kommen wir zu der Rezension selbst. Ihr Verfasser Daniele Dell’Agli, bei dem ich angefragt habe, ob ich sie auf Genderama veröffentlichen darf, schreibt mir zu seiner Rezension:

Ich halte mich mit einer persönlichen Einschätzung der Situation weitgehend zurück. Wer mag, kann erkennen, dass ich den Zug für abgefahren halte. Die Männer haben in den 90ern zu lange untätig bis gönnerisch akklamierend einer Machtergreifung zugesehen, die auf dem Schleichweg der Pädagogik uns mittlerweile neben zahllosen jungen Genderfanatikerinnen fast ebenso viele androphobe Männer vom Typ Bernd Ulrich (der altersmäßig eher als Konvertit einzustufen ist) beschert hat.

Was das heißt, haben wir bei der Kandidatenkür der Grünen gesehen, die nicht zuletzt die ultimative Wahrheit über die Funktion der Geschlechterquote verraten hat. Man sollte sich jedoch nicht in Sicherheit wiegen, dass die Entscheidung für eine Ex-Trampolinspringerin und Mutter zweier Kinder (andere Qualifikationen konnte selbst die Süddeutsche Zeitung nicht benennen) das Schicksal ihrer Partei besiegelt haben könnte, im Gegenteil. Ich habe Ihnen eine Meldung zu den neuesten Machenschaften von Christine Lagarde beigefügt, die ein Szenario wahrscheinlich werden lassen, bei dem sich spitzenquotierte Frauen aus der Wirtschaft zusammen mit allen nur erdenklichen weiblichen Interessengruppen, der gesamten Kultur- und dem Großteil der Medienszene parteiübergreifend und mit großen Anzeigenkampagnen querschalten werden, um Frau Bärbock durchzudrücken und dies als Endsieg über das "Patriarchat" zu feiern.

Ich habe große Achtung vor Ihrer unentwegten Bereitschaft zu Dialog und Kooperation, doch die Geschichte kennt leider kein einziges Beispiel einer gelungenen Apeasement-Politik. Der Staatsfeminismus wird seinen Kurs zum Totalitarismus des 21. Jahrhunderts nicht mehr korrigieren.


So viel zum Vorspann: Kommen wir nun zu der oben im Original verlinkten Rezension von "Gleichberechtigung beginnt zu zweit", die ich (sozusagen als "Gastbeitrag") hier auf Genderama veröffentlichen darf:



Der Titel dieses Buches ist Programm. Und obwohl er eine Selbstverständlichkeit formuliert: dass zu einer Geschlechterbeziehung zwei gehören und dass alles, was in und mit ihr passiert von Männern und Frauen getragen werden muss, liest sich das heute mehr denn je wie eine Utopie. Denn alles, was im Namen der Gleichberechtigung von Frauen besonders in den letzten drei Jahrzehnten unternommen wurde, ist ohne sachliche Notwendigkeit, aber mit stets polemischer Zuspitzung gegen die Menschenrechte der anderen Hälfte der Bevölkerung gerichtet gewesen. Aus der anvisierten, längst erreichten und politstrategisch geleugneten Gleichberechtigung von Mann und Frau ist die permanente Herabwürdigung, Dämonisierung und Diffamierung alles Männlichen geworden, die sich in zahlreichen Gesetzen zur Schlechterstellung von Jungen, Männern und Vätern niedergeschlagen hat. Dass es so nicht weitergehen kann, wird auch immer mehr Frauen bewusst. Darum hat der Herausgeber Arne Hoffmann in dem vorliegenden Sammelband die Stimmen von Feministinnen und Männerechtlern versammelt, um die verschiedenen Aspekte der angedeuteten Misere aus möglichst unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten und Wege zu ihrer Überwindung aufzuzeigen.

Das ist durchaus eine Premiere: geschlechterpolitisch engagierte Frauen und Männer, freischaffende Publizisten und Blogger, Soziologen, Psychologen, Therapeuten und Aktivisten, die jenseits der festgefahrenen Frontstellungen zwischen Feminismus und Maskulismus die Idee des vom Herausgeber so genannten "integralen Antisexismus" zu konkretisieren versuchen. "Integral" bedeutet hierbei nichts anderes, als dass geschlechtsbedingte Diskriminierungen jeder Art geächtet werden, unabhängig davon, ob sie Frauen oder Männer betreffen. Dass sich dies keineswegs von selbst versteht, zeigte zuletzt die vielgerühmte Istanbul Convention, deren erklärtes Ziel es ist, ausschließlich Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen, als ob Männer, die wesentlich häufiger Opfer von Gewalt werden, Menschen zweiter Klasse wären.

Arne Hoffmann, Verfasser zahlreicher Bücher zu Geschlechterthemen und verantwortlich für das Blog "Genderama", ist der publizistisch umtriebigste Autor der Männerrechtsbewegung, und es mutet schon paradox an, dass ausgerechnet die sich "linksliberal" gerierenden Leitmedien sein unermüdliches Streiten für eine antisexistische Geschlechterpolitik totzuschweigen versuchen (zuletzt und brandaktuell sein Buch "Feindbild weiße Männer. Der rassistische Sexismus der identitätspolitischen Linken"), während Hetz- und Schmähschriften wie "Ich hasse Männer" von Pauline Harmange eine breite Bühne bereitet wird, auf der allen Ernstes die Pro- und Contra-"Qualitäten" solcher Machwerke diskutiert werden.

