"Sozialer Unfriede": Über hundert Sprachwissenschaftler üben scharfe Kritik am Gendern bei ARD und ZDF – News vom 1. August 2022
1. "Die Welt" berichtet:
In Sachen Gendersprache wird es für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zusehends ungemütlich. Erst im Dezember kritisierten Gremienmitglieder des ZDF-Fernsehrats die Gendersprechpause scharf und forderten von der Intendanz "eine Leitungsentscheidung" zum Thema. Bei einem immer größeren Teil der Gebührenzahler sorgt die Sprachpraxis für Unmut.
Der Bayerische Rundfunk stand vergangene Woche massiv in der Kritik, weil ein Video vom "Diversity Tag" der ARD bei vielen Zuschauern den Eindruck hinterließ, beim Sender arbeite man an der sprachlichen Umerziehung der Bevölkerung.
Und nun sehen sich ARD und ZDF mit Kritik aus der Fachwelt konfrontiert: Rund 70 Sprachwissenschaftler und Philologen fordern in einem aktuellen Aufruf ein Ende des Genderns im ÖRR. Darunter: Mitglieder des Rates für deutsche Rechtschreibung, der Gesellschaft für deutsche Sprache, des PEN Deutschland, des Leibniz-Zentrums Allgemeine Sprachwissenschaft sowie eine ganze Reihe linguistische Schwergewichte.
(…) Der Germanist und Buchautor Fabian Payr ("Von Menschen und Mensch*innen", Springer-Verlag) ist Initiator des Aufrufs. "Die Sender des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind sprachprägend", sagt er WELT. "Sie sind, was einst Luthers Bibel war: ein Modell für ein einheitliches Deutsch." Es könne daher nicht angehen, dass in den Anstalten beim Sprachgebrauch Laissez-faire herrsche.
(…) Scharfe Kritik üben die Sprachexperten auch an der Berichterstattung der Sender zum Thema Gendersprache. Die Beiträge seien unausgewogen, vielfach tendenziös und würden "im Wesentlichen der Legitimation der eigenen Genderpraxis" dienen, urteilen sie.
(…) Der Sprachwissenschaftler Martin Neef zählt zu den Unterzeichner des Linguistenaufrufs und ist Kritiker der viel zitierten Studien. Über den ÖRR ärgere er sich massiv, sagt Neef zu WELT. "Gendern heißt für viele, ein Zeichen zu setzen. Dabei wird nur selten wirklich über Sprache nachgedacht." Personenbezeichnungen mit der Endung "-in" oder "-innen" meinen sprachstrukturell nur Frauen – egal, ob ein Sternchen davorstehe oder nicht, erläutert Neef. "Mit solchen Wortformen werden weder Männer noch Diverse angesprochen", so der Sprachwissenschaftler.
Für Neef steht fest: "Das Deutsche hat mit dem generischen Maskulinum eine gewachsene geschlechtsneutrale Form, die von Zuschauern und Zuhörern genutzt wird. Dazu sollten die Öffentlich-Rechtlichen wieder zurückkehren."
In der Erklärung, die von über hundert Sprachwissenschaftlern beiderlei Geschlechts unterzeichnet worden ist (ich selbst bin Nr. 87 auf der Liste), heißt es unter anderem:
Seit 2020 hat die Verwendung der sogenannten gendergerechten Sprache im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) in erheblichem Maße zugenommen. Ausgangspunkt dieser Sprachpraxis ist die Bewertung des generischen Maskulinums als diskriminierende Sprachform, die wir als Sprachwissenschaftler und Philologen zurückweisen. Wir fordern eine kritische Neubewertung des Sprachgebrauchs im ÖRR auf sprachwissenschaftlicher Grundlage.
Die Sprachverwendung des ÖRR ist Vorbild und Maßstab für Millionen von Zuschauern, Zuhörern und Lesern. Daraus erwächst für die Sender die Verpflichtung, sich in Texten und Formulierungen an geltenden Sprachnormen zu orientieren und mit dem Kulturgut Sprache regelkonform, verantwortungsbewusst und ideologiefrei umzugehen. Mehr als drei Viertel der Medienkonsumenten bevorzugen Umfragen zufolge den etablierten Sprachgebrauch – der ÖRR sollte den Wunsch der Mehrheit respektieren.
