New York Times: "Es ist nicht nur ein Gefühl: Daten zeigen, dass Jungen und junge Männer ins Hintertreffen geraten"
1. Wenn ich Medienbeiträge über geschlechtsbezogene Benachteiligung sichte, stoße ich immer wieder auf die Formulierung, dass sich inzwischen viele Männer "benachteiligt fühlen". Das Wort "fühlen" wird hier weit häufiger verwendet als bei Frauen, bei denen Medien es so darstellen, als ob sie schlicht benachteiligt "sind".
Bei Männern hingegen gilt es als Teil des Problems, dass sich Mitglieder des patriarchalen Unterdrückergeschlechts jetzt auch noch als Opfer phantasieren. So heißt es beispielsweise bei Spiegel-Online unter der Überschrift "Sorgenkind junger Mann": "Junge Männer wählen immer rechter, fühlen sich benachteiligt oder im Stich gelassen – und sehnen alte Rollenbilder herbei. Was ist nur los mit ihnen?" Anders als bei Frauen zeigt das Gefühl der Benachteiligung bei Männern offenbar, dass mit den Kerlen irgendetwas nicht stimmt. Die ticken nicht richtig.
Ähnlich formuliert es ausgerechnet bei "ZDF Wissen" Markus Theunert: "Immer mehr junge Männer fühlen sich von der Emanzipation der Frauen überfordert und von der Gleichstellungspolitik benachteiligt. Entsprechend attraktiv ist diese Zielgruppe für rechte Strategen." Bei der Brigitte fabuliert ein männlicher Autor: "Außerdem sind 45 Prozent der Männer der Ansicht, dass die Gleichstellung so weit ginge, dass sie diskriminiert würden. Traurigerweise überraschen mich diese Zahlen nicht. Auch ich beobachte schon länger eine ähnliche Entwicklung: Wir haben ein Problem in Deutschland. Mit den Männern."
Für diese Männer sind Erzieher anscheinend dringend notwendig. Zwei dieser Männer-Erzieher raunen bei der Frankfurter Allgemeinen unter der Schlag-Zeile "Fast alle Männer sind unbewusste Sexisten" folgendes:
"Der Antifeminist ist nicht nur Sexist, sondern arbeitet aktiv gegen Gleichstellung an. Antifeministen sind teilweise gut vernetzt, in Onlineforen, Vereinen oder Stiftungen, da werden Argumente gefeilt, und es wird versucht, Einfluss zu nehmen auf Ministerien, häufig mit dem Punkt 'Männer brauchen Rechte', 'Väter brauchen Rechte'. Dahinter steckt oft eine große Frauenfeindlichkeit und der Versuch, Gleichstellungsmaßnahmen zu beenden. Dieses Gefühl, dass Männer benachteiligt werden, ist sehr verbreitet unter Männern, auch unter jenen, die keine klassischen Antifeministen sind.
Wie kann man denen allen nur einbläuen, dass dieses Gefühl nicht ideologisch korrekt ist? Dass man es nicht ernst nehmen darf? Das muss den Kerlen doch irgendwie ins Hirn zu hämmern sein!
Entsprechend abgewiegelt wird volle acht Jahre, nachdem beispielsweise die Schweizer Zeitung "20 Minuten" offenlegte: "Während 40 Prozent der Frauen angeben, sich hierzulande diskriminiert zu fühlen, sind es bei den Männern 50 Prozent." Die allermeisten westlichen Medien bilden diesen Wechsel in ihrer Berichterstattung nicht angemessen ab.
Jetzt aber stellt keine geringere Zeitung als die New York Times klar:
"Es ist nicht nur ein Gefühl: Daten zeigen, dass Jungen und junge Männer ins Hintertreffen geraten"
In dem Artikel von Claire Miller heißt es weiter:
Jungen und junge Männer haben es schwer. Im Laufe ihres Lebens - in Bezug auf ihre schulischen Leistungen, ihre psychische Gesundheit und ihren Übergang ins Erwachsenenalter - gibt es Warnzeichen dafür, dass sie ins Hintertreffen geraten, während ihre weiblichen Altersgenossen immer weiter vorrücken.
