Harvey Weinstein, Frank Rosin, Woody Allen, Gustav Kuhn – News vom 12. März 2020
1. Diese Meldung habt ihr vermutlich längst auch ohne Genderama mitbekommen: Harvey Weinstein wurde zu 23 Jahren Haft verurteilt.
2.
Im Januar soll der 53-jährige Sternekoch Frank Rosin in einem Düsseldorfer Club eine 36-jährige Frau begrapscht haben, die Besucherin erstattete Anzeige – die Auswertung der Überwachungskameras vom angeblichen Tatort entkräfteten die Vorwürfe, die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren nun eingestellt.
Hier geht es weiter.
Inzwischen kann Mann sich schon fast glücklich schätzen, dass mittlerweile das halbe Land kameraüberwacht ist.
3. Ich habe es ja schon nicht mehr für möglich gehalten: Mit der Frankfurter Rundschau zeigt jetzt wenigstens doch noch ein linkes Blatt in der Debatte um die Veröffenjtlichung der Memoiren von Woody Allen, das die Unschuldsvermutung irgendwie von Bedeutung sein könnte:
Selbstverständlich steht jedem ein eigenes Urteil über die Glaubwürdigkeit der Beteiligten zu. Die Möglichkeiten eines Rechtsstaates, weitere Aufklärung zu erreichen, sind jedoch vermutlich ausgeschöpft. Es gibt weder eine juristische noch eine moralische Autorität, die hier greifen könnte. Es besteht aber die Gefahr, dass Unrecht geschehen könnte. Dass der Ruf eines Menschen grundlos zerstört wird.
Im Berliner "Tagesspiegel" befindet der Schriftsteller Daniel Kehlmann:
Ob man Woody Allen als Person verteidigen muss und seine Kunst noch zeitgemäß ist, darüber lässt sich streiten. Auch was 'Apropos of Nothing' taugt, kann man sicher kontrovers bewerten. Allen aber mit unbewiesenen Anschuldigungen als Person zu diskreditieren, schafft eine Klarheit, wo Zweifel angebracht sind ? und sät Zwietracht, wo Einigkeit über die Werte geistiger Freiheit vonnöten ist.
In einem Gastbeitrag für "Die Zeit", leider nur für Abonnenten online, fügt Kehlmann hinzu: "Woody Allen ist der bedeutendste jüdische Filmregisseur der Nachkriegszeit; möchte man wirklich ausgerechnet seinem Buch hierzulande das Erscheinen untersagen?" Es gebe "ein genuines öffentliches Interesse", diese Memoiren lesen zu können.
In der "Zeit" kommt auch Kathrin Passig noch einmal zu Wort, aber nur Abonnenten des Blattes können diesen Beitrag lesen. Ebenfalls blockiert wird ein weiterer Artikel der "Zeit".
In Österreichs "Presse" befindet Anne Catherine Simon:
Egal wie gut der Zweck ist, er rechtfertigt nicht die Instrumentalisierung eines einzigen Individuums, er rechtfertigt es nicht, ohne Not das Wort zu verbieten oder sozial zu ächten. Das wäre, was Stuart Mill, dieser frühe Feminist, die Tyrannei der Mehrheit nannte. Vorsicht also, auch im Fall Woody Allens.
Ebenfalls in Österreichs "Presse" findet man von Anna Goldenberg aber auch einen der seltenen Gegenstandpunkte, der die Rowohlt-Autoren unterstützt:
Wer Farrow glaubt, darf Allen schelten, ohne dafür der "Zensur" bezichtigt zu werden. Wie drückt man Kunstschaffenden gegenüber den eigenen Unmut über ihr Verhalten aus? Indem man sie öffentlich kritisiert - oder indemman ihre Werke nicht konsumiert oder verbreitet.
Statt zu behaupten, die Mitarbeiter von Hachette oder die Rowohlt-Autoren würden ihre Verlage "unter Druck" setzen, warum also nicht einfach sagen, sie würden ihre Meinung äußern? Das tun sie nämlich. Vor einigen Jahren hätten Menschen, die auf Opfer von sexueller Gewalt hinweisen, öffentlich kaum Gehör gefunden. Die sozialen Medien und nicht zuletzt die MeToo-Bewegung (an deren Recherchen Farrow maßgeblich beteiligt war) haben dazu beigetragen.
Schnell werden Vergleiche mit undemokratischen Staaten, in denen nur regimetreue Kunstschaffende reüssieren, gezogen. Wo ist die Grenze, fragen viele. Solche "Boykotte" sind nicht bedenklich für die Meinungsfreiheit, solang sie nicht mit Gewalt durchgesetzt werden. Hachette ist keine Zentralregierung, sondern ein Unternehmen, das sich nach Angebot und Nachfrage richtet. Niemand käme auf die Idee, einen Modekonzern, der schlecht gehende Artikel aus dem Sortiment nimmt, als „feige“ zu bezeichnen. Der „New York Times“ zufolge hatte Allen im Vorfeld bereits Probleme, einen Verlagsvertrag abzuschließen. Auch Amazon Studios kündigte im Vorjahr einen Filmdeal mit ihm. Wer seine letzten Filme gesehen hat, fragt sich, ob moralische Bedenken und die Furcht vor dem Shitstorm der MeToo-Aktivisten nicht vielleicht nur als Vorwand dienten, einen sinkenden Stern loszuwerden. Ist Allens Manuskript gut, wird er einen anderen Verleger finden.
