Radio-Talk bricht Tabu: Genderforscher kritisieren Genderstudien
Ihr habt ja inzwischen bestimmt alle die SWR2-Talkrunde zu den Genderstudien gehört, auf die ich gestern hingewiesen hatte. Für die wenigen unter euch, die das noch nicht geschafft haben: Entgegen meiner Vermutung, es würde mit zwei Genderforschern gegenüber einer Kritikerin zu einer Selbstbeweihräucherung des Faches kommen, war die Sendung, die ihr immer noch als Podcast nachhören könnt, überraschend stark. So herrschte bei allen drei Teilnehmern Einigkeit darüber, es sei problematisch, dass in den Genderstudien kaum über Männer geforscht wird, und wenn doch dann nicht über deren Leiden, sondern allein im Zusammenhang mit Täterschaft. Die Kritik daran ist natürlich eine grundmaskulistische Position. Auch dass statt einer solchen thematischen Öffnung bei manchen Themen seit inzwischen 40 Jahren derselbe Kram wiedergekäut wird, wurde allgemein missbilligt.
Insbesondere der Mainzer Genderforscher Professor Stefan Hirschauer, der vermutlich schon wegen früherer Einlassungen in seinem Bereich ein wenig als Nestbeschmutzer gilt, betonte, völlig unterforscht seien "Attraktivitätsideale, mit denen Frauen zu ihrer eigenen Benachteiligung beitragen oder auch eben die vorhandenen Benachteiligungen von Jungen und Männern". Im Zusammenhang mit der MeToo-Debatte merkte Hirschauer an:
"Man kann das wissen aus der kriminologischen Forschung, dass bei den unter-27jährigen in Europa es fast ebenso viele junge Männer wie Frauen sind, die schon einmal Opfer sexueller Übergriffe gewesen sind, inklusive Drohung und Einsatz körperlicher Gewalt, inkklusive sexueller Ausnutzung von Widerstandsunfähigkeit. Man weiß das seit Jahren. In den Genderstudies würden Sie das nie erfahren. Und die Thematisierung dieses Umstands würde unter politischen Verdacht geraten. Für diese Dinge muss man Forschungen außerhalb der Genderstudies aufsuchen. Das finde ich außerordentlich bedauerlich."
Über diese annähernde Gleichverteilung bei sexueller Gewalt berichten für eine breite nicht-akademische Öffentlichkeit – sorry für den Anflug von Eigenlob, aber es ist wahr – fast ausschließlich Genderama und meine anderen Veröffentlichungen. Die persönlichen Attacken, die ich daraufhin seit langen Jahren erfahre (der von Hirschauer angesprochene "politische Verdacht"), sind bekannt. Es sind ja sogar Professoren wie Rolf Pohl, die sich in persönliche Herabsetzungen von Kritikern wie mir hineinsteigern.
Zum Thema "häusliche Gewalt" merkte Hirschauer an:
"Vor wenigen Tagen hat die Familienministerin genau wieder auf das Phänomen Gewalt gegen Frauen und auf Defizite, dem zu begegnen, hingeweisen, und es war nicht die Bohne die Rede davon, wie unglaublich stark die Frauen in den Paarbeziehungen in der Gewalttätigkeit aufgeholt haben. (...) Und in der Öffentlichkeit ist davon deshalb nicht die Rede, weil zum Beispiel diese Ministerien von feministischer Geschlechterforschung sich beraten lassen. Hier herrscht ohne jeden Zweifel eine Tabuisierung. (..) Das Gros des Feldes hat einen massiven politischen Bias."
Bevor das in diesem Stil so weitergeht, muss die Moderatorin eingreifen, um die Diskussion neu "zu strukturieren", wie sie es nennt. Sie macht darauf aufmerksam, dass die Kritik an den Genderstudien doch vor allem aus der rechtspopulistischen Ecke komme, wenn etwa die AfD gegen die Genderstudien polemisiere. Gegen diese Kräfte und die sich darin äußernde Ahnungslosigkeit beim Thema, auch da besteht unter den Diskussionsteilnehmern Einigkeit, müssten die Genderstudien verteidigt werden. Kein Einwand von mir; die Kritik speziell der AfD zeigt bestenfalls sehr oberflächliches Wissen über dieses Fach (wobei dieses oberflächliche Wissen ja auch reicht, um bei einer bestimmten Wählergruppe Punkte zu machen). Einer fundierten, konstruktiven Kritik an den Genderstudien steht diese Polemik im Weg.
In den folgenden Minuten geht es um die Kontroverse zwischen (Evolutions-)Biologie und Genderstudien, wobei vor allem Professor Ulrich Kutscherea sein Fett weg bekommt. (Hirschauer: "Meine Kollegen in Mainz in der Biologie nehmen ihn nicht ernst.") Während die Kritik aus der naturwissenschaftlichen Ecke nicht gänzlich unberechtigt sei, würde sie allzu oft übertrieben, wenn nicht ebenfalls polemisch vorgetragen.
Als drittes Lager der Kritik spricht die Moderatorin nun Alice Schwarzers "Emma" an, die von den Diskutanten ähnlich gewürdigt wird wie Professor Kutschera: "Das sind etwas veraltete Kämpferinnen, die träumen noch von den siebziger Jahren." Wieder glänzt hier Hirschauer:
"Die Selbstdarstellung mancher Feministinnen als verfolgte Minderheit finde ich einfach nur bizarr. (...) Für mich persönlich ist Feminismus eine situativ mal angemessene, mal wirklich deplazierte Haltung. Oft ist Postfeminismus oder auch Kritik am Feminismus einfach angemessener."
Insgesamt war es eine hörenswerte Sendung, die man nur weiterempfehlen kann. Der große Wissenschaftsskandal der letzten Tage in diesem Fachbereich wurde dort allerdings nicht erwähnt.
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