Mittwoch, März 18, 2009

Lesermail (Erwiderung auf Buchkritik)

Zu dieser Buchkritik von "Rettet unsere Söhne" habe ich gestern zwei Leserzuschriften erhalten. Genderama-Leserin D.A. schreibt mir:

Meine persönliche Beobachtung ist: Man läßt den Kindern zuviel durchgehen, ohne daß es spürbare Konsquenzen hat. Kinder brauchen klare Linien, Grenzen und eine "harte Hand"- damit meine ich nicht Schläge, sondern Gradlinigkeit der Lehrkräfte, kein Könnte-wäre-vielleicht- Geeier, sondern ein So-ist-es, So-wird-es-gemacht und Herzensstrenge.

Im Chaos kann man nicht lernen.

Ich wurde 1970 eingeschult. Da wurden neue Methoden ausprobiert, und als ich 1974 auf das Gymnasium kam, war über Hälfte der Lehrer nicht mehr imstande, in den Klassen für Ruhe zu sorgen. Ich litt unter dem ständigen Krach in der Klasse. Die alten Maßnahmen durften nicht mehr angewandt werden, die neuen funktionierten (noch) nicht. Ich empfinde uns im Rückblick als Versuchskaninchen. Ich erinnere mich an einen Moment, als Schulbücher verteilt wurden: Der Stempel im Buch, "Mädchengymnasium Altona", machte mir bewußt, daß Jungen und Mädchen nicht immer schon gemeinsam unterrichtet wurden, und es gab Fächer, da hätte ich es begrüßt, wenn der Unterricht getrennt ablaufen würde. Ich war da zwölf, ein Alter, in dem man noch nicht in der Lage ist und nicht den Mut hat, solche Gedanken zu äußern.

Zudem fühlte ich, daß ich damit angeeckt, ausgelacht worden wäre. Ein stilles häufig in sich gekehrtes Mädchen, das oft darunter litt, das Gefühl zu haben, daß Mathe, Naturwissenschaften, Mannschaftssportarten mehr "wert" waren, Schüchternheit und Vorsicht, Scheu etwas Lächerliches - dass man wie Jungs sein müsse, um zu bestehen.

Oft wünschte ich mir heimlich das Mädchengymnasium zurück. Ich glaubte, es müsse besser gewesen sein.

Die Berufswahl und alle weiteren Entscheidungen traf ich aufgrund meiner typisch weiblichen Talente. Ab da ging es mir gut, ich konnte mich entfalten.

So, wie es offensichtlich jetzt geschieht, dass für Jungen bestimmte Mädcheneigenschaften als Maßstab hergenommen werden, ist es wie eine Umkehrung dessen, was ich damals empfand. Also schlecht für die Jungen, da es ihrem Wesen nicht gerecht wird.

Auf Berndts Frage: "Was war noch anders, als Jungen gute Schulabschlüsse machten?" würde ich antworten: Autorität statt Endlosdiskussion. Wenn Zeit damit vertan wird, in Diskussionen zu versuchen, unter einen Hut zu bringen, wer denn nun was wie gern hätte, damit die armen Schüler auch ja alle berücksichtigt werden, bleibt weniger Zeit zum Lernen.

Es gibt Dinge, die sind ein MUSS, nicht ein KÖNNTE.

Und es gibt Erfolgserlebnisse durch Fleiß. Fleiß als Wert. Schule ist kein Ort für seichte Unterhaltung, die Lehrkräfte sind keine Entertainer.

Was hat sich geändert?

Was den Bewegungsdrang von Jungen betrifft, sollte man nicht nur die Zeit IN der Schule ansprechen, sondern gerade auch die Zeit NACH dem Unterricht. Wer nach der Schule Raum findet, sich auszutoben, kann sich in der Schule besser konzentrieren. Diese Freiräume wurden im Verlauf der Jahrzehnte zugebaut und zugeparkt. Würde ich eine Stadtteilführung zu dem Thema machen, könnte ich die Beobachtungen mehrerer hier aufgewachsener Generationen einbeziehen und Fläche für Fläche zeigen, wieviel Frei-und Spielraum verschwunden ist. Endergebnis: Kinder in "Käfighaltung". Fakt ist, ich sehe kaum noch Kinder in den Straßen unterwegs.

