Shell-Jugendstudie: Junge Männer jetzt "Sorgenkinder der Nation"
1. "Jeder vierte junge Mann in Deutschland bezeichnet sich als rechts" schlagzeilt n-tv:
Insgesamt stufen sich die 12- bis 25-Jährigen wie bereits 2019 als leicht links ein. Auffällig ist jedoch eine deutliche Veränderung bei den männlichen Jugendlichen: Rund ein Viertel der jungen Männer bezeichnet sich selbst als rechts oder eher rechts - 2019 waren es noch weniger als jeder fünfte. Unter den weiblichen Jugendlichen ordnen sich hingegen lediglich 11 Prozent dem rechten oder eher rechten Lager zu. Die Zahl blieb in den vergangenen Jahren relativ unverändert. Gleichzeitig ist bei den männlichen Jugendlichen aber auch der Anteil derjenigen, die sich eher links oder links positionieren, von 38 Prozent im Jahr 2019 auf 41 Prozent leicht gestiegen.
Für Spiegel-Online sind junge radikale Männer deshalb jetzt die "Sorgenkinder der Nation"
Junge, radikale Männer gelten als "Sorgenkinder« der Nation". Laut Shell-Jugendstudie sind darunter viele Bildungsverlierer. Eine Debatte über sie ist wichtig, darf aber nicht den Blick aufs Wesentliche verstellen. Gleichzeitig dürfen Politik und Gesellschaft gerade jetzt keinesfalls die Mädchen und jungen Frauen aus dem Blick verlieren.
Einer meiner Leser schrieb mir zu diesem Artikel Silke Fokkens:
Nicht einmal minderjährige männliche Kinder verdienen bedingungslose Hilfe und Unterstützung.
Fokkens Spiegel-Online-Artikel dient in weiten Teilen der Abwehr von Forderungen nach einer besseren Jungenpolitik und glänzt mit der üblichen Selbst-Schuld-Rhetorik:
Es deutet auch nichts darauf hin, dass Mädchen im Unterricht bevorzugt würden.
Das ist falsch. Vermutlich hat Silke Fokken ihre Recherche auf ihre eigene feministische Bubble begrenzt.
Die meisten Erklärungen laufen im Wesentlichen darauf hinaus, dass Jungen öfter den Unterricht stören, lauter, unmotivierter und weniger "anstrengungsbereit" sind, wie es im Pädagogen-Jargon heißt. Eine Dissertation aus dem Jahr 2008 zeigt, dass vor allem eine bestimmte Typologie von Jungen tendenziell schulische Probleme hat: Sie inszenieren sich selbst etwa als "aggressiv-prahlerisch" oder "verbal-provokativ", lassen also öfter einen coolen Spruch los, beleidigen andere, prügeln sich, spielen den Klassenclown. Dieses Verhalten steht ihnen beim Lernen im Weg und hat viel mit typisch männlicher Sozialisation zu tun, auch mit geschlechtsstereotypen Erwartungen von Erwachsenen.
Oder damit, dass Jungen bemerkt haben, stören zu müssen, dait sie mit ihren Bedürfnissen gesehen werden. Das ist keine neue Einsicht: Eigentlich haben wir das alles schon vor 15 Jahren durchgenommen, auch auf Genderama.
An anderer Stelle versucht Silke-Fokken, das Thema Jungenkrise darauf umzuleiten, was man noch alles für Mädchen tun müsse:
In der jüngsten Pisa-Studie zeigte sich erneut, dass 15-jährige Mädchen schlechter in Mathematik abschneiden als Jungen. Das ist seit Jahren in vielen OECD-Ländern so, aber kein Naturgesetz, wie etwa Finnland zeigt.
Es ist kein Naturgesetz, sondern Teil des sogenannten Gender-Equality-Paradox. Erst kürzlich wurde dazu eine weitere Untersuchung vorgelegt:
Eine neue Studie, die in der Zeitschrift Psychological Science veröffentlicht wurde, hat ergeben, dass die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei den individuellen akademischen Stärken - Mädchen liegen beim Lesen und Jungen in Mathematik und Naturwissenschaften vorne - in Ländern mit größerer Geschlechtergleichheit und höherem Wohlstand größer sind.
In den letzten Jahrzehnten haben sich die geschlechtsspezifischen Ungleichheiten in den Bereichen Wissenschaft, Technologie, Ingenieurwesen und Mathematik (MINT) fortgesetzt, selbst in Ländern mit einem hohen Grad an Geschlechtergleichheit. Trotz Bildungsfortschritten sind Frauen in vielen MINT-Disziplinen unterrepräsentiert. Frühere Forschungen haben ein "Paradoxon der Geschlechtergleichheit" dokumentiert, bei dem die Unterschiede zwischen den Geschlechtern in Bezug auf akademische Präferenzen und die Beteiligung an MINT-Fächern in Ländern mit Geschlechtergleichheit stärker ausgeprägt sind. Dieses Paradoxon stellt die Erwartung in Frage, dass eine größere Gleichstellung der Geschlechter die Geschlechterunterschiede bei der Berufs- und Bildungswahl verringern sollte.
Die Spiegel-Online-Autorin liegt also falsch: Mehr Feminismus und mehr Geschlechtergleichheit werden diese Schieflage nicht gerade rücken. Es stellt sich auch die Frage, ob das nötig ist, wenn Frauen und Mädchen, je mehr sie die freie Wahl haben, sich umso mehr ihren eigenen Vorlieben zuwenden.
