Thomas Schäfer und andere: Was bedeutet Corona für Selbstmorde? – News vom 6. April 2020
1. In der Genderma-Reihe "Was bedeutet Corona für [zentrales männerpolitisches Thema]?" fehlten mir bis gestern Beiträge zu den Auswirkungen der Pandemie auf Selbstmorde, insbesondere was Männer betrifft. Dankenswerterweise hat die Website "Y Can't Boys Be Boys?" gestern einen solchen Beitrag veröffentlicht. Darin geht es um die Situation in den USA, zu einer deutschen Perspektive kommen wir weiter unten:
Wenn jetzt das Coronavirus die Nation verwüstet, können Selbstmord und andere seelische Gesundheitsprobleme leicht unbehandelt bleiben, da die Ressourcen auf die körperliche Behandlung von Menschen ausgerichtet sind. Da jedoch das wachsende Maß an Unsicherheit in Verbindung mit wirtschaftlichen Sorgen, Isolation und das Gefühl, für die geliebten Menschen verantwortlich zu sein, ihren Tribut fordert, nimmt das Ausmaß der Angst zu und die psychische Gesundheit wiederum verkompliziert den Ablauf einer Pandemie.
Am Freitag kündigte Second Lady Karen Pence ihre neue Rolle als führende Botschafterin innerhalb der Task Force des Weißen Hauses gegen Corona an und sprach dabei über Selbsttötungen unter Veteranen und anderen Menschen. In einem Tweet sagte Karen Pence, die von ihr geleitete Task Force PREVENTS sei "dazu gedacht, Selbstmord für Veteranen und alle Amerikaner zu verhindern. COVID-19 hat sich auf die psychische Gesundheit vieler Menschen ausgewirkt, und ... wir müssen auf uns selbst und aufeinander achten".
[Die Rede ist also von zwei Anti-Corona-Task-Forces: Die eine generelle wird geleitet von Vizepräsident Mike Pence; darin enthalten ist die auf die Verhinderung von Selbsttötungen zielende Einsatzgruppe seiner Frau Karen. –A.H.]
Präsident Trump äußerte ebenfalls die Befürchtung, dass die Selbstmordrate während der Gesundheitskrise und des wirtschaftlichen Abschwungs in die Höhe schießen wird. Diese präventive Reaktion auf die psychische Gesundheit kommt zu einem Zeitpunkt, an dem der Präsident den überparteilichen 2 Billionen Dollar schweren Coronavirus-Hilfsplan unterzeichnet hat.
Die Bedenken hinsichtlich der psychischen Gesundheit sind gerechtfertigt. Während der Rezession von 2008 stiegen die Selbstmordraten in den Vereinigten Staaten und anderen Ländern laut einer Studie des Fachmagazins The Lancet aus dem Jahr 2012 an. "Observations", ein Blog-Post von Scientific American, äußerte in einem Beitrag vom 3. April ähnliche Bedenken zur psychischen Gesundheit: "Pandemie, Pest und nun auch das Coronavirus werden nicht auf einfache Weise erlebt; sie sind von Angst, Unruhe, Trauer und Chaos durchdrungen." Es sind diese Belastungen der mentalen Stabilität einer Person, die zu Problemen der psychischen Gesundheit in den Familien führen und der Grund dafür sind, dass eine umfassende Berichterstattung darüber stattfinden muss.
In den jüngsten Gender-Berichten über das Coronavirus, das als "Katastrophe für den Feminismus" dargestellt wird, wurden wichtige Daten im Zusammenhang mit den Todesraten bei Männern übersehen. Die aktuelle Berichterstattung über die Geschlechterverhältnisse lässt einige, die sich mit Geschlechterverhältnissen beschäftigen, befürchten, dass Selbstmord unter den historisch am stärksten gefährdeten Gruppen Amerikas während der Pandemie unbemerkt bleiben wird. Das ist der Grund, warum die Pence-Ankündigung einen Blick auf die Selbstmordraten und das Geschlecht rechtfertigt.
