Mittwoch, Juni 14, 2017

Gastbeitrag: Die deutsche Familienpolitik der letzten vier Jahre – eine Bilanz

Bei der Demonstration des Väteraufbruchs am letzten Wochenende in Köln hielt auch Gerd Riedmeier von der IG Jungen, Männer und Väter eine Rede über die deutsche Familienpolitik der letzten vier Jahre. Genderama dokumentiert diese Rede aufgrund des leicht gekürzten und auf bessere Lesbarkeit hin minimal überarbeiten Originalmanuskripts.



Liebe Engagierte und Kämpfer und Kämpferinnen für Gerechtigkeit im Familienrecht!

Es ist Zeit für eine Bilanz. Eine Bilanz über vier Jahre Familienpolitik der noch aktuellen Bundesregierung. Die IG-JMV zog diese Bilanz letzten Montag in einem Pressegespräch in Berlin – im Haus der Bundespressekonferenz.

Ich fasse die Bilanz zusammen:

• Was bedeutete Familienpolitik für Frau Schwesig? Sie kümmerte sich nahezu ausschließlich um intakte Familien – in diesen Familien dürfen Väter partnerschaftlich Betreuungsverantwortung übernehmen und die Mütter entlasten.

• Frau Schwesig beförderte dazu Elterngeld und Elternzeit inclusive Vätermonate

• Und: Frau Schwesig schlug die Einführung eines Rechts auf befristete vollzeitnahe Teilzeittätigkeit für Eltern mit kleinen Kindern vor (Familienarbeitszeit). Wir unterstützen diesen Gedanken.

Was bleibt jedoch außerdem?

• der ausschließliche Blick des BMFSFJ auf Frauenthemen

• der ausschließliche Blick des BMFSFJ auf getrennt erziehende Mütter (Alleinerziehende)

• misandrische Ansätze: Gewalt und häusliche Gewalt entsteht nach dem BMFSFJ nur durch Männer. Es existieren beim BMFSFJ keine Hilfsangebote für männliche Opfer häuslicher Gewalt oder für Täterinnen.

Das BMFSFJ zeigt große Defizite im Verständnis von Familie:

• Der Begriff Familie gilt für das BMFSFJ bis einen Tag vor der Scheidung. Einen Tag nach der Scheidung fühlt sich das BMFSFJ nicht mehr für die Familie zuständig, sondern verweist auf das Bundesministerium für Justiz. Familie als rein juristische Auseinandersetzung? Ein Stück weit Staatsversagen: Das Grundgesetz schreibt etwas anderes vor.

• Nachtrennungsfamilien? Wurden vom BMFSFJ bewusst vernachlässigt.

• Die Resolution des Europarats zur Einführung des Wechselmodells? Das BMFSFJ verhinderte eine schnelle Umsetzung und versuchte, Entscheidungen über das Wechselmodell auf die nächste Legislaturperiode zu schieben.

• Gleiche Rechte für Mütter und Väter nach Trennung und Scheidung? Das BMFSFJ lehnte die Ratifizierung des 7. Zusatzprotokolls der Europäischen Menschenrechtskommission ab. Darin heißt es "gleiche Rechte für Mütter und Väter auch nach der Scheidung ..."

• Qualifizierte Väterforschung? Das BMFSFJ lehnte unseren Antrag zur Erstellung eines wissenschaftlichen Berichts über die Lebenswirklichkeiten von getrennt erziehenden Vätern ab. Wie geht es ihnen psychisch? Physisch? Gesundheitlich? Finanziell? Steuerlich? Mit Entfremdungssyndromen?

