Dienstag, Juni 04, 2019

Andrea Nahles: SPD wirft sich selbst "Frauenfeindlichkeit" vor – News vom 4. Juni 2019

1. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat nach der Rücktrittsankündigung von SPD-Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles beim Umgang mit Frauen in politischen Spitzenpositionen einen "ziemlichen frauenfeindlichen Anteil" ausgemacht: "Da werden Verhaltensweisen kritisiert, die man bei keinem Mann kritisieren würde." Ähnlich sieht es Fraktionsvize Karl Lauterbach, der die Angriffe auf Nahles aus den eigenen Reihen kritisierte.

Auf Twitter gibt es zahlreiche Solidaritätsbekundungen mit Nahles. Kolumnistin, Feministin und Buchautorin Sophie Paßmann schrieb dazu: "Ich habe die Befürchtung, die feministischen Solidaritätsbekundigungen mit Nahles kommen jetzt einen Ticken zu spät."

Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hatte bereits am Samstag gewarnt, Andrea Nahles zu stürzen. "Nachdem die SPD in ihrer großen und langen Geschichte mit Andrea Nahles zum ersten Mal eine Frau an ihre Spitze gewählt hat – welches Zeichen ist es, wenn diese Frau nach einem Jahr wieder gestürzt wird", schrieb Thierse dem "Tagespiegel" zufolge in einem Appell an die SPD-Abgeordneten.


In der Berliner Zeitung befindet Sabine Rennefanz:

Es geht um die Probleme, die andere mit ihr hatten. Weil sie eine Frau ist. Dazu noch eine alleinerziehende Mutter. (...) Die Fähigkeit zu Selbstkritik ist womöglich auch etwas Weibliches.


Wie der Bayrische Rundfunk berichtet, schließen sich diesem Standpunkt jetzt auch Politikerinnen anderer Parteien an

So sagte die bayerische Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze dem BR: "Die Politik ist immer noch sehr männlich dominiert. Und ich finde auch, dass die Politik schonungsloser mit Frauen umgeht - das sieht man auch im Fall Andrea Nahles, aber auch in anderen Beispielen." Frauen würden in der Politik nach wie vor anders begutachtet und bewertet als Männer.

Ähnlich äußerte sich in Berlin auch Grünen-Bundeschefin Annalena Baerbock: "Politik ist nicht nur ein wahnsinnig hartes Geschäft, sondern ich weiß selber, dass es auch immer nochmal besondere Härten gibt, wenn man weiblich ist."

Kritisch zum Umgang mit Nahles äußerte sich auch die stellvertretende CSU-Vorsitzende Dorothee Bär. "Ich weiß nicht, ob man an der einen oder anderen Stelle mit Männern auch so hart umgegangen wäre", sagte sie in einem "Bild"-Interview.

Die frühere CSU-Generalsekretärin Christine Haderthauer glaubt zwar nicht, dass im Fall Nahles das Geschlecht der Parteichefin ein zentraler Grund für den parteiinternen Machtkampf war, wie sie dem BR sagte. Aber bei der Begründung, also der Begleitmusik, die dann gekommen sei, habe sie "vieles empfunden als etwas, was man bei einem Mann so nicht gebracht hätte - was den Umgang angeht und die Argumente, die da ins Feld geführt wurden".

Wie die Grünen-Politikerin Schulze, beklagt auch Haderthauer, dass Männer und Frauen nach wie vor in allen Bereichen der Gesellschaft mit zweierlei Maßen gemessen würden. Die Arbeit einer Frau in einer politischen Spitzenposition werde "einfach anders und mit strengeren Kriterien wahrgenommen", so die Ex-CSU-Generalsekretärin.

Die stellvertretende bayerische SPD-Fraktionsvorsitzende Margit Wild will die Debatte über den Nahles-Rücktritt zwar nicht auf die Geschlechterfrage reduzieren, sieht darin aber durchaus einen Faktor. "Ich kenne auch Männer, denen man das Leben in der Politik schwer gemacht hat", sagte sie dem BR. "Aber möglicherweise tun sich manche Männer leichter, eine Frau zu attackieren als einen Mann." Und im Fall Nahles habe es "einige Heckenschützen" innerhalb der SPD gegeben. "Ich finde das eine miese Nummer, die da von einigen da gelaufen ist."

