Freitag, Juni 03, 2022

Das Urteil: Amber Heard kündigt Berufung an, Wehklagen in vielen Medien – News vom 3. Juni 2022

Während Amber Heard nach ihrem Prozess gegen Johnny Depp Berufung einlegen will, wird dieses Urteil in verschiedenen Medien bereits kommentiert und eingeordnet:

Der STERN zitiert einen Experten:

"Das Urteil ist eindeutig zugunsten von Johnny Depp ausgefallen, weil die Jury Amber Heard nichts geglaubt hat", sagte [der Anwalt für Familienrecht und Psychologe David Glass]. Die Geschworenen hätten lediglich ihrem Experten Glauben geschenkt, der behauptete, dass ihre Karriere "leicht beschädigt" worden sei.

Bezeichnend für beide Rechtsexperten sind die Summen, die die Jury im Urteil benannt hat. "Es ist sehr vielsagend, dass die Jury Johnny Depp zehn Millionen Dollar Schadensersatz plus fünf Millionen Dollar Strafschadensersatz zugesprochen hat, obwohl das Gericht bereits die letzte Summe reduziert hatte, weil Virginia nicht mehr als 350.000 Dollar Strafschadensersatz zulässt", erklärte Baker. "Das ist ein Strafschadensersatz, der sagt, dass uns nicht gefällt, was Sie getan haben. Diese Zahl von fünf Millionen ist eine Botschaft."

Die größere Botschaft sieht sie jedoch in der Summe, zu der Depp verpflichtet wurde. Heard seien zwar zwei Millionen Dollar Schadensersatz zugesprochen worden, aber gegen Depp sei keine Strafzahlung verhängt worden. "Das war meiner Meinung nach die klarste Botschaft, die die Jury gesendet hat." Die Geschworenen sehen demnach keine Schuld bei Depp, sondern allein bei Heard.


Auf Spiegel-Online berichtet Marc Pitzke unter der Schlagzeile "Sie glaubten dem Mann":

[Die Juroren] glaubten also (weitgehend) dem Mann. Das ist das Fazit dieses US-Sensationsprozesses, bei dem es nicht nur darum ging, wer wen misshandelt und verleumdet hat. Sondern nicht zuletzt auch darum, ob die #MeToo-Bewegung, die 2017 mit den Vorwürfen gegen den später zu 23 Jahren Haft verurteilten Hollywoodproduzenten Harvey Weinstein weltweit explodiert war, heute so noch Bestand haben kann.

(…) Heards Niederlage könnte »abschreckende Wirkung« auf künftige Missbrauchsopfer haben, sagte die auf solche Vorwürfe spezialisierte Anwältin Mackenna White der "New York Times". "Die absolute Vernichtung von Amber Heard wird Folgen haben." Andere beschwörten bereits den symbolischen "Tod von #MeToo" herauf. Der Depp-Prozess sei eine "der schlimmsten Diffamierungen" der Bewegung gewesen, die man je erlebt habe, klagte deren Führung.

"Depps Klage ist Teil eines Trends", berichtete das Magazin "Mother Jones". Seit Beginn von #MeToo wehrten sich immer mehr Männer mit Verleumdungsklagen gegen Frauen, die ihnen Missbrauch vorwerfen, auch um sie mundtot zu machen.

(…) Schnell wurde das Verfahren zum "Hexenprozess des digitalen Zeitalters". (..) Am Ende lief es darauf hinaus, wer glaubwürdiger erschien. Sprich: Wer vor Gericht die beste Show abgab. (…) Die überwältigende Mehrheit der Fans stand auf Depps Seite, während Heard einer massiven Online-Hasskampagne unterworfen wurde. Sie selbst hatte dieses Schicksal vorausgesehen: "Ich wurde zu einer öffentlichen Figur, die häuslichen Missbrauch repräsentierte", schrieb sie schon 2018 in ihrem inkriminierten Essay, "und ich bekam die volle Gewalt der Wut zu spüren, die unsere Kultur auf Frauen hat, die ihre Stimme erheben."