Auf Spiegel-Online kommentiert Florian Schroeder die Kontroverse um Woody Allen in einem Artikel, den ich für insgesamt sehr gelungen halte. Ein Auszug:
Die Angst vor Ansteckung hat sich wie ein Nebel über dieses Frühjahr gelegt. Woody Allen ist toxisch, seine Darsteller distanzieren sich von seinen Filmen, manchmal auch erst, nachdem sie schon abgedreht sind. Schauspieler wollen nicht mit ihm in Verbindung gebracht werden, seine Filme finden in den USA keinen Verleih, Verlage wollen seine Bücher nicht. Man will sich die Hände nicht schmutzig machen. Gäbe es ein Desinfektionsmittel, um sich vor ihm zu schützen, es wäre ausverkauft.
(…) Manchmal, wenn dieser Wille überbordend ist, geht das auch schief: "Wir haben keinen Grund, an den Aussagen von Woody Allens Tochter Dylan Farrow zu zweifeln", schreiben die Rowohlt-Autoren. Es ist ein Satz, der von genau jener moralischen Selbstüberhöhung strotzt, gegen die Kunst doch gerade aufbegehren sollte. Hier wollen Moralisten Richter spielen, nur leider haben sie keine Robe.
An anderer Stelle in ihrem Offenen Brief sind sie Psychotherapeuten: Bei Woody Allens Autobiografie handle es sich um "das Buch eines Mannes, der sich nie überzeugend mit den Vorwürfen seiner Tochter auseinandergesetzt hat". Haben die Autoren Woody Allen auf die Couch gelegt, tiefenpsychologische Interviews geführt? Man weiß es nicht. Aber die Ferndiagnose treibt abstruse Blüten.
Außerdem, so die Autoren, seien die Fakten der Allen-Memoiren nie wirklich geprüft worden - ein Vorwurf, den auch Ronan Farrow dem US-Verlag Hachette macht. Es ist natürlich immer gut, gegen Fake News zu sein, aber Fakten in einer Autobiografie? Wer will sie denn überprüfen? Herr Allen ist ein alter Mann, da ist das mit der Erinnerung so eine Sache. Man kennt das Problem von Zeitzeugen aus Guido Knopp-Dokus. Muss im Zweifel ein Historiker übernehmen, der Woody Allen diktiert, wie sein Leben war? Die Reinheitsfantasien der Gegenwart sind scheinbar grenzenlos.
(…) Wo sich der Moralismus Bahn bricht, geht die Vernunft oft flöten. Der Soziologe Niklas Luhmann schreibt, es sei "die vordringlichste Aufgabe der Ethik, vor Moral zu warnen." Moral ist die Fortsetzung der Religion mit anderen Mitteln. Sie bleibt immer subjektiv. Alles lässt sich mit ihr begründen. Man kann aus moralischen Gründen Sex vor der Ehe ebenso ablehnen wie die Rettung von Menschen aus dem Mittelmeer. Solange wir moralisch denken, teilen wir die Welt manichäisch ein in Freund und Feind, in Gut und Böse, in Gebote und Verbote.
Über die Kontroverse kann heute auch bei Christian Schmidt diskutiert werden.
4. In einem Artikel für die "Welt" beschäftigt sich die renommierte Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen mit Beschuldigungen gegen den Dirigenten Gustav Kuhn. Dabei skizziert Friedrichsen schon in den ersten Absätzen MeToo als eine Form von Moralischer Panik:
Wer, wenn nicht Thomas Bernhard, österreichischer Schriftsteller mit einem schonungslosen Blick auf seine Landsleute, hätte wohl als Einziger adäquat über die Causa Kuhn schreiben können: voller Hohn und Spott über die Heuchelei und den moralischen Rigorismus seiner Zeitgenossen. Über die Unsicherheit, was man heute noch darf und was nicht, und wozu sie führt. Mit einer Frau allein im Lift fahren? Ein Gespräch unter vier Augen oder nur noch in Anwesenheit von Zeugen? Bernhard hätte am ehesten das Knäuel aus Gerüchten, Tratsch, Neid, Schadenfreude und Gehässigkeit, Selbstzerstörung und strafwütigem Feminismus darzustellen vermocht, das den Fall Kuhn erdrückend umschlingt. Und er hätte die Folgen benannt.
Doch Bernhard starb 1989. Er hat das vernichtende Empörungspotenzial der #MeToo-Debatte und ihre zerstörerische Wirkung auf rechtsstaatliche Prinzipien nicht mehr mitbekommen. Er musste nicht miterleben, was einem Künstler heutzutage widerfährt, wenn ihm das existenzvernichtende Attribut "sexuell übergriffig" angehängt wird, ehe – oder gar ohne dass ein Gericht je entsprechende Feststellungen dazu getroffen hat. Er konnte nicht mehr beschreiben, wie geräuschlos sich auch eine künstlerische Lebensleistung ausradieren lässt, sobald derjenige als "Sexualstraftäter" ausgegrenzt ist.
