Hanau: Terror hat immer auch soziale Ursachen – News vom 22. Februar 2020
1. Dass Alice Schwarzers "Emma" sich nicht lange zurückhalten konnte, bis sie die Bluttat von Hanau ausschlachtete, um gegen "Männlichkeitswahn" zu wettern, hat niemanden überrascht. Mit ruhigerem Blick und ohne Sexismus analysiert der Professor für Psychologie Stefan Schleim die Problematik. Ein Auszug:
Warum werden solche Taten so gut wie immer nur von Männern begangen? Auch Männer werden nicht als Mörder oder Terroristen geboren. Und die allermeisten von ihnen sind friedlich. Dass Gewalt - und vor allem schwere bis schwerste Körperverletzungen - aber nicht nur auf der Täterseite, sondern auch bei den Opfern hauptsächlich ein Männerproblem ist, das ist ein blinder Fleck, den unsere Gesellschaft nicht wahrhaben will.
So wachsen aber Männer mit der Erfahrung auf, dass Gewalt eine Lösungsstrategie ist und sich doch keiner für sie interessiert, wenn sie Opfer werden. Also: Lieber Täter als Opfer sein, denn als Opfer existierst du nicht!
Es ist schon lange deutlich, dass Männer am häufigsten die Schule abbrechen oder herausfliegen. Interessiert das jemanden? Dass sie am häufigsten alkohol- und drogenabhängig sind. Interessiert das jemanden? Dass sie am häufigsten obdachlos sind. Interessiert das jemanden? Dass sie am häufigsten im Gefängnis sitzen. Interessiert das jemanden? Dass sie am häufigsten in Kriegen gefoltert werden oder sterben - und keine Staatsanwaltschaften ermitteln, denn es sind ja nur "Soldaten", "Rebellen" oder "Terroristen". Interessiert das jemanden?
Dass sie selbst in einem reichen Land wie Deutschland Jahre früher sterben als andere Geschlechtsgruppen. Interessiert das jemanden? Mann ergänze zu dem Faktor "männlich" noch Attribute wie "aus armen Verhältnissen", "aus einem bildungsfernen Elternhaus", "nicht-weiße Hautfarbe", "Moslem" oder vieles andere mehr und die Unterschiede werden noch krasser. Interessiert das jemanden?
Ich schrieb schon vor Jahren darüber, dass die typischen Opfer von Gewaltverbrechen junge Männer sind - und erntete dafür viel Häme oder den Vorwurf, ich wolle Gewalt gegen Frauen relativieren. Ja, so huldigt man den blinden Flecken - oder anders gesagt: den Vorurteilen - unserer Gesellschaft.
Schon ein entsprechender Kommentar auf die polizeiliche Kriminalstatistik in den Diskussionsforen unserer schönen Presse konnte zur Löschung führen mit dem Hinweis, ich möge doch auf stereotypisierende Bemerkungen verzichten. (Weil ich eben statistisch nachwies, dass die meisten Opfer von Gewaltverbrechen, vor allem den schweren und schwersten Taten unter ihnen, das sind: Männer.)
Professor Schleims Artikel ist in Gänze lesenswert.
2. Passend dazu veröffentlichte am Donnerstag das Bundesfrauenministerium unter Franziska Giffey (SPD) eine Pressemitteilung, in der es heißt:
Das Bundesinvestitionsprogramm "Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen" ist gestartet. Bundesfrauenministerin Dr. Franziska Giffey und die Senatorin für Arbeit, Soziales, Familie und Integration der Freien und Hansestadt Hamburg, Dr. Melanie Leonhard, haben dazu heute die erste Vereinbarung zur Förderung zwischen dem Bund und einem Bundesland unterzeichnet. Mit dem Bundesinvestitionsprogramm werden bauliche Maßnahmen z.B. in Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen gefördert.
Bundesfrauenministerin Dr. Franziska Giffey: "Der Kampf gegen Hass und Gewalt geht uns alle an. Mit unserem Bundesinvestitionsprogramm legen wir einen besonderen Fokus auf den Kampf gegen Gewalt an Frauen. (…) Zum Wohle aller von Gewalt betroffenen Frauen und ihrer Kinder. Mit dem Bundesinvestitionsprogramm stellt der Bund bis 2023 insgesamt 120 Millionen Euro zur Verfügung, um bauliche Maßnahmen in Frauenhäusern oder Fachberatungsstellen zu unterstützen."