Auch die niederbayerische SPD-Bundestagsabgeordnete Rita Hagl-Kehl kritisierte, viele männliche Kollegen hätten sich lieber in der Presse über Nahles geäußert, als mit ihr selbst zu sprechen. "Das ist kein Umgang in einer Partei. Ich bezweifle auch, dass man mit einem Mann so umgegangen wäre. Das finde ich unverantwortlich."

(...) [Katharina] Schulze verweist darauf, dass die Grünen eine feministische Parteien seien - aber: "Auch wir müssen ständig daran arbeiten." Als wichtigstes Ziel sehen beide, dass es mehr Frauen in der Politik geben müsse. Schulze mahnt darüber hinaus auch eine stärkere Solidarität unter Frauen an. "Aber ich möchte auch die Männer mit ins Boot nehmen, denn Gleichberechtigung und Feminismus ist für die gesamte Gesellschaft gut."


Gestern Abend wies Anne Will in ihrer Talkshow darauf hin, dass auch Heiko Maas Nahles als Opfer von Frauenfeindlichkeit dargestellt habe – unter großem Applaus auch derjenigen, so Will, denen diese Kritik gegolten habe. Unterstützung erhielt Will dabei von Luise Neubauer (Fridays for Future, Grüne), die befand, "dass wir ein massivstes Problem mit Sexismus in der Politik, in den Medien, in der Gesellschaft haben, das ist ja gegeben ... so dass es vorherrscht ... und gerade Frauen in Spitzenposten sind dem ausgesetzt." (Das ist dieselbe Luise Neubauer, die keine "Hart aber fair"-Talkshow überstehen kann, ohne gegen "alte weiße Männer" vom Leder zu ziehen. Glaube ja keiner, man bekäme die neue Umweltbewegung auch ohne eine radikalfeministische Ideologie.)

"Als Frau an der Spitze hatte Nahles es doppelt schwer" befindet Cerstin Gammelin in der Süddeutschen Zeitung:

Der Umgang mit Andrea Nahles offenbart, wie schwer es Frauen als Chefinnen immer noch haben. Die SPD, die für Gerechtigkeit sorgen will, hat beim Umgang mit ihrer Parteichefin versagt. (...) Der komplette Rückzug einer so leidenschaftlichen Politikerin wie Nahles aus allen Funktionen führt nachdrücklich vor Augen, dass in Deutschland noch viel zu tun ist, um die verkrusteten Strukturen des Patriarchats aufzubrechen.


In der Frankfurter Allgemeinen bläst Jasper von Altenbockum ins selbe Horn:

Die SPD entpuppt sich so als Partei, die zwar gern den Anschluss an gendergerechte Identitätspolitik sucht, darüber aber vergessen hat, dass Solidarität, Gleichberechtigung oder Feminismus nicht als kulturelles Gedöns, sondern als materielle Leistungen gemeint waren – jedenfalls noch unter den Enkeln und Urenkeln von Bebel.


Haben all diese Journalisten und Politiker Recht? Gibt es (auch) in der SPD eine grassierende Frauenfeindlichkeit? Schauen wir uns mal ein paar Statements aus dieser Partei an:

"Wer die menschliche Gesellschaft will, muss die männliche überwinden."

(SPD-Grundsatzprogramm)

"Wir sind klüger als die Männer!"

(Manuela Schwesig, SPD)

"Wir müssen an das empfindlichste Körperteil des Mannes: sein Portemonnaie."

(Frauenministerin Franziska Giffey, SPD)

"Wenn's leicht wäre, könnte es ja ein Mann machen."

(Andrea Nahles, ehemalige Parteivorsitzende der SPD)

"Wie immer: Die Männer haben den Unfug angerichtet und die Frauen müssen aufräumen."

(Justizministerin Katarina Barley, SPD)

Können wir uns vielleicht als Kompromiss darauf einigen, dass die SPD ein ganz erhebliches Problem mit Sexismus hat?

Inzwischen hat die SPD ein neues Führungstrio: Zwei Frauen und ein Mann. Man kann schon auf den Aufschrei warten, warum es eigentlich keine drei Frauen sind, um dem weiblichen Führungsduo bei der CDU etwas entgegen halten zu können. Beim Aufbrechen des "Patriarchats" gibt es wirklich noch viel zu tun ...

