Freitag, Dezember 13, 2019

Deutschlands erstes MeToo-Urteil – News vom 13. Dezember 2019

1. Siegfried Mauser, Pianist und Musikwissenschaftler, inzwischen 65, ist der erste prominente Künstler in Deutschland, den die #MeToo-Debatte zu Fall brachte, berichtet die renommierte Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen in einem Artikel für "Die Welt" (Bezahlschranke). Ein Auszug:

Es geht ihm nicht gut. Depressionen, Sehstörungen, Schwierigkeiten beim Formulieren. "Ich, der ich immer so eloquent war." Herzrhythmusstörungen. Seine Frau hat Angst um ihn, was ihn zusätzlich bekümmert. Das ganze Leben sei ruiniert, resümiert er bei einem Treffen in München, in allen Bereichen: im akademischen, im institutionellen und auf dem freien Markt. Vorträge wurden abgesagt, die meisten Konzerte storniert, Vorlesungen gecancelt.

Niemand will mehr mit ihm zu tun haben. Die Alte Aula der Heidelberger Universität blieb ihm für eine Vortragsreihe verschlossen. Er suchte einen anderen Saal, fand einen in einem Theater. "Da drohte die Stadt, es gebe künftig keine Subventionen mehr, wenn ich dort auftrete." Die Universität Basel sagte auf Betreiben der Frauenbeauftragten eine Vorlesung ab: Den Zuhörerinnen sei die Veranstaltung nicht zuzumuten. Die meisten Auszeichnungen und Orden hat er mittlerweile zurückgegeben. Aus der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, der er seit 1990 als Direktor der Abteilung Musik angehörte, schied er freiwillig aus, "um den Kollegen die Peinlichkeit zu ersparen, mich hinauswerfen zu müssen". Denn: Angenommen, sie würden sich weigern – welch einen Aufstand gäbe es und welchen Schaden nähme die Akademie! Überall behandelt man ihn wie einen Aussätzigen.


Warum wird dieser Mann, den man nach einem rechtsgültigen Gerichtsurteil "Sexualstraftäter" nennen darf und dem eine Gefängnsisstrafe bevorsteht, derart harsch aus der Gesellschaft ausgestoßen? Auch das berichtet Gisela Friedrichsen:

Vom Vorwurf der Vergewaltigung hat man Mauser freigesprochen. Am Ende des Verfahrens blieben drei unerwünschte Küsse. Vor zwölf Jahren, 2007, soll er als Präsident der Münchner Musikhochschule in seinem Büro eine Bekannte, Bewerberin um eine Professorenstelle, überfallartig auf ein Sofa gestoßen, sie zu küssen versucht und an die Brust gefasst haben. Zeugen dafür gibt es nicht. Im Sekretariat, durch das man hindurchmusste, wollte man zu ihm ins Büro, hat niemand etwas bemerkt. Auch der nächsten Besucherin, die draußen wartete, fiel keine angeblich verstörte Flüchtende auf, die mit offener Bluse und verrutschtem Rock aus seinem Dienstzimmer rannte.

2009, als die Bewerberin erneut bei ihm vorsprach, soll Mauser ihr bei der Verabschiedung wieder "seine Zunge so heftig in den Mund" gedrängt haben, "dass dies einen Würgereiz auslöste", wie es im Urteil heißt. Und 2013 noch einmal, wobei er auch noch ihre Hand zu seiner Hose geführt haben soll. "Sie war insgesamt neunmal bei mir – neunmal! –, jeweils außerhalb des regulären Bewerbungsverfahrens", erregt sich Mauser nun während des Gesprächs in einem Lokal, "weil sie unbedingt einen Lehrauftrag haben wollte. Darüber hatte aber nicht ich allein zu entscheiden, sondern ein Gremium. Ich soll sie dreimal überfallartig bedrängt haben? Und was war bei den übrigen sechs Besuchen?" Die Frau gebe inzwischen ihm die Schuld, dass aus ihren Bewerbungsversuchen nichts wurde.

(...) Es ist eine Glaubenssache. Das fiel schon bei der Beobachtung des Prozesses in München auf: Es wurde viel geglaubt und wenig nachgeprüft. Die Strafkammer, die gegen Mauser eine Gefängnisstrafe für angemessen hielt und der sich der BGH jetzt anschloss, war über vieles hinweggegangen und hatte viele Fragen nicht gestellt, die sich aufdrängten. Als Zeugin vor Gericht zum Beispiel behauptete die Geschädigte, wie sie im Juristendeutsch genannt wird, Mauser 2013 erzählt zu haben, dass sie vor 30 Jahren schon mal von einem Dirigenten gegen ihren Willen in ein Gebüsch gezerrt und geküsst worden sei. Und dass sie diesem Mann eine Ohrfeige gegeben und ihn angezeigt habe. Auch die Richter des Bundesgerichtshofs erwähnen diese Episode in ihrem Urteil.

