Vermischtes vom 12. November 2016
1. Der neue SPIEGEL greift in seiner Schwerpunktausgabe zu Präsident Trump auch geschlechterpolitische Aspekte der US-Wahl auf. Es handelt sich um zwei Beiträge, beide stehen nur im Anriss online.
In der Glosse "Fertige weiße Frauen" auf Seite 8 erinnert Ralf Neukirch an das schon vor Jahren vorhergesagte "Ende des weißen Mannes", und argumentiert mit Blick auf die vielen weiblichen Wähler Trumps: "Nicht nur der weiße Mann ist fertig, leider ist es inzwischen auch die weiße Frau."
Was heißt das nun fur uns Deutsche? Nichts Gutes, so steht zu befürchten. In Deutschland leben prozentual noch mehr weiße Manner und Frauen als in den USA. Und die dürfen, das ist die Furcht einflößende Parallele, auch im kommenden Jahr wieder wählen. Wenn wir jetzt nicht aufpassen, droht uns ein zumindest ähnlich verheerendes Szenario wie unseren amerikanischen Freunden: eine weiße Frau oder ein weißer Mann im wichtigsten Amt des Landes.
Der Artikel "Wütender weißer Mann" auf den Seiten 76 bis 81 von Matthias Bartsch, Anna Clauß, Jan Friedmann, Moritz Gerlach, Maik Großekathöfer, Jochen-Martin Gutsch, Ludwig Krause, Guido Mingels, Juan Moreno, Dialika Neufeld, Claas Relotius und Jonathan Stock fragt: "Der 'angry white man' hat die Wahlen in den USA entschieden – gibt es ihn auch in Deutschland?" Die Antwort: Während einer wie Trump in Deutschland keine Erfolgschancen habe, weil die Erinnerungen an Hitler noch zu frisch seien, gebe es auch hierzulande "die wütende, weiße, männliche, mindergebildete, ältere Mittelschicht, auch "angry white men" genannt, die die Zeit zurückdrehen will". Allerdings sei sie oft "gar nicht so ungebildet, manchmal auch nicht alt, gelegentlich ist sie sogar weiblich."
Hierzu haben die SPIEGEL-Redakteure mehrere Menschen befragt, die sie offenbar in diese Kategorie einordnen. Die meisten Interviewten möchten ihren Protest gegen das Establishment nur anonym äußern, was man verstehen kann, wenn man liest, in welche Ecke diese Menschen bereits im ersten Absatz des Artikels geschoben werden:
Wenn eines klar ist nach dieser hässlichen Weltwahl, dann, dass man die wütenden weißen Männer nicht mehr schweigen lassen darf, auch in Deutschland nicht. Dass man zu ihnen hingehen, ihnen zuhören muss, auch wenn es oft ziemlich scheußlich ist, was man zu hören kriegt; auch wenn es sehr oft schlicht falsch ist, Zerrbilder der Wirklichkeit. Aber so sehen sie nun einmal die Welt. So sehen sie Deutschland. Und so setzen sie im Wahllokal ihr Kreuz. Man muss endlich verstehen lernen, wer sie sind und warum sie so geworden sind.
So ist beim SPIEGEL also die Idee angekommen, dass man auch Menschen mit abweichender Auffassung zuhören sollte: ja, zuhören schon, wennsdennseinmuss, aber nur wenn man von vorneherein klargestellt hat, was für Wirrköpfe das sind und dass man sich mit ihnen eigentlich nur beschäftigt wie ein Psychiater mit Geistesgestörten. Das ist natürlich genau der journalistische Stil, der in den USA einen Präsidenten Donald Trump NICHT verhindert hat.
