Sonntag, April 11, 2021

Judith Sevinç Basad, Jan Fleischhauer, Jordan Peterson – News vom 11. April 2021

1. Die "Welt" hat die Autorin Judith Sevinç Basad, die vor kurzem das Buch "Schäm dich! Wie Ideologinnen und Ideologen bestimmen, was gut und böse ist" herausgegeben hat, zur Identitätspolitik interviewt (nur im Anriss online). In dem Gespräch erklärt Basad unter anderem:

"Ich frage mich oft: Wie kann das sein, dass eine linke Bewegung, die eigentlich für Diversität und Meinungsfreiheit steht, ihre Kritiker so krass fertig macht? Diese Leute denken, wenn man einen Teil ihrer Bewegung kritisiert, kritisiert man gleich den ganzen Gedanken dahinter (…). Den meisten Migranten helfen die Gendersternchen genauso wenig wie die Scham der Weißen, die irgendwelche privilegierten Rich Kids im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zur Schau stellen. Man sollte sich viel eher fragen: Wo liegen die wahren Probleme? Warum werden zum Beispiel gut integrierte Flüchtlinge mit Ausbildungsvertrag immer noch einfach so über Nacht abgeschoben? Aber mit einem Milieu, das nichts mit Foucault und Bourdieu anfangen kann, will sich die Anti-Rassismus-Bewegung nicht wirklich auseinandersetzen. Realpolitik ist ihnen viel zu anstrengend. Leichter ist es, mit dem Finger auf den alten, weißen Mann zu zeigen und dafür viele Likes auf Twitter und Facebook abzuräumen. Es gibt also eine Diskrepanz zwischen realen Problemen und dem abgedrehten Diskurs, den wir momentan führen, der immer mehr ins Rassistische und Reaktionäre abdriftet.

(....) Ich denke schon, dass Menschen mit Migrationshintergrund, Akzent oder arabischem Aussehen mehr Ablehnung im Alltag erfahren als Weiße. Trotzdem wird häufig ein institutionalisierter Rassismus gegen Weiße betrieben. Einerseits sagt man, es gebe keinen Rassismus gegen Weiße, und gleichzeitig spricht man ihnen qua Hautfarbe die Vernunft ab. Das ist doch absurd. Auch wenn vermeintlich progressive Journalisten fordern, dass man Weißen die Jobs wegnehmen soll, man sie nicht auf Podien einladen oder durch Migrantenquoten benachteiligen sollte, ist das lupenreiner Rassismus. Dass diese Abneigung gegenüber Weißen oder Männern auch von etablierten Medienhäusern und anerkannten Politikern als selbstverständlich angesehen wird, macht mir Sorgen.

(...) Keiner Frau ist damit geholfen, wenn sie immer wieder auf ihr Geschlecht und ihre Opferrolle reduziert wird. Es gibt Hunderttausende von Studien, die immer wieder dasselbe belegen: Frauen legen weniger Wert auf eine gute Bezahlung, sondern eher darauf, dass der Beruf mit der Familie vereinbar ist. All diesen Frauen zu unterstellen, dass sie das nicht freiwillig wollen, sondern von einer patriarchalischen Struktur fremdgesteuert sind, ist unglaublich paternalistisch und arrogant. Wer so etwas sagt, erhebt sich über alle anderen Frauen."




2. Jan Fleischhauer berichtet, warum es zunehmend unmöglich geworden ist, Vertreter unterschiedlicher Meinungen zu einem konstruktiven Gespräch zusammenzubringen:

Ich will von einer Niederlage berichten. Ich bin gescheitert. Ich wünschte, ich müsste mir das nicht eingestehen, aber es ist die Wahrheit.

Ich habe vor zwei Monaten mit einem neuen Podcast begonnen. Er heißt "Die falschen Fragen". Zwei Menschen aus verschiedenen Welten, einer davon bin ich, reden eine halbe Stunde miteinander und schauen, was dabei herauskommt. Das ist die Idee.

Es klingt simpel, doch es ist ein ziemlich revolutionäres Konzept. Wir hören viel darüber, wie wichtig der Austausch mit Leuten sei, die nicht so denken wie man selbst, dass es an Vielfalt in den Medien mangele. Aber ich kenne kein Format, bei dem regelmäßig zwei Personen aufeinandertreffen, die nicht nur politisch, sondern auch lebensweltlich wirklich auseinanderliegen. Ich verstehe das in gewisser Weise: Schon die falschen Fragen können einen heute in Schwierigkeiten bringen, von den falschen Antworten ganz zu schweigen.