Eine Gruppe, die besonders anfällig ist, sind Männer ab 65 Jahren, die nach Angaben des Center for Disease Control nach wie vor mit größerer Wahrscheinlichkeit an einem Coronavirus sterben und sechsmal häufiger Selbstmord begehen. Eine zweite Gruppe sind Männer im Alter von 15 bis 24 Jahren, die mehr als viermal so häufig Selbstmord begehen wie Frauen. Obwohl die COVID-19-Todesfälle in der jüngeren Gruppe geringer sind, können einige der Auswirkungen der Pandemie auf die psychische Gesundheit dort zu schwereren Reaktionen führen.
Gender-Reporter müssen sich mit der Tatsache befassen, dass Männer in höheren Raten an Selbstmord sterben, während sie sich gleichzeitig mit der männlichen und weiblichen Suizidanfälligkeit und deren Auswirkungen auf die Familien befassen müssen.
Im Jahr 2016 schrieb Dr. Mark Sherman in der Zeitschrift Psychology Today "Wenn wir uns wirklich um Mädchen und Frauen kümmern, müssen wir diese vorwiegend männlichen Probleme mit der gleichen Inbrunst angehen wie die weiblichen. Sonst verlieren wir nicht nur viele viele Jungen, sondern auch nicht wenige Mädchen". Diese ganzheitliche Beobachtung von Männern und Frauen bei einem vorwiegend männlichen Problem führt dazu, alle zu informieren und zu retten.
(...) Die Erwähnung von Männern, die eher an einem Coronavirus sterben und eher Selbstmord begehen, schmälert in keiner Weise die psychischen Herausforderungen, denen Frauen ausgesetzt sind. Allerdings lassen sich Coronavirus-Daten mit Selbstmorddaten verknüpfen, was Adriana Panayi in ihrem Blogbeitrag "Observations" erwähnt hat:
"Die sich abzeichnende Wirtschaftskrise hat bereits ihr erstes Selbstmordopfer gefordert: den hessischen Finanzminister Thomas Schäfer. In einer Notiz, die er hinterließ, erklärte er, er sei zutiefst besorgt, dass es ihm nicht gelingen werde, die enormen Erwartungen der Bevölkerung an die Finanzhilfe zu erfüllen."
Ähnlich wie andere Artikel fügt Panayi in ihrem Artikel keine Daten ein, die den Unterschied zwischen Männern und Frauen aufzeigen. Die Nichtberücksichtigung der Daten über Männer und ihre erhöhte Anfälligkeit macht eine solche Berichterstattung bis zu einem gewissen Grad stumpfsinnig. Es ist eine unverhältnismäßige Form der Darstellung.
Wir müssen Daten über Jungen und Männer einbeziehen, wenn die Themen deutlich zeigen, dass sie anfälliger sind, und das bedeutet nicht, dass wir Mädchen und Frauen ausschließen. Selbstmord wirkt sich auf jeden aus, und Journalisten brauchen einen integrativen Ansatz, der die vollständigen Daten betont, insbesondere wenn Jungen und Männer in der Gender-Berichterstattung stark unterrepräsentiert sind.
Wir können hoffen, dass Karen Pence zu einem Bewusstsein anstößt, das Männer ermutigt, aus dem Schatten des Schmerzes herauszutreten und in das Licht der unterstützenden psychischen Gesundheit zu treten.