Im britischen Guardian klagt Moira Donegan:

Das seltsame, unlogische und ungerechte Urteil hat zur Folge, dass Depps angeblicher Missbrauch von Heard sanktioniert und Heard dafür bestraft wird, dass sie darüber spricht. Es wird verheerende Auswirkungen auf Überlebende haben, die nun mit dem Wissen zum Schweigen gebracht werden, dass sie nicht über ihre Gewalterfahrungen durch Männer sprechen können, ohne dass ihnen eine ruinöse Verleumdungsklage droht. In diesem Sinne ist die Redefreiheit von Frauen gerade viel weniger frei geworden.

(...) Der Prozess hat sich in eine öffentliche Orgie der Frauenfeindlichkeit verwandelt. Auch wenn sich der größte Teil des Hasses nominell gegen Heard richtet, wird man das Gefühl nicht los, dass er sich in Wirklichkeit gegen alle Frauen richtet - und insbesondere gegen diejenigen von uns, die auf dem Höhepunkt der #MeToo-Bewegung über geschlechtsspezifischen Missbrauch und sexuelle Gewalt gesprochen haben. Wir befinden uns in einer Zeit heftiger antifeministischer Gegenreaktionen, und die bescheidenen Errungenschaften, die in dieser Ära erzielt wurden, werden mit einer schadenfrohen Zurschaustellung von Opferbeschuldigung in großem Stil wieder zurückgenommen. Eine Frau wurde zum Symbol einer Bewegung gemacht, die viele mit Angst und Hass betrachten, und sie wird für diese Bewegung bestraft. Auf diese Weise befindet sich Heard immer noch in einer missbräuchlichen Beziehung. Aber jetzt ist es nicht nur mit Depp, sondern mit dem ganzen Land. (...) Was passiert mit Frauen, die Missbrauchsvorwürfe erheben? Sie werden öffentlich an den Pranger gestellt, stehen beruflich auf der schwarzen Liste, werden gesellschaftlich geächtet, in den sozialen Medien endlos verspottet und verklagt.

(...) Die Kräfte der frauenfeindlichen Reaktion sind jetzt vielleicht sogar noch stärker, weil sie vorübergehend zurückgedrängt worden sind. Wo Frauen sich einst massenhaft weigerten, die Geheimnisse von Männern zu bewahren oder über die Wahrheit ihres eigenen Lebens zu schweigen, zielen nun ein Wiederaufleben des Sexismus, heftige Online-Belästigungen und die Androhung von Klagen darauf ab, Frauen wieder zum Schweigen zu zwingen - mit Gewalt. In gewisser Weise könnte man die Verleumdungsklage selbst als eine Fortsetzung von Depps Missbrauch von Heard sehen, als einen Weg, seine Demütigung und Kontrolle über sie zu verlängern. Der einzige Unterschied besteht darin, dass jetzt das Rechtssystem und die Öffentlichkeit dazu gezwungen wurden, mitzumachen.


In der Berliner Zeitung sieht Henning Backhaus die Dinge anders:

Über allem stand jedoch der Kampf um die Deutungshoheit und Johnny Depps Versuch, seine öffentliche Reputation wiederherzustellen. Er selbst gibt letztlich den Medien eine Mitschuld an dieser Situation. Depp im Zeugenstand wörtlich: "In der Sekunde, in der die Anschuldigungen gegen mich erhoben wurden und zu einem gefundenen Fressen für die Medien wurden... da hatte ich verloren." Das ist der Grund, warum sich seine Anwälte für Streaming-Kameras im Gerichtssaal stark machten und der Prozess sechs Wochen lang live verfolgt werden konnte.