In den Vereinigten Staaten, so die Forscher, haben mehrere wirtschaftliche und soziale Veränderungen dazu geführt, dass sich der Lebensweg von Jungen und Männern verändert hat. Die Schule hat sich zugunsten der Mädchen verändert, und die Arbeit hat sich zugunsten der Frauen verändert. Jungen werden oft als Störenfriede angesehen, und Männer haben gehört, dass Männlichkeit "toxisch" ist.
Die jungen Menschen selbst sind in der Regel der Meinung, dass Mädchen heute mindestens gleichwertig mit den Jungen sind - und oft besser abschneiden als diese. Viele junge Männer sagen, dass sie sich abgehängt und unterbewertet fühlen, und Eltern und Erwachsene, die mit Kindern arbeiten, machen sich Sorgen um Jungen. Das ist nicht nur ein Gefühl: Es gibt eine Fülle von Daten, die zeigen, dass Jungen und junge Männer stagnieren.
Darauf folgen eben jene Daten, die Männerrechtler seit Jahrzehnten vorlegen – wofür sie stur ins rechte Lager gerückt werden. Die Tagesschau etwa zitiert einen Rechtsextremismusforscher damit, dass "die Opferinszenierung Teil der ideologischen DNA von Populisten und Rechtsextremen" sei: "Die Deutschen, die Männer - alle werden benachteiligt." Im Ernst? Die gesellschaftlichen Gruppen, die am lautesten über Benachteiligung klagen, sind nicht die Männer. Sind etwa Feministinnen, die sich und ihr Geschlecht als Opfer sehen, ebenfalls populistisch und rechtsextrem?
Sorry, so sieht keine seriöse Debatte aus. Die führt stattdessen die New York Times, die sich von solchen anti-emanzipatorischen Abwehrkämpfen verabschiedet und stattdessen berichtet:
Das beginnt sich zu ändern, so Niobe Way, Autorin von "Rebels With a Cause: Reimagining Boys, Ourselves and Our Culture" und Professorin für Entwicklungspsychologie an der N.Y.U. "Jungen und junge Männer hungern genau wie alle anderen danach, so gesehen zu werden, wie sie sich selbst sehen, als gute Menschen", sagte sie. "Sie wollen nicht nur überleben, sondern auch die Möglichkeit haben, sich zu entfalten."
Wie die New York Times erklärt, sind Jungen bei ihrer schulischen Laufbahn konsequent im Nachteil – bis hin zum Einschreiben ins College, was die späteren Verdenstmöglichkeiten im Beruf festlegt. Die Schule erlaube es Forschern zufolge Jungen heute nicht mehr, ihr volles Potential zu entfalten. Bei anderen Themen sieht es ähnlich aus, erklärt der Artikel, bis er bei folgendem Fazit landet:
"Die heutige amerikanische Wirtschaft belohnt viele der Eigenschaften, die mit Männern und Männlichkeit in Verbindung gebracht werden, nicht", so Robb Willer, Professor für Soziologie in Stanford, "und ich habe das Gefühl, dass sich dieser Trend fortsetzen wird".
2. Mehrere Medien, darunter n-tv, berichten heute folgendes:
Die Union will zurück zur Wehrpflicht, einigt sich mit der SPD aber auf das schwedische Modell – dieses setzt zunächst auf Freiwilligkeit. Verteidigungsminister Pistorius stellt nun klar: "Die Betonung liegt auf 'zunächst'". Sollte die Truppe nicht schnell genug wachsen, könnte die Wehrpflicht doch auf den Tisch kommen.
Zu dieser Debatte hat sich inzwischen der Reservistenverband der Bundeswehr geäußert:
Ein internes Papier, das dem ZDF vorliegt, zeigt erhebliche strukturelle Defizite bei der Bundeswehr im Umgang mit Reservisten – insbesondere mit sogenannten Ungedienten, also Menschen ohne vorherige militärische Erfahrung. Demnach sind die aktuellen Prozesse im Personalamt der Bundeswehr nicht in der Lage, die wachsende Zahl an Bewerbungen zügig und transparent zu bearbeiten. In der internen Präsentation wird die Bürokratie gar als "schwarzes Loch" beschrieben, das Akten und Menschen verschlinge, heißt es laut dem ZDF.