Wer würde sich als Partner eignen? Meine Produzentin schlug mir die Moderatorin Esra Karakaya vor. Großartige Idee, dachte ich. Wenn man eine Casting-Agentur beauftragt hätte, wäre man nicht weit entfernt von dieser Kombination gelandet. Hier: der Focus-Kolumnist, Besitzer einer Doppelhaushälfte in München-Pullach, Vater von vier Kindern, die idealtypische Personifizierung des alten, weißen Mannes. Dort: die junge Feministin aus der Generation Y, Muslima, Smart-Fahrerin und Mieterin einer Singlewohnung in Berlin-Wedding.

Es war, wie gesagt, ein Experiment. Würden uns die Hörer folgen? Die meisten Menschen suchen die Bestätigung ihrer Weltsicht, nicht die Irritation derselben. Aber das Konzept schien aufzugehen. Nach zwei Folgen hatten wir bereits über 4000 Abonnenten, nicht schlecht für ein neues, noch unbekanntes Format. Wir hatten verabredet, dass wir bis Sommer durchhalten wollten. Dann würde man weitersehen.

Anfang März erreichte mich eine Mail. Sie wisse nicht, ob sie weitermachen könne, schrieb Esra. Dass es Schwierigkeiten geben würde, hatte sich bereits auf Instagram angekündigt. "Mein Kopf sagt, NEIN Esra. Nein, Nein, Nein!!", schrieb dort einer ihrer Follower. "Fleischhauer? Ist das dein Ernst, Esra?", ein anderer. Ein dritter fluchte: "Alleine, dass der ‚Focus‘ dich an Bord genommen hat, sollte jedem zeigen, dass du entweder ein Projekt bist oder eine Marionette."

Eine Bekannte, mit der ich sprach, bestätigte den Eindruck: Die Community sei außer sich. Es werde mit Konsequenzen gedroht, was immer das auch heiße. Es folgte ein Telefonat, dann noch eins. Esra wird das Podcastprojekt aus Zeitmangel beenden.


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3. Eine andere bekannte Persönlichkeit, die bei einigen die Sicherungen komplett rausknallen lässt und an eine Sachdebatte über einzelne Thesen und Themen persönliche Anfeindungen setzt, ist der Psychologieprofessor und Buchautor Jordan Peterson. Auch bei seinen Gegnern kam es jetzt zu einer bizarren Eskalation, worüber zahlreiche Medien berichten, unter anderem die kanadische National Post:

Der kanadische Autor Jordan Peterson scheint die Inspiration für den Bösewicht in der neuesten Ausgabe von Captain America zu sein, was der bekannte Akademiker ein "surreales Ereignis" nennt.

"Menschen, die durch solche Verleumdungen in negativer Weise auf mich neugierig gemacht werden und dann etwas lesen, das ich geschrieben habe ... kommen fast immer zu dem Schluss, dass die Kluft zwischen dem, was mir vorgeworfen wird, und dem, was ich tatsächlich tue, so absurd groß ist, dass sich die Verleumder am Ende selbst diskreditieren", sagte Peterson in einer E-Mail an die National Post.

Der Peterson nahestehende Charakter, um den es geht, ist Red Skull, ein Bösewicht, der seit 1941 Teil des Captain-America-Universums ist. Ursprünglich als Agent von Adolf Hitler dargestellt, erscheint Red Skull in der neuesten Ausgabe von Captain America als eine Internet-Berühmtheit, die junge Männer über Online-Videos zum Inlandsterrorismus inspiriert.

Ein Bild zeigt Red Skull, wie er seine "zehn Regeln für das Leben" anpreist, eine offensichtliche Anspielung auf Petersons Bestseller "12 Regeln für das Leben" von 2018. Der Bösewicht, dessen Kopf buchstäblich ein roter Totenschädel ist, ist zu sehen, wie er die Themen "Chaos und Ordnung" erläutert, die Themen von Petersons Bücher gewesen sind. Der Professor sagte der National Post, dass damit "die Wahrscheinlichkeit, dass dies nur ein Zufall ist, gegen Null geht."

Peterson, Professor für Psychologie an der Universität von Toronto, wurde erstmals 2016 durch eine Reihe von YouTube-Vorträgen bekannt, in denen er sich gegen Identitätspolitik aussprach, insbesondere gegen einen Vorstoß der Bundesregierung, die Diskriminierung von "Geschlechtsidentität" zu kriminalisieren - was nach Petersons Ansicht die Verwendung geschlechtsneutraler Pronomen wie "ze" oder "zir" erzwingen würde.

