Mittwoch, Dezember 06, 2017

Anne Will & Co: Wenn Irrationalität Macht, Bedeutung und Einkommen verspricht – News vom 6. Dezember 2017

1. Fast 20 Prozent der Viertklässler haben Probleme beim Lesen. Das berichtet unter anderem die Süddeutsche Zeitung. Mädchen lesen weiterhin deutlich besser als Jungen – vor allem wenn es um das Verstehen literarischer Texte geht. Sollen die Grundschüler aber informierende Texte bearbeiten, gibt es kaum einen Leistungsunterschied zwischen den Geschlechtern. Insgesamt haben sich die Leseleistungen deutscher Viertklässler im internationalen Vergleich verschlechtert.



2. Der Verein Deutscher Sprache möchte nach französischem Vorbild auch in Deutschland das Gendern beenden. Die taz hat den Geschäftsführer des Vereins interviewt.



3. Bundesrichter Thomas Fischer stellt in einem Artikel für die "Zeit" fest, dass in der aktuellen Sexismusdebatte

fiebrig alles durcheinander- und in einen Topf geworfen wird, aus welchem dann ein Brei aus Halbwahrheiten, Anschuldigungen, Moral und eigennützigen Interessen ans Volk verteilt wird. Das Volk erträgt es aber nicht, täglich darüber belehrt zu werden, dass es zu 49 Prozent aus (mindestens) potenziellen Verbrechern und zu 51 Prozent aus arglosen Opfern bestehe, für die eine kleine, aber alleswissende Avantgarde durch lautestmögliches Geschrei immerzu "das Schweigen brechen" müsse.


Hier geht es weiter – unter anderem mit einer Analyse der unsäglichen Anne-Will-Talkshow zu diesem Thema und darüber, wie feministische Ideologen die Rate der Falschbeschuldigungen bei sexueller Gewalt hinunterrechnen. Fischer zieht abschließend das Fazit:

Erschreckend ist das Maß an Irrationalität, das sich breitmacht. Den ProtagonistInnen von Frauennotruf bff e. V. und anderen MoralunternehmerInnen verspricht Irrationalität Macht, Bedeutung und Einkommen. Das sollte man keinesfalls vergessen, auch wenn sie sich als VerfechterInnen des ganz und gar Guten präsentieren und immerzu irgendjemandem "helfen" wollen. Ich glaube, dass die Damen Schele, Himmelreich und Will, wie sehr viele andere, vor allem und an allererster Stelle sich selbst helfen möchten. Und dann kommt erst mal ganz lange nichts.




4. Auf der Website des populärwissenschaftlichen Magazins Psychology Today beschäftigt sich Joe Kort seriöser als Anne Will und Konsorten mit der Sexismusdebatte. Ein Auszug:

Mit der jüngsten Flut von Enthüllungen über mächtige Männer, die sich unangemessen gegenüber nicht zustimmenden Menschen ohne Macht verhalten - einschließlich Frauen, Mädchen, Jungen und Männer -, entsteht bei mir die Sorge, dass wir als Kultur schnell zu dem einfachsten Schluss kommen: dass alle Männer triebgeile Tiere sind, unfähig, ihre Impulse zu kontrollieren, und anfällig für schädliches, pathologisches Verhalten. Es gibt einen Namen dafür, wohin das führt: Misandrie, das heißt Hass auf Männer. Das entspricht der Misogynie, dem Hass auf Frauen.

(...) Während Männer gerade jetzt wegen sexueller Aggressionen gegen nicht zustimmende Partner im Rampenlicht stehen, sagt die überwiegende Mehrheit der Männer, mit denen ich in der Therapie zu tun habe: "Wenn sie es nicht auch möchte, geht meine eigene Lust komplett zurück." Stattdessen hoffen diese Männer, dass ihre Partnerin versteht, dass sie Intimität suchen, wenn sie Sprache oder Handlungen im Schlafzimmer benutzen, die ihre Partnerin objektivieren.

