Dienstag, Februar 06, 2018

Professorin Monika Frommel über Umgang mit Dieter Wedel: "Wir erleben einen Rückfall ins Zeitalter der Inquisition"

1. Mit ihrem Beitrag Der digitale Pranger und die Verjährung reiht sich die Professorin für Strafrecht Monika Frommel bei der stetig wachsenden Zahl von Juristen ein, die den Umgang mit Dieter Wedel kritisieren. Sie befindet:

Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen Regisseur Dieter Wedel beruhen auf einer fehlerhaften Strafrechtsänderung und einer unangemessenen Medienkampagne.


Die Hintergründe dieser fehlerhaften Gesetzesänderung waren politischer Natur:

Als 2014 das Bundesjustizministerium daran ging, diese Sonderregelung auszuweiten, rieten alle Sachverständigen der Bundesregierung, es bei der moderaten Regelung zu belassen, die übrigens schon damals umstritten war und als systemwidrig kritisiert wurde. Justizminister Heiko Maas (SPD) preschte dennoch vor, die Rechtswissenschaftlerin Tatjana Hörnle gutachtete, und die geltende Fassung wurde – ohne das Problem näher zu erörtern – beschlossen und trat in Kraft. (Sie wurde dann noch einmal 2016 – anlässlich des "Nein heißt Nein"-Vergehenstatbestands – angepasst, erneut ohne die nötige Sorgfalt.)


Oder etwas ruppiger formuliert: Wir haben schwachsinnige Gesetze im Sexualstrafrecht, weil sich die SPD seit Jahren auf dem radikalfeministischen Trip befindet und der Widerstand dagegen zu schwach ist.

So urteilt Professorin Frommel:

In der jetzigen Form verstärkt § 78b StGB lediglich die ohnehin bedenkliche "Nein heißt nein"-Regelung und erlaubt es Frauen oder homosexuell belästigten Männern, sich bis kurz vor ihrem 50. Geburtstag zu überlegen, wen sie an den digitalen Pranger stellen wollen; denn die spätere Einstellung des Verfahrens wegen mangelnder Beweise lässt sich medial bestens vermarkten.

(...) Konsequent weiter gedacht, könnten wir Strafgerichte gleich abschaffen und es den Redaktionen überlassen, bei Strafanzeigen gegen Prominente voyeuristisch herausfinden, welche Beschuldigungen "schwer" wiegen und was die "Wahrheit" ist. Vor jeder Klärung wird dann ein digitaler Pranger aufgestellt. Zwar ist es gut, dass die Zeit vorbei ist, in der sexuelle Belästigung als "normal" empfunden wurde. Auch ist zu hoffen, dass es niedrigschwellige unabhängige Beschwerdestellen geben wird, die beraten. Aber was wir zurzeit erleben, ist ein kollektiver Rückfall in längst überwundene Formen der Inquisition mit hochmodernen Mitteln. Die Folge ist die Zerstörung der Balance, die rechtsstaatliches Strafrecht einmal angestrebt hat, die aber nur aufrecht erhalten werden kann, wenn sich alle Beteiligten klar machen, dass Sachverhalte fast immer ambivalenter sind, als sie zunächst erscheinen.




2. Auch Lucas Schoppe hat sich den Stand der MeToo-Debatte noch einmal genauer angesehen. Ein Auszug:

Gerade hat die als seriös geltende Wochenzeitung Die Zeit mit der Frage aufgemacht, ob wir Filme von Woody Allen überhaupt noch sehen dürfen. Auf der Titelseite erklärt das Blatt, dass Allen wie andere durch Vorwürfe "belastet" sei – der Artikel selbst beginnt dann schon selbstverständlich mit der Frage, ob es die Rezeption von Kunstwerken beeinträchtige, wenn sie von "Verbrechern" gemacht wären.

Im Artikel werden dann Woody Allen und Dieter Wedel, die kein Gericht für schuldig befunden hat, ganz selbstverständlich in eine Reihe mit dem nationalsozialistischen Verbrecher Albert Speer gesetzt. So reproduziert die seriöse Wochenzeitung ein maßloses Schwarz-Weiß-Denken: Beschuldigt zu werden ist hier ganz dasselbe wie schuldig gesprochen zu werden, und jegliche Schuld ist ebenso schwer wie die schwerste Schuld, die wir uns nur vorstellen können.

