Mittwoch, Januar 18, 2006

Wikipedia immer durchgeknallter

Seit einigen Wochen tobt die Debatte um die Wikipedia besonders intensiv, was die englischsprachige Wikipedia mit einem eigenen ausführlichen Beitrag würdigt. Vor allem folgende Einwände werden vorgebracht:

- Die Wikipedia-Autoren seien in der Regel sehr jung und schrieben auch so. Das hat ihr die Bezeichnung „Kinderlexikon“ eingebracht.
- In traditionellen Lexika dürfe sich niemand erlauben, Schwachsinn zu verzapfen, weil seine wissenschaftliche Reputation davon abhänge. Die Anonymität der Wikipedia hingegen erlaube jedem, der sich für einen Experten hält, fröhlich draufloszufaseln.
- Die Grundannahme der Wikipedia, dass eine ständige Überarbeitung der Artikel durch immer mehr Autoren zu einer immer höheren Qualität führt, sei unbewiesen. Tatsächlich stießen Experten von außen auf so einige Artikel, die ursprünglich sehr gut waren und durch inkompetentes Herumgebastel immer bedenklicher gerieten.
- Es sei illusorisch, dass jeder Wikipedia-Artikel ständig verbessert werde. Viele blieben unbeachtet, so dass sich in ihnen aller möglicher Unfug einnisten könne. So wurde ein weniger bekannter amerikanischer Journalist über Monate fälschlich mit dem Kennedy-Mord in Verbindung gebracht. Und in der deutschen Wikipedia findet man unter dem Eintrag „Vertrauen“ auch schon mal eher unlexikalische Worte wie diese: „Vertrauen ist im spirituellen Denken das, worum sich unser Leben dreht: Das Vertrauen in unsere innewohnenden göttlichen Fähigkeiten wieder herzustellen. Alles ist nur einen Gedanken weit entfernt. Vertrauen wir darauf, haben wir das schöpferische Talent in uns entwickelt (ab/ ausgewickelt). Das, was wir auf dieser Erde lernen sollen bzw. wiedererlangen sollen, ist das BEWUSSTE Vertrauen in unsere gottgegebenen Fähigkeiten. In den Odem Gottes, den er uns im Paradies einhauchte. Oder in die Seele, die uns von Gott (Urgott) mit auf die Reise gegeben wurde. Gott ist im spirituellen Denken religionsfrei, er steht über/ hinter den Religionen.“
- Der Wikipedia-Grundsatz „Artikel müssen unter einem neutralen Standpunkt geschrieben werden“ verkümmert in Wirklichkeit dazu, dass die Beteiligten darüber abstimmen, was als „neutraler Standpunkt“ zu gelten hat. Dabei haben die Wikipedia-Administratoren oft die letzte Entscheidungsgewalt, und die Stimmen von Leuten, die sich in der Wikipedia-Hierarchie schon gut eingenistet haben (zum Beispiel weil sie mangels Berufsqualifikation genügend Zeit für solche Dinge haben), sind einflussreicher als die Stimmen von echten und neuen Experten, die oft als „Trolle“ abgewatscht werden. Von dem bekannten Wikipedia-Kritiker Andrew Orlowski stammt der treffende Satz: „Wenn du ein Experte bist und bei der Wikipedia helfen möchtest, bereite dich auf monatelange Streitereien vor – normalerweise mit Leuten, die von dem Thema keine Ahnung haben.“ Noch dazu werden einige Themen von Lobbygruppen und FantikerInnen gekapert. Als im November 2005 der Vorwurf durch die Medien ging, dass mehrere hundert Wikipedia-Einträge aus DDR-Lexika stammen sollten, überraschte das nicht.

Besonderen Spaß hatten seit jeher Vertreter der Männerbewegung mit einigen Wikipedia-Ideologinnen. Zentrale Fakten und Argumente waren dabei oft entweder gar nicht oder erst nach langem Ringen einzubringen. Bestimmte Artikel („Väteraufbruch für Kinder“) wurden erst mal auf die Löschliste gesetzt und mussten überhaupt erst um ihre Existenzberechtigung kämpfen, andere Artikel (etwa eine Liste mit Autoren der Männerbewegung) wurde von den Wikipedianerinnen auf Dauer völlig blockiert. Ebenfalls ein Löschantrag wurde erst einmal gegen das Portal: Männer eingebracht, das sich zwar schließlich durchsetzen konnte, aber putzigerweise, was durch einen Blick auf die Versionsgeschichte deutlich wird, vor allem von der rührigsten Wikipedia-Feministin mitgeprägt wurde. Andere Artikel zu diesem Thema leiden auf ähnliche Weise: Wer am meisten freie Zeit hat und am verbissensten kämpft, gewinnt.

Während inzwischen Wikipedia-Gründer Jimmy Wales selbst davon spricht, dass so einige Artikel seines Online-Lexikons eine „entsetzliche Peinlichkeit“ seien, ging kürzlich andererseits durch die Presse, dass die Wikipedia-Artikel Expertenmeinung zufolge einem Vergleich mit der Encyclopedia Britannica standhielten. (Das Lob galt der englischsprachigen Wikipedia, aber die deutsche hängt sich da natürlich gerne dran.) Die Herausgeber der Britannica können das ebensowenig ernst nehmen wie Fachleute aus dem Bibliothekswesen und warnen vor einer Verwendung der Wikipedia als seriöser Quelle. Wer hat Recht?

Entscheiden Sie doch selbst, ob ein Artikel wie dieser hier zum Thema „Frauenkrimi“ in derselben Fassung auch in der Encyclopedia Britannica, dem Brockhaus oder einem anderen renommierten Lexikon stehen könnte …

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