Sexualpolitisch aufgeladene okzidentale Überlegenheitsnarrative und paradoxe Rückkopplungsaspekte von Fremd- und Eigenwahrnehmung, fuck yeah! – News vom 18. März 2017
1. Unter der Überschrift "Kaum jemand wagt es, zu kritiseren" beschäftigt sich Birgit Schmid in der Neuen Zürcher Zeitung damit, wie mit der Gender-Lobby die politische Korrektheit an die Universitäten kam. Hierzu gehört ein weiterer Artikel Schmids, "Sie kämpfen am Stehpult", der deutlich ausführlicher ist. Ein Auszug:
Das Geschlecht sei politisch, sagte die Gender-Forschung weiter und erhob diesen Satz zum Programm. Und gerade deshalb wird ihr wissenschaftlicher Anspruch heute immer öfter infrage gestellt. Man wirft ihr vor, die Wissenschaft zur Kampfzone zu machen und die Vorlesung zur Predigt. Darf sich etwas Wissenschaft nennen, dessen Vertreterinnen eher eine Gesinnung eint, statt dass sie für ihre Theorie Beweise liefern?
(...) Trotzdem fragt man sich, zu was für Erkenntnissen die eng vernetzte Gender-Gemeinschaft bisher beigetragen hat – und was sie genau macht mit ihren Fördergeldern. Liest man sich durch die Forschungsprojekte, entsteht vor allem der Eindruck, dass man die sperrige Sprache beherrschen muss, um dazuzugehören. Da lautet ein Titel: "Musik und Gender: Othering und Selbstaffirmierung in der europäischen Musikgeschichte. Warum spielen mehr Männer E-Gitarre als Harfe?". Um "Sexuellen Exzeptionalismus" geht es in einem Gastvortrag am 20. März an der Uni Basel: Die Referentin von der Berliner Humboldt-Universität beschäftigt sich "mit sexualpolitisch aufgeladenen okzidentalen Überlegenheitsnarrativen und paradoxen Rückkopplungsaspekten von Fremd- und Eigenwahrnehmung der abendländischen Liebes- und Sexualordnung". (...) Die Absicht, die Welt gleicher zu machen, scheitert schon an der elitären Vermittlung. Man richtet sich nicht an andere, sondern nur an die Eingeschworenen. Eine Elite predigt die Gleichheit.
2. In dem Artikel Schwierigkeiten beim Abbruch von Schweigemauern beschäftigt sich der Gymnasiallehrer und Blogger Lucas Schoppe noch einmal mit Cassie Jayes Männerrechtler-Doku "The Red Pill". Erfreulicherweise ist Schoppe damit einverstanden, dass ich ihn hier sehr ausführlich zitiere:
Das eigentlich ist das Zentrum des Films: Ein empathischer Blick auf Männer und Jungen. In deiner Szene sieht sich Jaye gemeinsam mit einer anderen Frau einen Film über die Beschneidung eines Jungen an. Der Frau stehen die Tränen in den Augen, Jaye wirkt zunächst gefasst – und greift dann auch zum Taschentuch.
"Es gibt da draußen einen Ozean des Leidens" (There’s an ocean of pain out there) – der pathetische Satz Dean Esmays aus seinem Interview wirkt vor dem Hintergrund der vielen Informationen eben gar nicht mehr deplatziert oder lächerlich.
Vertreter und Vertretrerinnen feministsicher Positionen erscheinen dagegen plötzlich als gefühlskalt. Katherine Spillar vom Ms. Magazine etwa erklärt, Männer hätten lediglich damit Probleme, dass das Spielfeld mittlerweile ausgeglichen sei, nachdem es zuvor beständig zu ihren Gunsten abschüssig gewesen wäre.
Sie übernimmt das Bild vom "levelling of the playing field" aus dem Buch Angry White Men von Michael Kimmel. Der wiederum erklärt hier lachend, Männer hätten zwar manchmal einen "Scheiß-Deal" (crappy deal) abbekommen, sollten aber doch bitte nicht Feministinnen dafür verantwortlich machen.
Michael Messner, Soziologe und Gender-Professor, erklärt spitz, Männer würden sich ohnehin erst nach Trennungen für ihre Kinder interessieren, nachdem sie sich zuvor kaum um sie gekümmert hätten.