Währenddessen schreibt die BILD-Zeitung Nahles Niederlage schon mal zum Triumph um:

Frauen um die 50, die auf eine beachtliche Karriere zurückblicken, definieren Erfolg für sich oft nochmals ganz neu. Jenseits der männlichen Kategorien von Geld, Macht und Status. (...) Ein überlegtes Aufgeben hat für Karriere-Frauen oft etwas ausgesprochen Befreiendes. Schluss mit dem Hamsterrad! (...) Weniger Stress und Frust. Andrea Nahles kann sich jetzt noch einmal völlig neu erfinden.


Wenn das so weitergeht, werden wir uns in ein paar Jahren alle an Andrea Nahles als die Frau erinnern, die die SPD verlassen hat, weil sie die Frauenfeindlichkeit dort nicht mehr ertragen konnte.

Die Debatte ist heute auch Thema bei Christian Schmidt.



2. In Neu-Delhi dürfen Frauen öffentliche Verkehrsmittel zukünftig kostenlos benutzen, um vor Verbrechen sicher zu sein.



3. Im Magazin "Quillette" beschäftigt sich Maria Kouloglou, eine Soziologie-Studentin mit Interesse an Frauen- und Männerrechten, mit dem Thema "Male Disposability", also dem Umgang mit Männern als leicht entsorgbare Wegwerfartikel:

In ihrer Analyse "Frauen und Völkermord in Ruanda" erklärte die ehemalige ruandische Politikerin Aloysia Inyumba: "Der Völkermord in Ruanda ist eine weitreichende Tragödie, die die Frauen besonders hart getroffen hat. Sie machen heute 70 Prozent der Bevölkerung aus, da der Völkermord vor allem die männliche Bevölkerung vernichtet hat."

In einer Rede von 1998 vor einer Konferenz über häusliche Gewalt in El Salvador sagte die ehemalige US-Senatorin und Außenministerin Hillary Clinton: "Frauen waren immer die Hauptopfer des Krieges. Frauen verlieren ihre Männer, ihre Väter, ihre Söhne im Kampf."

Diese Aussagen veranschaulichen einen breiteren Trend zur "Wegwerfbarkeit von Männern".

Was ist männliche Wegwerfbarkeit?

"Männliche Wegwerfbarkeit" beschreibt die Tendenz, sich weniger um die Sicherheit und das Wohlbefinden von Männern zu kümmern als um Frauen. Diese Nacht klingt überraschend, wenn man bedenkt, wie sehr der zeitgenössische westliche Diskurs über die Unterdrückung von Frauen durch Männer im Vordergrund steht. Wie ist es möglich, dass von Männern geschaffene Gesellschaften deren eigenes Wohlergehen als weniger wichtig erachten? Aber eingebettet in diese Art von Frage sind vereinfachte Annahmen, die eine große Komplexität abflachen.

Eine 2016 in der Zeitschrift Social Psychological and Personality Science veröffentlichte Studie ergab, dass Menschen in Krisenzeiten eher bereit sind, Männer zu opfern als Frauen, und dass sie eher bereit sind, Männern Schaden zuzufügen als Frauen. Im Jahr 2017 lieferte ein Versuch, das Milgram-Experiment in Polen zu replizieren, einige (nicht eindeutige) Beweise dafür, dass die Menschen eher bereit sind, schwere Stromschläge bei Männern als bei Frauen zu verursachen:

"Es ist bemerkenswert", schreiben die Autoren, "dass, obwohl die Zahl der Personen, die sich weigern, die Befehle des Experimentators auszuführen, dreimal so hoch war, wenn die Person, die den "Schock" erhielt eine Frau war, wobei die kleine Stichprobengröße es uns nicht erlaubt, weitgehende Schlussfolgerungen zu ziehen".

