SPIEGEL stellt deutsche Männerbewegung vor: "Vielleicht ist es Zeit für Maskulismus"
Einer meiner Leser schreibt mir heute:
Haben Sie schon den aktuellen Print-Spiegel gesehen ? Sensationell! Ein seitenlanger Text, der die Geschlechterdebatte aus männlicher Sicht beleuchtet, die richtigen Themen anspricht und die richtigen Fragen stellt. Erstaunlich, dass Sie nicht erwähnt werden, der Autor muss einiges von Ihnen gelesen haben. Im Spiegel! Wenn das man mal nicht Klassenkeile gibt.
Ich war für ein Interview für diesen Artikel leider ausgerechnet dann angefragt worden, als mich Ende Februar/Anfang März eine Grippe derart umgeworfen hatte, dass selbst Genderama für einige Tage stillgelegt werden musste. Sobald ich dazu fähig war, habe ich mit dem zuständigen SPIEGEL-Autor Jochen-Martin Gutsch (der zuvor schon mal Thema auf Genderama war), per Mail Kontakt aufgenommen und ihn auf die meiner Einschätzung nach wichtigsten Materialien aufmerksam gemacht. Es würde mich freuen, wenn ihm das bei seiner Recherche geholfen hat.
Der SPIEGEL-Artikel, der nur im Anriss online steht, findet sich auf den Seiten 50 bis 54 der aktuellen Ausgabe. Er beginnt mit einer Einschätzung der Lage durch den Männercoach Björn Leimbach, der für 3000 Euro Seminare gibt, um Männer selbstbewusster zu machen. (Leimbach: "Männliche Aggression ist heute total verpönt. Erst recht seit #MeToo. Aber positive Aggression ist total wichtig für einen Mann. Also: Entscheidungen treffen, Konflikte offen ansprechen, Haltung zeigen. Die Männer sind heute übertrieben gefühlig und furchtbar ängstlich im Umgang mit Frauen.")
Gutsch kommentiert Leimbachs Einschätzung so:
Vor einem halben Jahr hätte man über Drill-Sergeant Bjørn Leimbach vermutlich gedacht: bisschen schräger Ansatz, den er da hat. Aber vielleicht ist ja was dran. Heute, in Zeiten von #MeToo, sitzt man hier, zuckt bei jedem zweiten Satz zusammen und spürt, wie sofort das politisch korrekte Alarmsystem anspringt. (...) Heute ist Männlichkeit eher ein Krankheitsbild. Von "toxischer Männlichkeit" ist jetzt oft die Rede, von "hegemonialer Männlichkeit", das Männliche umweht der Vorwurf des Reaktionären und wird im gesellschaftlichen Diskurs fast ausschließlich negativ assoziiert mit: Egoismus, Gier, Machthunger, Gewalt, Krieg, Sexismus oder dem "alten weißen Mann" – der großen Hassfigur der Gegenwart.
In der zweiten Passage des Artikels werden die Betreiber der Männerwohnhilfe Oldenburg vorgestellt, darunter Wolfgang Rosenthal, die männlichen Opfern häuslicher Gewalt ein zeitweiliges Obdach gewähren. Die Betreiber erläutern, dass geprügelte Männer in unserer Gesellschaft weniger als Opfer denn als Witzfiguren wahrgenommen werden, und dass sie für ihre Männerwohnhilfe keinen einzigen Cent an öffentlichen Geldern erhalten. Sämtliche Versuche scheiterten an einem Männerbild, in dem der Mann nur als Täter vorkommt.
Es ist im Prinzip das gleiche eindimensionale Männerbild, das auch die #MeToo-Debatte prägt. Das gleiche Männerbild, welches seit Ewigkeiten in gesellschaftlichen Institutionen, in deutschen Ämtern, Gerichten, in der Kindererziehung, in Filmen oder in der Politik präsent ist. "Von der Politik kommt bis heute nur Gegenwehr", sagt Rosenthal. "Am Anfang hieß es im Sozialausschuss der Stadt: Jetzt wollt ihr den gewalttätigen Männern auch noch Schutz anbieten! Die konnten oder wollten nicht verstehen, was wir hier machen. Später hieß es dann: Euer Projekt ist frauenfeindlich. Das fördern wir nicht."
Die dritte Passage des Artikels ist Matthias Franz gewidmet, Professor für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universität in Düsseldorf sowie Ausrichter mehrerer Männerkongresse. Franz bezeichnet den männlichen Identitätskern in unserer Gesellschaft als "zerrüttet" und spricht darüber, dass auch Frauen Männer in deren Rollenkäfig gefangen halten:
"Ich habe das in vielen Therapien mit Frauen erlebt: Wenn der Mann aus seiner traditionellen Rolle aussteigt und schwächelt und gefühlig wird oder nicht mehr Vollzeit arbeiten will oder sich mal eine Depression leistet, dann bekommen viele Frauen große Ängste. Der starke Mann ist weg! Insbesondere intellektuelle Frauen sind vom schwachen Mann völlig irritiert."