(…) Selten gab es einen so breiten und unverstellten Blick in die Tristesse der kalifornischen Oberschicht, vielleicht der US-Gesellschaft überhaupt: auf der einen Seite die Gewinner einer Entertainment-Branche, die Millionen Dollar anhäufen, auf der anderen ihre schlecht bezahlten Angestellten, die als De-Facto-Leibeigene den Alltag managen. (…) Als wandelnder Terminkalender, Umschlagplatz zum Rest der Welt und Mülleimer für Emotionen aller Art hatte die alleinerziehende Mutter auch an Sonntagen oder nachts zur Verfügung zu stehen, entlohnt wie eine Halbtagskraft, selbstverständlich ohne zusätzliche Vergütung. Als Kate James um eine Gehaltserhöhung bittet, spuckt ihr ihre Arbeitgeberin Amber Heard ins Gesicht.

Immer wieder waren es die Anekdoten eines neofeudalen Arm-Reich-Gefälles, die in der Aufarbeitung der Ereignisse ihre Spuren hinterließen, Wohlstandsverwahrlosung auf der einen Seite, prekäres Abstrampeln auf der anderen. (…) Sie alle vereint vor dem Hintergrund eines inzwischen paranoiden Studiosystems, wo jeder aussortiert wird, der auch nur in die Nähe des Verdachts sexuellen Missbrauchs gerät.

In den langen Stunden, in denen Amber Heard im Zeugenstand sprach, konnte man tatsächlich nur bei oberflächlicher Betrachtung den Eindruck eines einseitigen Ehe-Martyriums gewinnen. Nahezu mustergültig traten die Merkmale der narzisstischen Persönlichkeitsstörung zu Tage, die ihr zuvor von der forensischen Psychologin Dr. Curry attestiert wurden: das Imitieren des jeweiligen Kleidungsstils von Johnny Depp oder der Psychologin Dr. Curry selbst, stets am Folgetag. Immer drastischer wurden ihre exaltierten Schilderungen (Schläge ins Gesicht, Missbrauch mit Flasche, Nachrichten mit Blut geschrieben), um innerhalb von Sekunden in höhnisches Lächeln oder herablassende Blicke umzuschlagen.

(…) Nun kann man darüber streiten, ob das Urteil der Internet-Öffentlichkeit lange vor dem Urteil der Geschworenenjury der Schauspielerin Unrecht tat. Die Ungereimtheiten von Heards Anschuldigungen ließen sich jedoch immer weniger von der Hand weisen. Im Gegenteil, die Tonaufnahmen, in denen sie offen zugibt, ihren Ehemann geschlagen und ihm die Tür in den Kopf gerammt zu haben, lassen wenig Interpretation zu.

Nach Heards erstem Kreuzverhör hatten die Medien auffällig verhalten reagiert. Noch immer scheint die Vorstellung ungeheuerlich zu sein, dass Frauen toxische Lügnerinnen und Männer Opfer weiblicher Gewalt sein können. Der Guardian nennt den Fall noch immer eine "Orgie der Frauenfeindlichkeit", ein Narrativ, dass sich schlicht nicht aufrecht erhalten lässt, wenn man den Prozess durchgehend verfolgt hat.

Unter den Prozessvideos sind es vor allem die Kommentare vieler Frauen, die Amber Heard keinen Glauben mehr schenken wollen. Immer wieder stehen dort Berichte eigener Erfahrungen mit häuslicher Gewalt, die sich schließlich genau deshalb auf die Seite Johnny Depps stellen. Auch Männer melden sich mit Missbrauchserfahrungen zu Wort.

Entscheidend ist aber die Signalwirkung des Falls Depp vs. Heard und die Chance, dass sich hier der öffentliche Diskurs erweitern könnte: Ein Mann ist nicht immer automatisch der Täter, eine Frau nicht immer das Opfer. Das ist es letztlich, was den Prozess meilenweit aus dem Boulevard heraushebt und ihm eine gesellschaftliche Relevanz verleiht.