Eine Studie aus dem Jahr 2000 ergab, dass bei Morden, die mit einem Fahrzeug begangen werden, Fahrer, die Frauen töten, tendenziell längere Strafen erhalten als Fahrer, die Männer töten. Eine andere Studie ergab, dass Täter, die 1991 in Texas Frauen zum Opfer fielen, längere Strafen erhielten als diejenigen, die Männer zum Opfer fielen. Es gibt zumindest einige Hinweise darauf, dass "Frauen und Kinder zuerst" ein Prinzip ist, das bei Rettungsaktionen in Naturkatastrophengebieten noch immer angewendet wird. Einige Sozialwissenschaftler haben auch festgestellt, dass sich die Medien eher auf weibliche Opfer konzentrieren als auf männliche Opfer. Dies gilt insbesondere für weiße weibliche Opfer.

Es ist interessant, das oben Gesagte im Lichte der folgenden Punkte zu betrachten: Männer werden eher ermordet als Frauen, und in einigen Fällen werden sie eher körperlich angegriffen. In den meisten Ländern sterben Männer eher an Selbstmord, sie sind eher obdachlos, sie werden eher von der Polizei getötet, und sie werden eher in gefährlichen Jobs arbeiten. Einige Länder kriminalisieren auch spezifisch männliche Homosexualität, und männliche Homosexuelle scheinen eher Opfer von Hassverbrechen zu werden. Die Kriegsvergewaltigung und der sexuelle Missbrauch von Männern werden ebenfalls als häufiger angesehen, als die meisten Menschen glauben.

Dennoch scheinen sich die Medien überwiegend auf Gewalt gegen Frauen zu konzentrieren, und ganze internationale Organisationen und Bewegungen wurden gegründet, um die Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu beenden. Sie werden unglaubliche Probleme haben, ähnliche Ressourcen zu finden, wenn es darum geht, die Gewalt gegen Männer zu beenden. Das alles bedeutet natürlich nicht, dass Männer immer mehr zur Verfügung stehen als Frauen. Es gibt in der Tat Umstände, unter denen Frauen als "wegwerfbarer" behandelt werden, wie z.B. die unverhältnismäßige Abtreibung von weiblichen Föten in Ländern wie China und Indien. Obwohl dies die Hypothese der leichteren "Wegwerfbarkeit" von Männern erschwert, wird sie jedoch nicht ungültig.

Warum Gewalt gegen Männer oft ignoriert wird

Wenn man Menschen unter Druck setzt, zuzugeben, dass Gewalt gegen Männer im Vergleich zur Gewalt gegen Frauen weitgehend normalisiert und ignoriert wird, reagieren viele von ihnen mit dem Versuch, das Ungleichgewicht zu rechtfertigen. Einige behaupten beispielsweise, dass Gewalt gegen Frauen "geschlechtsspezifisch" ist und daher ernster genommen werden sollte. Aber auch Gewalt gegen Männer ist häufig geschlechtsspezifisch. Während des ruandischen Völkermords waren es vor allem Männer und Jungen, die wegen ihres Geschlechts wegen Mordes ins Visier genommen wurden. Die geschlechtsspezifische Natur der Morde wurde jedoch weitgehend heruntergespielt. Während des Massakers von Srebrenica machten Männer und Jugendliche die überwiegende Mehrheit der Opfer aus. Sexueller Missbrauch von Männern wird von vielen Sozialtheoretikern auch als Angriff auf Männlichkeit angesehen, der darauf abzielt, die Opfer zu demoralisieren, indem sie sich unfähig fühlen, die männliche Rolle zu erfüllen. Selbst wenn wir akzeptieren würden, dass Gewalt gegen Männer nicht geschlechtsspezifisch ist, würde dies nicht rechtfertigen, die häufigere und weit verbreitete Viktimisierung von Männern und Jungen zu ignorieren.

Ein verwandtes Argument besagt, dass es weniger wichtig ist als Gewalt, die Männern und Frauen willkürlich angetan wird, da Männer in der Regel von anderen Männern zum Opfer fallen. Aus irgendeinem Grund wird dies nicht als "geschlechtsspezifische" Gewalt angesehen, denn es wird davon ausgegangen, dass Männer andere Männer nicht deshalb angreifen können, weil ihre Opfer Männer sind. Diese Denkweise ist sehr unbefriedigend. Männer neigen dazu, mit anderen Männern stark in Konkurrez zu treten, und es gibt zumindest einige Hinweise darauf, dass Frauen Frauen mehr mögen als Männer andere Männer. Wenn ein Mann während des Krieges einen Feind vergewaltigt oder kastriert, ist es nicht nur ein zufälliger Gewaltakt, sondern ein direkter Angriff auf dessen Männlichkeit.

