Vermischtes vom 1. Juni 2016
1. Ist die Männerbewegung unpolitisch? fragt heute Lucas Schoppe in einem insgesamt lesenswerten Beitrag. Dabei erteilt Schoppe zunächst einmal dem Jubeljournalismus etwa der Süddeutschen Zeitung ebenso eine Absage wie einer undifferenzierten Verurteilung des Feminismus gefolgt von dem Versuch, jeden auszugrenzen, der bei dieser Verurteilung nicht mitmacht:
Kritisch nämlich ist beides nicht: Werbeschriften im Stile des SZ-Artikels ebenso wenig wie ungefiltert wütende Ablehnung. Beides unterscheidet nicht, sondern urteilt pauschal. Wer Positionen allein schon deshalb ablehnt, weil sie von Feministinnen vertreten werden, verhält sich ebenso unkritisch wie jemand, der diese Positionen allein schon deshalb unterstützt.
Hauptsächlich geht es Schoppe in seinem Artikel allerdings um das Problem, das die Männerrechtsbewegung aus ihrer Online-Filterbubble immer noch nicht herauskommt. Als ich dieses Problem vor einem halben Jahr mit einem Dreizeiler angesprochen hatte, passierte das, was immer wieder passiert, wenn ich eine neue Diskussion anstoße und dabei lieb gewonnene Tabus umreiße: Einige Leute reagierten mit enormer Wut und prügelten auf mich ein, so als ob mit mir persönlich irgendetwas nicht stimmen würde. "Der mit dem Messiaskomplex" lautete ein Blogbeitrag, der Blogger "Stadtmensch" verbot mir, je wieder aus seinem Blog zu zitieren, andere reagierten mit einer Reihe von kurzen Kommentarattacken oder einem ausführlichen Rant. Tatsächlich stellte sich in den folgenden Wochen heraus, dass ich mit dieser Kritik auch ein Sprachrohr anderer männerpolitischer Aktivisten war und nur mal wieder als erster den Kopf aus dem Fenster gestreckt hatte. Jetzt macht auch Lucas Schoppe deutlich, dass hier eine Problemstelle besteht. Er hinterfragt, ob die deutsche Männerechtsbewegung in ihrem jetzigen Zustand überhaupt schon den Status einer politischen Bewegung erreicht habe:
Zu einer politischen Bewegung fehlt es mindestens an zwei wichtigen Eigenschaften.
Erstens fehlt es an der allgemeinen Bereitschaft, für ein gemeinsames Ziel eigene Interessen zurückzustellen.
Zweitens sind nur wenige überhaupt damit beschäftigt, Kontakt zu etablierten politischen Institutionen herzustellen, mit ihnen in die Diskussion zu kommen, gar Lobbyarbeit zu betreiben. Das ist für eine politische Bewegung aber unverzichtbar – denn schließlich agieren wir nicht in einem offenen Terrain, sondern in einer rundum zugestellten politischen Landschaft. Wer dort Bewegungsräume haben möchte, wird sie ohne Kontakt zu bestehenden Institutionen nicht etablieren können.
Beides hängt damit zusammen, dass diese Bewegung sich weitgehend im Internet organisiert. Christian Schmidt macht bei Alles Evolution zwar darauf aufmerksam, dass das Netz die Möglichkeiten vergrößert habe, Politiker oder Journalisten direkt anzusprechen (...). Lobbyarbeit aber ist trotzdem nicht möglich, wenn sie nur über das Netz und womöglich noch anonym erfolgt – wer so vorgeht, wird immer im hoffnungslosen Nachteil sein gegenüber Menschen, die das direkte Offline-Gespräch suchen, das wiederum keineswegs immer öffentlich geführt werden muss.
(...) Die Konzentration auf Online-Aktivitäten macht zudem die Etablierung von Selbstdisziplin zugunsten eines gemeinsamen Zieles unwahrscheinlicher: Nicht nur Beleidigungen oder Drohungen, auch blinde Unterstellungen oder egozentrisches Verhalten liegen näher, wenn Menschen sich zwar netzöffentlich äußern, aber zugleich privat am Computer sitzen und die Öffentlichkeit, in der sie sich bewegen, gar nicht vor Augen haben.
Schoppe führt weiter aus:
Ohnehin hat sich kaum etwas in dieser Männer-Bewegung institutionalisiert. Die wichtigsten Blogs – Arne Hoffmanns Genderama als wichtigste Informationsplattform, Christian Schmidts Alles Evolution als wichtigstes Diskussionsforum – sind Privatblogs. Wenn die Betreiber morgen keine Lust mehr hätten, sie weiter zu führen, dann würden diese zentralen Anlaufstellen einfach verschwinden, ohne dass irgendjemand bereit stünde, ihre Funktion zu übernehmen.
Wobei das ja nicht nur eine Frage der "Lust" ist. Ich habe schon mehrfach signalisiert, dass mich die tägliche Arbeit an Genderama auch wirtschaftlich an die Grenze treibt, und nach Wegen gesucht, dieses Blog zu retten – ob über eine Bezahlschranke oder freiwillige Abonnements. Es war vorhersehbar, dass solche Erwägungen von einigen nur wieder zu neuen Attacken ausgenutzt wurden, als ob ich die Männerbewegung damit terrorisieren würde, dass ich ihnen das Recht auf ein kostenfreies Newsblog verweigere.
