Dienstag, Mai 07, 2019

EDEKA-Reklame zeigt Väter als Volltrottel – News vom 7. Mai 2019

1. Mehrere tausend Leser haben mich gestern auf ein Reklame-Video der Supermarktkette EDEKA aufmerksam gemacht, das in die Fußstapfen von Gillette tritt, indem es sich als Trittbrettfahrer bei der Männerfeindlichkeit unserer Gesellschaft versucht. Entsprechend großen Unmut erzeugt es in den sozialen Medien – was vielleicht genau das ist, worauf EDEKA spekuliert hat, weil so viel Unmut immer auch große Aufmerksamkeit bedeutet.

Lucas Schoppe fasst den Inhalt des Werbespots zusammen:

Der Spot beginnt mit der Großaufnahme des Gesichts eines irgendwie überfordert wirkenden Mannes, begleitet von sanfter Streicher- und Klaviermusik. Schließlich wird das Wort "Danke." über das Gesicht geblendet und kurz darauf auch aus dem Off von einer Kinderstimme gesprochen. Wir können also annehmen, dass das überforderte Männergesicht einem Vater gehört und dass ein Kind sich bei ihm bedanken will.

Wir sehen dann, dass der Vater angestrengt seine kleine Tochter in den Armen hält und offenbar auf den Boden pinkeln lässt – in der Nähe anderer spielender Kinder und misstrauisch beäugt von einer Frau, die nicht weit entfernt bei einem Kinderwagen sitzt. "Danke, dass du immer für mich da bist", sagt eine Mädchenstimme – offenbar die der Tochter – aus dem Off.

Hier können die Zuschauer noch erwarten, dass die Werbung die Klischees, die sie aufruft, schließlich konterkariert. Schließlich scheint es hier so, als wären Kinder Frauensache und als würden Väter sich bestenfalls wie Trottel benehmen, im schlimmeren Fall den Kindern aber Gewalt antun. Tatsächlich aber wird die Spannung zwischen Kinderstimme aus dem Off und den im Folgenden gezeigten verschiedenen Vätern konsequent vergrößert.

"Du kümmerst dich um mich", sagt ein Kind angesichts eines Vaters, der in seiner Überforderung mit der Küchenarbeit gar nicht auf das Kind achten kann. "Ich kann dir immer alles erzählen", sagt ein Mädchen aus dem Off angesichts eines Vaters, der das Mädchen anschreit. "Und du hörst mir immer zu", sagt ein kleiner Junge angesichts eines Vaters, der selbstvergessen eingeschlafen ist. "Du bist mein Vorbild und förderst mich, wo immer du kannst," sagt ein Mädchen aus dem Off, während der Vater ihr beim Basketball den Ball an den Kopf wirft und das Mädchen im Bild vor Schmerzen schreit.

Dann schließlich bedankt sich eine Mädchenstimme gar: "Danke, dass du so schön bist," sagt das Kind, während der Vater hinter ihm im Badezimmer mit viel zu knapper Unterhose, behaartem Rücken und übergewichtigem Körper mit seiner Morgenwäsche beschäftigt ist.

Hier nun könnte die ironische Spannung zwischen Off-Kommentar und Bildern aufgelöst werden – etwa, indem ein Kind sich beim Vater dafür bedankt, dass er da ist, auch wenn ihm öfter einmal etwas danebengeht. Tatsächlich aber sieht am Ende ein Kind auf einer Couch sitzend seinem Vater mit offensichtlichem Ekel dabei zu, wie der beim Fernsehen essend Chips über sein Hemd krümelt.

Das Mädchen blickt dann in die andere Richtung – und mit seinem Blick wendet sich der ganze Werbespot von den Vätern hin zur Mutter. Auf der anderen Seite der Couch nämlich sitzt die Mutter des Mädchens, und das Kind sagt ihr: "Mama – danke, dass du nicht Papa bist." Der Satz "Danke Mama, dass du nicht Papa bist" wird dann auch über das Bild der kleinen Familie auf der Couch geblendet.

