Was bedeutet Corona für Obdachlose? – News vom 20. März 2020
1. "Die Zeit" meldet die aktuelle Geschlechterverteilung der hiesigen Corona-Opfer:
In Deutschland starben bisher überwiegend Männer mit einer Sars-CoV-2-Infektion. Unter den 33 Gestorbenen, von denen ZEIT ONLINE das Geschlecht bekannt ist, sind mit 21 etwa zwei Drittel männlich. Zwölf waren weiblich.
2. Weit überwiegend männlich sind auch Obdachlose. Für sie wird die aktuelle Pandemie oft zur Existenzfrage:
Das Schlimmste, sagt der Mann, der sich Basti nennt, sei das Problem mit den Duschen. "Alles dicht", sagt er – seit das Coronavirus in Hamburg grassiert, kann sich Basti nur noch dann vernünftig waschen, wenn Bekannte ihn in ihr privates Badezimmer lassen.
Die Zahl der Obdachlosen in Berlin wird auf 6000 bis 10.000 geschätzt, in Hamburg sind es etwa 1900. Ein ganzes Netzwerk aus Hilfsangeboten steht ihnen normalerweise in den Großstädten zur Verfügung – wenn sie krank sind oder auf Entzug, wenn sie neue Kleidung brauchen, eine warme Mahlzeit, eine Dusche oder einfach nur jemanden, der ihnen zuhört. In der Corona-Krise fällt dieses Netzwerk nun nach und nach in sich zusammen. Weil die Ansteckungsgefahr zu hoch ist. Oder weil viele der ehrenamtlichen Helfer Rentner sind, die zur Risikogruppe gehören und nicht mehr vor die Tür gehen können.
(…) Wir sehr sich die Lage bereits zugespitzt hat, zeigt eine Auflistung der Hilfsangebote für Obdachlose in Hamburg, die inzwischen nicht mehr zur Verfügung stehen.
Das Caritas-Zahnmobil: fährt nicht mehr.
Die Praxis ohne Grenzen: geschlossen.
Der Duschbus GoBanyo: hat seinen Betrieb bis auf Weiteres eingestellt.
Verschiedene Tagesaufenthaltsstätten mit Essensausgabe: geschlossen.
Christian Freund, ehrenamtlicher Mitarbeiter in der Hamburger Obdachlosentagesstätte Alimaus, beschreibt die aktuelle Lage so: „Von unseren Ehrenamtlichen bleibt inzwischen der Großteil zu Hause, weil die Helfer selbst schon alt sind und sich nicht anstecken wollen – wir arbeiten am Anschlag und können trotzdem viele Angebote nicht aufrechterhalten.“ Auch die Alimaus habe als Sicherheitsmaßnahme die Duschräume geschlossen, der Speisesaal sei dicht, ebenso die Kleiderkammer.
(…) Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe fordert angesichts der kritischen Situation, dass Zwangsräumungen ausgesetzt werden. "Menschen dürfen in dieser Situation nicht aus ihren Wohnungen geräumt und in Notunterkünfte eingewiesen werden, die schon jetzt überfordert sind und in denen eine Kontaktreduzierung nicht möglich ist. Deshalb müssen Zwangsräumungen ab sofort ausgesetzt werden", sagt Geschäftsführerin Werena Rosenke.
Auch weist sie darauf hin, dass Obdachlose "eine gesundheitlich hoch belastete Bevölkerungsgruppe" seien. "Sie leiden häufiger als die Mehrheitsbevölkerung unter Mehrfacherkrankungen. Viele wohnungslose Menschen gehören also zur Risikogruppe, haben aber keine Chance, soziale Kontakte zu reduzieren und Schutz durch den Rückzug in die eigene Wohnung zu finden."