Besonder nachteilig präsentiert sich eine Feministin, die wegen ihrer leuchtend roten Haare nur "Big Red" genannt wird. Sie ist an der University of Toronto im Jahr 2013 an massiven Störmanövern beteiligt, die schließlich ausgerechnet eine Veranstaltung zum Geschlechterdialog verhindern. Nach einem falschen, absichtlich betätigten Feueralarm ist die Veranstaltung gesprengt, und Big Red begegnet draußen einigen Menschen, die an ihr teilnehmen wollten. Big Red liest einen feministischen Text vor und beschimpft andere rüde ("Shut the fuck up ... .I’m reading, fuckface"). Später, im Interview mit Jaye, beschimpft sie Männer, die über den Verlust ihrer Kinder klagen, als "dipshit" und besteht darauf, dass all ihre Probleme ohnehin vom Patriarchat verursacht würden.
Hier wird verständlich, warum Feministinnen den Film so massiv attackieren. Er bedroht das Selbstbild, für Geschlechtergerechtigkeit und Menschlichkeit einzutreten – und dies eben dadurch, dass nicht nur über Männer geredet wird, sondern Männer selbst ausführlich zu Wort kommen. Wer die Perspektive anderer nicht ganz ausblenden kann, der nimmt eben auch wahr, wie er selbst von ihnen wahrgenommen wird – und kann sich dann das Selbstbild nicht mehr beliebig nach eigenen Wünschen gestalten.
Gegen Ende berichtet ein Redner bei einer öffentlichen Veranstaltung über ein neu gegründetes feministisches Zentrum zur Männerforschung, bei dem nicht nur Michael Kimmel und Gloria Steinem, sondern auch Eve Ensler wichtige Positionen innehätten – die Autorin der Vagina Monologues. Dass das Publikum darüber lacht, wird spätestens erklärlich, wenn die Situation gedanklich umgekehrt wird. Was wäre wohl, wenn ein Mann durch Penis-Monologe bekannt geworden wäre – und wenn er sich eben dadurch als Experte für Frauenleben und für den wissenschaftlichen Beirat eines Frauenforschungsinstituts qualifiziert hätte?
Dass eben ist ein Nachteil der Weigerung, Perspektiven anderer auf sich selbst wahrzunehmen – Menschen verlieren dabei auch den Sinn dafür, wann sie sich lächerlich machen.
Dass Feministinnen im Film deutlich schlechter wegkommen als Männer und Frauen, die für Männerrechte auftreten, ist jedoch nicht einfach Resultat einer womöglich perfiden medialen Inszenierung. Feministinnen (und Feministen) halten hier die Position durch, soziale Notlagen und Ungerechtigkeiten konsequent auf das Konto eines „Patriarchats“ zu buchen. Männerrechtler hingegen setzen nicht etwa die Fiktion eines Matriarchats oder einer Frauenherrschaft dagegen, sondern vertreten durchgehend vermittelnde Positionen. Elam etwa unterstreicht, dass es auf beiden Seiten sowohl Opfer als auch Täter gäbe (victims and perpetrators on both sides of the fence). Esmay betont, dass Feminismus keineswegs Wurzel allen Übels, sondern bloß Teil des Problems sei – er dämonisiere Männer und degradiere Frauen (demonizes men, diminishes women).
Die abstrakt bleibende Fiktion eines Patriarchats wird unglaubwürdiger mit jedem Beispiel für spezifisches Leid von Männern oder Jungen oder für deutliche Ungerechtigkeiten zu ihren Lasten. Die vermittelnde Position ist dagegen wesentlich realitätstauglicher, weil sie nicht darauf angewiesen ist, Teile der Wirklichkeit auszublenden. Die Fiktion eines Patriarchats wiederum lässt sich nur halten, wenn Erfahrungen und Perspektiven von Menschen verdrängt bleiben, die nicht in das Bild einer männlichen Herrschaft passen.
Wer es also Jaye zum Vorwurf macht, dass hier Feministinnen ein schlechteres Bild abgeben als Männerrechtler – der konzentriert sich vermutlich ganz auf die Idee, dass Wirklichkeit eine mediale Konstruktion sei. Sie hätte den Film anders konstruieren müssen.
(...) So stellt der Film schließlich implizit vor allem zwei Fragen, die offen bleiben. Warum wird die Rede von spezifisch männlichem Leid als ungeheure Provokation wahrgenommen? Und warum gibt es Menschen, die nicht nur selbst den Dialog darüber verweigern – sondern die zudem alles tun, damit auch niemand anderes darüber sprechen kann? Denn Bilder von massiven Störungen männerrechtlicher Veranstaltungen durchziehen den ganzen Film.