Die Pointe klärt so das Eingangsbild auf und löst auch die Widersprüche zwischen Bildern und Texten: Die Kinder hatten in der ganzen Zeit offensichtlich gar nicht zu ihren Vätern, sondern zu den Müttern gesprochen.


Das Rote-Pille-Blog kommentiert:

Das ist das Mainstream-Männerbild im deutschen TV und in der deutschen Werbung – der Mann ist ein nichtsnutziger Loser, eine Art großes Kind, und die Frau steht über allem und trifft die klugen Entscheidungen für die Familie.

Millionen Kinder werden diese Werbung im TV sehen und einmal mehr ein Männerbild eingetrichtert bekommen, was die Mutter als Familienoberhaupt zeigt und den Mann als unfähigen Typen, der nichts zum Familienwohl beiträgt.


Das Magazin für die Werbebranche "Horizont" berichtet über die Reaktionen auf die Reklame:

Schon wenige Stunden nach der Freischaltung sechsstellige Klickzahlen. Das könnte sich für Edeka als Pyrrhussieg erweisen. Denn die Kommentare (...) fallen alles andere als schmeichelhaft aus. Das Problem: In dem von Jung von Matt/Next Alster kreierten Onlinevideo singt der Händler ein Loblied auf die wichtige Rolle der Mutter im Leben ihrer Kinder. Allerdings geschieht das auf Kosten der Väter, die als total unfähig dargestellt werden.

Das Konzept ist bei Onlinevideos gelernt und hat gerade einigen der Edeka-Kreationen zum Klassikerstatus verholfen: Ein Storytelling, das polarisiert, soll für digitale Debatten und damit zusätzliche Reichweite sorgen. (...) Ein ähnliches Kalkül darf man für den Muttertagsspot unterstellen. Hier rezitiert eine Sprecherstimme im Voice-Over ein Loblied auf den unermüdlichen Einsatz eines Elternteils, während der schwarz-weiß-gedrehte Film ausschließlich Väter zeigt, die bei ihren pädagogischen Bemühungen kläglich scheitern. Sei es beim Kämmen der Haare, beim Mixen der Babynahrung oder bei einem einfachen Ballspiel - den Vätern will keine ihrer elterlichen Pflichten gelingen.


Wie "Horizont" weiter berichtet, hagelt es für EDEKA wegen dieser Verhöhnung von Vätern Kritik und Erwiderungen wie "Danke Rewe, dass du nicht Edeka bist!" Das Unternehmen selbst bekundet, Väter "keinesfalls schlecht darstellen" zu wollen.

Auch der Bayerische Rundfunk hat den Aufruhr um das Reklame-Fiasko von EDEKA entdeckt:

Unter dem Youtube-Video laufen immer mehr verärgerte Kommentare auf: "Was für ein ekelhafter Werbespot. Männer runtermachen ist zum Motto 2019 geworden. (…) Schämt euch!", schreibt Yso Serious.

"Ich bin seit über 10 Jahren ALLEINerziehender Vater. Mich widert dieser Clip extrem an. Das negative Bild, das von Vätern vermittelt wird, ist widerlich." Kommentar von User Wolf Jacobs

Julia Naumann kommentiert: "Wie war das noch mit der Würde des Menschen? Ich bin entsetzt! Meine Familie und ich werden in Zukunft Edeka meiden."


Im Bayreuther Tagblatt liest man:

Die Reaktionen im Netz sind heftig. Die "Aktion Sorgerecht Kinderschuhe", die sich für die Rechte getrennt lebender Väter einsetzt, ruft unter dem Hashtag #BoykottEDEKA dazu auf, die Märkte zu meiden. Von "geschlechterrassistischen Auswüchsen" ist die Rede und davon, dass sich das Unternehmen öffentlich entschuldigen solle.

Etliche Väter schreiben im Netz, dass sie Beschwerde beim Werberat eingereicht hätten, dass sie sich an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes gewendet oder YouTube auf die Verbreitung unangemessener Inhalte hingewiesen hätten.

Auch auf der Seite "Väter ohne Rechte", eines der größten Foren für getrennt lebende Väter in Deutschland, wird das neue Video hitzig diskutiert.