Vielfach fühlen sich Obdachlose aktuell behandelt "wie Pestkranke im Mittelalter":
"Wie immer sind die Ärmsten der Armen betroffen und leiden am meisten unter der Situation", sagt Hubert Ostendorf (59), Geschäftsführer des Obdachlosen Magazins "fiftyfifty". Täglich erlebt er die Auswirkungen des Corona-Wahnsinns und die Hilflosigkeit der Straßenverkäufer. (…) "Obdachlose werden oft mit Schmutz- und Virusträgern assoziiert", so Ossendorf. Viele fürchten sich vor einer erhöhten Ansteckungsgefahr, wenn sie bei den Straßenverkäufern eine Zeitung entgegennehmen.
Dabei sorgt die fehlende Kundschaft für regelrechte Existenzängste bei den Wohnungslosen, für die der Zeitungsverkauf oftmals die einzige Einnahmequelle ist. "Viele machen überhaupt kein Geld mehr. Sie befinden sich in einer Zwickmühle, denn auch die Hilfsangebote, wie die Tafel und Suppenküchen, werden eingestellt."
(…) An den Anlaufstellen für "fiftyfifty"-Verkäufer wird auf verstärkte Handhygiene geachtet. Dennoch bleibt die Angst – nicht nur vor der fehlenden Einnahmequelle, sondern auch vor dem Virus an sich. Viele Wohnungslose haben keine Krankenversicherung.
Mehrere andere Medien berichten derzeit ähnlich besorgt über dieses Thema.
3. Der ORF berichtet, wie die aktuelle Situation für Scheidungseltern in Österreich aussieht:
Scheidungskinder sollen auch in Coronavirus-Zeiten weiterhin beide Elternteile sehen dürfen. Das stellte das Justizministerium heute Nachmittag klar, nachdem es der APA zuvor mitgeteilt hatte, dass Kinder den nicht betreuenden Elternteil weder besuchen noch von diesem besucht werden dürfen. In einem neuen Erlass des Gesundheitsministeriums solle nun eine "Ausnahme" aufgenommen werden, hieß es.
"Die Besuchsregelungen für Kinder bei getrennt lebenden Eltern sollen jedenfalls durch die Maßnahmen nicht längerfristig unterbunden sein", betonte der Sprecher von Justizministerin Alma Zadic (Grüne), Julian Ausserhofer, in einer Stellungnahme gegenüber der APA.
Der bis Montag geltende Erlass des Gesundheitsministeriums habe für diesen Fall bisher "nicht explizit eine Ausnahme festgeschrieben, aber gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium und dem Familienministerium wurde vereinbart, dass hier Klarheit geschaffen wird und diese Ausnahme aufgenommen wird", so Ausserhofer.
Zuvor hatte es aus dem Ministerium geheißen, der Kontakt solle stattdessen möglichst via Telefon, Videochat etc. aufrechterhalten werden. FPÖ und NEOS übten umgehend Kritik und forderten Justizministerin Zadic zu einer Änderung der Regelung auf. Die Maßnahme "schießt über das Ziel hinaus und muss dringend geändert werden", schrieb FPÖ-Chef Norbert Hofer in einer Aussendung. Er argumentierte, dass einige Kinder immer noch in Schulen seien und dort mit Menschen in Kontakt seien. "Am Nachmittag darf das Kind zum Spielplatz gehen und trifft womöglich auch dort auf andere Kinder und Elternteile – aber wenn der Vater des Kindes sein Besuchsrecht wahrnehmen und das Kind sehen will, dann ist das aufgrund der Ansteckungsgefahr nicht mehr erlaubt."
NEOS-Abgeordneter Michael Bernhard warnte, dass "ein Quasi-Besuchsverbot bestehende Familienkonflikte verschärfen kann". Es sei zwar gut, dass die Regierung bei der Einschränkung von sozialen Kontakten auch in der Familie konsequent sei, "allerdings appelliere ich, dass das mit Augenmaß passiert. Dass Kinder von geschiedenen Elternteilen einen Elternteil nicht mehr sehen dürfen, ist ein gravierender Eingriff in die Rechte von Kindern." Zudem würden sich in vielen Patchworkfamilien die Eltern die Verantwortung für die Kinderbetreuung aufteilen.