Zitiert wird so als erstes Alfred Johannes Lumma, 68, ein Rentner aus Magdeburg. Er sagt:
"Bis zur Wende war ich Lokführer und Kranfahrer. Mit 57 wurde ich zum Invalidenrentner. Die Arbeit hat mich kaputtgemacht. Ich komme nicht einmal an meine Rente heran, habe seit Jahren keinen Urlaub oder Erholung gehabt. Ich lebe in einer Wohnung, das Geld verdiene ich mir mittlerweile auf der Straße. Durch Flaschenpfand und Spenden. Bis zu 150 Euro kommen so in der Woche zusammen. Das ist mittlerweile mehr, als ich durch Rente bekommen wurde. Früher habe ich SPD gewahlt, für Merkel würde ich nie stimmen."
Ein Frankfurter Rentner berichtet:
"Wissen Sie, was man an Rente bekommt, wenn man sein ganzes Leben lang gearbeitet und eingezahlt hat? Das ist lachhaft. Und es soll immer weniger werden. Das beschließen alles Politiker und Beamte, die spater üppige Pensionen kriegen, ohne auch nur einen Cent in die Rentenkasse eingezahlt zu haben, und die sich gar nicht vorstellen konnen, wie man mit einer Durchschnittsrente in einer Stadt wie Frankfurt leben soll."
Solche Statements leitet der SPIEGEL also ein mit der These, sie stammten von Menschen, "die die die Zeit zurückdrehen" wollten. Insgesamt werden in dem Artikel verarmte Rentner zusammengeschnitten mit echten Fremdenfeinden, überzeugten Katholiken, leicht paranoid wirkenden Menschen und schlicht Kritikern des politischen und medialen Establishments. Einen Erkenntnisgewinn bietet der Artikel eigentlich nur Gutverdienern, die Zeit ihres Lebens in einer rot-grünen Szene verbracht haben und im Internet nur Katzenvideos schauen. Derselbe Artikel wäre entstanden, wenn man schlicht mehrere Leserbriefe aneinandergereiht hätte. Eine journalistische Einordnung und Gewichtung der unterschiedlichen Statements gibt es nicht.
Interessant ist daher vor allem, wie extrem dieser Artikel durch den Titel und die Auswahl der Befragten gegendert wird. Inwiefern diese bunte Mischung an Unzufriedenheiten, die vom SPIEGEL immer wieder mit dem Hautgout von "ewig gestrig" versehen werden, typisch männlich sein soll, belegt das Magazin gerade nicht. Genausowenig wie die weiße Hautfarbe übrigens – gibt es solche Nöte, Ängste und Meinungen bei dunkelhäutigen Menschen nicht? Dass männerspezifische Probleme zur Sprache kommen, darf man ohnehin nicht erwarten. Welchen Sinn hat der Artikel also? Ein Warnschuss a la "auch bei uns hätte ein Mensch wie Trump Erfolg" ist er wohl kaum, denn genau das wird in der Einleitung des Beitrags verneint. Als aufrüttelnde Mahnung an Politiker kann der Artikel auch nicht gedacht sein, nachdem der SPIEGEL sich in der Einleitung erst mal von den Statements distanzierte. So bleibt der Artikel denunziatorisch und wirkt wie ein Zoobesuch oder eine Freakshow, wobei die Freaks alle sind, die zur aktuellen Politik nicht hurra schreien.
Vermutlich haben zwölf Autoren für einen sinnvollen Artikel einfach nicht ausgereicht.
2. "Schluss mit der Schmähung des weißen Mannes!" fordert Reinhold Michels auf RP Online. Ein Auszug:
Ein Gespenst geht um in Amerika und Deutschland: das vom ominösen "Weißen Mann". Er gilt als politisch-intellektuell beschränkt und ungebildet. Die neue bunte, liberale Welt versteht er angeblich nicht mehr, oder er will sie einfach nicht begreifen. Deshalb - wie der Sieg eines zornigen Alten namens Donald Trump belege - stehe der "Weiße Mann" so wie das oft zitierte dumme Rindvieh quer im Kuhstall der Moderne. Ich meine, dass es höchste Zeit ist, dass der in US- und deutschen Medien von Hobby-Soziologen, ewigen Studenten, in die Jahre gekommenen Feministinnen und den üblichen Verdächtigen der Kultur-Schickeria geschmähte "Weiße Mann" sich die Verunglimpfung verbittet.