Auch hierzulande ist gestern ein Artikel zu diesem Thema erschienen – aus feministischer Perspektive: "Wieso wir während Corona auf Männer und ihre mentale Gesundheit achten müssen". Wie der Titel des Beitrags bereits verrät, geht es hier um die Perspektive des Gleichheitsfeminismus nicht einer männerhassenden Fraktion dieser Bewegung, die das Leiden des anderen Geschlechts mit höhnischen Statements wie "Ich trinke / bade in Männertränen" herunterspielt. (Dass seine Autorin Juliane Reuther noch an den Gender Pay Gap glaubt und den problematischen Ausdruck "toxische Männlichkeit" verwendet, mag man ihr nachsehen.) Reuther nimmt die Selbsttötung von Minister Thomas Schäfer als Aufhänger für ihre Gedankengänge. Ein Auszug aus ihrem Artikel:
Es ist kein Geheimnis und doch ein Tabu, zumindest wird noch immer nicht gerne darüber geredet, dass sich viel mehr Männer als Frauen das Leben nehmen. (…) Laut "Statista" beenden in Deutschland, je nach Altersgruppe durchschnittlich drei- bis viermal so viele Männer ihr eigenes Leben wie Frauen. Bei den 25- bis 30-Jährigen sind die Zahlen besonders erschütternd: 2017 begangen 57 Frauen und 296 Männer in diesem Alter Suizid. Damit machten Männer 84 Prozent der Selbstmorde aus. Insgesamt lag der Männeranteil der Menschen, die sich 2017 das Leben nahmen, bei 76 Prozent und 6.990. Besonders hoch sind die Suizidzahlen bei Männern ab 45 Jahren.
(…) Existenzängste treffen überproportional Männer, denn ob wir es wollen oder nicht, auch sie kämpfen mit alten Genderstereotypen, zum Beispiel damit, dass sie ihre Familie (finanziell) versorgen müssen. (…) Die Sätze "Männer müssen stark sein" oder "Männer weinen nicht" fasst das Dilemma ziemlich gut zusammen. (…) Die Krux mit der toxischen Männlichkeit ist ja schließlich, dass nicht Männlichkeit selbst toxisch ist, sondern dass Erwartungshaltungen an das Mannsein zu Verhalten führt, dass am Ende für sie und andere problematisch bis gefährdend ist.
Was können wir jetzt tun, um das Schlimmste zu verhindern? Vieles. Auf Anzeichen von Depressionen achten, Hilfe-Hotlines kontaktieren, das Gespräch suchen, Therapiegespräche oder Hilfestellen empfehlen, für Betroffene da sein. Mögliche Auslöser und Bestärker entkräftigen: Ihnen die Last nehmen, dass sie mit den Folgen von Corona alleine dastehen, ihnen klarmachen, dass sie nicht dem stereotypischen Versorger entsprechen müssen, um ein toller Partner oder Vater zu sein. Corona ist für uns alle eine harte Probe, die wir ganz sicher nur gemeinsam meistern werden, aber meistern, das werden wir sie ganz bestimmt.
Chapeau! Wenn alle Feministinnen sich so klar äußern würden, bräuchte es Genderama nicht. Weitere Beiträge von Juliane Reuther weisen zwar darauf hin, dass wir bei anderen Themen unterschiedlicher Meinung sein könnten, aber dass es ein feministischer und kein maskulistischer Beitrag war, der hierzulande als erstes die Auswirkungen der Pandemie auf die Selbsttötungen von Männern untersucht hat, bleibt erwähnenswert.
2. "Wer nimmt den Nachwuchs, wenn coronakranke Single-Eltern notfallmäßig ins Krankenhaus müssen?" fragt Spiegel-Online. "Fast ein Fünftel aller alleinerziehenden Mütter haben keinen Kontakt zum Vater des Kindes, wie eine Untersuchung des Instituts für Demoskopie Allensbach von 2017 zeigt." Ja, darum hätte man sich vielleicht auch mal kümmern können, bevor eine Seuche durchs Land zieht.
3. Ähnlich geistreich eröffnet ein "Welt"-Artikel von Susanne Gaschke:
In der Krise fallen Familien in alte Rollenbilder zurück – für Kinder und Küche fühlen sich Frauen zuständig. Und die Männer finden immer einen Grund, arbeiten zu müssen.
Hier habe ich aufgehört zu lesen: Noch intelligenter kann es unmöglich werden. Herzlichen Gruß an all euch Gestörte da draußen, die ihr immer einen Vorwand findet um zu arbeiten, zum Beispiel um eure Familie zu ernähren und solches Zeug.
4. Die Frauenhaus-Koordinierung e.V. fordert, während der Corona-Pandemie das Umgangsrecht auszusetzen:
"Wegen der derzeitigen Gefährdung der Bevölkerung und des Gesundheitswesens durch das Coronavirus muss der Infektionsschutz über diesem Recht stehen."