Eine dritte Ausrede, die in der Regel nicht explizit genannt, sondern stark impliziert wird, ist, dass Männer es irgendwie "verdienen", Opfer zu werden. Schließlich, wenn Männer die Mehrheit der Täter sind, dann bekommen sie nur ihre eigene Medizin zu schmecken. In einem Beitrag von 2004 über die Gewalt in der und um die mexikanische Grenzstadt Ciudad Juárez zitierte der Politologe Adam Jones einen Artikel von Debbie Nathan im Texas Observer wie folgt: "Geschlachtete, geschlachtete und verbrannte männliche Leichen werden viel häufiger gefunden als Frauenleichen. Aber nur wenige scheinen überrascht, viel weniger empört über dieses männliche Blutbad zu sein." Jones stützte sich auf die obigen Argumente und fuhr fort:

"Das Standardverfahren in der feministischen Wissenschaft und im feministischen Aktivismus schreibt vor, dass bei der Behandlung eines komplexen sozialen Phänomens wie Mord bestimmte Regeln eingehalten werden müssen. Kurz gesagt, Trends, die Besorgnis und Sympathie für Frauen wecken - in diesem Fall der starke Anstieg der Frauenmordrate in Ciudad Juárez - müssen sorgfältig getrennt und isoliert dargestellt werden. Daten, die das Porträt zu verschieben oder zu kontextualisieren drohen, vielleicht zum Nachteil der Betonung weiblicher Opfer, müssen ignoriert oder unterdrückt werden. Daher die Unsichtbarkeit der neun Zehntel der männlichen Mordopfer von Juárez. Diese feministische Strategie spiegelt und nutzt kulturelle Überzeugungen über Männer wider, die fast universell sind. Männer gelten aus zwei Hauptgründen als die 'natürlichen' Opfer von Mordtaten. Zum Teil liegt das daran, dass Männerkiller in den meisten Fällen andere Männer sind - und wir alle wissen, dass 'Jungs nun mal Jungs sind'. Zweitens wird männlichen Opfern Mitschuld gegeben."

Mit anderen Worten, Männer werden im Allgemeinen als verantwortlich für ihre eigene Viktimisierung auf einer bestimmten Ebene wahrgenommen. Frauen hingegen sind weitgehend unschuldig, so dass Gewalt gegen sie ein schwereres Verbrechen ist. Dies ist lediglich eine Lehre von kollektiver Schuld und Bestrafung.

Was sind die Ursachen?

Die Frage ist, warum sich die Gesellschaft häufig mehr um das Wohlergehen von Frauen zu kümmern scheint.

Sozialtheoretiker könnten argumentieren, dass von der Gesellschaft erwartet wird, dass Männer widerstandsfähiger und eigenverantwortlicher sind, so dass sie oft weniger als Opfer angesehen werden. Frauen hingegen werden als vergleichsweise schwach und verletzlich wahrgenommen und sind daher stärker schutzbedürftig, so wie Erwachsene Kinder beschützen. Feministinnen würden jedoch zweifellos kontern, dass diese Haltung lediglich ein Beweis für wohlwollenden Sexismus und Infantilisierung von Frauen ist.

Andere spekulieren, dass Menschen - insbesondere Männer - sich zu einem besseren Schutz der Frauen entwickelt haben. Mindestens eine von Evolutionspsychologen durchgeführte Studie hat ergeben, dass Männer eher bereit sind, die Entscheidung zu treffen, drei Mitglieder des gleichen Geschlechts sterben zu lassen, um ein Mitglied des anderen Geschlechts zu retten, besonders wenn es weniger potenzielle Sexualpartner gibt. Dies deutet darauf hin, dass die Bereitschaft der Männer, Männer zu opfern, um Frauen zu retten, mit ihrem Bedürfnis nach sexuellem und reproduktivem Erfolg verbunden sein kann. Der Wissenschaftler David Brin argumentiert, dass Frauen in vielerlei Hinsicht körperlich mehr an Kinder erinnern als Männer (Neotenie) und dass sie sich so entwickelt haben, um bei Männern Schutzimpulse zu wecken. Dies erklärt jedoch nicht die Ergebnisse anderer Studien, die darauf hindeuten, dass Frauen auch eher bereit sind, Männer zu opfern. Eine weitere mögliche Erklärung ist, dass sowohl Männer als auch Frauen sich zu einem Schutz für Frauen entwickelt haben, weil ein Mann mehrere Frauen schwängern kann, während eine Frau üblicherweise nur ein Kind auf einmal austrägt, weshalb es für Gesellschaften, die sich fortpflanzen möchten, Sinn ergibt, Frauen zu beschützen.