Der Interessensverband Unterhalt und Familienrecht ruft zum EDEKA-Boykott auf, selbst das oft komatös wirkende Bundesforum Männer, das sich sonst so ziemlich jede Männer-Verunglimpfung gefallen lässt, protestiert gegen die väterfeindliche Reklame. Nur von Pinkstinks – der Organisation, die sich eigentlich für sexistische Werbung zuständig fühlt – hört man nichts.

Im Magazin "Werben & Verkaufen" kommentiert Susanne Herrmann:

Der Film dankt zwar Mama ("dem wichtigsten Menschen der Welt") - doch er stellt dafür rund eine Minute lang Väter als unfähige, unsensible, hässliche Trampel dar. Und endet mit "Danke Mama, dass du nicht Papa bist". Das würdigt nicht nur Väter herab, sondern Mütter gleichermaßen: Immerhin bleibt ja die Schlussfolgerung, dass die Aufgaben rund um die Pflege und Betreuung der Kinder nur Mama wirklich draufhat.

(...) Die Ironie, Edeka einmal gutwillig unterstellt, hätte durchaus funktionieren können. Im ersten Teil des Films - in dem die Bilder die positiven Aussagen der Kinder aus dem Off mit den Bildern von Versagen (vollkommen menschlich) konterkarieren. Mit dem Claim am Ende aber bleibt ein schaler Beigeschmack. Als Vatertagsspot mit einem Dank für Papa wäre die Serie der gezeigten väterlichen Patzer vielleicht ganz gut durchgegangen. Aber "Danke Mama, dass du nicht Papa bist"? Ernsthaft?


Lucas Schoppe schließlich merkt an:

In der Darstellung durch EDEKA sind Väter für ihre Kinder nicht da, kümmern sich nicht um sie, haben kein Feingefühl und kein Gefühl für den richtigen Moment, hören nicht zu, sind hässlich – und die Mutter ist schließlich das strahlende Gegenbeispiel gegen diese dunklen, lächerlichen Gestalten.

Natürlich ist das, in passendem Schwarz-Weiß gefilmt, hoffnungslos klischeehaft und voller Ressentiments. Es ist aber auch ungeniert reaktionär: Der Spot greift die Entwicklung auf, dass Väter heute selbstverständlicher direkt für ihre Kinder sorgen als vor Jahrzehnten und dass Väter für ihr Sorgerecht einstehen – aber er präsentiert das als Unglück für die Kinder, die froh wären, wenn sie wieder ganz bei der Mutter sein könnten.

In der überraschend offenen Verachtung für Väter, die EDEKA damit vorführt, lässt sich leicht übersehen, dass das Bild, das der Spot von Frauen entwirft, eher noch schlimmer ist.

Denn offenkundig richtet sich diese Muttertagswerbung vorwiegend an Frauen, die ja schließlich auch den größten Teil der Kaufentscheidungen treffen – so wie sich die Kinder im Off an die Mütter, nicht an die Väter richten. Aus der Art und Weise, wie wir jemanden ansprechen, lässt sich wiederum auf das Bild schließen, das wir von diesem Menschen haben.

EDEKA/Jung v. Matt kalkulieren offenbar damit, dass ein Dank an Mütter bei ihnen besser ankommt, wenn zugleich Väter lächerlich gemacht und abgewertet werden. Der Werbespot zielt so offen auf tiefe Ressentiments und rechnet so ungeniert mit ihnen, dass er darin gewagt und fast schon wieder reizvoll ist.

Seine Macher müssen, wenn sie sich Erfolg erhoffen, davon ausgehen, dass einem Großteil der Mütter die Abwertung der Väter wichtiger ist als die eigene Aufwertung: denn mit Ausnahme der wenigen letzten Sekunden kreist dieser ganze Muttertags-Spot schließlich ausschließlich um Väter.

EDEKA und Jung von Matt produzieren damit ein vernichtendes Frauenbild: ein Bild unziviler, gehässiger Menschen, denen die Herabwürdigung anderer wichtiger ist als der eigene Erfolg – oder die sich gar nur dann wirklich erfolgreich fühlen können, wenn andere zugleich lächerlich gemacht werden.