Ein Beispiel sei genannt: Am Bahndamm bei unserer Schule gab es weite leicht hügelige Grünflächen. Dort konnte gerannt, getobt, Schlitten gefahren werden, dort waren wir oft. Das Gelände wurde ab Ende der 60er Quadratmeter für Quadratmeter zugebaut, ein letzter Grünstreifen bietet null Platz zum Spielen. Schlitten fahren kann man nirgends mehr.

Wir spielten in der Straße, da war Platz. Jetzt sind nur noch die Bürgersteige seitlich "frei", für Gruppenspiele und Gerenne nicht ausreichend, alles mit Autos zugestellt, die Kinder haben keine freie Sicht. Diese Entwicklung zu bedauern nützt uns nichts, sie läßt sich ohnehin nicht rückgängig machen.

Alternativen wurden für die Kinder nicht geschaffen.

Nein, ich jammere nicht vermeintlich "guten alten Zeiten" hinterher. Ich sehe nur deutlich, daß nicht alles schlecht war, was als zu hart, zuviel Druck, spießig, altmodisch verworfen wurde.

Ich bin Mutter zweier Söhne und hatte in der Grundschule einen männlichen Klassenlehrer vom "alten Schlag". Er hat auch Fehler gemacht, sicher, aber er war imstande für Ruhe zu sorgen. Er hatte die Klasse "im Griff".

Ein solcher Lehrer wäre das richtige für meine Kinder gewesen.


Und Genderama-Leser M.K. merkt an:

Ich kann die Frage beantworten, was sich geändert hat in den Schulen: die Einstellung der Lehrer zu sich selbst und vor allem zu den Schülern. Natürlich mussten früher die Jungen auch stillsitzen und haben trotzdem hervorragende Leistungen erbracht - nur war es früher auch den Lehrern klar, dass es den Jungen schwerer fällt als den Mädchen, es wurde akzeptiert und nicht negiert, wenn Jungen die geforderte Disziplin verletzten. Von Jungen wurde ein höhere Selbstdisziplin verlangt, weil schließlich auch von Ihnen erwartet wurde, dass sie Verantwortung übernahmen, als Soldaten für Vaterland und Frau und Kind in den Krieg zogen, Familien zu ernähren hatten, den Schwachen zu Hilfe eilten etc. Natürlich wurden Übertretungen auch geahndet - aber dahinter stand trotzdem ein positives Jungen- und Männerbild, eine Förderung des Potenzials und keine Ablehnung des Männlichen wie heute (dass es natürlich auch SadistInnen gab und so mancherlei Schindluder getrieben wurde, steht auf einem anderen Blatt).

Mit anderen Worten: Es stand der Mensch im Vordergrund, er wurde noch nicht auf sein Geschlecht reduziert und dieses dann wieder auf die Rolle und "die Rolle" war eben die Vorbereitung auf das, was einen Jungen in der Erwachsenenwelt erwartete. Was also früher der "Lausbub" war, wird heute als Macho, Chauvi etc. gewertet. Das Männerbild wird bewusst negativ belegt, auch in der Selbstinzenierung so mancher männlichen Lehrkraft, sodass die Jungen nicht nur in ihrem Sein in Frage gestellt werden, sondern auch in der Entwicklung. Denn so wichtig die Jugendzeit auch sein mag - die meiste Zeit ihres Lebens (hoffentlich) verbringen sie dann doch als Erwachsene. Ich kann mich jedenfalls nicht aus meiner Schulzeit entsinnen, dass das Sein der Frauen jemals so negiert wurde wie das der Männer - man mag über das Frauenbild der Vergangenheit diskutieren, aber niemals wurde das Wesen der Frau in Frage gestellt. Bei den Jungen heutzutage wird dies getan - mit entsprechenden Folgen für uns alle.

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