• Dafür gab das BMFSFJ eine Studie zu Kindeswohl und Umgangsrecht in Auftrag (PETRA-Studie). Diese Studie ist eine Fake-Studie: Sie ist nicht nach wissenschaftlichen Kriterien gestaltet. Kindeswohl? Ein unwissenschaftlicher und nicht definierter Begriff. Umgang? Ein unwissenschaftlicher Begriff aus den Gerichtssälen. Besser und neutral wäre es, von Betreuungsanteilen zu sprechen. Das BMFSFJ veränderte mehrmals das Studiendesign. Unwissenschaftlich. Die Öffentlichkeitsarbeit: Bodenlos. Völlige Intransparenz. Sogar die Namen der Mitglieder des "Wissenschaftlichen Beirats" wurden geheim gehalten. Ich persönlich habe die Veröffentlichung der Namen erzwungen.

• Auch heute gilt noch: Väter dürfen nicht interviewt werden, wenn die Mutter es nicht will. Nachweise liegen vor. Diese Studie ist grundgesetzwidrig und verstößt gegen das verfassungsmäßige Gebot auf Gleichbehandlung von Frauen und Männern.

Wie sieht es allgemein in der Politik aus?

• Authentische Vertreter der Bedürfnisse von Jungen, Männern und Vätern wurden konsequent nicht geladen, weder in den Ausschüssen des Deutschen Bundestags noch von den Ministerien. Nur Frauenverbände. Ein defizitäres Politikverständnis.

• Die Betroffenen werden nicht gefragt. Beispiel Jugendämter: Beim Hearing im BMFSFJ wurden die Wohlfahrtsverbände eingeladen und die Träger der Jugendhilfe, also die parasitären Strukturen, die sehr gut von der Malaise leben.

Wollen wir uns all das noch weiter gefallen lassen?

Die Frage rückt näher: Können die SPD (und vielleicht auch die andere Parteien) von Männern und Vätern noch guten Gewissens gewählt werden? Oder haben wir es generell mit einem geschlechterpolitischen Kartell aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien zu tun?

- Welche Partei schreibt in ihr Wahlprogramm, sie will Nachtrennungsfamilien steuerlich entlasten?

- Welche Partei schreibt in ihr Wahlprogramm, sie will das Wechselmodell als Standard für Nachtrennungsfamilien einführen?

- Welche Partei schreibt in ihr Wahlprogramm, sie will die Neuregelung des Unterhalts für Nachtrennungsfamilien?

- Welche Partei schreibt in ihr Wahlprogramm, sie will den Diskurs mit authentischen Vertretern der Bedürfnisse von Jungen, Männern und Vätern führen?

- Welche Partei möchte noch weiter Vielfalt für die Familien und vergisst dabei komplett die getrennt erziehenden Väter?

- Welche Partei schreibt endlich in ihr Wahlprogramm, Vaterschaft ist als biologische Abstammung zu definieren und nicht über einen Ehestand?

Wir haben noch nicht vergessen:

Die vormalige Generalsekretärin der SPD Yasmin Fahimi fuhr jahrelang die einseitig mütterlastige Kampagne "Wonder Women oder: Alleinerziehende – Heldinnen der Gesellschaft". Wo blieb dabei ihre Wertschätzung für getrennt erziehende Väter? Vater 49 % - Mutter 51 % Held oder Heldin? Väter wurden aus Fotoaufnahmen für die Präsentation heraus geschnitten.

Dafür Väter-Bashing durch Sigmar Gabriel und andere. Ich sage: Dieser Populismus ist skandalös.

Jedem, aber auch jedem einigermaßen informierten Menschen in Deutschland ist bekannt: Forderungen zum Kindesunterhalt sind sehr schnell vollstreckbar. Viele Mütter halten vollstreckbare Titel in ihren Händen. In der Mehrzahl der Fälle brauchen sie diese Titel nicht zu bemühen. Aber: Es kann in diesen Fällen sofort zu Lohn-, Einkommens- und Vermögenspfändungen kommen.

Einem Sigmar Gabriel sind diese Zusammenhänge jedoch egal. Er überträgt seine eigenen traumatischen Erlebnisse aus seiner Herkunftsfamilie und macht damit Politik auf Kosten von Millionen Vätern – in misandrischer Weise.