Die gesamte Geschlechterdebatte, so Franz, werde ideologisch und an der Realität vorbei geführt. Sie beherrsche das Bild vom allseits privilegierten Mann – dass Männer auch den großen Bodensatz der Gesellschaft bildeten, darüber herrsche ein Schweigetabu. Für ihre diversen Benachteiligungen (Obdachlosigkeit, Selbstmorde, kürzere Lebenserwartung) interessierten sich die gesellschaftlich relevanten Instanzen nicht:
"Mal angenommen, es ginge hier um Frauen. Allein: dreimal so häufig Suizid! Was da los wäre! Eine Talkshow würde die nächste jagen, die Genderlobby würde heißlaufen, die Politik würde hektisch Präventionsprogramme verabschieden! Aber beim Mann interessiert das niemanden. Warum? Das alte Rollenbild: Männer sollen funktionieren und beim Sterben keine Umstände machen. Es ist das Männerbild des 19. Jahrhunderts, das noch immer weiterlebt."
Für die vierte Passage besucht Gutsch Dag Schölper vom Bundesforum Männer. Gutsch merkt hierzu an:
Als in den vergangenen Monaten die #MeToo-Debatte losging, als das ganze Land über das Verhältnis von Männern und Frauen debattierte, hätte man sich als Mann durchaus einen Repräsentanten gewünscht. Jemanden, der in den Talkshows sitzt und auf kluge Weise für die Männer streitet – für die anständigen jedenfalls. Dag Schölper aber saß in keiner Talkshow. Er gab kein einziges Interview. Er stellte keine Forderung und äußerte keine Meinung. Auf der Homepage des Bundesforums Männer findet sich kein Hinweis darauf, dass es die Debatte überhaupt gibt. Wie kann das sein? "Wir haben natürlich überlegt, ob wir uns zu der Debatte äußern oder uns eher zurückhalten", sagt Schölper. "Unsere Rolle war dann die des solidarischen Zaungastes."
Damit haben wir schon das ganze Dlemma: Die einzige staatliche Instanz, die es im Frauenministerium für Männer gibt, legt sich selbst Zurückhaltung auf. Andernfalls würde sie die ministerielle Gnade vermutlich auch zügig verlieren. Gutsch selbst spricht das in seinem Artikel an und bewertet Schölpers Schweigen als womöglich "zwangsläufige Entscheidung". Schölper, von dem ich bislang nichts gelesen habe, dem ich zustimmen würde, fasst immerhin treffend zusammen, warum das Männerthema in den großen Parteien keine Heimat hat:
Die Grünen machen bis heute ausschließlich Frauenpolitik. Bei der SPD ist es ähnlich. Die CDU sieht eine Männerpolitik kritisch, weil der "schwache Mann" nicht in ihr traditionelles Männerbild passt. Und die Linken, beeinflusst von der Genderwissenschaft, halten Männer und Frauen sowieso für überholte Geschlechterkategorien, die es zu überwinden gilt.
Hier liegt natürlich die sarkastische Formulierung nahe: Schade, dass im Deutschen Bundestag nur CDU, SPD, LINKE und Grüne sitzen ...
Eine Preziose ist der folgende Absatz, der alles über die Mechanismen des deutschen Frauenministeriums offenlegt, was es darüber in Sachen Männerpolitik zu wissen gibt:
Im Bundesfamilienministerium gibt es das Referat 415. Zuständig für "Gleichstellungspolitik für Jungen und Männer". Die Leiterin heißt Katharina Greszczuk. Sie ist, wenn man so will, die oberste Männerbeauftragte. Man muss ein bisschen warten, bis man sie für 20 Minuten am Telefon sprechen darf: einen Monat lang. Aber zum Schluss klappt es dann doch. Und woran arbeiten sie im Ministerium, an höchster Stelle nun, männermäßig?
Frau Greszczuk, die sehr freundlich ist, sagt, es gebe zurzeit zwei Projekte: "Geschlechterreflektierte Arbeit mit männlichen Flüchtlingen". Sowie "Männer im Wandel". Und die hohe Suizidrate bei Männern und Jungen, die geringere Lebenserwartung, die fehlenden Männerhäuser und Beratungsangebote, das verheerende öffentliche Männerbild?
Man sei an diesen Fragestellungen natürlich grundsätzlich interessiert, sagt Frau Greszczuk. Denn am Ende sei es ja so: "Die Frauenpolitik braucht auch die Männer, um weiterzukommen."
Um die Benachteiligung von Männern und für ihre Leiden interessieren sich bestimmte Politikerinnen offenbar nur so weit, wie es ihnen selbst nutzt.
Gutschs Artikel schließt mit folgendem Fazit:
Der Feminismus hat den Frauen den Weg in die Moderne geebnet. Vielleicht ist es deshalb an der Zeit für eine Männerbewegung – eine Art Maskulismus, aber im besten Sinne. Nicht als plumpe, frauenfeindliche, antifeministische Gegenbewegung. Sondern als echtes Instrument des Fortschritts. (...) Eine Männerbewegung muss natürlich mit starkem Gegenwind rechnen. Politisch und medial. Wurden in den Siebzigerjahren die Feministinnen als frustrierte, männerfeindliche Wesen diffamiert, so wird heute das Engagement für Männer gern als frauenfeindlich oder "rechts" abgeurteilt und skandalisiert.
Zum letzten Punkt ist aktuell ein neuer Blogbeitrag erschienen: Warum Maskulismus nicht rechts ist.
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