Samstag, Mai 30, 2020

Corona-Interview: "Männer sind Schuld" – News vom 30. Mai 2020

1. In der Schweizer "Weltwoche" verwendet die Journalistin Tamara Wernli Versatzstücke feministischer Statements zur Corona-Pandemie, um daraus ein ein fiktives Interview unter der Überschrift "Männer sind Schuld" zu erstellen.



2. Die liberale Schweizer Feministin Judith Sevinç Basad fragt in einem aktuellen Beitrag, warum sich der Mainstream des Feminismus so schwer damit tut zuzugeben, dass der Gender Pay Gap nicht auf Diskriminierung, sondern auf den frei gewählten Entscheidungen von Frauen beruht:

Glaubt man dem Feminismus, sind solche Behauptungen hochgradig sexistisch. So beharrt Margarete Stokowski auf "Spiegel Online" darauf, dass Frauen durch sprachlich-patriarchale Strukturen in unattraktive Berufe gedrängt werden würden.

(…) Es ist bezeichnend, mit welcher Vehemenz hier Frauen der freie Willen abgesprochen wird. Dabei befeuern die Feministen hier genau das Stereotyp, das sie eigentlich überwinden wollen: Die Frau als passives Wesen, das zu schwach ist, um sich gegen patriarchale Strukturen zu wehren, mehr Gehalt zu fordern oder einfach den Partner zur Care-Arbeit zu verdonnern, um nicht auf den Staat angewiesen zu sein.

Wieso verhält sich der Feminismus derart unfeministisch? Der Grund liegt in seiner obskuren Identitätspolitik, mit der er Frauen nicht als selbstdenkende Individuen, sondern als homogene Masse begreift.


Im Unterschied zur Männerrechtsbewegung übrigens. Maskulisten werden deshalb als "frauenfeindlich" gebrandmarkt. Nur wer Frauen als eine Herde Lämmer wahrnimmt, die von fiesen Schäfern zur Schlachtbank geführt werden, erweist ihnen aus der Perspektive vieler Feministinnen den gebotenen Respekt.



3. Auf der Chart Art Fair, der größten Kunstausstellung der nordischen Länder, werden dieses Jahr nur weibliche Künstler gezeigt. Damit möchten die Veranstalter auf "eine der größten strukturellen Hürden der Kunstszene" aufmerksam machen: "das Gender-Ungleichgewicht".



4. Die Post. Einer meiner Leser schreibt mir zu einer aktuellen Debatte, die derzeit ein Thema in vielen Medien ist und auch auf Twitter unter Hashtags wie #Rapeculture wieder mal erhitzt diskutiert wird:

Folgende Situation: Auf n-tv den Videotext angeschaut zur Nachrichtenabfrage; eine Passauer Studentin hat eine Online-Petition gegen das Donaulied gestartet, weil es sexistisch sei und sie es zwar "nicht verbieten möchte" (wahrscheinlich, weil sie eh schon längst abgeklärt hat, dass das nicht geht), aber dazu anregen möchte, auf das Lied zukünftig zu verzichten. N-TV schreibt, dass es in dem Lied darum gehe, dass ein schlafendes Mädchen vergewaltigt wird.

Und das hab ich sofort nicht geglaubt.

Zu Recht. Der Text ist amourös, aber das Mädchen ist erstens wach, fordert ihn zweitens zum Folgenden auf und drittens kommen Männer bei der Geschicht' sogar eher schlecht weg.

Da wachte sie und sie sagte: "Komm her"

Ohohoh, olalala

Wir hörten das Rauschen der Donau nicht mehr

(...)

Und die Moral von der Geschicht'

Ohohoh, olalala

Männer sind Schweine, vertrau ihnen nicht

Ohohoh, olalala


Fazit: Scheißjournaille. Kannst nichts mehr glauben. Nur noch Agitprop.


Ich habe mir die Angelegenheit ein wenig genauer angeschaut. Gibt man bei Google "Donaulied" ein, stößt man als erstes auf den von meinem Leser zitierten Text, der als "Lied von Mickie Krause" vorgestellt wird. Recherchiert man noch ein wenig weiter, entdeckt man, dass es von diesem Lied verschiedene Versionen gibt, unter anderem die von der Studentin beanstandete Fassung mit der Zeile "Ich machte mich über die Schlafende her". Das Mädchen macht dem Täter den Vorwurf, er habe sie im Schlafe zur Mutter gemacht, obwohl sie schon zwölf Kinder habe, worauf der entgegnet "Du saublöde Schlampe was denkst du von mir, Oh oh oh olalala, ich trage doch immer den Gummi bei mir". Zuletzt heißt es als "die Moral von der Geschicht: Schlafende Mädchen die vögelt man nicht".

Recherchiert man noch weiter, stößt man auf diese Erklärung für die unterschiedlichen Fassungen:

Die Ursprungsfassung des Liedes stammt aus dem 19. Jahrhundert, wie Michael Fischer, Direktor des Zentrums für Populäre Kultur und Musik an der Universität Freiburg sagt. Es sei später vielfach parodiert worden, zumeist mit erotisch-sexuellen Inhalten. Die heute noch bekannte Fassung ist möglicherweise im Ersten Weltkrieg entstanden. "Wenn dies stimmt, müsste man die derbe Lesart mit der Situation junger Männer im Krieg zusammenbringen", sagt Fischer. "Lieder dieser Machart leben von der Grenzüberschreitung", meint der Experte. Jedoch: Der Text des Donauliedes sei aus heutiger Sicht "unerträglich, nicht nur aus der Perspektive von Frauen, sondern auch aus der Perspektive der Männer, die als Vergewaltiger dargestellt werden".


