Genderstudien, Opferverhöhnung, Schwulenprivilegien – News vom 22. Mai 2017
1. Die Website Netzpolitik hat sich den Fall des von einer anerkannten Soziologiezeitschrift veröffentlichten Nonsens-Artikels im Stil der pseudowissenschaftlichen Genderstudien genauer angeschaut:
Wie das Beispiel eines vermeintlichen "Gender-Studies-Hoax" zeigt, unter anderem unkritisch verbreitet via Fefes Blog, eignen sich unseriöse Open-Access-Verlage auch perfekt für die Erstellung und "Fundierung" von Fake News. So hatten Peter Boghossian und James Lindsay einen Nonsense-Text mit dem Titel "The conceptual penis as a social construct" zusammengebastelt und erfolgreich im Journal Cogent Social Sciences zur Veröffentlichung eingereicht. Ziel der beiden Autoren war der Nachweis, dass Gender Studies unseriös seien und keinen wissenschaftlichen Ansprüchen genügten. Vorbild für das Vorgehen war Alan Sokal, der in den 1990er Jahren mit der Veröffentlichung eines aus Unsinn und Jargon zusammengebauten Artikel in der Zeitschrift Social Text eine Debatte über die Seriosität postmoderner Philosophie losgetreten hatte.
Im Unterschied zu Social Text handelt es sich bei Cogent Social Sciences aber offensichtlich um eine unseriöse Zeitschrift, die gegen Zahlung einer Gebühr von 1.350 Dollar oder einer nicht näher definierten Minimalgebühr ("Pay what you can") jeden eingereichten Text publiziert. Es gibt hunderte vergleichbare Zeitschriften, allesamt mit seriös klingenden Namen, die mit Fake-Peer-Review und Veröffentlichungsgebühren Profite machen.
In den Kommentaren unter dem Netzpolitik-Beitrag heißt es allerdings treffend:
Mir scheint es unabweisbar, dass ein solch unsinniger Text, wie ihn die Autoren fabriziert haben, von den allermeisten Lesern von einer ernst gemeinten Gender-Studies-Arbeit nicht unterschieden werden kann. Das Jargon, das Geschwafel, die haltlosen Argumentationen wären zum Verwechseln ähnlich. Und das ist kein Problem der Leser sondern eines der Disziplin.
Und in einer Analyse der durch diesen Hoax entstandenen Debatte heißt es:
Many defenders of gender studies have claimed that Cogent Social Sciences is widely known to be a bad journal and more reputable ones would not have taken it seriously. The problem with that is that it is listed in the Directory of Open Access Journals (DOAJ), the Emerging Sources Citation Index (ESCI), the International Bibliography of the Social Sciences (IBSS), Academic Search Ultimate (EBSCO), ProQuest Social Science Journals, the British Library, Cabell’s International and many more of the largest indices. It is not highlighted as a problem in the much-relied upon Beall’s list of predatory journals and was recommended to Lindsay and Boghossian by the NORMA journal. It is part of the highly-regarded Taylor & Francis Group which confirms that Cogent offers thorough scholarly peer review and has all the "traditional values and high standards associated with Taylor & Francis and Routledge at its core." Even more significantly (and as shown by the first criticism), the language and "argument" of the hoax piece is indistinguishable from sincere gender studies publications from a range of academic journals.
Es folgen Beispiele.
Lucas Schoppe merkt dazu an:
Es ist ein Basis-Klischee von Gender-Theorien, Männlichkeit mit Macht und Gewalt gleichzusetzen – unbeanstandet in einer Männlichkeitsforschung von Kimmel bis Connell. Kritische Wissenschaft ist hier keine Wissenschaft, die sich gegenüber Klischees distanziert verhält und deren Vertreter über die Grundlagen der eigenen Arbeit beständig reflektieren. Kritisch und wissenschaftlich sind hier Ansätze, die sich gegenüber der rituell als hegemonial fantasierten Männlichkeit subversiv, entlarvend, kampfbereit – eben feindlich verhalten.
Solange sich die "Genderstudien" dieser Kritik nicht öffnen, sondern jegliche Kritik pauschal als reaktionär verdammen, erfüllen sie den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit nicht.
Auf der männerpolitischen Website "A Voice for Men" sprechen die Verfasser des Hoaxes selbst das Problem der "Pay-to-Publish"-Fachmagazine an: Solche Magazine sind in eine Struktur akzeptierter Wissenschaftsmagazine eingebunden, und auch die dort veröffentlichten Beiträge werden entsprechend ernst genommen. Ein selbstreinigender Prozess der "Genderforschung" ist überfällig, wenn dieser "Fachbereich" nicht immer wieder vor allem als Lachnummer öffentliche Aufmerksamkeit erhalten soll. Purer Männerhass allein trägt als Forschungsbasis sicherlich nicht. Der eigentliche Hoax ist nicht dieser Artikel, sondern die Genderstudien an sich.
2. Opfergruppen protestieren gegen einen Richter, der eine Täterin im Bereich Partnerschaftsgewalt mit Samthandschuhen anfasste, um ihr die berufliche Karriere nicht zu versauen:
Speaking with Telegraph UK, Claire Waxman, the director of Voice4Victims said: "I think the Judge needs to be mindful of the way he sentences this case and his comments. Male victims of domestic violence struggle to come forward due to the way society views them. If the Judge passes a lenient sentence, this will discourage victims from coming forward and reporting."