(...) Eigentlich müsste jeder Mensch, der sich mit Geschlechterpolitik beschäftigt, begierig darauf sein, ihn zu sehen – weil er eine neue, viel zu wenig vertretene Perspektive einbringt. Statt dessen aber reicht es feministisch inspirierten Aktivistinnen keineswegs, den Film einfach nicht anzusehen – es reicht ihnen nicht einmal, Menschen am Besuch einer Vorführung zu hindern – sie versuchen sogar, die Vorführungen insgesamt zu verhindern. Das hat eine unverkennbar kultische, abergläubische Dimension: Als wäre es schon eine unendliche Belastung, dass es das Böse überhaupt in der Welt gibt – selbst dann, wenn kein einziger Menschen Kontakt dazu haben kann.
Dabei müsste dieser Film eigentlich ein Schmuckstück in jeder feministischen Sammlung sein. Jaye tritt entschlossen für Gleichberechtigung ein – sie öffnet Geschlechterrollen, klärt umfangreich über spezifisches männliches Leid auf und erledigt damit wie nebenbei das Klischee des allzeit starken Mannes – und, vor allem: Der Film hilft dabei, soziale Realitäten anders zu sehen, als sie bislang routiniert und rituell gesehen worden sind.
Doch Jaye rechnet wohl schon mit den massiven feministischen Widerständen gegen diesen Film, und sie erklärt an seinem Ende, dass sie etwas hinter sich lassen musste: Sie würde sich nicht mehr als Feministin bezeichnen.
Vielleicht aber lässt sich auch das auch noch einer anderen Perspektive sehen. Jaye ist durchaus eine Feministin, aber eben eine, die dem feministischen Selbstbild entspricht. Es ist nur zwangsläufig, dass sie sich dann von der feministischen Realität distanzieren muss: von der verbissenen Weigerung, störende Aspekte der sozialen Wirklichkeit auch nur wahrzunehmen – von der gewaltsamen Verhinderung offener Dialoge – von der institutionalisierten und institutionell gemolkenen Geschlechterfeindschaft – und, vor allem, von der Spaltung der Menschlichkeit, mit der selektiert wird, welche Menschen ein Anrecht auf Empathie haben und welche nicht.
Unter Schoppes Artikel findet sich folgender Kommentar einer Leserin namens Renate:
Der Film ist natürlich insofern frauenfeindlich, als dass man sich als anständiger Mensch weiblichen Geschlechts zu Tode schämen muss angesichts der Realität.
3. Die Welt beschäftigt sich mal wieder mit dem Gender Pay Gap:
Personaler betonen, dass weibliche Mitarbeiter für exakt die gleiche Tätigkeit nicht weniger bekommen als männliche. "Unterschiedliche Bezahlung aufgrund des Geschlechts allein spielt kaum eine Rolle", sagt auch Stepstone-Geschäftsführerin Simone Reif. Sie hat die Gehaltsdaten von rund 60.000 Fach- und Führungskräften ausgewertet. Die Studie lag der "Welt" vorab vor.
(...) "Der wichtigste Tipp, um nicht in die Pay-Gap-Falle zu tappen, ist Selbstvertrauen. Frauen verhalten sich in Gehaltsverhandlungen oft zu bescheiden", findet Reif. Jede dritte weibliche Fachkraft habe noch nie nach einer Gehaltserhöhung gefragt. Das wirke sich direkt auf das Gehalt aus: Wer den Chef einmal im Jahr fundiert auf mehr Geld anspreche, bekommt einer Statistik zufolge rund ein Fünftel mehr Gehalt als die, die es nie tun.
Wer ein wenig deprimiert werden möchte: Die Zeitschrift Unicum hat mehrere Studenten und eine Professorin für Gender-Studien zu diesem Thema befragt. Die Studenten übernehmen das Weltbild der Gendertante komplett: "Das ist genau der gleiche Quatsch wie Rassismus – der ist doch auch vollkommen sinnlos." Was waren das für Zeiten, als alles noch so einfach war ...
4. In einem gelungenen Artikel stellt Cathy Young die Feministin Rebecca Solnit, der wir das Wort "Mansplaining" zu verdanken haben, als The Queen of Fakery vor – denn Solnit hat offenbar eine ähnlich eigentümliche Beziehung zur Wahrheit wie Donald Trump. Dabei kommt Cathy Young auch auf die Tendenz des aktuellen Feminismus zu sprechen, zahllose Frauen auszugrenzen:
It also illustrates a key fact about Solnit’s brand of feminism, in which women’s voices must be respected only if they are "womaning right." Those who don’t — female gamers who support GamerGate, female critics of "Yes Means Yes," women who like the wrong books — are promptly relegated to non-womanhood. No wonder feminism as we know it in 2017 leaves so many women cold.
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