Es ist schwer zu sagen, welche Theorie genauer ist oder ob alle von ihnen eine Grundlage in der Wahrheit haben. Es gibt schockierend wenig Forschung zu diesem Thema. Die Erforschung männlicher Opfer ist nicht zwingend, gerade weil Männer Einweg "weniger wichtige Opfer" sind und die männliche Wegwerfbarkeit durch diese Tendenz, das Phänomen zu ignorieren, tendenziell verstärkt wird.

Ist es möglich, die leichtere Wegwerbarkeit von Männern zu beseitigen?

Es ist angesichts der verfügbaren Daten nicht sicher zu sagen, ob die männliche Wegwerfbarkeit teilweise der evolution verschuldet ist oder nur das Ergebnis der Sozialisation. Selbst wenn wir davon ausgehen würden, dass die männliche Wegwerfbarkeit auf irgendeiner Ebene instinktiv ist, bedeutet das nicht, dass die Gesellschaft sie nicht minimieren kann. Die eigentliche Frage ist: Wollen wir die Wegwerfbarkeit von Männern beseitigen? Wollen wir mehr Frauen in den Krieg schicken? Wollen wir mehr Frauen in gefährlichen Berufen haben? Wollen wir uns gleichermaßen auf männliche und weibliche Opfer konzentrieren? Ich denke, diese Art der Gleichstellung ist ein lobenswertes Ziel, aber sie wird sicherlich auf einigen Widerstand der Gesellschaft stoßen. Männer selbst zögern oft, sich selbst als Opfer zu sehen, Traditionalisten (männlich und weiblich) würden einer solchen Herausforderung an Geschlechternormen widerstehen, und viele Feministinnen würden sich der Vorstellung widersetzen, dass männliche Opfer mehr Aufmerksamkeit erhalten sollten.

Was bedeutet männliche Wegwerfbarkeit für den Feminismus?

Die männliche Wegwerfbarkeit stellt eine Herausforderung für bestimmte feministische Annahmen dar, muss aber nicht unbedingt ein Argument gegen den Feminismus insgesamt sein. Es gab in der Vergangenheit Fälle, in denen Feministinnen den Versuchen, die männliche Viktimisierung anzugehen, feindlich gesinnt waren, vor allem weil sie befürchten, dass durch die Verlagerung des Schwerpunkts auf männliche Opfer weibliche Opfer an den Rand gedrängt werden.

Allerdings wäre es ungerecht, alle feministischen Theorien auf diese Weise zu verallgemeinern. Viele prominente Feministinnen haben so wie bell hooks argumentiert, dass das, was sie "Patriarchat" nennen, für Männer schädlich sein kann. Es ist auch von Feministinnen allgemein anerkannt, dass männliche Opfer von sexuellem Missbrauch unter den von ihnen abgelehnten geschlechtsspezifischen Normen marginalisiert werden können. Feministische Einstellungen zu männerpolitischen Anliegen können bei weitem nicht perfekt sein, und die Kritik am Feminismus durch einige Männerrechtsaktivisten ist nicht ohne Grund. Aber ich glaube, dass es möglich und notwendig ist, eine gemeinsame Basis zu finden. Es ist schwer zu behaupten, dass Feminismus nicht nötig ist, wenn man sich die Viktimisierung und Unterdrückung von Frauen weltweit ansieht. Unterdrückung ist jedoch keine Nullsummenaffäre - die Bekämpfung der Unterdrückung von Frauen erfordert nicht, dass wir die Viktimisierung von Männern ignorieren.

kostenloser Counter