4. An der Uniklinik Bonn dürfen Väter nicht mehr bei der Geburt dabei sein. An der Uniklinik Köln ist rund um die Geburt eine Begleitperson erlaubt. Anschließend gelte aber dann das Besuchsverbot.
5. Christian Schmidt hat den zweiten Teil seiner kleinen Serie online gestellt: Wie kommen wir feministisch korrekt durch die Corona-Krise? Lesenswert für jeden, dem die aktuellen sexistischen Artikel wie "Es sind Frauen, die das Land rocken" auf die Nüsse gehen.
6. Die Frankfurter Allgemeine berichtet von den neuesten erkenntnissen über Frauenministerin Franziska Giffey (SPD):
Die Berliner Landesregierung hat mitgeteilt, dass Franziska Giffey in ihrer Doktorarbeit vorsätzlich abgeschrieben hat. Auf fünf Anfragen des AfD-Abgeordneten Martin Trefzer hatte sich der Landessenat ausführlich zum Plagiatsfall der Bundesfamilienministerin äußern müssen. Giffey wurde im Jahr 2010 an der Freien Universität (FU) promoviert, später waren in ihrer Arbeit 119 Plagiate entdeckt worden. Die Politikerin erhielt eine Rüge, die gesetzlich nicht vorgesehen ist, und durfte ihren Titel behalten. Das zur Überprüfung der Arbeit eingesetzte Gremium hatte zuvor neunmal getagt und auch die Stellungnahme von Giffeys Rechtsanwalt in das Prüfverfahren einbezogen. Nun wird bekannt, dass das Gremium den Vorsatz bei Giffey "zum Teil bejaht" hat. Vorsatz bedeutet das Wissen und Wollen der Verwirklichung eines Tatbestandes im Bewusstsein seiner Rechtswidrigkeit. Bisher hatte die Landesregierung keine öffentliche Äußerung zur Frage des Vorsatzes gemacht.
7. In meinen Pick-up-Büchern habe ich immer wieder betont, wie wichtig Berührungen sind, um einen positiven Kontakt zu Frauen herzustellen. Leider sind solche Berührungen in den letzten Jahren stark in Verruf geraten. Der Coronavirus führt momentan noch stärker dazu, dass in unserer Gesellschaft Körperkontakt weitgehend vermieden wird. Wenn jetzt aber eine Psychologin erklärt, warum das Vermeiden solcher Berührungen bedenklich ist, sollte man sich das vor allem für die Zeiten NACH Corona merken. (Vor Corona und während der MeToo-Debatte hätte sich bestimmt keine Psychologin derart deutlich geäußert.)
Warum ist Berührung so wichtig? Sie hilft uns, unsere Gefühle für andere zu teilen und unsere verbale Kommunikation zu verbessern. Eine Berührung am Arm, wenn wir jemanden trösten, zeigt uns oft, dass wir uns wirklich um ihn kümmern. Menschen profitieren von körperlichen Berührungen während ihres gesamten Lebens, und es gibt zahlreiche Belege dafür, dass sie sowohl kurz- als auch langfristig das Wohlbefinden beeinflussen können. Bei Babys ist sie sogar entscheidend für eine gesunde Entwicklung des Gehirns.
Die emotionalen Auswirkungen von sozialen Berührungen sind in unserer Biologie tief verwurzelt. Es gibt Beweise dafür, dass sie die Freisetzung von Oxytocin auslöst, einem Hormon, das die Reaktionen auf Stress verringert. Tatsächlich hat sich gezeigt, dass Berührung das Stressniveau beim Menschen abfedert.