5. UN-Generalsekretär António Guterres hat in einer Videobotschaft auf Twitter vor einer Zunahme häuslicher Gewalt während der Pandemie gewarnt:
"Frieden ist nicht nur die Abwesenheit von Krieg. Viele Frauen, die wegen #COVID19 eingesperrt sind, sind mit Gewalt dort konfrontiert, wo sie am sichersten sein sollten: in ihren eigenen vier Wänden. (…) Ich fordere alle Regierungen dringend auf, die Sicherheit der Frauen bei der Reaktion auf die Pandemie an die erste Stelle zu setzen."
6. Auf Videos für das Portal TikTok schminken sich Teenagerinnen in einem verstörenden Trend als Opfer häuslicher Gewalt zurecht. Experten werfen den Mädchen vor, tatsächliche Opfer zu re-traumatisieren.
7. Iin der britischen "inews" findet man einen Artikel mit der Schlagzeile lautet "Beim Corona-Lockdown merkte ich, dass ich mit einem Gewalttäter zusammenlebe". Ich habe diesen Beitrag für Genderama übersetzt:
Ich kann mich noch erinnern, wie Alex das erste Mal auf mich wütend wurde. Wir waren ein paar Monate zusammen gewesen, und ich war wirklich schockiert über die Art und Weise, wie sie sich gegen mich wandte.
Ich hatte ihr versprochen, etwas für sie zu tun - ich möchte nicht ins Detail gehen, da ich fürchte, dass sie mich damit identifizieren könnte - und ich wurde durch etwas abgelenkt, und dann war es zu spät, um diese Sache für sie zu tun. Sie ging auf mich los und warf eine Fernsehfernbedienung nach mir, die meinen Kopf knapp verfehlte. Zugegeben, ich hatte sie im Stich gelassen, aber es war ein kleines Vergehen. Es schien ihr wirklich leid zu tun, und sie machte auch den Arbeitsstress und ihre Hormone dafür verantwortlich. Ich gab ihr den Vorschuss an Vertrauen.
Aber im ersten gemeinsamen Jahr geschahen noch ein paar ähnliche Vorfälle. Ich wurde nie körperlich verletzt, aber Alex' Gefühlsausbrüche waren extrem und verstörend - ich hatte Angst, dass sie mich schlagen könnte. Sie schrie und zerschlug Gläser oder Gegenstände. Sie entschuldigte sich danach immer sehr und schwor, dass sie sich ändern würde, und ich glaubte ihr immer.
Ich wusste schon vorher, dass sich etwas bei Alex nicht richtig anfühlte, und ich sah die Alarmsignale. Rückblickend war das erste, dass sie meine Meinung häufig ablehnte, und es tat weh, wenn sie über mich lachte. Aber ich hatte diese Anzeichen ignoriert. Erstens hatte ich mich in sie verliebt, und man kann sich leicht davon überzeugen, dass niemand perfekt ist und dass man an einem Menschen die Warzen und alles andere lieben muss. Außerdem waren wir super anhänglich und wir hatten so viel Spaß und tollen Sex, dass ich das Schlechte abtat und dachte, dass es sich wegen der guten Dinge insgesamt gelohnt hat.
Also habe ich meine zweifelnden Stimmen abgetan und Alex und ich sind Ende letzten Jahres zusammengezogen. Nun, dazu gezwungen zu sein, nur uns beide unter einem Dach zu isolieren, war wirklich intensiv.
Es sind schwierige Zeiten für alle ... Es ist ganz natürlich, dass man Angst vor diesem Virus hat, und man ist in denselben vier Wänden eingesperrt und kann sich weder mit anderen treffen noch sonst etwas tun. Ein zusätzliches Problem für uns ist, dass Alex selbstständig ist und ihr Einkommen verloren hat.
Es läuft wie bei einem Schnellkochtopf: Alex hat alle paar Tage die Nerven verloren und lässt es an mir aus. Sie ärgert sich über die kleinsten Dinge: Wenn ich nicht das Essen bekomme, um das sie gebeten hat, oder wenn ich das Haus nicht makellos gehalten habe, schreit sie, schlägt Türen zu und wirft mit Tellern. Sie hat mich noch nicht wirklich geschlagen, obwohl sie mehrmals damit gedroht hat.