Hätte jemand nachgefragt, ob sich die Sache wirklich so zugetragen hat: Man hätte erfahren, dass es sich offenbar um eine reine Erfindung handelt. Denn besagter Dirigent versichert mittlerweile an Eides statt, einen solchen Vorfall habe es nie gegeben. Er erinnere sich noch gut an die Dame, die damals die Carmen hätte singen sollen, wegen schlechter Leistung aber entlassen worden sei und statt des ihr entgangenen Honorars eine Entschädigung bekommen habe. Es gebe noch Unterlagen dazu.


Wie Friedrichsen weiter berichtet, trägt sich Maurer mit dem Gedanken, Deutschland zu verlassen:

Aber: "Wer akzeptiert mich denn? Es muss doch auch mal ein Ende haben mit dem Prozessieren und dem Bestraftwerden." Sein Vermögen ist weitgehend aufgebraucht, die drei Küsse haben ihn auch noch die Altersversorgung gekostet. Denn als Beamter verliert er als gesetzliche Folge einer Verurteilung zu mehr als einem Jahr den Anspruch auf seine Ruhebezüge. Man hat ihm dies sofort nach der mündlichen Begründung des BGH-Urteils mitgeteilt.


"Ist der Fall Mauser ein Erfolg für die #MeToo-Aktivisten?" fragt Friedrichsen und ist skeptisch: "Jeder Fall, in dem die Folgen für den Mann in keinem Verhältnis mehr stehen zur angeblichen Tat und Zweifel bleiben, ob sie sich tatsächlich so zugetragen hat wie behauptet, schadet der Bewegung mehr, als er ihr nützt."

Sich der Überlegung zu widmen, dass Maurer Opfer eines Justizirrtums geworden sein könnte, scheint im übrigen nicht ganz ungefährlich zu sein:

Michael Krüger, Hans Magnus Enzensberger und Peter Sloterdijk etwa, die sich noch nicht angewidert von ihm abgewandt haben, stehen nun ebenfalls in der Kritik. Weil sie sich, wie es heißt, auf die Seite eines Sexualstraftäters geschlagen haben.




2. Gesegnet sind diejenigen, die auf Falschbeschuldigungen mit einem Videobeweis reagieren können. Das zeigt ein aktueller Fall aus Vorarlberg (Österreich):

Eines ist zumindest laut Videoaufzeichnung sicher: Die Vergewaltigung hat niemals so stattgefunden, wie es das mutmaßliche Opfer erzählt. Die 21-Jährige wird in der Unterländer Disco nicht von einem Mann ins WC gezerrt, sondern sie geht händchenhaltend in die Richtung. Vor dem WC wartet der Mann dann vier Minuten, spielt mit seinem Handy und schaut immer wieder mal, ob die junge Frau wieder rauskommt. Er bleibt fix an seinem Standpunkt stehen, betritt niemals die Damentoilette.

Fix ist aber auch, dass die junge Frau auf der Heimfahrt im Taxi bitterlich weint, total durcheinander ist und ihrer Freundin von einer Vergewaltigung erzählt. "Ich glaub ihr zu hundert Prozent", meint die Freundin im Zeugenstand. Als beide Frauen damit konfrontiert werden, dass es lückenlose Aufzeichnungen gibt und kein Mann in das WC rein oder rausging, sind beide etwas ratlos. Die Frauen geben zu, reichlich getrunken zu haben, doch eine Vergewaltigung erfinden, das weist die Angeklagte zurück. Nun soll ein psychiatrisches Gutachten klären, ob es möglich ist, dass sich das vermeintliche Opfer die Geschichte nur einbildet. Im Saal macht sie jedenfalls den Eindruck, als wäre sie fest davon überzeugt, dass ihr sexuelle Gewalt angetan wurde.




3. Den hohen Preis für sieben Jahre Beschneidungsgesetz erörtert der Intactivist (Beschneidungsgegner) Victor Schiering in einem Beitrag für den Humanistischen Pressedienst. Mit der Vermutung, dass das durchaus in Victors Sinne ist, zitiere ich aus seinem exzellenten Beitrag einmal sehr ausführlich:

Es wurde weiter eine außenpolitische Isolierung Deutschlands befürchtet – ignorierend, dass sich weltweit in vielen Ländern längst Stimmen vernehmen lassen, die alle Kinder gleich vor jeglicher Genitalverstümmelung schützen wollen.