She added: "This case raises some serious questions on how we view female perpetrators of domestic violence and how the effects of the crime on the victim is being overshadowed by the impact the sentence could have on the perpetrator's life."
3.
Gay men enjoy more privilege in social settings than their straight counterparts, suggests a new study published in the Journal of Social and Personal Relationships.
The study’s author, Max Morris of Durham University, interviewed 40 gay male students at four universities. As homosexuality has become more commonly accepted, most of the respondents reported that their campuses were "gay-friendly spaces" where they could forge friendships with people of diverse sexual orientations and genders.
After analyzing the interviews, Morris concludes that the men’s "visibly gay identity" gave them a form of privilege he calls "gay capital."
Hier geht es weiter.
4. Nach vier Jahren der Forschung gelangt eine feministische Wissenschaftlerin zu derselben Einsicht, die nicht nur auf Genderama von Anfang an vertreten wurde: Die Regel "Ja heißt ja", die verlangt, dass vor sexuellen Handlungen explizite Einverständnisse des Partners eingeholt werden sollen, funktioniert im wahren Leben einfach nicht. Um zu dieser Erkenntnis gelangen, wurden viele Interviews mit Menschen geführt, die tatsächlich Sex haben (anders offenbar als Feministinnen, denen solche Regeln einfallen).
5. Eine kanadische Studentenvereinigung bat um Verzeihung dafür, bei einer universitären Veranstaltung Lou Reeds Song "Walk on the Wild Side" gespielt zu haben. Das Lied enthalte einen "transphoben Text".
6. Im Magazin "Vice" findet man einen hübschen Artikel über eine Filmvorführung von "The Red Pill". Während sich der Autor selbst von der Aussage des Films distanziert (andernfalls würde er wohl kaum für "Vice" arbeiten), sind die Zuschauerreaktionen, die er einfängt, deutlich.
7. Die Post. Einer meiner Leser schreibt mir zu einem aktuellen Beitrag über Gewalt gegen Frauen in Mexiko:
Ze.tt zeigt ein 2-minütiges Video mit dem Titel "So diskriminiert Mexiko weibliche Opfer von Gewalt" über eine vermutlich ermordete Studentin in Mexiko. Ze.tt lässt Frauen zu Wort kommen und blendet folgende Aussagen in das Video ein:
(1) "Die Rate der ermordeten Frauen in Mexiko ist sehr hoch."
(2) "189 Frauen wurden 2016 getötet, 36 Prozent mehr als 2013."
(3) "In Mexiko bekommen Frauen die Schuld am eigenen Tod oft selbst zugeschrieben."
(4) "Der Hashtag #iftheykillme soll im Internet darauf aufmerksam machen."
Schauen wir uns die Fakten zu diesen Behauptungen an:
(1) Die Mordrate von Frauen in Mexiko ist in der Tat sehr hoch. Mexiko ist eines der 10 gefährlichsten Ländern der Welt, wie sich schnell recherchieren lässt. Jedoch werden in Lateinamerika im Verhältnis mehr Männer im Vergleich zum Rest der Welt ermordet: "Weltweit sind 79 Prozent der Mordopfer Männer. In Lateinamerika und der Karibik liegt der Anteil bei 85 Prozent."
(2) Diese Zahl kann nicht stimmen. Das wären bei 23.000 Morden unter 1% aller Morde in Mexiko. Vielleicht ist Mexiko-Stadt gemeint.
(3) Die dritte Aussage kann ich nicht überprüfen.
(4) Auf Twitter findet man 33 Accounts, die diesen Hashtag in den letzten Wochen genutzt haben.
Die überprüfbaren Fakten halten also keinem Faktencheck stand. Den in dem Video beschriebenen Fall gibt es in der Tat. Fakten dazu bekommt man bei der Süddeutschen Zeitung. Dort erfährt man auch, dass der eigentliche Hashtag #SiMeMatan lautet.
Die Süddeutsche rahmt diesen Fall dazu in den Kontext in Mexiko ein:
"Der aktuellen IISS-Studie zufolge hat Mexiko im vergangenen Jahr einen Anstieg der Mordrate um elf Prozent erlebt. 23 000 Menschen sind 2016 in dem Land ermordet worden, in Syrien waren es laut IISS 60 000 Menschen. Die IISS-Experten führen die Steigerung auf den von der früheren mexikanischen Regierung unter Felipe Calderón im Dezember 2006 ausgerufenen "Anti-Drogen-Krieg" zurück, mit dem die Kartelle zerschlagen werden sollten. "Doch als Ergebnis hat dieses Unglück über Mexiko gebracht: 105 000 Menschen haben allein zwischen November 2012 und Dezember 2016 durch Morde ihr Leben verloren", sagt der Experte."
Offensichtlich dient das Video nicht zur Information sondern alleine zur Empörung, um den Hashtag #iftheykillme zu verbreiten. Ze.tt (Partner von Zeit Online) arbeitet dabei mit alternativen Fakten. Eine enttäuschende journalistische Leistung. Sueddeutsche.de hingegen macht alles richtig.
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