Montag, Juni 24, 2019

Wie Giffey (SPD) ihren Doktortitel zu retten versucht – News vom 24. Juni 2019

1. Franziska Giffey habe gute Aussichten, die Führung der SPD zu übernehmen, hört man derzeit von politischen Beobachtern, falls es ihr gelinge, die Aberkennung ihres Doktortitels zu unterbinden. Die Frankfurter Allgemeine berichtet, auf welche Weise Giffey das versucht und was davon zu halten ist.



2. Unter der Überschrift "Lehrerin vernascht Schüler (13) – 1 Jahr Haft" berichtet Kronehit, ein privater Hörfunksender in Österreich, über einen Fall von sexuellem Missbrauch. Die Art, wie der Beitrag formuliert ist, veranschaulicht gut, wie sexuelle Übergriffe auf Jungen und Männer in unserer Gesellschaft wahrgenommen werden.



3. Der Stern nutzt häusliche Gewalt, die Charlotte Roche gegen ihren Mann begangen hat, um Reklame für ihren Podcast zu machen:

Insbesondere bei Streitigkeiten ging es früher ordentlich zur Sache: Einmal versuchte Roche, einen schweren Tisch auf ihren Mann zu werfen - was ihn seinerzeit an Pippi Langstrumpf denken ließ, die ihr Pferd hochhebt. Ein anderes Mal schüttete sie heiße Milch auf ihn.




4. Ein Fundstück im Internet: Die auf praktische Anleitungen spezialisierte Website "Wikihow" erklärt, wie ein Mann sich gegenüber einer prügelnden oder anderweitig übergriffigen Ehefrau verhalten kann.



5. Die Post. Einer meiner Leser beanstandet die Verlinkung des in der Neuen Zürcher Zeitung erschienenen Artikels "Wütende weisse Männer: über die Genese, Wirkung und Idiotie eines neuen hässlichen Stereotyps" von Hans Ulrich Gumbrecht, Professor für Literaturwissenschaft und Literaturgeschichte:

Kommen wir zuerst zum "Logozentrismus". Das ist ein Fachbegriff aus Jacques Derridas poststrukturalistischer Sprachphilosophie. Der Begriff hat mit einer Ablehnung von Logik, Vernunft, Wahrheit etc. nichts zu tun.

Ich zitiere an dieser Stelle aus den Anfängen von zwei verschiedenen Lexikas zur Literatur- und Kulturtheorie beim Begriff "Logozentrismus":

"Von Derrida (…) zusammen mit dem weniger gebräuchlichen Synonym Phonozentrismus geprägter Terminus. Gemeint ist das Glaubwürdigmachen der Zeichen oder ihres Systems von außen, seitens einer Autorität, deren Bedeutung oder Wahrheit sie übertragen."

(aus: Vladimir Biti – Literatur- und Kulturtheorie. Ein Handbuch gegenwärtiger Begriffe, Rowohlt, 2001, S. 562)

"Der L. ist ein von J. Derrida geprägter, für das Verständnis der Dekonstruktion zentraler Begriff, der sich im Anschluss an M. Heidegger auf eine Metaphysik der Präsenz bezieht. Derrida bezeichnet die Hauptströmungen westlichen Denkens als logozentrisch, da sie das Wort im Sinne von 'logos', d.h. als metaphysische Einheit von Wort und Sinn pivilegieren."

(aus: Ansgar Nünning (Hrsg.), Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, Verlag J.B. Metzler, 1998, S. 330)

Derrida in einem Text zur Antwort auf Sokal und Bricmont:

"Und was den „Relativismus“ betrifft, dessentwegen sie, wie es heißt, beunruhigt seien: Nun, dort wo dieses Wort über einen strengen philosophischen Sinn verfügt, gibt es bei mir keine Spur davon. Auch keine Spur irgendeiner Kritik der Vernunft oder der Aufklärung. Ganz im Gegenteil."

(aus: Jacques Derrida – 2Sokal und Bricmont sind nicht seriös", in: Jacques Derrida – Maschinen Papier, Passagen Verlag, 2006, S. 258)

Dass in dem NZZ-Artikel suggeriert wird, Derrida habe einer Ablehnung von Logik, Vernunft und Wahrheit das Wort geredet – und das sei der zentrale Grund dafür, dass es heute unwissenschaftliche Strömungen in Teilen der Geisteswissenschaften und Sozialwissenschaften gebe - ist falsch.

In dem Artikel wird es darüber hinaus so dargestellt, als gebe es heute das politisch korrekte Feinbild "weißer, heterosexueller Mann", weil Jacques Derrida ein blödes Wort erfunden hat. Absurd. Political Correctness, Identitätspolitik und das Feindbild "weißer heterosexueller Mann" gibt es, weil an US-amerikanischen Universitäten im Laufe der letzten Jahrzehnte viele Abteilungen und Studiengänge etabliert wurden, die sich ausschließlich dem Leben, den Interessen und den Diskriminierungen von Frauen oder bestimmten Minderheiten widmen sollten:

Jacques Derrida ging davon aus, dass mit dem "Logozentrismus" und dem "Phonozentrismus", also der Stabilisierung von Begriffsbedeutungen durch eine äußere Autorität in philosophischen Texten sowie der Privilegierung der gesprochenen Sprache zugunsten der Schrift, die Derrida in mehreren philosophischen Texten der Klassiker entdeckt zu haben glaubte, noch mehrere andere hierarchische Ungleichgewichte zwischen zentralen Begriffen und Konzepten einhergingen, die z.T. Eingang in das kulturelle Wertesystem westlicher Gesellschaften gefunden hätten: Kultur wird traditionell höher bewertet als Natur, Geist wird traditionell höher bewertet als Körper und einiges andere. Die wichtigste dieser hierarchischen Dualismen war für Derrida aber die Priviliegierung des gesprochenen Wortes gegenüber der Schrift. Derrida kritisiert lang und breit die Diskriminierung der Schrift gegenüber dem gesprochenen Wort in den Texten philosophischer Klassiker - die er ansonsten sehr schätzte.