Eine kluge weiße Frau und Juristin aus Düsseldorf kommentierte im Anschluss an die US-Präsidentenwahl den anscheinend politisch korrekten Salon-Rassismus am Tag nach der Wahl so: "Wenn wir Andersdenkende demonstrativ nicht ernst nehmen oder uns gepflegt über sie lustig machen, dann gibt es für die, die sich bestimmten Diskussionen vielleicht nicht gewachsen fühlen, nur eine Möglichkeit: in freier, gleicher und geheimer Wahl ein sehr deutliches Zeichen zu setzen."
3. Was passiert, wenn eine Feministin Beatrix von Storch in einem Restaurant begegnet?
4. Vor einiger Zeit verlinkte Genderama den Artikel Gender mich nicht voll, der in der Bochumer Stadt- und Studierendenzeitung einem Pro-Gender-Artikel gegenübergestellt wurde. Die spannende Frage war damals schon: Kann in so einer Zeitung ein genderkritischer Artikel erscheinen, ohne dass es einen mittleren Aufstand gibt? Natürlich nicht.
5. Alice Schwarzer verklagt die marxistische "junge welt".
6. Die konservative Journalistin Megyn Kelly erörtert in ihrer Sendung vom 10. November, dass die Regierungsübernahme Trumps womöglich auch Barack Obamas Anweisung an Universitäten zunichte macht, bei Vorwürfen sexueller Gewalt drastisch durchzugreifen, wenn die fragliche Hochschule keine Regierungsgelder gestrichen bekommen wolle. Kelly weist auch darauf hin, dass Obamas zweifelhafter Erlass dazu führte, dass viele junge Männer an ihren Unis keinen fairen Prozess mehr erhalten. Hier ab Minute 22.
7. "Ich bin eine Feministin, und ich bin froh, dass Trump gewonnen hat" schreibt Kristen Walker Hatten.
8. In Afghanistan kommt es zu neuen Sprengstoffanschlägen. So wird darüber berichtet:
Nach Krankenhaus-Angaben wurden mindestens 128 Menschen verletzt. Die Vereinten Nationen berichteten, dass unter den Verletzten auch 19 Frauen und 38 Kinder seien. (...) Die Taliban hatten sich noch in der Nacht zu dem Anschlag bekannt. Sie werfen Deutschland eine Mitschuld an einem US-Luftangriff auf Taliban in Kundus in der Nacht des 3. November vor, bei dem auch etwa 30 Zivilisten – darunter viele Kinder und Frauen – getötet wurden.
Auch im Jahr 2016 verdienen weibliche Opfer eine besondere Erwähnung. Männliche Opfer sind halb so schlimm.
9. Riesenüberraschung: An den Vorwürfen wegen Kindesmisshandlung gegen Brad Pitt ist nichts dran.
10. Die Wahl Donald Trumps führt zu einem gesteigerten Interesse auch an unseren Positionen. Gestern etwa hatte Genderama über 6000 Zugriffe, was für ein reines Newsblog ohne Kommentarspalte nicht übel ist.
11. Die Post. Zwei meiner Leser sind nicht damit einverstanden, welchen Artikel ich als den skurrilsten Beitrag zu Trumps Wahlsieg benannt habe, und machen Gegenvorschläge.
Einer weist mich auf "Die Trump-Wähler haben den Frauen dieser Welt zwischen die Beine gefasst" von Laura Himmelreich (inzwischen Chefin bei Vice) hin. Himmelreich empört sich vor allem über Trumps in einem privaten Gespräch getätigte Auffassung, wenn ein Mann so reich und berühmt sei wie er, ziehe das Frauen derart an, dass er ihnen bei der Anmache direkt an die Muschi gehen könne, und tut so, als gäbe es nach diesem Satz gar keine andere Wahl mehr als sich für wen auch immer zu entscheiden, nur nicht für Trump:
Nie in den letzten Jahrzehnten wurden Frauen in der westlichen Welt so degradiert, so öffentlich von Millionen Menschen gleichzeitig gedemütigt wie bei dieser Wahl. (...) Das hier ist keine gläserne Decke. Das ist ein Schlag ins Gesicht. (...) Und das Beklemmende ist, dass Millionen Menschen ihn gleichzeitig ausführen und die Welt per Live-Ticker und Streaming zuschauen muss.