- Wo bleiben die steuerlichen Entlastungen für Nachtrennungsfamilien, also auch für getrennt erziehende Väter wie z.B. in Frankreich üblich?

Was würde passieren, würde so mit Frauen umgegangen?

Wir fordern Gerechtigkeit ein. Gleichberechtigung und Gleichbehandlung für Mütter und Väter. Dazu benötigen wir Gesetzesänderungen zur Betreuung und ein neues Unterhaltsrecht. Wir benötigen ein neues Melderecht. Und wir benötigen eine Verpflichtung für Schulen, generell beiden Eltern in Nachtrennungsfamilien Auskünfte über das schulische Wohl ihrer Kinder standardisiert zu übermitteln.

Für das Unterhaltsrecht muss gelten: Beide betreuen – beide bezahlen mit dem Blick auf Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit. Lösungen liegen den Ministerien bereits vor.

Was sagt Martin Schulz dazu? Fordert er Gerechtigkeit auch für Nachtrennungsfamilien? Ich befürchte, er hat noch ein wenig nachzuliefern ... Ich wünsche ihm da ein gutes Standing.

Jetzt ein paar positive Aussichten:

• Doppelresidenz.org setzt sich in vorbildlicher Weise für das Wechselmodell ein.

• Die FDP ist teilweise sehr offen für positive Veränderungen in der Betreuung der Kinder.

• Die IG-JMV positioniert sich deutlich gegenüber der Politik – und wird zunehmend gehört. Aktuell war die IG-JMV geladen in der Bundestagsfraktion der SPD, im BMFSFJ, im Bayerischen Landtag sowie im Landtag von NRW.

• Aktuell stehen weitere Termine mit dem BMFSFJ an für Juli und August 2017. Wir werden diese Termine wahrnehmen und berichten.

Diese Einladungen bekommen wir, weil wir zwar kompetent, aber auch unbequem sind, wir nicht locker lassen und weil wir Lösungen anbieten und deren Umsetzung einfordern. Einen Schmusekurs, wie ihn so manche Väterverbände fahren, halten wir für nicht zielführend. Kooperationen mit sich von vorne herein als "profeministisch" definierenden Verbänden halten wir für kontraproduktiv.

Wir kritisieren deutlich die mangelnde Kooperationsbereitschaft von so manchem Verein. In Deutschland gibt es gefühlt Dutzende engagierte Initiativen. Viele leisten hervorragende Betroffenenarbeit. Das ist gut – aber es ist nicht genug. Teilweise sind wir Väter, Großeltern und so weiter selbst mit Schuld am Nicht-gehört-Werden. Wir haben es in den letzten 25 Jahren nicht vermocht, unsere Forderungen so zu formulieren, dass sie Eingang in die Politik finden. Viele von uns kommunizieren immer nur intern, und nicht nach außen. Bedauerlich.

Ich komme zum Schluss:

Die IG-JMV fordert einen Neustart im Verständnis von Familien- und Geschlechterpolitik für Deutschland - Gleichberechtigung und Gleichbehandlung für Frauen und Männer, Mütter und Väter. Dazu ist auf Bundesebene der Einsatz einer Enquetekommission unter Beteiligung authentischer Vertreter der Bedürfnisse von Jungen, Männern und Vätern nötig.

Die zur Bundestagswahl antretenden Parteien legen Ende Juni ihre Wahlprogramme als Antwort auf unsere Wahlprüfsteine vor. Die IG-JMV wird die Programme und Antworten prüfen und deutlich Empfehlungen zur Bundestagswahl 2017 aussprechen. Wir sind in den sozialen Netzwerken gut vernetzt und erreichen dabei Millionen Männer und Väter – und ihre Lebenspartnerinnen.

Zeigen wir unsere Unzufriedenheit und setzen wir bewusst unser Kreuzchen am 24. September! Es kann spannend werden!

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