In der "Zeit" urteilt Maja Beckers:

Viele Depp-Unterstützer begründen ihre Euphorie damit, dass es darum ginge, männlichen Missbrauchsopfern zu Sichtbarkeit zu verhelfen. Insofern sei der Fall nicht das Ende von #MeToo, wie es jetzt vielerorts heißt, sondern eine Ausweitung auf #MenToo. Wenn sich in Zukunft wirklich mehr männliche Missbrauchsopfer trauen sollten, über ihre Erfahrungen zu sprechen, dann wäre das in der Tat wenigstens eine gute Sache, die aus dieser shitshow hervorginge. Aber diese Position hat ein Problem: Im nun zurückliegenden Prozess wurde nicht verhandelt, ob Depp Gewalt erlebt hat, sondern ob Heard sie erlebt hat. Und die Art, wie mit ihr als mutmaßlichem Missbrauchsopfer umgegangen wurde, sendet eine andere Botschaft: Wenn du keine absolut stichhaltigen Beweise hast, dann lass es lieber, sonst droht eine Verurteilung wegen Verleumdung.


In der Frankfurter Allgemeinen schreibt Nina Rehfeld über die Reaktionen auf den Prozess im Internet:

Die Boshaftigkeiten und Herabwürdigungen richteten sich fast ausschließlich gegen Amber Heard – ganz so, als hätte MeToo nie stattgefunden, als hätte es keinen Erkenntnisgewinn über die vielen Formen von Übergriffigkeit gegeben. (…) Die Verhandlung der gegenseitigen Verleumdungsklagen von Johnny Depp und Amber Heard reflektiert die rasant schrumpfenden Kapazitäten der Amerikaner für wichtige gesellschaftliche Debatten, und sie setzt neue Standards der Auseinandersetzung. Gewonnen haben Netzwerke wie Tiktok und Twitter, auf denen Hohn und Spott und Desinformationen zu einem enormen Nutzerengagement führten; opportunistische Publikationen wie der "Daily Wire", die mit Anti-Amber-Werbespots Nutzer auf ihre Seiten lockten; und die wachsende Horde von Desinformationshändlern im Netz, die einmal mehr fruchtbaren Boden für wilde Verschwörungstheorien fanden. Verloren hat eine Gesellschaft, die nicht mehr in der Lage ist, sich ernsthaft mit wichtigen Themen auseinanderzusetzen.


Der Tagesspiegel diagnostiziert eine "Hexenjagd", die "die historischen Hintergründe für den Frauenhass spiegelt, der sich in den sozialen Medien breitgemacht hat."

Die linke Website "The Daily Beast" beklagt das "ohrenbetäubende Schweigen" von Hollywoods Feministinnen zu dem Unrecht, das Amber Heard widerfuhr. Der Artikel steht hinter einer Bezahlschranke.

Schon vor dem Urteil betrachtete das Nachrichtenportal "Vox" das Gerichtsverfahren als eine Katastrophe:

Das Narrativ des Prozesses wurde zum Teil durch eine Armee von Bots geprägt, die nach Ansicht mehrerer Forscher eine für Depp günstige Rhetorik verbreiteten. Ein Forscher fand mehr Bots zugunsten von Heard, sagte aber, dass die meisten dieser Bots von Drittanbieter-Apps stammten, die versuchten, aus dem Prozess Kapital zu schlagen; in der Zwischenzeit fanden sie heraus, dass der höchste Pro-Depp-Bot-Post fast 20.000 Mal geteilt wurde. Die Arbeit dieser Bots wurde durch "Männerrechtsaktivisten" weiter verstärkt - der Teil der rechtsextremen "Manosphäre", der beschlossen zu haben scheint, dass die Diskreditierung von Amber Heard der Schlüssel zur Zerstörung jeder Frau ist, die Männer des Missbrauchs oder der häuslichen Gewalt beschuldigt.


