Politisch korrekte Prüderie erreicht Berliner Cheerleader und Pariser Laufstege – News vom 29. September 2019
1. Die aktuellste Entwicklung in Verbindung mit der vermeintlich frauenfreundlichen Prüderie der Gegenwart: DerBasketball-Bundesligist Alba Berlin wird zur kommenden Saison auf seine Cheerleader, die Alba Dancers, verzichten. "Wir sind zu der Überzeugung gekommen, dass das Auftreten junger Frauen als attraktive Pausenfüller bei Sportevents nicht mehr ins unsere Zeit passt", formulierte Geschäftsführer Marco Baldi auf der Homepage des Vereins. Es sei der Eindruck entstanden, dass Frauen bei Alba vor allem für die tanzende Pausenunterhaltung zuständig seien, während die Männer Basketball spielten.
Die Reaktion einer davon betroffenen Cheerleaderin ist scharf:
Bei Instagram schrieb sie: „Wer denkt, diese Entscheidung sei 'zeitgemäß', hat die letzten 100 Jahre Emanzipation verpasst. Enttäuschung ist gar kein ausreichender Ausdruck für diese mehr als erbärmliche Rechtfertigung." Unter dem Hasthag "#deeplychauvinistic ("zutiefst chauvinistisch") fügte sie ironisch hinzu: „Hilfe, wir wurden gezwungen, unserem Sport und somit unserer Leidenschaft nachzugehen. Unseren Vorbildern aus der NBA nachzufeiern." Und: "Dazu zählt auch das Kostüm. Was mehr nicht ist. Eine Verkleidung, die zu diesem Sport gehört und rein gar nichts über den Menschen, der es trägt, aussagt."
In einem Kommentar von Philippe Debionne in der Berliner Zeitung heißt es:
Dass die Frauen, bei denen nach Aussage ihrer Chefin von der Zahnärztin über die Psychologin bis hin zur Stewardess alles dabei ist, angeblich degradiert werden, weil Männer sie hübsch finden, verstehen nicht nur die Frauen selbst nicht. Natürlich sieht man(n) gerne hin - aber was ist schlimm daran, ästhetische Körper gerne zu betrachten? Was ist schlimm daran, einem Trupp hübscher Sportlerinnen gerne zuzusehen? Was ist das für eine neue, ungesunde Prüderie?
Müssen sich die Männer und Frauen, die professionell Beachvolleyball spielen, demnächst auch züchtig kleiden, weil sie in ihren Outfits zu sexy aussehen könnten? Dürfen männliche Tennisspieler sich kein neues Hemd anziehen, weil ihre weiblichen Fans (wie kürzlich geschehen) davon Videos machen und sich im Internet über den ansehnlichen, weil durchtrainierten freien Oberkörper des Mannes freuen? Vielleicht sollten unsere Sportler, egal ob männlich oder weiblich, künftig nur noch in Burka antreten, lediglich die Farbe der praktischen Ganzkörperbekleidung würde dann Aufschluss darüber geben, ob hier gerade Männer oder Frauen am Start sind. (...) Dass ausgerechnet der Vereinsvorstand den Frauen damit unmissverständlich den Stempel "Sex-Objekt" aufdrückt, scheinen die verantwortlichen Herren dabei nicht zu verstehen.
(...) Ich unterstelle den Verantwortlichen bei Alba daher an dieser Stelle, dass sie diese Entscheidung aus folgendem Grunde getroffen haben: Aus Angst, ins Visier einer Minderheit zu geraten, die hinter Cheerleading Sexismus in Reinform vermutet. Dass das früher oder später passiert wäre, ist im heutigen Berlin vermutlich sogar anzunehmen. Sich diesem Druck in vorauseilendem Gehorsam zu beugen, ist allerdings ein falsches Zeichen.
2. Derselbe Kulturkampf hat auch die Laufstege von Paris erreicht. Die Nachrichtenagentur AFP berichtet:
Spaltungen über Fragen zu "Rasse", Geschlecht und der Klimakrise sprudeln an die Oberfläche in einer Welt, in der die politische Debatte meist so willkommen ist wie schlaffe Haut an den Oberarmen. Zwei der größten Pariser Modestars, Hedi Slimane von Celine und Anthony Vaccarello von Saint Laurent, haben beide vor einem neuen "Puritanismus" gewarnt.
Slimane befürchtet sogar, dass dieser "getarnte Neokonservatismus" die grundlegende kreative Freiheit bedroht. "Demagogische politische Korrektheit ist zu einer tragischen Tyrannei wörtlicher Auslegungen geworden", erklärte er in einem seltenen Interview letzten Monat.
Vaccarello ging am Vorabend der Pariser Modewoche weiter und sagte: "Es ist jetzt unmöglich, eine Meinung zu haben, die gegen die Herde gerichtet ist".
(...) Beide Männer wurden in den letzten Saisons von Feministinnen zerfleischt - Vaccarello wegen "Porno-chic"-Anzeigen, von denen die französischen Regulierungsbehörden sagten, dass sie Frauen erniedrigen, und Slimane wegen dem künstlerischen Erbe der britischen Designerin Phoebe Philo, seiner Vorgängerin bei Celine.