Schoppe argumentiert weiter, dass die Männerrechtsbewegung aus dem Scheitern der Piratenpartei nichts gelernt habe – einem Scheitern, das auch dadurch bedingt gewesen war, dass die bekanntesten Vertreter dieser Partei durch Online-Verhalten anderer Parteimitglieder beschädigt wurden.
Zwar, so Schoppe, habe die Online-Debatte über Männerrechte in den letzten Jahren an Qualität gewonnen (übrigens seitdem ich eine dezidiert "linke Männerpolitik" etabliert habe und dadurch das Meinungsspektrum, das sich zuvor sehr zu verengen drohte, wieder aufriss, was auch einige Leute vor Wut in den Teppich beißen ließ):
Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie unendlich isoliert ich noch vor wenigen Jahren mit der Erfahrung eines entsorgten Vaters war, wie enttäuschend und abschreckend ich aber auch die brachialen antifeministischen Seiten und Foren fand, auf die ich im Netz stieß. Heute ist das Spektrum sachlicher, liberaler Foren und Seiten wesentlich größer.
Zugleich befinde sich die Männerbewegung statt auf der Ebene einer echten politischen Bewegung aber vielfach immer noch eher auf der Ebene einer Selbsthilfebewegung. Das habe Vorteile ebenso wie Schattenseiten:
Im Netz stellen sich Menschen, stellen wir uns gegenseitig Informationen zur Verfügung, die in Mainstream-Medien kaum zur Verfügung gestellt werden (beispielsweise zur Legende des Gender Pay Gaps oder zu den Erfahrungen entsorgter Väter), setzen uns auf eine Weise mit vorhandenen Positionen auseinander, die in den Universitäten versäumt wird (...), und entwickeln Argumentationen, die dann anderswo – etwa in den Kommentarspalten größerer Zeitungen – hilfreich sind.
Das weist aber zugleich auch auf ein zentrales Problem hin: Da Männer und zunehmend auch Frauen hier eine Arbeit einfach selbst übernehmen, die von bestehenden Institutionen – Medien, Parteien, Universitäten, anderen staatlichen Institutionen – versäumt wird, da diese Menschen aber natürlich überhaupt nicht mit den dafür nötigen zeitlichen und materiellen Ressourcen ausgestattet sind, leisten sie diese Arbeit häufig am Rande ihrer Möglichkeiten.
Das wiederum trägt dazu bei, sich beständig Notausgänge aus dieser Bewegung offen zu halten und sich nicht allzu verbindlich zu engagieren.
Da aber auf diese Weise viele einfach das tun, was ihnen neben ihren sonstigen beruflichen und privaten Verpflichtungen noch möglich ist, und da sie es auf der Basis ihrer jeweiligen Ausbildungen und beruflichen Tätigkeiten tun, entsteht kein stimmiges Gesamtbild, sondern eher ein mehr oder weniger zusammenhängender Flickenteppich.
Eine Gefahr dabei ist, dass aus den jeweiligen, immer nur bruchstückhaften Perspektiven die Tätigkeiten anderer leicht als defizitär oder ungenügend erscheinen können. Wer eine naturwissenschaftliche Ausbildung hat, wird beispielsweise die Beiträge von Sozial- oder Geisteswissenschaftlern leicht als Geschwätz wahrnehmen.
Eine andere Gefahr bestehe darin, dass Konflikte untereinander stattfinden, weil sich die sinnvollen Ansprechpartner für Männerprobleme - Politik und Medien – beharrlich verweigern:
Thomas Gesterkamp, Journalist und Autor für die sozialdemokratische Friedrich-Ebert-Stiftung, hat wie viele andere diese Ausgrenzung nicht-feministischer Positionen aus dem Diskurs offensiv eingefordert – in der faschistoiden Metapher eines "Cordon Sanitaire", der um die Männerbewegung gelegt werden müsse, als sei sie eine ansteckende Krankheit und als seien die dort Tätigen lebensgefährliche Viren und Parasiten. Diese verbissene Isolation ist umso erstaunlicher, als die Männerbewegung sich ja überhaupt nicht als politische Bewegung konstituiert.
(...) Die durch Gesterkamp und andere als skandalös präsentierten Handlungen von Väter- und Männergruppen bestehen in aller Regel einfach darin, die Ausgrenzung von Vätern aus den Familien offen zu kritisieren – was dann wiederum die Ausgrenzung der Kritiker aus dem Diskurs zur Folge hat. Diese panisch anmutenden Ausgrenzungs-Reaktionen haben mittlerweile schon eine ganze Reihe von uninformierten, desinformierenden und verzeichnenden Schriften über die Männerbewegung hervorgebracht. Keine einzige davon ist von dem Versuch geprägt, zu verstehen, worum es geht – das Ziel ist jeweils lediglich, die Isolation feminismuskritischer Männer und Frauen aus dem Diskurs zu legitimieren.