Daraufhin schildert Friedrichsen die aktuelle Kontroverse um Gustav Kuhn,(74, Leiter der Tiroler Festspiele), die mit Beiträgen eines Bloggers begann, der Kuhn "ungehemmte Aggression", seelische Gewalt, "modernes Sklaventum", angeblich undurchsichtige Finanzangelegenheiten und Korruption vorwarf sowie die Rechtmäßigkeit von Kuhns Dissertation an der Universität Salzburg anzweifelte. Zu diesem Wust an Beschuldigungen kamen bald auch "sexuelle Übergriffe": So wendeten sich zwei Geigerinnen und drei Sängerinnen in einem Offenen Brief an den Präsidenten der Festspiele und beschwerten sich über angeblich unerwünschte Küsse auf Mund und Brust, Zudringlichkeiten unter dem Pullover, Griffe zwischen die Beine, "von obszöner verbaler Anmache ganz zu schweigen". Wer sich widersetzt habe, sei mit zurückgezogenen Aufträgen und öffentlichen Bloßstellungen bestraft worden. Die Frauen forderten den Rauswurf Kuhns, die Wiener Zeitschrift "Profil" legte mit einem Schreiben acht männlicher Mitarbeiter nach, die sich mit den Beschwerdeführerinnen solidarisierten. 200 andere Mitwirkende indes stellten sich mit großem Nachdruck auf die Seite Kuhns und bezeichneten seine Arbeitsweise als "höchst professionell":
"Das Klima von Konzentration, Strenge und Disziplin während der Proben und Konzerte ist notwendig, um die eigenen Grenzen zu überwinden, um eine zufriedenstellende Leistung zu erbringen und erfolgreiche Vorstellungen zu geben. Während der Proben und Konzerte haben wir, die Unterzeichnenden, niemals unprofessionelles Verhalten durch Gustav Kuhn erduldet oder erlebt, auch keine sexuellen Übergriffe …"
Darüber hinaus gelte die Unschuldsvermutung: Ohne gerichtliches Urteil solle es auch keine Sanktionen gegen Kuhn geben. Dennoch wurden Kuhn sämtliche weiteren Auftritte als Dirigent untersagt. Ein von Kuhns Rechtsvertreter angestoßener Zivilprozess gegen eine der Beschwerdeführerinnen, die vor 18 Jahren einmal bei Kuhn aufgetreten war, endete mit einem Vergleich: Die Frau darf künftig nicht mehr behaupten, Kuhn habe die Rollenvergabe von sexuellen Gegenleistungen abhängig gemacht.
Die Staatsanwaltschaft Innsbruck schlug schließlich die Einstellung sämtlicher Ermittlungen gegen Kuhn vor – "leider wegen Verjährung", bedauert Kuhns Anwalt. Bei den aus juristischer Sicht geringfügigen Verfehlungen, die sich der Dirigent zuschulden kommen haben lassen soll, ist die Verjährungsfrist kurz. Kuhn musste nicht einmal zur Sache angehört werden. In den sozialen Medien, betont Friedrichsen, gebe es diese Verjährung jedoch nicht.
Zudem wurde von der Leitung der Festspiele die sogenannte Gleichbehandlungskommissioneingeschaltet, eine laut Strafverteidigern, "rechtsstaatlich nicht zu rechtfertigende Einrichtung". Sie tritt nach außen wie ein Gericht auf, ohne jedoch ein Gericht zu sein; der Verfassungsgerichtshof behandelt ihre Verdikte daher auch aus gutem Grund wie ein rechtliches Nichts.
Der Betroffene hat vor dieser Kommission so gut wie keine Rechte, sich zu verteidigen. Er bekommt keine Akteneinsicht. Zeugen zu seiner Entlastung werden allenfalls nach Gutdünken gehört. Vor allem aber: Im Gegensatz zum rechtsstaatlichen Prinzip, dass der Staat dem Bürger dessen Schuld nachweisen muss, praktiziert die Gleichbehandlungskommission die Beweislastumkehr. Der Betroffene muss also selbst seine Unschuld beweisen. Und wenn er das nicht kann? Etwa weil der Vorgang viel zu lange her ist, weil es keine Zeugen gibt oder weil allein dem selbst ernannten Opfer geglaubt wird? Dann hat er eben Pech gehabt. Wie zum Beispiel der Dirigent Kuhn. In ihrem Bericht kommt die Kommission nämlich zu dem Ergebnis: "Die Antragstellerin konnte die Vorwürfe der sexuellen Belästigung … glaubhaft darlegen. Zudem machte die Antragstellerin einen sehr betroffenen Eindruck, sie wirkte ehrlich verletzt", wie österreichische Medien daraus zitieren. (…) Strafverteidiger kritisieren, diese Kommission sende ein fatales Signal in die Öffentlichkeit – und das auch noch nach einem Geheimverfahren. [Kuhns Rechtsbeistand Michael] Krüger schüttelt den Kopf: "Schlimmer als in der Türkei."
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