Ich weiß, dass die Dinge hart für sie sind und sie kämpft mit dem Gefühl des Kontrollverlustes. Ich versuche immer wieder, die Dinge für sie zu verbessern, aber egal, was ich tue, sie findet Fehler. Neulich hat sie mich beschimpft, weil ich zu laut gegessen habe. Sie gibt mir das Gefühl, wertlos und nutzlos zu sein. Ich versuche, ruhig zu bleiben und nicht zu antworten, aber das macht sie oft noch wütender.
Durch den Lockdown ist mir klar geworden, dass ich in einer missbräuchlichen Beziehung stecke. Gestern brach ich in der Dusche zusammen und weinte so leise wie möglich, damit sie mich nicht hörte, falls ich sie damit weiter verärgern sollte. Ich fühle mich, als würde ich auf Eierschalen laufen.
Ich habe sie angefleht, aufzuhören, und sie entschuldigt sich nicht mehr. Ihre Sicht hat sich geändert, und sie sagt jetzt, ich bringe sie dazu. Es ist klar, dass sie sich berechtigt fühlt, mich als ihren emotionalen Sandsack zu benutzen. Nur unter uns beiden und nicht außerhalb, sehe ich jetzt ihr wahres Gesicht.
Das Schlimmste ist das Gefühl, dass ich in einem geschlossenen Raum mit jemandem bin, bei dem ich mich nicht sicher fühle - den ich liebe und nach dem ich mich sehne, um mich sicher zu fühlen - und dass es kein Entkommen gibt. Es ist ein lebendiger Alptraum.
Ich hatte auch viel Zeit zur Selbstreflexion. Ich habe Alex als das Opfer gesehen und hatte wirklich Mitleid mit ihr. Sie hatte eine schwierige Kindheit gehabt, und ich dachte, es fehle ihr an emotionaler Regulierung, das heißt an der Fähigkeit, ihr Verhalten und ihre Reaktionen auf Dinge zu kontrollieren. Sie kämpft mit schwierigen Gefühlen wie Enttäuschung und Frustration darüber, dass die Dinge nicht nach Plan laufen.
Dass ich so viel durchgehen ließ, hat mich dazu gebracht, mich selbst zu betrachten. Ich glaube nicht, dass ich von ihr abhängig bin. Aber ich bin ein Empath – bin fähig zu spüren, was die Menschen um sie herum denken und fühlen - und ich habe mich definitiv zu sehr in den Versuch verstrickt, Alex zu "reparieren", und ich habe nicht auf mich selbst aufgepasst. Ich bin auch ein bisschen zu idealistisch und möchte mich einfach nur verlieben und dafür sorgen, dass es funktioniert.
Ich habe mit mir darüber diskutiert, wie sehr ihr bewusst ist, was sie tut. Ich würde gerne glauben, dass sie mich nicht verletzen will. Aber ich habe erkannt, dass das nicht relevant ist, dass ihr Verhalten gewalttätig ist und dass das nicht in Ordnung ist.
Ich fühle mich auf vielen Ebenen bedrängt. Erstens kann es für jeden schwierig sein, über Misshandlung zu sprechen. Es kann schmerzhaft und verwirrend sein und dazu führen, dass man sich schämt und unzulänglich fühlt.
Die meiste häusliche Gewalt richtet sich gegen Frauen, aber auch Männer können Opfer sein. Zweitens kann es für Männer eine Herausforderung sein, sich zu äußern, da wir der Meinung sind, dass wir hart und machohaft sein sollten. Männer machen sich auch Sorgen darüber, ob die Menschen Ihnen glauben.
Und drittens ist es isolierend genug, um in einer missbräuchlichen Beziehung zu sein, aber im Moment fühle ich mich besonders allein, da es tatsächliche Hindernisse gibt, um meiner Peinigerin zu entkommen.