"Männer gewinnen immer: Überlebende angeekelt vom Amber-Heard-Urteil" betitelt das Magazin "Rolling Stone" ein endloses Lamento, in dem es heißt:

Im Zuge der #MeToo-Bewegung, die deutlich gemacht hat, wie allgegenwärtig Missbrauchstäter sind, und die Überlebenden auf der ganzen Welt eine Stimme gegeben hat, scheint es unvorstellbar, dass eine Frau mit dem Vorwurf sexueller und körperlicher Gewalt gegen einen prominenten Mann an die Öffentlichkeit tritt und in dem Ausmaß beschämt und verleumdet wird, wie es bei Heard der Fall war. Einige haben vorgeschlagen, dass die Abneigung gegen Heard eine Reaktion auf die #MeToo-Bewegung sein könnte und dass die Pro-Depp-Fraktion eine seit langem schwelende, von Männerrechtsaktivisten angetriebene Online-Bewegung ist, die kürzlich von Fans übernommen wurde.


Im Wiener Standard befindet Beate Hausbichler:

Das ist ein Urteil, das Opfern von Gewalt die Rute ins Fenster stellt – und deshalb weitreichende Folgen haben wird. Es festigt die ohnehin schon bei so vielen Frauen große Sorge darüber, was alles schiefgehen, kann wenn sie öffentlich über Gewalterfahrungen sprechen. (…) Es ist im Grunde alles derart klassisch, dass man kaum glauben will, dass sich das gerade im Jahr 2022 abspielt. Eine jüngere, weniger berühmte Frau legt sich – wenn erst auch nur indirekt – mit einem prominenteren, älteren und lange Zeit deutlich erfolgreicheren Mann an. Sie kommt nicht nur mit ihrer Darstellung der Geschehnisse nicht durch – das kann bei einem Prozess nun mal passieren. Aber nein, das reicht nicht, sie wird auch noch öffentlich durch den Dreck gezogen. Sie muss am Ende voraussichtlich gut acht Millionen Dollar zahlen – und zahllose andere Frauen zahlen ebenso einen hohen Preis.


In der "Welt" schreibt Lena Karger:

Der Prozess hat in den Menschen eine Wildheit entfacht, die an Haie im Blutrausch erinnert. Wochenlang wurde eine Frau gedemütigt, beleidigt und parodiert, die ein mutmaßliches Opfer sexueller Gewalt war. (…) Vielleicht sind wir tief in uns doch noch mehr Mittelalter als MeToo. Im Rausch blinder Unterhaltungsgier wurde eine Frau öffentlich zerfetzt. Folgt nach dem Fest der Kater und die Scham, wenn sich die Videoschnipsel langsam legen? Vielleicht können wir unserem inneren Raubfisch auch verzeihen, denn die Show war einfach gut. Alles hat so schön gepasst.


"Im Zweifel für den (reichen) Mann" titelt der STERN.

Während Heard auf Ernsthaftigkeit bedacht war, sogar in Tränen ausbrach, tat sich Depp mit Grinsen, trockenen Kommentaren und kleinen "Fluch der Karibik"-Gags hervor. Er wusste, wie er sein Publikum bedient - und die Rechnung ging auf. Dass sie dies nicht im Kino, sondern im einem Gerichtssaal, in dem über häusliche Gewalt gesprochen wurde tat, sagt viel über die gesellschaftliche Sehnsucht nach Idolen und Unterhaltung aus. Und es zeigt, dass die #MeToo-Bewegung offenbar krachend gegen eine Wand gefahren ist. Zumindest, was die öffentliche Meinung angeht. (…) Wer das Geld hat, hat gewonnen. Im Zweifel für den reichen Mann. Und das wiederum ist kein neuer Trend, sondern eine jahrtausendealte Regel, deren Gültigkeit mit dem Urteil in Virginia wieder eindrücklich bewiesen wurde.