(…) Als Sprachwissenschaftler und Philologen kritisieren wir ferner, dass an Stelle von sprachsystematischen und sprachlogischen Betrachtungsweisen zunehmend psycholinguistische Studien herangezogen werden, um Veränderungen des Sprachgebrauchs zu legitimieren. Diese Studien liefern keinen belastbaren Beleg dafür, dass generische Maskulina mental vorrangig "Bilder von Männern" erzeugen. Vielmehr zeigt sich, dass die Kontextbindung, die zur Unterscheidung eines generischen von einem spezifischen Maskulinum entscheidend ist, in solchen Studien in wissenschaftlich unzulässiger Weise ausgeblendet wird. Es kann mithin aufgrund fehlerhafter Studiendesigns nicht als empirisch gesichert gelten, dass generische Maskulina (Genus) vorrangig im Sinne von "männlich" (Sexus) gelesen werden (Zifonun 2018, Payr 2022, Kurfer 2022). Die pauschalisierende Bewertung des generischen Maskulinums als grundsätzlich diskriminierende Sprachform ist auf wissenschaftlicher Basis nicht begründbar.
Auch andere zentrale Thesen der "gendergerechten Sprache" halten einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht stand, etwa die abwegige Behauptung von der angeblichen "Unsichtbarkeit" der Frau in der deutschen Sprache (Pusch: "Das Deutsche als Männersprache") oder die These, mit einem Eingriff in sprachliche Strukturen könnten gesellschaftliche Veränderungen bewirkt werden (sprachidealistische Position).
Wir weisen auch darauf hin, dass Gendern zu einer ausgeprägten Sexualisierung der Sprache, also zu einer permanenten Betonung von Geschlechterdifferenzen führt. Daher wird das wichtige Ziel der Geschlechtergerechtigkeit konterkariert und Gendern von einigen Debattenteilnehmern auch als sexistisch bezeichnet. (Pollatschek 2020). Im Hinblick auf das angestrebte Ziel – Geschlechtergerechtigkeit – ist Gendern also dysfunktional.
Der Rat für Deutsche Rechtschreibung hat im März 2021 explizit darauf hingewiesen, dass Gender-Sonderzeichen wie Genderstern, Doppelpunkt oder Unterstrich nicht dem amtlichen Regelwerk entsprechen, da diese Formen Verständlichkeit sowie Eindeutigkeit und Rechtssicherheit von Begriffen und Texten beeinträchtigen. Diese Missachtung der gültigen amtlichen Rechtschreibregeln ist nicht mit dem im Medienstaatsvertrag formulierten Bildungsauftrag der Sender vereinbar. Statt ihrer Vorbildfunktion gerecht zu werden, praktizieren und propagieren die Sender in ihrer Schriftnutzung (vor allem in den Online-Formaten) orthografische Freizügigkeit jenseits der verbindlichen Regeln. Auch die gesprochene Realisierung des Gendersterns – mit Glottisschlag – entspricht nicht der geltenden Aussprachenorm.
Wir fordern die Abkehr von einem Sprachgebrauch, der stark ideologisch motiviert ist und überdies – so zeigen es alle aktuellen Umfragen – von der Mehrheit der Bevölkerung (ca. 75-80 %) eindeutig abgelehnt wird (…). Es ist bedenklich, wenn immer mehr Journalisten in Unkenntnis der sprachwissenschaftlichen Fakten den Jargon einer lautstarken Minorität von Sprachaktivisten in der Öffentlichkeit verbreiten und sich hierbei fälschlicherweise auf "Sprachwandel" berufen.
Nicht zuletzt sorgt die vielfach mit moralisierendem Gestus verbundene Verbreitung der Gendersprache durch die Medien für erheblichen sozialen Unfrieden und das in Zeiten, in denen ohnehin zahlreiche gesellschaftliche Spaltungstendenzen zu beobachten sind. Auch diesen gefährlichen Partikularisierungs- und Polarisierungstendenzen in der Gesellschaft leistet Gendern Vorschub.
Der forcierte Gebrauch gegenderter Formen befindet sich nicht im Einklang mit dem Prinzip der politischen Unparteilichkeit, zu der alle Sender gemäß Medienstaatsvertrag verpflichtet sind. So stammt das Projekt der "gendergerechten Sprache" ursprünglich aus der feministischen Linguistik und wird heutzutage vorrangig von identitätspolitisch orientierten universitären Gruppierungen rund um die Social-Justice-Studies vorangetrieben (Ackermann 2022, S. 143). Gendersprache ist ein akademischer Soziolekt, der die Diskursvorherrschaft anstrebt. Zu dieser ideologisch begründeten Sprachform muss der ÖRR kritische Distanz wahren.
Die Berichterstattung des ÖRR über den Themenbereich Gendersprache ist unausgewogen, vielfach tendenziös und dient im Wesentlichen der Legitimation der eigenen Genderpraxis:
* Befürworter erhalten einen deutlich größeren Redeanteil
* Werden "Experten" konsultiert, so stammen diese vorrangig aus dem Lager der Befürworter.