Schlimmer noch: Die Väter im Film sind Rollenbilder, inszeniert durch Schauspieler, und jeder Mann kann sich von diesen Darstellungen distanzieren. Die Frauen aber, die EDEKA und Jung von Matt meinen, sind real: Es sind ihre Kundinnen.

(...) Was würde wohl geschehen, wenn in einem Nachfolgespot der letzte Satz wäre: "Danke, Mama, dass du keine Türkin bist"? Oder "Danke, Papa, dass du kein Schwuler bist"?

(...) Dass die Werber sich vieles davon versprechen, diese Feindseligkeit ausgerechnet gegen Väter zu richten, ist daher kein Zufall. Einerseits sind Väter tatsächlich keineswegs in einer starken Position. Noch vor wenigen Jahren konnte die deutsche Gesetzgebung, die Vätern fast keine eigenständigen Rechte zubilligte, erst auf Intervention des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte leicht verbessert werden. Institutionell und rechtlich sind Väter noch immer weit von gleichen Rechten entfernt.

In den Klischees politischer Diskurse aber sind Väter mächtig, rücksichtslos, egoistisch – und das gilt ausgerechnet besonders stark für Diskurse von Menschen, die sich selbst für progressiv, informiert und emanzipiert halten. Während Väter einerseits also nicht die Position haben, um eine ernsthafte Gegenwehr organisieren oder auf politischen Beistand hoffen zu können, erscheinen sie andererseits als so mächtig, dass auch offen gehässige Angriffe auf sie als harmlos dastehen.

(...) Die Verantwortlichen von EDEKA und Jung von Matt sind nicht notwendigerweise Menschenfeinde – sie kalkulieren lediglich durchaus zynisch damit, dass aus Menschenfeindlichkeit Kapital zu schlagen ist. Das ist auch deswegen beunruhigend, weil dieses Kalkül nicht irre und abwegig ist und weil wir davon ausgehen können, dass die Verantwortlichen nicht aus Wut handeln, sondern ruhig gerechnet haben und zu der Überzeugung gekommen sind, dass der Einsatz von Menschenfeindlichkeit sich rentieren wird.

Es ist wichtig, dass dieses Kalkül sich als falsch erweist. Ich werde daher tatsächlich in aller Ruhe, auch wenn ich mir dabei vermutlich blöd vorkommen werde, dem Geschäftsführer des kleinen EDEKA bei mir um die Ecke erklären, warum ich bei ihm nichts mehr einkaufen will.

Denn wenn das Kalkül von EDEKA und Jung von Matt Erfolg hat, dann wird es auch für andere ein Signal sein, dass es sich lohnt, Feindseligkeit gegen einzelne Menschen und Menschengruppen zu kultivieren und zu bewerben.

(...) Einen schönen Vorschlag habe ich auch in der Diskussion zum Spot bei "Alles Evolution" gefunden: "Kleine Kampagnenidee: Schreibt Euren lokalen Edeka-Markt an und fragt, was man dort von der Werbung hält. Habe das gerade erledigt und natürlich auch angefragt, ob man sich nicht als lokaler Markt (sind ja meist inhabergeführte Märkte) von der Werbung (öffentlichkeitswirksam, z.B. per Aushang im Markt) distanzieren möchte."


Auch aus einem anderen Grund leidet momentan der Ruf von EDEKA. Dabei kann der Konzern schlechte Publicity derzeit schlecht gebrauchen. Vielleicht ist die väterfeindliche Reklame ein verzweifelter Versuch, Rummel zu erzeugen, mit dessen Hilfe EDEKA die bisherige Marktposition halten möchte.

Übrigens: Rewe liefert Lebensmittel sogar direkt nach Hause.



2. Heute ist Welttag der genitalen Selbstbestimmung.

Siehe zu diesem Thema auch den Artikel "Es geschah bei lokaler Betäubung."



3. Muss ein Mann heutzutage eigentlich mit ALLEM rechnen? Zu einem ebenso bizarren wie erschreckenden Fall von Falschbeschuldigungen sexueller Gewalt kam es in Australien.

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