Natürlich müssen Männer auch das Bedürfnis der Frauen nach romantischer und relationaler Sprache verstehen, und es ist die Aufgabe des Therapeuten, beiden Partnern zu helfen, die Bedürfnisse des anderen zu verstehen – gewissermaßen der Übersetzer zwischen ihnen zu sein. Die am wenigsten hilfreiche Sache, die man hier tun kann, ist, sich völlig der weiblichen Perspektive zu beugen und den Mann zu größeren Gefühlen des Selbsthasses, der Scham und der Unterdrückung seiner Wünsche zu zwingen. Auch ein männlicher Beziehungsansatz muss einbezogen werden. Ohne einen Ausgleich zwischen den sexuellen und relationalen Bedürfnissen von Männern und Frauen zu schaffen, besteht die Gefahr, dass zwischen ihnen noch mehr Distanz entsteht.




5. Allerdings blenden nicht alle Frauen aus, wie zweischneidig und undifferenziert viele aktuell über sexuelle Belästigung sprechen. Einwände äußert etwa Allison Benedikt im Magazin Slate. Ein Auszug:

Als ich 23 Jahre alt war, schaute mein Chef gerne in die Lücke am Hosenbund meiner Jeans, wenn er an meinem Schreibtisch vorbeiging. Ich hatte damals meinen ersten Job bei einem Magazin als Faktencheckerin auf Einstiegsniveau, und er war ein älterer und mächtigerer Redakteur. Meine Karriere lag damals in seinen Händen. Einmal, als wir mit der Arbeit an einem Artikel fertig waren, schlug er vor, das mit einem Drink zu feiern. Es war ein Freitagabend, und ich erinnere mich, dass ich mich extrem nervös fühlte, als wir uns in einer dunklen Bar gegenüber saßen. Er flirtete mit mir, das habe ich gemerkt. Am nächsten Wochenende lud er mich wieder ein. Ein paar Tage später küsste er mich auf der Treppe der U-Bahn-Station West 4, ohne vorher meine Zustimmung eingeholt zu haben. Wir sind nun seit 14 Jahren glücklich verheiratet und haben drei Kinder. (...) Wenn ich nicht an den Annäherungsversuchen meines Mannes interessiert gewesen wäre, wäre das dann Belästigung gewesen? War es so oder so Belästigung, da er mein Boss war? Heute scheinen viele Leute zu glauben, dass die Antwort "ja" lautet.

(...) Wenn eine jüngere Frau einen älteren und beruflich mächtigeren Mann um Beratung im Job bittet und dieser Mann die Frau schließlich anbaggert, ist das schon Belästigung? Ist es immer falsch, wenn ein Mann sich zu einer Frau bei der Arbeit hingezogen fühlt und entsprechend handelt? Wenn dieser Mann versucht, die Frau zu küssen, zu der er sich hingezogen fühlt, und sie steht nicht darauf, und sie lassen es dabei, war das gewaltsames Küssen? Wenn eine Frau sich nicht zu einem Mann hingezogen fühlt, der sie anflirtet, und dieser Mann sich in irgendeiner Machtposition befindet, ist sein Verhalten dann eindeutig ein Vergehen, das mit einer Kündigung bestraft werden muss? Ich glaube nicht, dass die Antwort auf diese Fragen definitiv "ja" lautet. Und doch wurden solche und ähnliche Fälle mit eindeutigen Übergriffen zusammengeworfen und manchmal auch genauso bestraft.

(...) Wenn Männer versucht haben, ihre Verwirrung darüber zur Sprache zu bringen, wo die Grenze verlaufen, wurde ihnen weitgehend mit Hohn begegnet. (...) Als ein Sheriff in Texas auf Facebook schrieb, dass er seine Kolleginnen nicht mehr umarmen würde, weil er sich Sorgen macht, dass Umarmungen nun als bedrohliches Verhalten angesehen werden, lachten die Twitterati spöttisch: "Ich habe eine Idee! Wie wär's denn damit, Frauen nicht zu belästigen?" lautete die schnippische Antwort. Aber diese Reaktion ist zu einfach. Solche Männer zeigen uns, dass es in unserer Kultur Verwirrung darüber gibt, was noch in Ordnung geht und was nicht. Wir sollten diese Irritationen zwar nicht wichtiger nehmen als den Schutz der Frauen vor Übergriffen, aber warum müssen wir diese Unsicherheit mit einem Verdrehen der Augen ignorieren?