* Moderatoren bekennen sich zum Gendern
In den Medien des ÖRR überwiegt eine positive Darstellung des Genderns. Kritiker werden nicht selten als reaktionär, unflexibel und frauenfeindlich geschildert.
Beispiele dafür nennt eine weitere Seite, wo es etwa heißt:
Als nur ein Beispiel für tendentiöse Berichterstattung möchten wir hier hier die Sendung “Leschs Kosmos” vom 5.10.2021 (…) herauspicken, die mit dem Gestus von Wissenschaftlichkeit klar eine Pro-Gendern-Position bezieht. Zur Gendersprache gibt es sehr unterschiedliche wissenschaftliche Einschätzungen, Harald Lesch referiert lediglich die Argumente der einer Seite und suggeriert damit einen wissenschaftlichen Konsens, den es in dieser Sache nicht gibt. Sowohl aus journalistischer Sicht als auch aus wissenschaftlicher ist dieser Beitrag mangelhaft.
Ich bin gespannt, ob die Öffentlich-Rechtlichen über diese Kritik der Wissenschaft berichten werden. Vorfälle, die ihnen ideologisch zupass kommen, etwa die abgewiesene Klage eines VW-Mitarbeiters gegen Gendern bei Audi, landen schließlich sogar in der Tagesschau.
Bislang finde ich Berichterstattung über die Kritik der Sprachwissenschaftler in "Welt", "Bild", "Focus", der "Berliner Zeitung", der "Jungen Freiheit", der "Frankfurter Allgemeinen", bei "idea" und bei "Tichys Einblick". Die Presse des linken Lagers hingegen scheint sich nur für für genderfreudige Sprachwissenschaftler wie Anatol Stefanowitsch zu interessieren. Eine Ausnahme ist der "Tagesspiegel", der ebenfalls berichtet.
2. "Die Welt" kommentiert die abgewiesenen Klage eines VW-Mitarbeiters gegen das Gendern bei Audi so:
Wer sich als Kunde oder Angestellter durch Gendersprache belästigt fühlt, dem steht es frei, sich darüber bei seinem Unternehmen zu beschweren – oder gleich zur Konkurrenz zu wechseln.
Doch genau an dieser Handlungsbereitschaft fehlt es. Die Deutschen lehnen den Umbau ihrer Sprache zwar mit deutlicher Mehrheit ab, auch in der jungen Generation – und allen Anstrengungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zum Trotz, wie eine Podiumsdiskussion mit Schülern erst kürzlich eindrucksvoll belegte.
Aber: Sie tun nichts dagegen. Wenn gefühlt nur ein Prozent aller Gender-Befürworter und null Prozent aller Gender-Gegner ihre wirtschaftlichen Entscheidungen vom Sprachgebrauch abhängig machen, dann liegt die betriebswirtschaftlich sinnvolle Entscheidung für Unternehmen auf der Hand.
Der richtige Weg, um sich gegen den von einer lautstarken Minderheit betriebenen Sprachumbau zu wehren, führt deshalb nicht über die Gerichte – sondern über Gespräche mit Kollegen und Vorgesetzten, Briefe an Redaktionen und Unternehmen, Elternabende und soziale Medien.
3. Die Sendung des Bayrischen Rundfunks, die Zuschauer offenbar zum Gendern motivieren sollte, wird inzwischen auch von der bayrischen Staatsregierung kritisiert:
"Gebührenfinanziertes Zwangsgendern" nennt Florian Herrmann (CSU), der Leiter der Bayerischen Staatskanzlei und Minister für Medien, das BR-Format deshalb. "Es ist nicht Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Kampagnen für Mindermeinungen zu führen", sagt er. Herrmann irritiere, dass der BR veranlasst, Gender-Sprache von oben vorzugeben, bis sie "unten ankommt". Auch Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte sich zuletzt in einem Interview kritisch gegenüber dem Thema Gendern geäußert. Der Rundfunkrat, sagt er, müsse den Vorgang in der nächsten Sitzung zwingend aufklären.
Der BR wehrt sich: "Die Behauptung, es handle sich um eine Gender-Sendung, mit der Schüler überzeugt werden sollten, ist schlichtweg falsch", sagt BR-Sprecher Markus Huber. Ziel sei ein Meinungsaustausch über Gender-Sprache gewesen. Das sagt auch Claudia Stamm im Gespräch mit unserer Zeitung. "Keineswegs wollte ich damit ausdrücken, dass wir so lange reden müssen, bis alle einer Meinung sind." Außerdem, sagt sie, gendere sie im Alltag kaum.
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