Es bleibt zweitrangig, dass Allens Sohn Moses, der mit Enthüllungen über Weinstein maßgeblich zur Diskssion beigetragen hat, darauf hinweist, dass Vorwürfe gegen Woody Allen offenbar zwischen der Tochter Dylan und der Ex-Frau Mia Farrow im Sorgerechtsstreit abgesprochen waren. Unwichtig ist auch, dass zwei voneinander unabhängige Untersuchungen zu dem Ergebnis kamen, dass es keinen Missbrauch gegeben habe. Demonstrativ bekunden nun Schauspieler und Schauspielrinnen, nie wieder mit Allen zu arbeiten. Da alle Vorwürfe gegen Allen schon vor Jahrzehnten bekannt waren, geht es bei diesen Demonstrationen erkennbar nicht um sachliche Argumente, sondern darum, sich auf der richtigen Seite von MeToo einzuordnen.

Das entfernt sich demonstrativ von politischen, zivilen Abwägungen und kippt ins Religiöse: Hier stehen sich eine Welt des Schmutzes und eine Welt der Reinheit gegenüber, und moralisch akzeptabel kann nur jemand handeln, der das Reine vor dem Schmutzigen schützt. Es ist ganz folgerichtig, dass Reinheitsideologen gerade Kunstwerke, die ja traditionell mit Ambivalenzen und Uneindeutigkeiten spielen, als schmutzig wahrnehmen und ihre Entfernung aus dem öffentlichen Raum betreiben.


Schoppes Analyse ist in Gänze lesenswert.



3. Ein Künstler aus Berlin-Charlottenburg darf zwei seiner Zeichnungen nach Beschwerden nur noch zensiert im Schaufenster seiner Galerie ausstellen. Die FDP-Politikerin Maren Jasper-Winter hält diese Anordnung für "völlig überzogen": "Dargestellt wird keine Pornografie, auch nicht etwa strafbare Handlungen, sondern Kunst, die im Rahmen der Kunstfreiheit zu schützen ist."



4. Die Linke pflegt ihre Fetische, statt die Mächtigen zu kritisieren, argumentiert Slavoj Žižek in der "Neuen Zürcher Zeitung":

Fast zur gleichen Zeit, als der Weinstein-Skandal begann, wurden die "Paradise Papers" veröffentlicht. Und man kann sich nur wundern: Warum forderte niemand, die Leute sollten aufhören, U2 und Bono zu hören? Warum wurde Shakira nicht kritisiert? Sie alle, das hatte sich gezeigt, vermieden es sehr geschickt, Steuern zu zahlen, und enthielten dem Staat Unsummen vor. Das störte offenbar niemanden. Aber dass Louis C. K. ein paar Damen unaufgefordert seinen Penis gezeigt hatte, ruinierte seine Karriere.

Die Lehre für die Linke ist wiederum die gleiche: Das Establishment wird alles Mögliche tun, um eine wirtschaftliche Radikalisierung der Linken zu verhindern und die wahren Machthaber vor vermehrter Kontrolle zu bewahren. Kein Wunder, dass die Medien eine systematische Kampagne gegen diejenigen führen, die genau dies tun.


Ich bin ja mal gespannt, ob die Linke sich im Konflikt zwischen James Damore und Google langfristig wirklich auf die Seite des internationalen Wirtschaftskonzerns stellen wird. Wenn ja, war es ein strategisch genialer Schachzug von Google, mit Diversity etc. vor allem das zu besetzen, was bei jenen als schickt gilt, die sich heute als "Linke" bezeichnen.



5. Unter der Schlagzeile "Die Mutter als Täterin ist immer noch tabu" veröffentlicht die Süddeutsche Zeitung ein Interview mit einer Familienforscherin, die erklärt, warum Täterinnen oft zu lange vertraut und ihren Opfern zu spät geholfen wird. Und natürlich hat das auch damit zu tun, dass wir die Welt der Reinheit und die Welt des Schmutzes nach Geschlechtern zu ordnen gelernt haben.