Ihre Fans, bekannt als die "Philophilen", zerfleischten den zurückgezogen lebenden Designer, wobei der Hollywood Reporter fragte: "Ist Hedi Slimane der Donald Trump der Mode?", während die Financial Times seinen Look als "superdünn und fast ausschließlich weiß" brandmarkte.
Slimane sagte, angesichts eines solcher Fendseligkeiten "fühlt es sich an, als hätte die Toleranz die Seiten gewechselt".
Die Nähe beider Männer zur französischen Leinwandlegende Catherine Deneuve, die auf dem Höhepunkt der #MeToo-Bewegung das "Recht der Männer, Frauen zu belästigen" verteidigte, blieb von ihren Kritikern nicht unberücksichtigt.
"Du darfst nichts mehr sagen oder tun", sagte Richard Rene von Guy Laroche nach seiner Show am Mittwoch, die eine berüchtigte Pariser Dame feierte, die ehemalige Models an Staatsoberhäupter vermittelte.
Der Kontrast zu Dior, die unter ihrer ersten Designerin Maria Grazia Chiuri zu einer Vorkämpferin des feministischen Aktivismus geworden ist, könnte nicht deutlicher sein.
Ihre Debüt-Show im Jahr 2016 begann mit einem T-Shirt mit dem Slogan "We Should All Be Feminists", und seitdem hat die Italienerin keine Gelegenheit ausgelassen, die Trommel des weiblichen Empowerments zu schlagen.
Chiuri hat sich am Dienstag des Klimaaktivismus und des Handlungsbedarfs, "wenn die Menschheit überleben soll", angenommen und Models mit Greta-Thunberg-Zöpfen ausgesandt
Das ergibt Sinn. Wer findet Greta Thunberg schließlich nicht sexy? Ach Verzeihung, darum geht's ja auf den Laufstegen längst nicht mehr.
Aber am nächsten Tag warf der Milliardär Bernard Arnault, der zweitreichste Mann der Welt, der schwedischen Teenagerin vor, sich "dem totalen Katastrophendenken zu ergeben ... das dürfte die Jugend demoralisieren. Sie hat nichts anderes als Kritik zu bieten."
Minuten zuvor hatte die berühmte grüne britische Designerin Stella McCartney, Arnaults neue persönliche Beraterin für Nachhaltigkeit, die Führungskräfte seiner LVMH-Gruppe aufgefordert, den Kampf gegen den Klimawandel in ihr Denken einzubeziehen.
Neben Stella McCartney, Vivienne Westwood, der aufstrebenden jungen französischen Upcyclerin Marine Serre, Dior und dem amerikanischen Rick Owens setzt eine wachsende Gruppe von Marken auf Empowerment und die Umwelt, um eine neue Generation von "woken", sozial bewussten Kunden zu gewinnen.
Der indische Schöpfer Manish Arora nutzte seine Show, um auf größere LGBTQIA-Rechte zu drängen, indem er sagte, dass wir ein größeres Bewusstsein für lesbische, schwule, trans, fragende, intersexuelle und asexuelle Menschen brauchen.
Interessant. Wenn ich jetzt zum Beispiel asexuell wäre: Welche Form der Haute Couture wäre dann passend für mich?
Man macht sich im Alltag über solche Fragen ja viel zu wenig Gedanken.
Und Westwoods Ehemann Andreas Kronthaler, der dort die Designertätigkeit übernommen hat, bezieht männliche Models in alle seine Shows ein, "weil sie in einem Kleid genauso schön sein können wie Frauen".
Vaccarello, der es vorzieht, harte und schnelle Hetero-Sexyness zu verkaufen, sagte, dass eine "Hexenjagdatmosphäre ruinös sei .... diese angstgeplagten Zeiten. Frauenfeindlichkeit und Rassismus liegen im Auge des anderen", insistierte er und schloss seine vielfältige Pariser Show am Dienstag mit dem schwarzen Supermodel Naomi Campbell ab.
Aber Olivier Rousteing von Balmain, der erste schwarze Designer, der ein großes Pariser Haus führte, sagte, dass es der Mode noch immer an Vielfalt mangele.
"Das ist für alle offensichtlich", sagte er der AFP. "Ich verurteile keine Menschen, die einen anderen Standpunkt vertreten, aber ich habe nicht das Gefühl, dass der Kampf beendet ist. Wir müssen noch immer für die Rechte der Frauen kämpfen, für Vielfalt und dafür, dass Homosexualität akzeptiert und nicht nur toleriert wird."
3. Die Post. Einer meiner Leser schreibt mir heute:
Ich weiß nicht ob du Netflix hast. Bei aller Kritik wegen dem Bann von unter anderem "The Red Pill" besorge dir bitte einen Zugang. Kostenloser Test reicht und schau dir Criminal: Deutschland Folge 2 an. Ich will dir nicht die Spannung nehmen. Aber besser kann man das Thema Sorgerecht, Häusliche Gewalt und die Situation vor Gericht nicht darstellen. Ich habe es leider im Flugzeug gesehen. Da ist die ein oder andere Träne immer etwas peinlich. War aber zum Glück ein Nachtflug.