Der 450 Seiten starke Band bringt 21 Beiträge nebst Vorwort und Anhang des Herausgebers, das sind ebenso viele Ansätze, einen anderen Geschlechterdiskurs zu führen, wie ihn sogar Mithu Sanyal anmahnt, die wesentlichen Anteil an der Entstehung dieses Buchprojekts hatte. Wissenschaftliche Analysen, politische und ethische Perspektiven, pragmatische Lösungsversuche, Berichte und Fallbeschreibungen aus der jeweiligen Praxis: die verschiedenen Aspekte der gegenwärtigen Problemlage fügen sich zu einem Bild, das selbst feministische Aktivistinnen wie Wendy McElroy oder Christina Hoff Sommers nur noch als besorgniserregende Schieflage beschreiben können, die dringend korrigiert werden muss – durch einen "realitätsnahen, Männer respektierenden, vernunftgeleiteten Feminismus."

Ganz in diesem Sinne fragt die Psychologin Sandra Herrmann vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen mit häuslicher Gewalt: "Wie kann ein menschliches und partnerschaftliches Miteinander funktionieren, wenn ein geschlechtliches Gegeneinander propagiert wird?" Die Paartherapeutin Astrid von Friesen wiederum erinnert an eine triviale Erkenntnis, die im Zuge der Auflösung des Familienverbundes und der separatistischen Stoßrichtung radikalfeministischer Diskurse verloren zu gehen droht: dass das Paar und nicht der Einzelne die Urzelle menschlicher Existenz ist. Erkennt man dessen Beziehungsdynamik an, liegt es auf der Hand, dass Geschlechterkonflikte nur auf der Basis gemeinsamer Verantwortung statt gegenseitiger Schuldzuweisungen gelöst werden können.

Desgleichen hebt auch Jeanette Hagen das "Potenzial der Unterschiede" zwischen Mann und Frau hervor, während Maike Wolf, ehemalige Vorsitzende der Jungliberalen, aus ihrer Enttäuschung über das "gebrochene Versprechen" des Feminismus keinen Hehl macht: die Gleichberechtigung beider Geschlechter nicht vorangetrieben zu haben. Eine Antwort auf die Frage, warum weite Teile der Frauenbewegung von Anbeginn glaubten, ihre Ansprüche nur gegen die von Männern geschaffenen Institutionen und sozialen Strukturen durchsetzen zu können, findet man in dem Beitrag des Soziologen Ingbert Jüdt, der sich detailliert mit der konstitutiven Bedeutung des Patriarchatsmythos für das Selbstverständnis und die Legitimierung des Feminismus auseinandersetzt.

Man findet in diesem Band sowohl Feministinnen, die wie Robin Urban und Monika Ebeling betonen, warum es auch für Frauen wichtig ist, sich um Leidenserfahrungen von Jungen und Männern zu kümmern; und Männerrechtler, die gerade, weil sie die Errungenschaften der Emanzipation bejahen, eine Ethik echter Gleichberechtigung anmahnen, die jedoch immer rücksichtsloser von einem als Gendermainstreaming getarnten Staatfeminismus verhindert wird. Wie das konkret funktioniert, kann man in dem zugleich erhellenden wie deprimierenden Bericht Gerd Riedmeiers vom "Forum Soziale Inklusion" über seine Erfahrungen mit der einseitigen Geschlechterpolitik in deutschen Ministerien entnehmen.

Noch drastischere Beispiele für die gesellschaftliche Akzeptanz politisch instrumentierter Diskriminierung von Männern, aber auch für den epidemisch in den sozialen Medien wütenden Männerhass führt Lucas Schoppe vor. Der für seine akkuraten Analysen des laufenden Wahnsinns bekannte Blogger ("man tau") muss am Ende desillusioniert konstatieren, dass die Auslöschungsfantasien einer kleinen fanatischen Minderheit, die selbst vor faschistoiden Hashtags des Typs #MenAreTrash nicht zurückschreckt, von der überwiegenden Mehrheit der Frauen, auch der Feministinnen zwar abgelehnt werden, von diesen aber auch keinen expliziten Widerspruch erfahren. Das macht es den vielen maskulistischen Foren und Blogs nicht einfacher, gegen den misandrischen Mainstream der Leitmedien und seiner institutionellen Rückendeckung durch Politik und Universitäten die Öffentlichkeit für ihre Anliegen zu sensibilisieren.

Es ist ein durchgehendes Merkmal der Beiträge dieses Bandes, dass sie auf Dialog und dort, wo die Fronten verhärtet sind, auf Deeskalation setzen. Das macht sie einer breiten Leserschaft jenseits partei- oder identitätspolitischer Zugehörigkeit leichter zugänglich. Am Ende fragt man sich allerdings nicht ohne Bitterkeit, auf welch utopischem Niveau sich das Geschlechterverhältnis heute bewegen würde, wäre die Frauenbewegung vor fünfzig Jahren mit solch einem inklusiven, die Männer nicht feindselig ausschließenden, sondern empathisch mitreißenden Konzept aufgebrochen.




Den besprochenen Sammelband findet man beispielsweise hier im Handel.



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