Die New York Times erklärt, warum wir alle über das Urteil unglücklich sein sollten:

Der Prozess brachte Depps Vergangenheit mit Drogenmissbrauch und Gewaltausbrüchen ans Licht. Seine laut vorgelesenen Textnachrichten über seine Ex-Frau waren so grob, dass sie hier nicht abgedruckt werden können. Heard gab zu, Depp geschlagen zu haben, was sie als Selbstverteidigung bezeichnete. Und sie war gezwungen, grafische Details von angeblichen körperlichen und sexuellen Übergriffen zu erzählen. Sie hat auch Morddrohungen erhalten.

In der Zwischenzeit haben die Opfer häuslicher Gewalt diesen Fall mit Entsetzen verfolgt. Es scheint, dass wir nicht klüger geworden sind, was die komplizierten und manchmal chaotischen Realitäten des Missbrauchs in der Partnerschaft angeht. Wenn überhaupt, dann haben wir jedes noch so kleine Klischee aufrechterhalten. Der Prozess hat kein neues Verständnis für die #metoo-Bewegung geweckt.

Selbst nach all unseren Erklärungen, dass wir jetzt besser sind, dass wir aus der Behandlung von Frauen wie Monica Lewinsky oder Britney Spears gelernt haben, sind wir nicht näher daran, die Art von Kultur zu sein, die solche Ereignisse nicht im Fernsehen überträgt, die aus dem Unglück von Prominenten kein Kapital schlägt, die sich nicht daran ergötzt, zu sehen, wie eine Frau zu Fall gebracht wird. Wie Lewinsky es diese Woche in einem Essay für Vanity Fair ausdrückte: Wir sind alle schuldig.


Ich finde bemerkenswert, dass ich unter all den von mir gesichteten Medienreaktionen allein die Berliner Zeitung als journalistische Plattform gefunden habe, die sich gegen Amber Heard positioniert. Es gibt keine Artikel, die beklagen, was Johnny Depp in den letzten Jahren durchgemacht hat, oder die sich mit ihm über das Urteil der Jury freuen. Da es bei den nicht-journalistischen Beobachtern des Prozesses komplett anders aussieht, ist diese Einmütigkeit auffällig. Dieselbe überwältigende Mehrheit, die sich im Internet für die eine Deutung zeigt, zeigt sich in den etablierten Medien für die entgegengesetzte. Dort will man den gewohnten Frame "Frau als Opfer" auch im Fall Amber Heards um keinen Preis verlassen. Wer die Dinge anders sieht, ist von bösen Männerrechtlern aufgehetzt oder Johnny Depps Charisma erlegen. Während sich nach wie vor kaum ein Journalist auf die Seite Depps stellt und die Beweislage gegen Amber Heard würdigt, kann dieses Dauerbombardement an Einseitigkeit zugleich nur noch die Wenigsten überzeugen. Zwischen Journalisten, die unermüdlich erklären, wie die Dinge wirklich lägen, und ihren Lesern ist eine Kluft entstanden, die sich dann nicht mehr überbrücken lässt, wenn die Leser die Chance haben, das Objekt der Berichterstattung – hier also das Gerichtsverfahren – ohne journalistischen Filter wahrzunehmen.

Immerhin schreibt die Neue Zürcher Zeitung:

Nicht das Gerichtsurteil ist ein Schlag ins Gesicht der Frauen, und die Jury hat für die #MeToo-Bewegung auch nicht das Totenglöcklein geläutet. (…) Wenn die Bewegung und ihre Gegner auch nur ein Quentchen Vernunft besitzen, dann könnten sie, sobald die Erregung der Nüchternheit Platz gemacht hat, ein paar Lehren ziehen. Sie lauten ganz einfach und bilden die Grundlage unseres Rechtsverständnisses: Niemand ist schuldig, bevor nicht die Schuld rechtskräftig bewiesen ist. Und, so schrecklich es klingen mag: Ein Opfer hat nicht darum schon recht, weil es behauptet, ein Opfer zu sein.




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