Dr. Melanie Leonhard, Senatorin für Arbeit, Soziales, Familie und Integration: "Keine Frau soll Gewalt erleiden müssen. Mit der Förderung eines sechsten Frauenhauses haben wir in Hamburg die Schutzplätze für Frauen weiter ausgebaut. Diesen Weg wollen wir weiter beschreiten. Ich bin froh, gemeinsam mit dem Bund das Hilfesystem für von Gewalt betroffene Frauen und ihrer Kinder auch in Hamburg in den kommenden Jahren weiter stärken zu können!"
Das Investitionsprogramm ist eine von zwei Säulen des Bundesförderprogramms "Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen"
Mit dem Förderprogramm trägt der Bund zum Ausbau und zur Weiterentwicklung der Hilfseinrichtungen für gewaltbetroffene Frauen bei. Fachberatungsstellen, Frauenhäuser und andere Hilfseinrichtungen sollen ausgebaut und besser ausgestattet, der Zugang zum Hilfesystem soll erleichtert werden, auch für Frauen, die bislang nicht gut erreicht wurden. Mit den Bundesmitteln soll zum Beispiel der barrierefreie Ausbau gefördert werden können. Außerdem sollen neue räumliche Kapazitäten und innovative Wohnformen für Frauen geschaffen werden, die gemeinsam mit ihren Kindern Schutz suchen. Die Umsetzung des Investitionsprogramms wird in enger Kooperation mit den Ländern durchgeführt. (…) Die zweite Säule des Förderprogramms sind innovative Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgung von gewaltbetroffenen Frauen.
Mit dem Innovationsprogramm sind bereits im vergangenen Jahr fünf Bundes-Projekte gestartet, die gewaltbetroffenen Frauen helfen und der Unterstützung von Fachkräften im gesamten Hilfesystem bundesweit zu Gute kommen.
Dazu gehört auch die Initiative "Stärker als Gewalt", die am 25. November 2019 erfolgreich gestartet ist. Auf der Internetseite sind erstmals eine Vielzahl an Hilfs- und Beratungsangeboten gebündelt: www.stärker-als-gewalt.de. Die Initiative ist eingebettet in ein Gesamtprogramm der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegenüber Frauen und ihren Kindern im Rahmen der Umsetzung der Istanbul-Konvention und des Koalitionsvertrags. Seit 2018 arbeitet der von Ministerin Giffey eingerichtete Runde Tisch von Bund, Ländern und Gemeinden, mit dem das Hilfenetz verstärkt und verbessert werden soll.
Hilfe und Rat gibt es auch beim bundesweiten Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen". Unter der Nummer 08000 116 016 bekommen Betroffene und ihr Umfeld Unterstützung und Informationen, zum Beispiel über Beratungsstellen in ihrer Nähe.
3. Unter der Überschrift "Männer sind Schweine – Frauen erst recht" schreibt Susanne Wendel in der Hamburger Morgenpost:
Frauen sind genauso übergriffig, gewalttätig und gemein wie Männer. Nur ganz anders und meistens gut versteckt. Bisher hat kaum jemand hingeschaut, und das sollten wir dringend ändern. Denn wenn wir immer nur die Männer als "Schweine" hinstellen und uns Frauen als Opfer von Sexismus, männlicher Macht und Gewalttätigkeit definieren, haben wir keine Chance, auf Augenhöhe zu kommen.
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4. Die Berliner "taz" macht eine Geschlechteranalyse zur Hamburger Bürgerschaftswahl und ist über das Ergebnis verblüfft: Die Linke hat die gleiche Frauenquote wie die CDU. Und parteiübergreifend sind die meisten Kanidaten ausgerechnet die verhassten weißen Männer. Drei Parteien allerdings halten ihre Kandidatenlisten vorbildlich männerfrei: Die Partei, Menschliche Welt und die Sozialliberale Demokratische Partei.
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