Diese öffentliche Verachtung hilft Männern nicht im geringsten dabei, diese Fragen in ihrem eigenen Leben zu erforschen. Ein Freund von mir erzählte mir von einem Date, zu dem er sich kürzlich mit einer Frau traf, die er online kennengelernt hatte. Nach dem Abendessen fragte er sie, ob sie zu ihm mitkommen wolle. Sie lehnte ab. Sie trafen sich trotzdem einige weitere Male, und schließlich erklärte sie ihm, daß der Grund, weshalb sie nicht mit ihm in seine Wohnung ging, die erste Nacht war, als er sie nicht nachdrücklich genug aufgefordert hatte. Derselbe Freund erzählte mir von einer denkwürdigen Zeile, die er in mehreren Tinder-Profilen gesehen hatte: "Ich mag es, gejagt zu werden". Ich lachte, denn wer mag das nicht? Aber was mein Freund in diesem Moment sah, waren gemischte Botschaften: Es ist gut, aggressiv zu sein, wenn dein Date interessiert ist, aber sobald du mit deiner Interpretation falsch liegst, bist du erledigt. Es fühlt sich toll an, gejagt zu werden, wenn man von der Person angezogen wird, die einen verfolgt. Andernfalls kann der Verfolger als Raubtier wahrgenommen werden.




6. Nachdem sich MeToo auch an US-Colleges ausgebreitet hat, verklagen immer mehr Männer Frauen, die ihnen übergriffiges Verhalten vorwarfen, wegen Verleumdung. Das Blog Buzzfeed berichtet. Eine besonders erwähnenswerte Passage:



Unterstützer der Opfer sagen, dass die persönliche Natur dieser Diffamierungsklagen, die von Anwälten mit engen Verbindungen zu Gruppen eingereicht wurden, die sie als "Männerrechtler"-Organisationen verspotten, es schwierig mache, Vertrauen zwischen den kriegführenden Seiten aufzubauen.


Wir Männerrechtler sind mal wieder an allem schuld. Wenn man das so liest, müssen wir inzwischen sehr mächtig sein.



7. Viele Genderama-Leser fragen sich vermutlich: "Was kann ich tun, um meine hegemonische Männlichkeit zu reduzieren?" Eine Autorin des "Magazins für feministische Geographie" gibt eine überraschende Antwort: Essen Sie kein Fleisch mehr - denn Fleisch essen stärkt das Patriarchat. Dem gegenüber sei Vegetarismus eine Möglichkeit, wie Frauen ihre Handlungsfähigkeit und Autonomie durchsetzen könnten. Nicht nur das Geschlecht, sondern auch andere Hierarchien könnten damit destabilisiert und der soziale Wandel voran getrieben werden.



8. Die Post. Kevin Fuchs schreibt mir heute zu der Irritation vieler Frauen, dass Facebook auch ihre Hate Speech bestraft:

Diese Facebook-Haterinnen scheinen den Begriff der "geschützten Gruppe" falsch zu verstehen. Es geht hier um bestimmte Merkmale, anhand derer eine Gruppe als solche abgegrenzt werden kann: z.B. Geschlecht, Religionszugehörigkeit, Ethnie etc. Dabei ist die Merkmalsausprägung (männlich, weiblich, Christ, Moslem) unerheblich. Sprich: "Geschützt" ist eine Gruppe schon dann, wenn sie sich durch ein solches Merkmal definiert.

Was die betroffenen Frauen da beschreiben - also nicht mehr zu wissen, was man jetzt eigentlich sagen darf, und der damit verbundene Druck - das kenne ich selbst sehr gut. Ich kann das nachvollziehen. Aber als Mann ist das für mich völlig normal. Ich kenne da nichts anderes.

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Man braucht da ein sehr feines Gespür und viel Empathie. Klar, das ist für solche Frauen jetzt eine Umgewöhnung, aber mit 20 bis 30 Jahren Übung, harter Konditionierung und viel Disziplin ist das machbar. Ging doch bei mir auch!

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