6. Nach einer gestern veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschunginstitus INSA liegt die SPD nur noch zwei Prozent vor der AfD (17 vs. 15 Prozent). Das passiert wohl, wenn jahrelanges Warnen und Mahnen lediglich als Abfolge von unqualifizierten Angriffen verstanden wird.



7. Okay, ich hab hier noch was, das WERDET ihr nicht glauben: In Großbritannien ist ein 17jähriger Junge vom Vorwurf der Vergewaltigung entlastet worden, nachdem sein Anwalt tausende Social-Media-Nachrichten auftat, die seine Unschuld beweisen, von den Ermittlungsbehörden aber übersehen worden waren. Ja gibt's denn so was?

Wenn das so weitergeht, dass ich jede Woche praktisch denselben Skandal reinbekomme, muss ich mir echt was einfallen lassen, ihn jeweils unterschiedlich zu präsentieren, um euch nicht zu langweilen. Vielleicht mal als Comic und mal in Gedichtform?



8. Im National Review bespricht Kyle Smith den gestern veröffentlichten feminismuskritischen Artikel Katie Roiphes. Ein Auszug:

Nach dem Massenmord 2014 in Kalifornien, der von einem männlichen Schützen begangen wurde, der sagte, er sei sexuell frustriert und hasste Frauen, die ihn ablehnten, machte die feministische Schriftstellerin Rebecca Solnit das, was die Mutter aller Argumente sein könnte, als sie sagte: "Ich denke, es ist wichtig, dass wir all dieses Zeug zusammen betrachten", was alle Arten männlichen Fehlverhaltens bedeutet. "Es beginnt mit diesen Mikroaggressionen, und es endet mit Vergewaltigung und Mord."

Hier spielt es keine Rolle, dass dem Mörder ein antipsychotisches Medikament zur Behandlung von Schizophrenie verschrieben wurde. Mansplaining, Massaker, das ist alles Teil desselben Kontinuums. Feministinnen wie diese drängen zu einer Art Singapur der Sexualität, wo das Äquivalent des Ausspuckens von Kaugummi auf den Bürgersteig Ihnen eine Auspeitschung einbringt – denn wie sollen Sie sonst Ihre Lektion lernen? Da es nicht so schlimm ist, einen Mann seines Lebensunterhalts zu berauben, wie ihn ins Gefängnis zu stecken, behaupten diese Feministinnen, brauchen wir uns nicht übermäßig um ein ordentliches Verfahren zu sorgen. "Ich verstehe, dass einigen unwohl ist, wenn ein fairer Prozess verweigert wird. Aber ... der Verlust des Arbeitsplatzes ist nicht gleichbedeutend mit Tod oder Gefängnis", schrieb Dayna Tortorici, Redakteurin bei n+1, in einem besonders erschreckenden Fall des Problems, das Roiphe zitiert.

Die Idee der Kollektivschuld breitet sich so stark aus, dass einige linke Männer sich selbst zu geißeln beginnen: Der Ehemann einer Feministin fragte sie: "Wie kannst du jetzt überhaupt mit mir Sex haben wollen?" Diese Art der pauschalen Verurteilung wird zutreffenderweise als lächerlich bezeichnet, wenn sie auf eine andere Gruppe als die Hauptzielgruppe des feministischen Zorns angewendet wird, nämlich die weißen Männer. Sollen sich alle friedliebenden Muslime mit dem Verdacht selbst überprüfen, dass sie tief in ihrem Inneren Terroristen sein könnten?

(...) Frauen, die sich wegen all dieser Entwicklungen unwohl fühlen, spüren einen immensen Druck von Gleichaltrigen zu schweigen, betont Roiphe und stellt fest, dass sie mit mehr als 20 professionellen Frauen für ihren Artikel gesprochen hat, aber keine wollte, dass ihr Name darin auftaucht. Lässt es Feministinnen nicht einen Moment innehalten, dass Frauen sich zu verängstigt fühlen, um sich offen zu äußern? Ist eine Bewegung, die selbst leichte Meinungsverschiedenheiten von weitgehend gleichgesinnten Menschen wirkungsvoll zum Schweigen bringt, etwas, worauf man stolz sein kann?

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