Kurz: Es entstand eine scheinbar unauflösbare Drohkulisse aus Folgen, die einzig mit einem völligen Nachgeben an alle Forderungen von Religionsvertreter*innen zu "befrieden" sei.

Erstaunlich ist: Fast niemand hingegen fragte sich, welche Konsequenzen es für eine Gesellschaft haben könnte, einen solchen radikalen und auch noch mehrfach klar verfassungswidrigen Einschnitt per Gesetz in die Rechte des Kindes zu verabschieden. Kann man wirklich ein Gesetz über einen irreversiblen operativen Eingriff im Intimbereich von Kindern gegen die ausdrücklichen Stellungnahmen fast aller dafür zuständigen medizinischen Fachgesellschaften beschließen? Welche Spuren würde ein Verfahren in einer solchen Hast hinterlassen? Was könnte dies für das Vertrauen der Menschen in die Politik bedeuten, und für einen interkulturellen Zusammenhalt unter eigentlich staatlich gebotener Neutralität? Und was hieße das für die einzig wirklich Betroffenen, die Kinder?

(...) Das parlamentarische Schnellverfahren, ein Ergebnis bereits vor-beschließend, bevor überhaupt eine Diskussion begonnen hatte, hat unserer demokratischen Kultur schweren Schaden zugefügt. Zu offensichtlich war das ergebnisorientierte Vorgehen wie z.B. der Ausschluss organisierter leidvoll Betroffener bei der Erarbeitung der Eckpunkte und im Rechtsausschuss. Strafrechtler Prof. Dr. Reinhard Merkel warnte vor einem "Sündenfall des Rechtsstaates".

Das Versäumnis der politischen Landschaft, die verschiedenen Beteiligten an einen Tisch zu bringen, führte dazu, dass nicht miteinander, sondern übereinander gesprochen wird. Dies bereitet von jeher wesentlich den Boden für Vorurteile und Unterstellungen von prominenten Seiten der Verteidiger*innen des Gesetzes gegen Kinderschützer*innen.

(...) 70 Prozent der deutschen Bevölkerung lehnten bereits 2012 das Beschneidungsgesetz ab. Auch das zählt offensichtlich nicht. Gutheißer*innen männlicher Genitalverstümmelung gingen sogar so weit, kritische Stimmen pauschal mit "religiösem Analphabetismus", "Vulgärrationalismus", "Antisemiten und Religionsfeinde unter dem Deckmantel der Kinderrechte" oder einer "aufs Diesseits fixierten Weltsicht" zu verleumden. Wohlgemerkt: wir sprechen hier nicht von einzelnen Internetkommentaren, die man leider wie bei vielen Themen als Hetze und "Hatespeech" vorfindet und verurteilen muss. Sondern die Verunglimpfungen gingen hier aus Stellungnahmen prominenter Personen, namhafter Journalist*innen, Vertreter*innen von Organisationen und hochbezahlter Inhaber*innen von Lehrstühlen und Politiker*innen hervor. Liegt es nicht auf der Hand, dass sich die Menschen in unserem Land durch ein solches Vorgehen übergangen und paternalisiert fühlen?

Auch wenn dieser Gedanke unangenehm ist und bei vielen Menschen womöglich Abwehrreflexe auslöst: Die Summe solcher Vorgehen ist gefährlich. An politischen Rändern warten erstarkende Bewegungen nur darauf, den berechtigten Frust der Menschen über Bevormundung und Tabuisierung wichtiger, aber konfliktreicher Themen destruktiv zu kanalisieren. Wem eine demokratische Mitte am Herzen liegt, wer sich ernsthaft um eine freie, sachliche und respektvolle Debattenkultur bemüht, wem das Erstarken von Radikalen nicht gleichgültig ist, wer Spaltungen und Entsolidarisierungen in einer vielfältigen Gesellschaft entgegenwirken will, kann mit den Folgen des Beschneidungsgesetzes nicht zufrieden sein. Im Gegenteil: Um aus dieser ethischen Sackgasse auf Kosten von Kindern herauszukommen, wäre es wichtig, Beiträge zu liefern, zumindest Plattformen der Diskussion anzubieten.

