Samstag, November 21, 2015

Lesermail: Die doppelte Moral des Cem Özdemir

Einer meiner Leser schreibt mir heute:

Wie sehr die Belange von Jungs und Männern unsere Politiker einen feuchten Kehricht interessieren, das kann man im Moment sehr gut an einem aktuellen Kommentar in der Süddeutschen Zeitung erkennen, in dem ein Torsten Denkler den Grünen Cem Özdemir dafür lobt, eine kritischere Handlung zum Islam anzumahnen.

Besonders ins Auge gesprungen sind mir dabei die Worte "Kein heiliges Buch steht über den Menschenrechten. Kein heiliges Buch steht über der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland", so gesagt anscheinend von Herrn Özdemir. Meine erste Reaktion war: Das erinnert mich doch sehr an die Argumentation kontra Beschneidung im Herbst 2012, als es unter anderem um die Abwägung zwischen Religionsfreiheit und den Menschenrechten ging.

Ob Cem Özdemir da wohl auch nach diesem Prinzip gestimmt hat? Hat er nicht. Natürlich. Damals hat er im Gegenteil so argumentiert, dass die Beschneidung ein "akzeptiertes Wesenselement" zweier Religionen wäre und damit nicht illegalisiert werden dürfe.

Im Text der Süddeutschen Zeitung dagegen macht er ein Kehrtwende, denn dieses Mal sind ja nicht die Buben die Leidtragenden: "Seinen Glauben zu leben kann nicht bedeuten, die eigene Tochter zu verstoßen, weil sie mit offenem Haar durch die Straßen zieht. Kann nicht bedeuten, die Söhne zu kleinen Paschas heranzuziehen, die Frauen nicht die Hand geben. Es muss eine Debatte geben, was rückständige Kultur ist [...]".

Einen Politiker, der erst Religion über Menschenrechte stellt, und für die Legalisierung der Verstümmlung männlicher Sexualorgane stimmt, später aber groß tönt, das Grundgesetz würde über jeder Religion stehen – den kann doch niemand mehr ernst nehmen. Wir lernen: Männliche (und NUR die!) Beschneidung, das ist ein wichtiges Wesenselement von Religionen, und damit schützenswerter als elementare Menschenrechte für Jungen. Diese Jungen aber "zu kleinen Paschas heranzuziehen", das ist "rückständige Kultur"... und darüber muss man dann schon reden. Denn dieses Mal sind ja nicht die Jungs die geschädigten, sondern die Mädchen.

Dass dieser Glaube – ganz salopp – ans Patriarchat durchaus auch Wesenszüge einer Religion hat, darauf kommen aber weder Özdemir noch Denkler.


Nachtrag: Ein Grünen-Mitglied aus meinem Netzwerk hat mich freundlicherweise darauf hingewiesen, dass Özdemir an der Bundestagsabstimmung zur Beschneidung nicht teilgenommen haben konnte, weil er zu diesem Zeitpunkt noch gar kein Mitglied des Bundestages war. Es kann hier also nur generell um sein Messen mit zweierlei Maß in diesem Bereich gehen und nicht um sein Abstimmverhalten.

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