Wir wissen, dass eine einfache Berührung durch eine Krankenschwester vor einer Operation das Stressniveau bei den Patienten reduzieren kann. Sie kann auch das Gefühl der sozialen Ausgrenzung verringern und sogar die Nahrungsaufnahme bei älteren Menschen, die in einem Pflegeheim leben, erhöhen. Angesichts der Tatsache, wie wichtig die soziale Berührung für das Wohlbefinden der Menschen ist, ist es wichtig, dass sie Teil des täglichen Lebens ist.
In den letzten Jahrzehnten hat der soziale Kontakt abgenommen. Dies ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass wir in einer technologieorientierten, sozial unzusammenhängenden Welt leben, in der die Menschen eher virtuell als durch persönliche Begegnungen kommunizieren. Das bedeutet, dass wir uns viel weniger berühren als früher.
Aber der Rückgang der Berührungen ist in erster Linie auf die Angst zurückzuführen, dass dies zu einem Vorwurf der unangemessenen Berührungen führen könnte. Diese Angst ist von der Gesellschaft geprägt, da die Menschen häufig Geschichten über unangebrachtes Verhalten hören. Die Menschen wehren sich daher eher dagegen, andere zu berühren, als zu riskieren, dass eine soziale Berührung falsch interpretiert wird. Die Botschaft ist einfach: Vermeiden Sie es, einen aufgewühlten Arbeitskollegen zu umarmen, und klopfen Sie niemandem auf die Schulter, wenn er seine Arbeit gut gemacht hat.
Gleichzeitig steht die Angst vor Anschuldigungen wegen Kindesmissbrauchs in keinem Verhältnis zur Zahl der tatsächlichen Vorfälle. Dies hat dazu geführt, dass Fachleute ein verzerrtes Denken entwickelt haben. Lehrer vermeiden es oft, mit den Kindern allein zu sein, und berühren die Schüler nicht auf natürliche und liebevolle Weise.
Mit dem neuartigen Coronavirus haben die Menschen noch einen weiteren Grund, sich davor zu fürchten, andere zu berühren, da es bedeutet, sich Menschen zu nähern, die potentielle Überträger sein könnten. Während wir bei diesem schweren Ausbruch vorsichtig mit Berührungen bleiben sollten, müssen wir uns bemühen, das nicht außer Kontrolle geraten zu lassen. Schließlich leiden viele Menschen unter einem hohen Maß an Angst vor dem Virus, und Berührungen sind eine Möglichkeit, diese zu verringern.
Je länger diese Situation dauert, desto wahrscheinlicher wird eine Verbindung zwischen sozialer Berührung und einem Gefühl der Negativität hergestellt. Es kann sein, dass die Menschen das Virus irgendwann vergessen, aber immer noch auf der Hut vor sozialen Kontakten sind, ohne zu wissen, warum. Das liegt daran, dass negative Assoziationen oft leichter verfügbare Erinnerungen für Menschen schaffen als positive Assoziationen.
Obwohl es also nicht ratsam ist, Menschen während des Ausbruchs weiterhin wie gewohnt zu berühren, insbesondere nicht Menschen, die alt sind oder gesundheitliche Probleme haben, kann der körperliche Kontakt mit geliebten Menschen dennoch weitergehen, solange wir Vorsichtsmaßnahmen treffen und uns die Hände waschen.
Im weiteren Sinne ist es wichtig, sich bewusst zu sein, dass negative Lebensereignisse wie diese Epidemie langfristig unerwünschte Auswirkungen auf soziale Kontakte haben können. Wenn wir dies in den Vordergrund rücken, können wir ein Gegengewicht zu dem bilden, was sonst negative Erinnerungen an Berührungen hervorrufen könnte.
Wenn der Ausbruch vorbei ist, wird eine wichtige Herausforderung darin bestehen, unser Denken über die Berührung neu auszurichten und ihre Bedeutung zu berücksichtigen. Schließlich könnte eine Umarmung genau das sein, was wir brauchen, um die traumatische Erfahrung des Coronavirus hinter uns zu lassen.
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