Obwohl ein erhöhter Bedarf an Reservisten besteht, stehen nicht genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung. Für das Jahr 2025 sind lediglich rund 500 Plätze für Ungediente geplant.
Hinzu kommt ein weiteres strukturelles Problem: Seit Aussetzung der Wehrpflicht und Auflösung der Kreiswehrersatzämter verfügt die Bundeswehr über keine aktuellen Adressdaten ehemaliger Soldaten, was die Reaktivierung erfahrener Reservisten zusätzlich erschwert.
(…) Fast eine Million Reservisten können vor allem mit einer Wehrpflicht erreicht werden, so der Präsident des Reservistenverbands, Dr. Sensburg. In Deutschland wurde die Wehrpflicht 1956 eingeführt und 2011 vom damaligen CSU-Verteidigungsminister, Karl-Theodor zu Guttenberg, aus Kostengründen ausgesetzt.
Bis heute ist der Pflichtdienst in Artikel 12a des deutschen Grundgesetzes verankert und kann somit wiedereingeführt werden. Darin heißt es jedoch, dass lediglich Männer ihren Wehrdienst antreten müssen. Ein Dienst inspiriert vom schwedischen Modell, das von Pistorius vorgeschlagen wurde, basiert zwar auf Freiwilligkeit, jedoch sollen Männer und Frauen kontaktiert werden.
"Grundsätzlich sehen wir, dass der für junge Männer verpflichtende und für junge Frauen freiwillig auszufüllende Fragebogen ein wichtiger Schritt in Richtung Wehrerfassung ist", räumt Dr. Sensburg ein. "Dennoch wird dieser auf Freiwilligkeit basierende Wehrdienst nicht ausreichen, damit wir genügend Reservistinnen und Reservisten bekommen, um die sicherheitspolitischen Aufgaben unserer Zeit zu bewältigen."
Der Reservistenverband fordere deshalb die Wiedereinführung der Wehrpflicht, und das schon seit 2015. "Denn nur eine Wehrpflicht sorgt dafür, dass wir für die nächsten Jahre ausreichend Reservistinnen und Reservisten rekrutieren, die die Aufwuchsfähigkeit unserer Streitkräfte sicherstellen und damit die Abschreckungsfähigkeit unseres Landes erhöhen", erklärt der Präsident des Reservistenverbands.
3. In einem Interview für einen Beitrag des NDR-Medienmagazins Zapp hat sich der Berliner Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar ausführlich zu den Übergriffs-Vorwürfen gegen ihn geäußert. Der 48-Jährige wies Anschuldigungen von grenzüberschreitendem Verhalten entschieden zurück und fragte: "Ist ein Flirt ein grenzüberschreitendes Verhalten?" Das Gespräch verlief keineswegs reibungslos. Gelbhaar brach das erste Interview ab, weil er sich nach eigenen Angaben durch die Fragen vorverurteilt fühlte.
Der NDR fasst den Kern der Kontroverse so zusammen:
Für Investigativ-Journalistin Ann-Katrin Müller vom Spiegel zeigt der Fall typische MeToo-Strukturen: "Wenn ein deutlich älterer, mächtiger Mensch, in dem Fall Stefan Gelbhaar, tatsächlich seine Position benutzt hat, weil er Bundestagsabgeordneter oder Landesvorsitzender war, um bei jungen Frauen eine gewisse Form von Gespräch anzuleiern oder vielleicht auch zu flirten, […] dann ist das klassisch Metoo."
Den Vorwurf des Machtmissbrauchs weist Gelbhaar im ZAPP-Interview zurück: "Macht ist immer und überall da. [...] Die Frage ist, wie sich dieses Machtverhältnis ausdrückt. […] Die Unterstellung, dass jetzt quasi alle Menschen, nur weil sie jung sind, per se ganz schüchtern sind - die trifft bei den Grünen Gott sei Dank nicht zu. Wir haben sehr sendungsbewusste junge, grüne Männer und Frauen."
Vermutlich haben beide Recht. Ja, es ist albern anzunehmen, dass eine Frau zum Opfer wird, nur weil ein Mann in einer höheren Position sie anflirtet. Und ebenfalls ja: Solche Flirts zu skandalisieren ist tatsächlich "klassisch MeToo".
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