Auf Spotify habe ich mehrere Versionen des "Donaulieds" angespielt und bin nur auf jene Fassungen gestoßen, bei denen die "schlafende Schöne" vor dem Sex erwacht. Über eine Google-Suche findet man Liedtexte beider Varianten. Welche Fassung es ist, die hauptsächlich, wie es in den aktuellen Artikeln skandalisierend heißt, "auf Volksfesten lauthals mitgegrölt" wird, kann man nur raten. Verkürzte Meldungen wie die von n-tv oder auch Spiegel-Online, die komplett außen vor lassen, dass es mehrere Fassungen dieses Liedes gibt, sind jedenfalls irreführend.

Fraglich erscheint mir darüber hinaus, ob man es wirklich verbieten sollte, Lieder und andere Werke aus der Täterperspektive zu verfassen. Vor ein paar Wochen wurde dem Rammstein-Sänger Till Lindemann ein vergleichbarer Vorwurf gemacht. Ein Mitarbeiter des SWR fragte dabei allen Ernstes Ist das noch Lyrik oder schon strafbar?

Mir war es damals zu blöde, auf Genderama auch nur ein Wort über diesen albernen Empörungssturm der Woche zu verlieren, aber wenn das Durchforsten von Songtexten jetzt Mode wird, hier ein paar grundsätzliche Worte: Etliche Künstler haben ihre Erzählungen aus der Perspektive von Menschen geschildert, die sich moralisch falsch und verachtenswert verhalten haben. Eines der bekanntesten Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit ist der Roman "American Psycho" (1991) von Brett Easton Ellis, der längst auch verfilmt worden ist. Dessen Hauptfigur Patrick Bateman foltert und tötet reihenweise junge Frauen. Ellis formulierte so eine radikale Kritik an der Dekadenz der vorangegangenen achtziger Jahre, insbesondere das aus Ellis' Sicht im Schatten entmoralisierter Wirtschaftspolitik immer dunkler werdende Alltagsleben, Konsumterror und Medienüberflutung sowie der wachsende Geschlechterkonflikt. Ellis' Einschätzung nach müsse die sexuelle und moralische Freizügigkeit der amerikanischen Gesellschaft unweigerlich zu solchen Monstern wie Patrick Bateman führen.

Einige Frauen in dem Verlag, in dem der Roman ursprünglich erscheinen sollte, protestierten derartig lautstark gegen die Gewaltszenen des Werkes, dass die Verlagsleitung einen Monat vor dem Vertrieb des Buches in den Handel von seiner Veröffentlichung zurücktrat. Als Ellis einen anderen Verleger fand, organisierte die US-amerikanische Frauenrechtsorganisation NOW einen nationalen Boykott sämtlicher Titel des Verlages sowie einen umfassenden Telefonterror gegen Mitglieder seiner Chefetage. Schnell sprangen die Medien auf. Im renommierten "New York Times Book Review" betitelte daraufhin der Rezensent Roger Rosenblatt seine Besprechung des Buches "Snuff This Book! Will Bret Easton Ellis Get Away With Murder?" (auf deutsch etwa: "Murkst dieses Buch ab! Kommt Bret Easton Ellis mit Mord davon?"). Ähnlich wie der SWR es bei Till Lindemann tut, wurde also schon damals rhetorisch so getan, als sei der Autor eines Werkes moralisch für die Untaten der dargestellten Figuren haftbar zu machen. Frauenrechtlerinnen wie Tara Baxter bliesen in dasselbe Horn und erklärten, dass American Psychos wie Bret Easton Ellis ein wesentlicher Bestandteil des Patriarchats seien und man mit ihnen "auf schnelle und angemessene Weise" verfahren solle.

Von Januar 1995 bis März 2001 stand "American Psycho" in Deutschland als einzigem Land der Erde auf dem Index. Erst nachdem der Verlag gegen diesen Beschluss der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften geklagt hatte, darf Ellis' Roman gemäß einem Urteil des Oberverwaltungsgerichtshofs Münster wieder offen im Buchhandel ausliegen. Für viele gilt dieses Buch als eines der stärksten Werke der Gegenwartsliteratur (vor allem wenn man die achtziger Jahre miterlebt hat und sich auf den eigenwilligen Erzählstil einlassen möchte).

Natürlich hat ein Bierzelt-Song ein niedrigeres künstlerisches Niveau. Ein Problem aber bleibt, dass es bei Werken dieser Art immer wieder und wieder Aufrufe gibt, sie als unmoralisch zu verbannen. Legitim bleiben dann nur noch Werke, die aus der Perspektive moralisch aufrechter Menschen erzählt sind. Kann das wirklich ein sinnvoller Anspruch sein? Und warum berichten unsere Leitmedien über dieses Thema lediglich im Empörungstonfall, statt solche Fragen nüchtern und abwägend zu behandeln?

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