(...) Skandinavische Länder waren in der Umsetzung von Gleichberechtigung der Geschlechter schon immer Vorreiter. Werden sie es auch hier? Denn machen wir uns nichts vor: Dem Schutz von Mädchen, intergeschlechtlichen und trans* Kindern hängt die Legalisierung männlicher Genitalverstümmelung wie ein Klotz am Bein. Und zwar weltweit, wie Prozesse gegen "weniger invasive" und "medikalisierte" Fälle weiblicher Genitalverstümmelung in den USA und Australien verdeutlichen. Dabei zeigt sich, dass sich die Gerichte in offensichtlichste Widersprüche begeben müssen, um diese Verletzungen einseitig nur für Mädchen als Straftat zu werten. Damit steht der Schutz von Mädchen und Frauen auf sehr dünnem Eis. Die Zusammenhänge unteilbarer Menschenrechte lassen sich nicht leugnen.




4. Die ersten Anliegen der Männerrechtsbewegung sind jetzt sogar bei "Bento" angekommen: "Wir brauchen einen Vaterschutz".



5.
Männer nehmen selten Elternzeit, trotz Elterngeld und sicherem Job. Haben sie Angst? Ein junger Vater berichtet von den Hürden traditioneller Strukturen.


Hier geht es weiter.



6. Statt der Post mal wieder einen Beitrag aus den Kommentarspalten: Der Gymnasiallehrer und Blogger Lucas Schoppe hat sich noch einmal zu der Frage geäußert, warum die Verantwortlichen in unserem Land, die erwachsene Frauen mit Millardenbeträgen fördern, zugleich so auffällig desinteressiert an der Benachteiligung von Jungen in unserem Schulsystem sind:

Ob ein Kalkül dahintersteckt in dem Sinne, dass jeder Misserfolg von Jungen oder Männern als Erfolg von Frauenpolitik wahrgenommen wird, weiß ich nicht. Es gibt allerdings Beispiele dafür. Ich kann mich z.B. daran erinnern, dass die "taz" (ich glaube, es war Simone Schmollack) sich einmal sehr positiv darüber geäußert hat, dass der Frauenanteil in der SPD gestiegen sei. Tatsächlich hatte sich die Zahl der Mitglieder ziemlich genau auf die Hälfte verringert – es waren zwar sehr viele Frauen ausgetreten, aber noch mehr Männer – was in den Augen der taz dann eben für den Frauenanteil gut war.

Ansonsten glaube ich aber, dass hinter der klammheimlichen Freude über die Schwierigkeiten der Jungen kein Kalkül steckt, sondern eher eine politische Erlösungsphantasie, die in einigen Milieus (Parteien, Unis, einige Medien ...) eine bemerkenswert dauerhafte Konjunktur hat, während viele Menschen außerhalb dieser Milieus darüber weitgehend befremdet sind.

Weiblichkeit steht darin für ein irgendwie unentfremdetes Leben, unkorrumpiert durch die Teilhabe an den unüberschaubaren Machtstrukturen moderner Gesellschaften (die zu diesem Zweck als "Patriarchat" imaginiert werden).

Der Gedanke einer Unterdrückung von Frauen durch Männer ist dabei eigentlich überhaupt nicht empirisch gemeint, und deshalb lässt er sich durch empirische Daten wie die über die enormen Nachteile von Jungen auch überhaupt nicht irritieren. Eher geht es darum, die Idee DER FRAU als unentfremdetes, integres Leben zu stützen. Die UNTERDRÜCKUNG erklärt dann auch sogleich, warum die beseligende Kraft des weiblichen sich nicht stärker auswirkt: Die Männer lassen sie halt nicht.

Es braucht wohl ein solche Erlösungsphantasien, um die realen Nachteile Hunderttausender Kinder und Jugendlicher galant ignorieren zu können. Nach einigen Untersuchungen sind übrigens Migrantenjungen von den Nachteilen besonders betroffen – aber auch das ist den Verfechtern einer jungenignorierenden Schulpolitik weitgehend egal – auch wenn sie sich in anderen Fällen gern entschlossen und empört für Migranten einsetzen und ihre Marginalisierung beklagen.

Es geht eben nicht um soziale Realitäten. Es (ist) wohl die Phantasie einer Erlösungskraft des Weiblichen, die es (...) plausibel macht, dass mehr des Guten (Weiblichen) und weniger des Schlechten (Männlichen) in jedem Fall nur gut sein kann – und dass Leute, die mehr männliche Lehrer für gut halten, dabei ledigliche männliche Hegemonialität sichern wollten.

Hier verbindet sich die Trägheit von Institutionen, deren Akteure eigene Fehler auf keinen Fall einräumen wollen, mit einer politischen Erlösungsreligion, die soziale Realitäten immer nur dann wahrnimmt, wenn sie die eigenen Vorannahmen bestätigen. Das ist offensichtlich eine sehr stabile Verbindung.

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