Dazu passt ein aktueller Artikel der Frankfurter Allgemeinen
Obwohl sich für Frauen immer mehr Türen öffnen, wollen viele nicht durch sie hindurchgehen. Fast jede dritte Frau gibt an, überhaupt kein Interesse an einer Führungsposition zu haben – doppelt so viele wie bei den Männern. (…) Dies geht aus einer neuen Studie der "Initiative Chef:innensache" hervor, die der F.A.S. vorliegt. (…) Während 54 Prozent der befragten Frauen ihre Karriere zumindest temporär für die Familie zurückzustellen bereit sind, behaupten dies nur 38 Prozent der Männer von sich.
2. Der Frankfurter Allgemeinen ist in der Shell-Jugendstudie noch etwas anderes aufgefallen:
Mit Blick auf sogenannte Zeitgeistthemen stellt die Shell Jugendstudie fest: "Insgesamt sind deutlich mehr Jugendliche gegen das Gendern in der deutschen Sprache als dafür." 42 Prozent lehnen eine geschlechtersensible Sprache ab, 22 Prozent äußern sich dafür, 35 Prozent ist das Thema egal. Schon hier machen sich Geschlechterunterschiede bemerkbar, die auch für andere "woke" Themen gelten.
Während sich 33 Prozent der jungen Frauen für das Gendern aussprechen, sind nur zwölf Prozent der Männer dafür – aber fast jeder zweite Mann, der sich nicht als ausschließlich heterosexuell definiert. Auch das Thema Feminismus ist Frauen wichtiger als Männern (59 zu 20 Prozent).
3. Mit der Einschätzung "Wir tun damit auch den Frauen keinen Gefallen" lehnt Friedrich Merz es ab, dass es unter seiner Kanzlerschaft ebenso viele Frauen wie Männer im Kabinett gäbe.
Merz sagte im Interview mit den Sendern RTL/ntv, er halte wenig von derartigen Vorschlägen. "Sehen Sie, das ist so schiefgegangen in der letzten Bundesregierung mit der Verteidigungsministerin", sagte Merz mit Blick auf die frühere SPD-Ministerin Christine Lambrecht. Diese sei eine »so krasse Fehlbesetzung«, das sollte man nicht wiederholen.
Vor allem auf X (Twitter) äußern sich Feministinnen darüber verärgert: "Von der Merz CDU haben Frauen nichts zu erwarten."
Solche Attacken gehen stillschweigend davon aus, dass eine größere Repräsentanz in der Regierung besser für alle Frauen in der Bevölkerung wären. Genau das aber widerlegt eine aktuelle Studie:
Im politischen und medialen Diskurs wird häufig angenommen, dass weibliche Parlamentsabgeordnete die Präferenzen von Bürgerinnen besser vertreten würden als ihre männlichen Kollegen. Aus dieser Annahme leitet sich oft die Forderung ab, die zahlenmäßige Vertretung der Geschlechter im Parlament solle annähernd gleich sein, damit die potenziell unterschiedlichen Präferenzen der Bürgerinnen und Bürgern angemessen repräsentiert werden. (…) Ob weibliche Parlamentsabgeordnete die Präferenzen von Bürgerinnen tatsächlich besser vertreten als ihre männlichen Kollegen, untersuchen wir in einem großen Forschungsprojekt zur politischen Repräsentation (vgl. Kläy et al. 2024a, 2024b).
(…) Die Ergebnisse stellen gängige Annahmen infrage und werfen ein neues Licht auf die Frage der politischen Repräsentation: Die Unterschiede in der substanziellen politischen Repräsentation sind gering und auf wenige spezifische Themenbereiche beschränkt. Zudem reagieren weibliche Parlamentsabgeordnete nur leicht stärker auf die Präferenzen der Bürgerinnen als ihre männlichen Kollegen.
(…) Aufschlussreich in diesem Zusammenhang war mitunter die Forderung der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die von den EU-Ländern verlangte, jeweils eine Frau und einen Mann als potenzielle Kandidaten für Kommissionsposten zu nominieren. Von den Medien wurde dies als Maßnahme zur Förderung der Geschlechtergleichheit interpretiert und entsprechend gelobt. Gleichzeitig hätte eine Nominierung von zwei Kandidaten – wären alle Länder der Forderung gefolgt – die Entscheidungsmacht der Kommissionspräsidentin erheblich gesteigert, da sie plötzlich zwischen jeweils zwei Kandidaten statt nur einem hätte wählen können. Es erscheint naheliegend, dass es also nicht nur um Geschlechtergleichheit gegangen ist, sondern wohl auch um Entscheidungsmacht. Insofern erachten wir es als besonders sinnvoll, in der weiteren Forschung zur politischen Repräsentation die Eigeninteressen der Entscheidungsträger in Parteien oder anderen Machtpositionen genauer zu analysieren. Gegeben andere Forschungsergebnisse unseres Teams (vgl. Debski et al. 2018; Stadelmann et al. 2014) wäre es erstaunlich, wenn die Eigeninteressen der Entscheidungsträger keinen relevanten Einfluss auf deren Verhalten hätten.
4. "Die Welt" beanstandet, wie Barack Obama um schwarze Männer als Wähler wirbt:
Statt schwarze Männer mit Inhalten zu überzeugen, unterstellte Obama ihnen, dass politische Bedenken gegen Harris nur vorgeschoben seien – und eigentlich Sexismus der Grund für deren mangelnde Begeisterung sei. "Ihr könnt euch eben nicht mit der Vorstellung anfreunden, dass eine Frau Präsidentin ist". Eine beleidigende und haltlose Unterstellung."
5. In Brasilien wird Mord jetzt strenger bestraft – wenn die getötete Person weiblich ist. Vor der Gesetzesänderung "wurde die Tötung von Frauen lediglich als schwerere Variante eines gewöhnlichen Mordes klassifiziert", heißt es in dem verlinkten Artikel.
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