Seitdem ist Peterson zu einer Art Selbsthilfe-Guru geworden, der für persönliche Verantwortung eintritt und sich gegen zunehmend trendige Konzepte wie unbewusste Voreingenommenheit oder das geschlechtsspezifische Lohngefälle wendet. "Haben Sie etwas Demut. Räumen Sie Ihr Schlafzimmer auf. Kümmern Sie sich um Ihre Familie. Folgen Sie Ihrem Gewissen", schreibt er in seinem neuesten Buch "Beyond Order".

Im neuesten "Captain America", der am 31. März erstmals veröffentlicht wurde, wird Red Skull gezeigt, wie er missratene junge Männer in Armeen kryptofaschistischer Straßenbanden rekrutiert. "Es ist für alle das Gleiche. Junge Männer. Schwach. Auf der Suche nach einem Ziel ... er sagt ihnen, was sie schon immer hören wollten. Dass sie insgeheim großartig sind", beschreibt Captain America die Taktik von Red Skull.

Die Ausgabe ist Teil einer Serie von Captain America, die von Ta-Nehisi Coates, einem Bestsellerautor und ehemaligen Autor für das Magazin "The Atlantic", verfasst wurde. In einem der auflagenstärksten Artikel von Coates aus dem Jahr 2014 wurde er zu einem prominenten Befürworter afroamerikanischer Reparationen.

Peterson wurde sich der Parallelen zwischen ihm und dem neuen Red Skull erstmals in einem Tweet eines Unterstützers bewusst, auf den er am 5. April mit einem getwitterten "Was zur Hölle?" reagierte. Obwohl die Referenz diese Woche im Internet kursierte, wurde von den Autoren der Ausgabe keine direkte Verbindung bestätigt.

"Ich habe keine Bestätigung oder einen Kommentar von Marvel oder Coates erhalten. Das erwarte ich auch nicht", sagte Peterson gegenüber der National Post. "Sie können sagen oder andeuten, was immer sie wollen. Ich glaube fest daran, dass die Öffentlichkeit klug genug ist, die Spreu vom Weizen zu trennen."

Er fügte hinzu, die Karikatur sei bezeichnend für Verleumder, die "das Problem des Bösen bequemerweise irgendwo anders verorten als in ihren eigenen Herzen und Seelen."

Am Mittwoch schien Peterson die von ihm erstellte Karikatur zu umarmen, indem er verschiedene von Fans erstellte Bilder von Red Skulls Gesicht retweetete, die mit den harmloseren Zitaten des Akademikers kontrastiert wurden, wie z. B. "Reinige dein Zimmer" und "Lüge niemals über etwas". Zusammen mit seiner Tochter Mikhaila sagte Peterson, er beabsichtige, die Red-Skull-Bilder in einem noch nicht spezifizierten wohltätigen Projekt zu verwenden und "festzustellen, ob das ganze surreale Ereignis in etwas Gutes umgewandelt werden kann, anstatt in etwas Hinterhältiges und Bösartiges."


Auf Youtube äußert sich Jordan Petersons Tochter Mikhaila selbst zu der Kontroverse.

Die Reaktionen darauf, Peterson als Red Skull darzustellen, sind gemischt. Während sich vor allem linksliberale Medien darüber amüsieren, habe ich auf einer Website, die diese Ausgabe diskutiert von Marvel-Lesern fast durchgehend genervte Reaktionen gefunden: Sie empfinden es als billige Stimmungsmache und dass Coates Captain America missbrauche, um Personen anzugreifen, die er ablehnt, statt statt gelungenem Entertainment zu liefern.

Ich habe wenig Zweifel daran, dass auch mich irgendjemand als bizarren Supernazi darstellen würde, wenn ich im amerikanischen Sprachraum veröffentlichen würde. Mit dem Gewinn ihrer kulturellen Hegemonie scheinen einige Linke jedes Interesse daran verloren zu haben, überhaupt noch anders zu diskutieren als mit Herablassung und Verachtung gegenüber Menschen, die bei bestimmten Fragen anders denken. Wie auch Jan Fleischhauer erfahren musste, treten an die Stelle eines Gesprächs auf Sachebene ("diese Punkte sehe ich anders, weil …") längst schon persönliche Diffamierungen und die Lust am Niedermachen von Personen, die zu Zielscheiben erklärt worden sind.



4. Warum sind viele Heldinnen aktueller Kinofilme wie "Ghostbusters", "Captain Marvel" und "Star Wars" problematisch für weibliche und männliche Zuschauer zugleich? Das erläutert die Youtuberin Manisha in ihrem Video "Everything wrong with Woke Culture (and the impact on feminism)", wo sie schließlich zu dem Fazit gelangt: "Das ist toxische Weiblichkeit." Das Video erstreckt sich über eine Viertelstunde auf Englisch, ist aber sehenswert für jeden mit Interesse am Thema.



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