Ein anderer Leser schreibt mir:
Hallo Herr Hoffmann,
ich verfolge auf Ihrem Blog unter anderem die Debatte um die "Qualitätsoffensive" im deutschen Familienrecht. Zu Ihren News vom 28.09.2019 (Punkt #3) folgende Anmerkungen:
Ich bin selbst Jurist und zugleich betroffen von justizieller Willkür im Familienrecht. Ich habe mir das weder seinerzeit im Studium, noch lange Zeit danach vorstellen können: Die vernichtenden Ergebnisse der Expertenanhörung im Rechtsausschuss des Bundestages vom 25.09.2019 kann ich aus meiner praktischen Erfahrung der letzten neun Jahre uneingeschränkt bestätigen. Justitia erscheint blind und humpelt allenfalls durch das Familienrecht. Dieser Eindruck dürfte seit Jahrzehnten jedenfalls jeden Vater beschleichen, der jemals nach einer Trennung in den Strudel der Familienrechtsindustrie geraten ist, weil er sich für eine gleichberechtigte (Weiter-)Betreuung und Sorge für seine Kinder eingesetzt hat. Ausnahmen hiervon werden mit Glück allenfalls dann gelten, wenn es sich bei dem Vater mindestens um einen kirchenbewegten Diplom-Pädagogen und Friedensnobelpreisträger handelt, während sich die Mutter als drogenabhängige Kleinkriminelle durchschlägt.
Dennoch möchte ich "das Recht" in gewisser Weise in Schutz nehmen. Die bestehenden Probleme und vielfach absurden Ergebnisse familiengerichtlicher Verfahren mögen sicher etwas mit mangelhafter Aus- und Fortbildung der beteiligten Richter (oder meist: Richterinnen in Teilzeit) zu tun haben. Das gleiche gilt insbesondere auch für die im Verfahren in der Regel ausschlaggebenden psychologischen SachverständigInnen, die sich zwar sehr häufig gerade nicht durch "Sachverstand" auszeichnen, aber dafür mit dem Einfluss eines Richters belohnt werden. Von der Qualifikation der Jugendämter und Verfahrensbeistände mag man - von löblichen Ausnahmen abgesehen - erst gar nicht mehr reden.
Dem regelmäßigen Versagen all dieser Professionen im Familienrecht ist eines gemein: Sie scheitern nur sehr selten bis gar nicht "am Recht" an sich, das heißt an unzureichenden Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs. Sie scheitern letztlich serienmäßig an ihrer "Haltung" und "Ideologie". Diese Haltung besagt kurz gefasst bis heute: "Das Kind gehört zur Mutter" - und zwar ausschließlich - was sich in einer kaum noch zählbaren Anzahl von Fällen sehr negativ auf die betroffenen Kinder und ihr Verhältnis zu beiden (!) Elternteilen auswirkt.
Deprimierend ist, dass sich diese Haltung von links bis rechts durch das gesamte politische Spektrum zieht und mit so unterschiedlichen wie gleichermaßen abwegigen Ideologien begründet wird. Auf die Politik kann man hier in absehbarer Zeit wohl kaum hoffen. Ändern wird sich vermutlich erst dann etwas, sobald das Bundesverfassungsgericht den Beteiligten im Rahmen einer Grundsatzentscheidung die Leviten liest und ein Umdenken erzwingt. Aber dafür bedarf es erst des "richtigen Falls" und auch einer intrinsischen Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichts.
"Das Recht" eröffnet den Gerichten und Verfahrensbeteiligten allerdings schon heute und ohne jede Gesetzesänderung, zu ausgewogenen und kindeswohldienlichen Lösungen für die betroffenen Kinder zu gelangen. So kann zum Beispiel schon heute ein Wechselmodell - besser: paritätisches Betreuungsmodell - durch das Familiengericht im Wege einer Umgangsregelung beschlossen werden. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 01.02.2017, XII ZB 601/15 hat insofern Rechtsgeschichte geschrieben. Erst recht kann auch ein Betreuungsverhältnis von wenigstens 8:6 Tagen problemlos von jedem Familiengericht ganz regelmäßig festgelegt werden (Verhältnis Mutter:Vater; Umgangsregelungen werden meist im 14-tägigen Rhythmus definiert). Letzteres käme zuzüglich der normalen hälftigen Aufteilung der Ferien und Feiertage einem Wechselmodell im Jahresdurchschnitt schon sehr nahe (bei gleichzeitiger Vermeidung der ideologischen Grabenkämpfe!).
Warum wird das Mögliche also nicht getan? Und warum hat sich die Entscheidung des Bundesgerichtshofs in der familienrechtlichen Praxis der Amts- und Oberlandesgerichtsentscheidungen bisher so gut wie gar nicht niedergeschlagen? Warum erleben Väter keinen schrittweisen Zuwachs an Betreuungszeiten für Ihre Kinder und warum begegnet man ihnen nach wie vor voller Misstrauen und Missachtung? Eben! Haltung und Ideologie. "Das Recht" wäscht seine Hände dabei in Unschuld, denn "ihr könntet ja, wenn ihr wolltet".
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