Wie wäre die Reaktion wohl erst, wenn die Männerbewegung tatsächlich eine politische Bewegung wäre?
Die verbissene Überreaktion zeigt zumindest, dass sich Akteure der institutionell abgesicherten Geschlechterpolitik schon allein durch offene Widerrede erheblich angegriffen fühlen. Zudem macht sie wohl deutlich, wie wenig Kritik es an feministischen Positionen innerhalb der Institutionen – Parteien, Universitäten, Gewerkschaften, weitere staatliche Institutionen – tatsächlich gibt. Diese Kritik wird offensichtlich nicht mehr als demokratische Selbstverständlichkeit wahrgenommen, sondern als eine Form der Gewalt erlebt. Die scharfen, massiv unterstellenden und von einer institutionell weit überlegenen Position geführten Attacken gegen Männerrechtler tragen wiederum erheblich dazu bei, dass die Aktiven ihre Beteiligung unverbindlich gestalten und sich Ausgänge offenhalten.
Aus dieser Situation resultiert für Schoppe der Wunsch, in Online-Debatten zugespitze Konflikte zu vermeiden und verständliche, aber unreflektierte Wut nicht immer wieder in Online-Statements herauszuhauen:
Ich hatte hier beispielsweise einmal einen offenen Brief an die protestantische Kirche geschrieben und gehofft, dass sich an der Diskussion potenziell auch Protestanten beteiligen können, die ihre Kirche weniger kritisch sehen als ich. Das wurde zumindest erheblich erschwert durch einen Kommentator, der umgehend vom "Krieg gegen die Weiber" räsonnierte und gegen jeden Einspruch so lange in ähnlicher Weise weiter schrieb, bis ich seine Kommentare schließlich pauschal blockierte. Das erste Mal übrigens, dass ich hier so etwa gemacht habe.
Ich hatte gestern wieder ein Interview mit einer TV-Journalistin, die dabei selbstverständlich auch wieder auf jene beiden Plattformen der Männerrechtsbewegung zu sprechen kam, auf denen eben nicht nur der Feminismus kritisiert wird, sondern gewohnheitsmäßig über Homosexuelle, Frauen, Linke und Zuwanderer hergezogen wird, was wesentlich dazu beiträgt, dass diese Bewegung als unseriös wahrgenommen wird. Dabei sind die Verantwortlichen für diese Plattformen bezeichnenderweise selbst zu keinen Interviews vor einer Fernsehkamera bereit.
In seinem Fazit fordert Schoppe:
Wer auch politisch wirksam werden möchte, der sollte versuchen, Verbindungen zwischen dem Aktivismus außerhalb des Netzes und dem im Netz zu verbessern. Wer sich auf das Netz beschränkt, wird in den Möglichkeiten der politischen Wirkung immer sehr begrenzt sein. Wer die Möglichkeiten des Netzes nicht nutzt, wer sich nicht an die bereits bestehenden Diskussionen anschließen möchte, begrenzt sich aber ebenso.
Und schließlich: Dass es in einigen Foren zum guten Ton gehört, gegen linke Bewegungen zu polemisieren, ist nicht nur ein nervtötendes Ritual – wie in der Polemik gegen die sogenannten "Kulturmarxisten", die zum Glück mittlerweile abgeflaut ist. Die Polemik verdeckt auch, dass von linken Bewegungen durchaus einiges gelernt werden kann: zum Beispiel die Bedeutung von Solidarität.
2. Ein Gericht in Südafrika hat den Weg für die bisher größte Sammelklage von 69 lungenkranken Männern, die unter Tage arbeiten, gegen 32 Bergbauunternehmen freigegeben.
3. Unter der Überschrift "Ihnen das Messer wegnehmen" hat der Grüne Ulf Dunkel einen Vortrag Dr. Christoph Kupferschmids vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland zum Thema Genitalverstümmelung ("Beschneidung") bei Jungen online gestellt:
Die große Mehrheit der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland ist anderer Meinung als die Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages. Eltern sollen nicht ohne zwingende medizinische Gründe darüber entscheiden dürfen, ob ihre Söhne beschnitten werden oder nicht.
(...) Wir Kinder- und Jugendärzte sind überzeugt, dass die Menschenrechte an oberster Stelle unserer Werteskala stehen. Kinderrechte sind Menschenrechte. Das Recht eines Kindes auf einen unversehrten Körper zählt mehr als das Recht der Eltern auf die Erziehung. Das Selbstbestimmungsrecht des Kindes steht bei uns weit höher als das Bestimmungsrecht der Religionen. Niemand akzeptiert eine Prügelstrafe, nur weil manche Menschen es aus der Bibel lesen, dass Prügel notwendig sind für die Erziehung von Kindern. Wir Kinder- und Jugendärzte wollen, dass Jungen in unserer Gesellschaft die gleichen Schutzrechte genießen wie die Mädchen.
4. An der Universität von Kalifornien (UCLA) muss die Polizei anrücken, weil Social Justice Warrors die Zugänge blockiert haben, um einen Vortrag des Feminismuskritikers Milo Yiannopoulos zu verhindern.
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