Soweit erstmal nichts Feministisches.

Später hat Derrida leider, weil er glaubte in mehreren philosophischen Texten eine Abwertung des Weiblichen zugunsten des Männlichen herauszulesen, eine feministische Komponente hinzugenommen. Nun gehörte auch die Abwertung des Weiblichen zugunsten des Männlichen zu den von ihm kritisierten hierarchischen Dualismen.

Das ist aber gänzlich unoriginell und nicht von Derrida erfunden worden. Die Behauptung einer Abwertung des Weiblichen zugunsten des Männlichen im kulturellen Bedeutungssystem westlicher Gesellschaften war schon lange vorher Kernbestand feministischer Theorien, Derrida griff dies nur auf.

Nun sprach Derrida meistens nicht mehr von "Logozentrismus", sonden verwendete stattdessen das Wort "Phallogozentrismus". Das ist natürlich scheiße. Er meinte damit aber nicht einfach nur die Abwertung des Weiblichen gegenüber dem Männlichen, sondern, so wie Derrida den Begriff benutzte, stand "Phallogozentrismus" für die Gesamtheit von hierarchischen Dualismen in der westlichen Kultur, die Derrida in Texten philosophischer Klassiker entdeckt zu haben glaubte. Der Begriff umfasst also vieles, das mit Feminismus nichts zu tun hat.

Würde man die feministische Komponente rausnehmen und das Konzept umbenennen, bliebe also noch viel Nicht-Feministisches übrig.

Später hat die französische poststrukturalistische Differenzfeministin Luce Irigaray das Wort "Phallogozentrismus" übernommen und hat es ausschließlich feministisch interpretiert. Im Zuge der US-amerikanischen Irigaray-Rezeption wurde der Begriff "Phallogozentrismus" in seiner rein feministischen Interpretation dann in den Gender-Feminismus übernommen.

Von Jacques Derrida gibt es über 100 Bücher. Nur in zwei Büchern sowie einem Interview und einem kürzeren Text von ihm finden sich meines Wissens mehrseitige pro-feministische Textpassagen. Ansonsten taucht das Thema Feminismus bei ihm nur am Rande auf. Und manchmal verwendet er halt leider den Begriff "Phallogozentrismus". Diese Dinge sind ärgerlich, betreffen aber nur kleine Teile des Gesamtwerkes.

Es ist daher nicht gerechtfertigt Jacques Derrida neben einen irren Männerhasser wie [Michael] Kimmel zu stellen, dessen Werk sich ausschließlich der Propagierung eines einseitigen männerfeindlichen Feminismus widmet.

Und es ist ebenfalls nicht gerechtfertigt, Derrida das politisch korrekte Feindbild "weißer, heterosexueller Mann" anzulasten, das an US-amerikanischen Universitäten entwickelt wurde. Derrida kannte weder die wissenschaftlichen Widerlegungen von Behauptungen des Mainstream-Feminismus, die sich in Werken von Equity-Feministinnen und linken Männerrechtlern finden, noch hatte er vom Forschungsstand bezüglich Diskriminierungen von denen Jungen und Männer betroffen sind, irgendwelche Kenntnisse.

Warum soll Derrida dafür dämonisiert werden, dass er diesbezüglich uninformiert war? Fast jeder linke Männerrechtler war in der Vergangenheit auch einmal ein uniformierzter Pro-Feminist gewesen.

Derrida betonte stets den Anti-Dogmatismus, die Möglichkeit des beständigen Hinterfragens aller Dinge und er schrieb einen Artikel zur Ethik einer zivilisierten Diskussion. Würde er heute noch leben und würde er einem rational argumentierenden Männerrechtler begegnen, so wäre es nicht unwahrscheinlich, dass Derrida ihm zuhören und seine feministischen Einseitigkeiten überdenken würde.

Der NZZ-Artikel bietet eine schlampig recherchierte Präsentation von Halbwahrheiten, Lügen, Übertreibungen und Fehlkontextualisierungen, die darauf abzielen, einen Klassiker der Linken zum Sündenbock zu machen und hätte daher nicht auf Genderama verlinkt werden sollen.

Eine links-maskulistische Kritik an Derrida ist zwar durchaus möglich, aber sie sollte von Kenntnis, Sachlichkeit und Differenzierung geprägt sein, wahrheitsgemäß analysieren und zwischen dem kleinen Teil kritikwürdigen feministischen Unsinns, der sich in Derridas Werk findet und dem großen Teil bedeutender geisteswissenschaftlicher Arbeit, der sich mit anderen Themen beschäftigt, klar differenzieren sowie ideengeschichtliche Linien zutreffend darstellen.

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