Für einen anderen Leser stellt ein Artikel von Lauren Groff den negativen Höhepunkt dar. Diesem Beitrag zufolge sei die "Zukunft gerade unermesslich finster geworden",
weil dieses Land einen schlechten Mann einer guten Frau vorgezogen hat. Jede Faser meines Körpers weiß, dass diese Wahl das Ergebnis einer gewaltigen, kollektiven, brodelnden Frauenfeindlichkeit ist. Mein ganzes Leben lang wusste ich, dass Amerika große Probleme mit Frauen hat – dieser Sexismus ist der Cowboy-Legende eingeprägt, die das männliche Selbstbild hierzulande so fehlgeleitet hat.
Mein Leser kommentiert:
Ich wundere mich über Zeit-Online ja nicht mehr, aber einen solchen Stuss hätte ich vielleicht noch beim Kopp Verlag erwartet, aber nicht von einer Zeitung, der mal Helmut Schmidt als Herausgeber vorstand.
In der Tat haben wir es hier mit feministischem Populismus in einer besonders krassen Form zu tun. In dieser Denke kann ein US-amerikanischer Wähler gar nicht mehr die verschiedenen politischen Standpunkte von Trump und Clinton gegeneinander abwägen. Er darf sich auch nicht fragen, ob ihm Trumps außenpolitischer Isolationismus sinnvoller erscheint als Clintons eher konfrontative Außenpolitik. Er darf sich auch nicht fragen, ob eine Frau mit derart viel Skandalen am Rande der Kriminalität wie Clinton wirklich das höchste Staatsamt verdient hat. Er darf Clinton auch nicht ablehnen, weil sie Mitglied der verhassten Washingtoner Elite ist. Sondern es gibt bei einer Entscheidung zwischen einem männlichen und einem weiblichen Kandidaten eigentlich keine Wahl mehr, und wenn der Mann siegt, KANN der Grund nur "kollektive, brodelnde Frauenfeindlichkeit" sein. Die Empörung ersetzt die Analyse.
Solche Artikel gibt es derzeit viele. Was mich daran allerdings auch wundert, ist, dass sich niemand so richtig Gedanken über die Folgen solcher Beiträge zu machen scheint. Angenommen, es würde den Leitmedien tatsächlich gelingen, die Deutung durchzusetzen, dass Clinton nur verloren habe, weil in unserer sexistischen Gesellschaft eine Frau keine Chance auf einen Wahlsieg habe, dürfte die Konsequenz doch klar sein: Angesichts dieser vermeintlichen Sachlage wird es lange dauern, bis sowohl die Republikaner als auch die Demokraten wieder eine weibliche Kandidatin aufstellen. Wir hätten also das Musterbeispiel einer selbsterfüllenden Prophezeiung.
Aber vermutlich wird die Ansicht, bestimmte Journalistinnen würden ihre Opferhaltung nicht zuende denken, selbst schon wieder als frauenfeindliche männliche Arroganz ausgelegt.
12. Off-topic, da es keinen direkten Zusammenhang zur Geschlechterdebatte gibt:
Trump beginnt, bei seinen populistischsten Wahlversprechen (also jenen, die emotional besonders ansprechend, aber schwer zu verwirklichen sind) jetzt schon zurückzurudern.
Das liberale Magazin Reason stellt Berichte über einen Anstieg von Übergriffen gegen Minderheiten nach der Wahl Donald Trumps als Falschmeldungen dar.
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