Ich habe beschlossen, dass ich aus Gründen meiner Sicherheit und meinem Geisteszustand gehen muss. Es fühlt sich im Moment alles so schwierig an, während wir eingesperrt sind ... wer macht die Besichtigungstermine? Ich habe auch das Gefühl, dass ich sie nicht verlassen kann, solange sie kein Einkommen hat.
Das Einzige, was mich in Bewegung hält, ist mein täglicher Spaziergang. Draußen fühle ich etwas Ruhe und fliehe vor dem Elend. Es ist meine Zeit für mich selbst, in der ich meine Mitte wiederfinden und mir eine Zukunft vorstellen kann, in der ich glücklich bin und mich sicher fühle. Meine Video-Chats mit meiner Familie sind eine kleine Erleichterung, aber ich fühle mich auch unbehaglich, weil ich verberge, was wirklich vor sich geht.
Bei der Freiheit geht es um so viel mehr als nur darum, in die Kneipe oder in den Urlaub gehen zu können. Jeder Mensch hat das Recht, ein Leben frei von Misshandlungen zu führen.
Beiträge wie diesen würde ich mir einmal in deutschen Blättern wie der "taz" oder der "Zeit" wünschen. Natürlich ist das utopisch. Stattdessen findet man in der aktuellen "Zeit" einen Artikel Antje Joels (Absolventin an einer britischen Universität) mit der Überschrift "Eingeschlossen mit dem Peiniger". Der Artikel behauptet mit Bezug auf einen US-Gewaltforscher namens Evan Stark, dass Frauengewalt im Gegensatz zur Männergewalt lediglich einen "auf den Augenblick bezogenen, fehlgeleiteten Versuch der Problemlösung" darstelle:
Beispielsweise, wenn ein Mann sagt "Ich habe dich betrogen", und die Frau schlägt im Affekt zu. Männergewalt gegen die Partnerin (beziehungsweise die Form der Gewalt, die der Begriff "häusliche Gewalt" gemeinhin umschreibt) hingegen ist systematisch. Ihr Ziel ist Kontrolle, ist Macht. (…) Evan Stark sagt auch, dass er in seinen mehr als 30 Forschungsjahren auf dem Gebiet nie einem Fall begegnet sei, in dem die Frau auf die gleiche Art, mit dem gleichen persönlichkeitsvernichtenden Effekt Gewalt über ihren Mann ausgeübt habe. (...) So zurückhaltend die Männer waren, ihre eigenen Übergriffe als Gewalt zu werten, so schnell fühlten sie sich selbst als Opfer.
In diesem Stil geht es weiter über einen Großteil der Zeitungsseite. Die zahllosen Gewaltforscher, die Frauengewalt ernster nehmen als Evan Stark, bleiben unerwähnt. Solches sexistisches Verharmlosen und Beiseitewischen von Gewalt gegen Männer stellt selbst schon eine Form von Gewalt dar. "Die Zeit" entwickelt sich immer mehr zum Horror-Blatt. Die Behauptung "Feminismus ist auch gut für Männer" wird durch solche Beiträge ganz erheblich in Frage gestellt.
8. Die Post. Einer meiner Leser weist mich auf ein Gerichtspodcast des Hessischen Rundfunks mit dem Titel "Die Sadistin" hin, das der Hessische Rundfunk so vorstellt:
Gabi M. wird 2006 vom Landgericht Frankfurt wegen schwerer Körperverletzung zu 3 Jahren verurteilt. Sie hatte ihrem Mann mit einer Heißklebepistole Verhaltensregeln in die Haut gebrannt. 2019 steht sie wieder vor Gericht. Und wieder wird sie zu 3 Jahren wegen schwerer Körperverletzung verurteilt, weil sie einen weiteren Ehemann gequält hat. Ein dritter Ehemann sagt ebenfalls, er sei misshandelt worden. Ehemann Nummer 4 ist tot. Der Verdacht, Gabi M. hat etwas mit seinem Tod zu tun, ließ sich aber nicht erhärten.
Was Evan Stark, Antje Joel und die Redaktion der "Zeit" wohl dazu sagen würden?
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